Читать книгу KOLONIE 7 - Ralph Kloos - Страница 10
ОглавлениеKasha Muratti
Kasha Muratti saß ziemlich happy in ihrem First-Class-Sessel und las das Dossier, das sie von Professor Leclerc gemailt bekommen hatte. Sie liebte Europa und wusste nur, dass der Einsatzort in der Nähe von Paris „Rambouillet“ hieß und keine fünf Autostunden von ihrem geliebten Genf entfernt lag.
Die Fotos des Würfels fand sie auf Anhieb faszinierend, doch die mitgelieferten Daten ließen sie zweifeln, ob sie bei diesem „Job“ überhaupt die richtige Person war. Da es offensichtlich nicht gelungen war, eine Materialprobe von dem Gold zu extrahieren, war es ein Ding der Unmöglichkeit, den gesamten Würfel in das LHC zu transportieren und dort mit Protonen zu beschießen. Aber die Beschaffenheit der geschilderten Modifikationen war unerklärlich und deshalb mehr als interessant.
Atomphysiker weltweit waren sich sicher, dass es innerhalb der Atomstruktur weitere winzigste Teilchen geben musste - außer dem Higgs-Boson-Gottesteilchen waren in den letzten Jahren weitere Klein-Bausteine der Atomstruktur entdeckt worden: Die sechs Quarks (Up- Down, Strange- Charme, Top- und Button Quark, sowie das Gluon und Boson waren deshalb bereits als Subatomare Teilchen bekannt.)
Doch noch lief die größte und komplexeste Maschine der Menschheit , der LHC in Cern, quasi im „ersten Gang“.
Bei jeder neuen Versuchsreihe wurde zwar die Energie-Zufuhr sukzessive erhöht, doch nach oben war noch jede Menge Spielraum. Kashas einzige Idee war die, dass man eine „Abzweigung“ in den 27 Kilometer langen Elektronenbeschleuniger installieren müsste, um den Würfel in einer neuen Versuchsanordnung zu beschießen und an diesem Ort dann die Kollisionsdaten auszulesen. Da sie aber gleichzeitig wusste, dass dieses Unterfangen nicht nur Abermillionen Euro kosten würde und vor allem mehrere Jahre zur Realisierung benötigt würden, verwarf sie diesen Gedanken wieder. Das Rätsel verlangte vielleicht eine ganz andere Erklärung - dennoch - was war das atomstrukturelle Geheimnis dieses einmaligen Würfels?
Nach einem opulenten Mahl ließ sich Kasha ihr First-Class-Bett aufschlagen und las vor dem Einschlafen noch ein paar internationale Magazine. Kaum ein Titelblatt hatte nicht den goldenen Würfel abgebildet und da die offizielle Nachrichtenlage ja trotz mittlerweile tausender veröffentlichter Privatfotos nicht viel mehr hergab, als das was ja schon nach wenigen Stunden bekannt wurde, war das Groß der Artikel von extrem spekulativer Natur.
Insider wussten von Röntgenaufnahmen zu berichten, die nur aussagten, dass der Würfel offensichtlich hohl war und keine weiteren Überraschungen oder gar geheime Nachrichten enthielt. Kasha musste lächeln. Aha - so versuchte man also jetzt eine falsche Fährte zu legen; denn was sie vor ihrem Essen an wirklichen Röntgenaufnahmen gesehen hatte, sprach eine ganz andere Sprache. Wahrscheinlich hätte sie es nicht anders arrangiert. Was sollte man den Menschen auch erzählen, wenn man selbst auf höchster wissenschaftlichen Instanz kaum etwas Verwertbares vorzuweisen hatte?
Da sie langsam angenehm müde wurde, las sie nur noch ein paar Blogs, die angeblich alle den Schlüssel des Geheimnisses erklären konnten, aber außer jeder Menge religiöser Vergleiche mit sonstigen Bibel- und Koran-Passagen fanden sich nur die üblichen Weltverschwörungsfantasien mit den irrwitzigsten Theorien.
Die Facebookseite des Goldenen Würfels auf der Webseite der Sorbonne hatte bereits 390 Millionen „Likes“ in knapp 20 Tagen eingesammelt und so würde sie wahrscheinlich schon in wenigen Wochen Lady Gaga vom ersten Platz der Klick-Hitparade verdrängen.
„Alles Paparazzi“ dachte sich Kasha noch und schlief zufrieden ein. Sie war noch nie mit der First Class geflogen und sie genoss die angenehme Reise. Nach einem erholsamen Schlaf wurde sie kurz vor der Landung in Paris mit einem Glas Champagner geweckt, fühlte sich fit und war einfach nur noch neugierig. Professor Leclerc hatte seinen Assistenten Prof. Francois Michels zum Airport geschickt, der mit einem Schild auf die Kollegin aus den Staaten wartete.
Da Kasha bereits wusste, dass man in der Sorbonne nur einen Dummy ausstellte, ging es direkt nach Rambouillet zum abgeschirmten Original des Würfels. Schon auf der Fahrt diskutierten beide die verschiedenen Aspekte, die den Fund so außergewöhnlich machten und da sich Kasha gerne durch die Euphorie des französischen Kollegen anstecken liess, war sie nun wirklich ungeduldig. Bevor sie jedoch ins Allerheiligste eingelassen wurde, musste sie sich fotografieren lassen und etwas warten, bis ihr fälschungssicherer Zugangsausweis fertig gestellt war.
Dann endlich fuhr man sie mit einem Elektromobil geschlagene fünf Minuten, bis sie endlich vor einer mächtigen Aufzugstür zum Stehen kamen. „Jetzt sind wir dann wirklich gleich da“ lächelte Professor Michels, der sich angesichts der attraktiven Kollegin geradezu umbrachte vor Charme. Nach dem Ausstieg aus dem Fahrstuhl waren es nur noch wenige Meter bis zur bewachten Schleuse, denn jetzt endlich waren sie auf der tiefsten Ebene - im Hochsicherheitstrakt, der im Falle eines Krieges als „kleiner Plenarsaal“ vorgesehen war.
Scherzhafter weise hatten die Franzosen den zentralen Bunker-Saal, in dem der goldene Würfel stand, „Oval-Office” genannt, obwohl er gar nicht oval, sondern in Wirklichkeit ein halbrunder Tunnel war. In der Mitte hatte man den goldenen Würfel auf ein hydraulisches Podest gestellt und jede Menge sensorischer Messgeräte um ihn herum aufgebaut.
Als Kasha endlich vor ihm stand war sie einfach nur fasziniert. Ehrfurchtsvoll streckte sie ihre Hand nach dem schimmernden Metall aus und berührte erstmals die einmalige Struktur des Kubus. Sanft strich sie in die verschiedenen Ein- und Ausbuchtungen und versuchte sich vorzustellen wodurch sie wohl entstanden sein könnten. Noch nie hatte sie ein derartiges Gefühl überkommen, irgendwie empfand sie instinktiv, dass dieses Metall zwar aus dem chemischen Element Gold bestand, aber was auch immer die atomphysischen Anomalitäten hervorgerufen hatte, war einfach unerklärlich. Da sie sich ja seit Jahren mit den spekulativen Möglichkeiten über den Einsatz und die Funktion von perfekter Nanomaterie beschäftigt hatte, waren ihr natürlich tausende von Anwendungsmöglichkeiten in den Sinn gekommen, aber dass dieser Kubus aus solch einem Material bestehen könnte, erschien ihr dann doch mehr als unwahrscheinlich.
Andererseits war die Sachlage so unerklärlich, dass man alle alten Denkblockaden durchbrechen musste. Aber wenn eine außer-irdische Zivilisation bereits die Fähigkeit hätte und diese Technologie verwenden würde - warum dann dieser seltsame Würfel? Und seit wann war er bereits auf der Erde?
Kasha bezweifelte auch sofort, dass das Metall aus einer irdischen Förderstätte stammte - aber das ließ sich ja leider nicht verifizieren.
Jeder auf der Erde geförderte Nugget Gold wies aufgrund seiner ortstypischen Lage gewisse Verunreinigungen im Metall auf, die es nachträglich ermöglichten, zu bestimmen, wo dieses Gold auch gefunden wurde, aber ohne eine Materialprobe war diese These weder zu beweisen noch zu halten.
Im Moment waren also nur dann neue Erkenntnisse über die Herkunft zu erwarten, wenn die zweite Unterwasserexpedition etwas Neues ans Tageslicht bringen würde.
Da ein ganzes Stockwerk des Schlosses mit Gästezimmern ausgestattet war, bezog sie im zweiten Stock des Gesinde-Hauses einen wunderschön eingerichteten Raum mit eigenem Bad im Renaissance Stil. Dann sichtete sie erst einmal alle vorhandenen Daten und Videoaufnahmen und checkte ihre E-Mails. Schließlich vereinbarte sie noch eine mitternächtliche Video-Konferenz mit einem ihrer ehemaligen Kollegen am CERN und da sie sowieso nicht schlafen konnte, loggte sie sich mit einem speziellen Zugang auf den Server der Deep Search One ein, die vielleicht schon morgen Nacht an der Fundstelle der Galeone sein würde.
Die Webcam, die oberhalb der Brücke montiert war, übertrug den Blick über den Bug, der bei dem satten Swell tief in die stürmische See eintauchte und alle paar Sekunden meterhohe Gischtfontänen über das gesamte Vorderschiff spritzte.
Kasha hatte eine konkrete Ahnung, dass sie bei diesem Seegang schon längst der Seekrankheit zum Opfer gefallen wäre. Sie war Tänzerin, turnte für ihr Leben gerne und hatte auch keinerlei Höhenängste, wenn sie mit den Schweizer Kollegen die Berghänge im Pulverschnee herunter gerast war. Aber andauernd schwankendes Wasser konnte sie einfach nicht beherrschen. Sie bevorzugte eindeutig festen Boden unter den Füssen und bewunderte alle Menschen, die anscheinend problemlos mit dem Geschaukel umgehen konnten.