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Zwischenwelt, zwei Monate später

Das Licht wechselte. Der vor zwanzig Minuten herabprasselnde Wolkenbruch hatte nicht zu einer Abkühlung beigetragen. Die beiden Sonnen brannten gnadenlos, um in kürzester Zeit die gesamten Niederschlagsmengen wieder in Wasserdampf zu verwandeln. Dichte Nebelschwaden hingen in der Luft, und Eleyas kinnlanges Haar klebte an ihrer Stirn. Das Band aus dünnen Schnüren, welches sie um ihren Kopf gewickelt hatte, hielt die widerspenstigsten Strähnen aus dem Gesicht. Sie trug ein ärmelfreies, kurzes Kleid, das an einen Sack erinnerte. Mehrere braun-grüne Schnüre aus einem Pflanzenmaterial hielten es in Form.

Ihre hauchdünnen Flügel hingen schlaff herab. Ihre Unterlippe vorgestülpt, prustete sie die Luft aus.

„Anstrengend, hmm?“, fragte Esrael. Sie gab keine Antwort und warf nur einen bösen Blick zurück.

„He, komm, bist du etwa immer noch eingeschnappt?“

Keine Reaktion.

„Aber du musst doch zugeben, dass das komisch war“, feixte Esrael verschmitzt.

Sein Haar fiel heute offen bis auf die Schulter herab, gehalten von dem bronzefarbenen Stirnreif. Einer Modeerscheinung zufolge war ein Streifen im Haar blauschwarz gefärbt.

„Also, ich fand es lustig, als die fünf Haie hinter dir hergeschwommen sind.“

Eleya begann zu brodeln. Esrael verfiel wieder in ein Kichern.

„... und als dann direkt vor dir der Oktopus auftauchte ...“, weiter kam er nicht, weil ihn wieder ein Lachanfall durchschüttelte. Er schlug sich glucksend auf die Schenkel.

Eleya kochte über. Wütend knurrend drehte sie sich zu Esrael um. Ihre Ohren lagen eng am Kopf an, nach hinten verdreht, ihre Zähne mahlten aufeinander. Esrael stand gekrümmt vor Lachen da und zeigte mit ausgestreckter Hand auf Eleya. In diesem Moment erhob sie die Arme, knurrte auf und warf beide Hände in Esraels Richtung. Und dann geschah etwas absolut Ungewöhnliches. Ein Funkenregen schoss aus Eleyas Händen und preschte auf Esrael zu.

Esraels Lachen erstarb mit einem Klatschen. Er drehte sich um seine eigene Achse, stolperte, und fiel dann der Länge nach hin. Über ihm züngelten, wie kleine Schlangen, rote und blaue Blitze, die seinen Körper krampfhaft zusammen zucken ließen. Es dauerte nur Sekunden, dann war alles vorbei.

Esrael blieb bewegungslos liegen. Er lag verdreht auf der Seite, die katzenartigen Augen weit geöffnet. Erschrocken presste Eleya die Hände vors Gesicht und näherte sich ihrem reglosen Bruder. Seine starren Augen blickten nach oben.

Eleya begann zu schluchzen.

„Esrael, was ist denn los?“ Sie ging neben ihm in die Knie, berührte seine Schulter, doch ihre Hand ging ohne Widerstand hindurch.

„Hey, sag doch was.“

Sie zuckte zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.

Dann blinzelte Esrael, seine Ohren stellten sich auf. Er schielte zu Eleya und sagte: „Was war denn das?“

Langsam schüttelte er seinen Kopf und stemmte sich hoch.

„Hey, Schwesterchen, eigentlich sollte so was nicht möglich sein.“

Eleya nahm die Hände vor dem Gesicht weg, erleichtert.

„Na warte. Wenn ich das Dad erzähle, er wirds kaum glauben“, grinste er.

Eleya fing an zu kichern.

Sie nutzte die Gelegenheit, nahm allen Mut zusammen und sagte: „... so, und wenn wir schon dabei sind. Ich möchte diesen Fetzen hier nicht mehr.“

Sie deutete auf ihre sackartige Bekleidung.

„Du kommst immer mit so tollen Sachen daher, und wie laufe ich hier durch die Gegend?“

„Aber Schwesterchen, deine Sachen sind doch noch gut, ich weiß nicht, was du hast?“

Eleya legte einen grimmigen Blick auf, der aber durch das leichte Grinsen nicht so ernst wirkte. Nach einer kurzen Pause entgegnete Esrael: „Nun gut, einverstanden. Ich zeige dir, wie das mit den festen Materialien funktioniert, dann kannst du dir selber was machen.”

Eleyas Grinsen wurde breiter.

„Jetzt werde aber nicht übermütig – herstellen musst du dir die Sachen dann schon selber. Ich zeige dir nur, wie es geht. Und glaube nicht, dass dadurch deine Übungszeit kürzer wird. Betrachte es als einen vorgezogenen Teil deiner Ausbildung.“

Ein noch breiteres Grinsen entblößte zwei Reihen weißer Zähne.

„Danke, Esrael.”

„Is’ schon gut. Ich glaube, mein Schwesterchen wird langsam erwachsen. Das geht mir etwas zu schnell.“

„Aber du hast doch gesagt, ich soll schnell lernen!“

„Aber nicht das mit den Kleidern. Diese Marotte von euch Frauen mit den schicken Klamotten kommt noch früh genug.“

„Das verstehe ich nicht. Bisher hast du doch immer solche schönen Sachen angehabt.“

„Das ... ist etwas vollkommen anderes. Das verstehst du nicht. Aber jetzt lenke nicht ab. Wir haben heute noch viel vor uns. So, auf! Stell dich ordentlich hin, wir machen weiter.”

Wächterkind

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