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Carlon Mellon University / Pittsburg

5. Oktober 2015

Dr. Kasha Muratti hatte sich seit drei Tagen nicht mehr im Internet bewegt und wusste deshalb nicht das Geringste von dem neu entdeckten geheimnisvollen Goldwürfel.

Außerdem interessierte sie sich auch nicht besonders für Unterwasserarchäologie oder alte Maya-Kulturen. Heute war ihre Antrittsvorlesung als Gastprofessorin an der Carlon Mellon University von Pittsburgh und deshalb hatte sie fast nonstop an ihrem Einstieg ins amerikanische Universitätsleben gearbeitet, Filme zusammengeschnitten, Animationen erstellt und vertont und ihre unfertige Präsentation jeden Tag mehrmals vor einer Videokamera selbst aufgenommen und wieder und wieder abgespielt. Jetzt fühlte sie sich bestens vorbereitet und konnte es kaum erwarten vor die hungrige Studentenmeute zu treten. Kasha hatte die letzten vier Jahre am „Large Hadron Collider“ (LHC) in CERN in der Schweiz geforscht.

Dort war sie ein Teil der internationalen Forschungscrew geworden und genoss das Flair und die grandiose Natur in der Schweiz. Doch Ihre Rückkehr war kein Zufall; mit ihrem Wissen sollte sie einer Arbeitsgruppe im Robotic-Institute in Pittsburgh angehören, die sich ausschließlich mit der Erforschung von Nano-Partikeln befasste.

Kasha wusste genau, wie sie ihren Studenten den Einstieg in die Materie präsentieren musste. Rein optisch war die 30jährige Wissenschaftlerin schon extrem attraktiv - etwa doppelt so hübsch, wie ihr Name klang. Als Kind eines ukrainischen Schachspielers und ihrer italienischen Mutter, die in einem Zirkus die Lipizzanerpferde trainierte, hatte Kasha niemals so etwas wie eine Heimat gespürt oder vermisst und ihre Kindheit in dem Tollhaus eines durch die Länder reisenden Zirkus erschien ihr wie ein nie endender Traum vom Glück. Kaum 12 Jahre alt geworden, endete dieses Leben, denn ihre liebe Mutter wurde von einem ausschlagenden Pferd in der Manege mit einem Schlag an den Kopf getötet - und Kasha landete daraufhin umgehend bei ihrem Vater - in der Schweiz.

Was sie an spielerischer Leichtigkeit und kunstvollem Umgang mit dem eigenen Körper im Zirkus gelernt hatte, war plötzlich nicht mehr interessant, denn Kashas Vater lehrte sie die hohe Kunst des königlichen Spiels mit allen Tricks, die er in mehr als 30 Jahren Spielpraxis erlernt hatte und Kasha war eine überaus gelehrige und eifrige Schülerin.

Das jahrelange Schachspielen hatte sie geformt: Mit Geduld und analytischer Akribie hatte sich ihr Wissensdurst schon auf dem Gymnasium gezeigt, denn sie war einfach die beste Schülerin - und das, ohne groß zu Pauken oder stundenlang Vokabeln zu lernen. Ihr fast fotografisches Gedächtnis war durch das Schachspiel geschult und so konnte sie sich Stadtpläne, chemische Formeln und lange metaphysische Abhandlungen so einfach merken, wie andere Menschen Kochrezepte verinnerlichten.

Es dauerte nicht lange, bis Kasha bemerkte, dass die ausgedehnten Reisen ihres Vaters nicht ausschließlich mit Schachturnieren zu erklären waren, denn oftmals traf sich ihr Vater zu spontan wirkenden Treffen mit verschiedenen Männern, die sich recht konspirativ verhielten und da Kasha „Eins und Eins“ zusammenzählen konnte, konfrontierte sie ihren Vater eines Tages ohne Umschweife mit ihren Vermutungen.

Kashas Vater war zwar nicht unbedingt die Traumbesetzung eines fürsorglichen Erziehungsberechtigten, aber er war kein Lügner und schenkte seine Tochter reinen Wein ein: „Ich arbeite schon mein Leben lang für eine ausgeglichene Nachrichtenlage zwischen Ost und West - oder einfacher formuliert: Ja - ich arbeite für den CIA!“

Kasha hatte kein Problem mit diesem Geständnis. Im Gegenteil, denn sie schätzte ihren Vater als einen weisen Mann ein, der diesen gefährlichen Zusatzjob nicht aus Gründen der persönlichen Bereicherung ausübte, sondern für seine Überzeugung, dass sich ein solider Frieden nur dadurch gewährleisten ließ, wenn die Nachrichtendienste möglichst viele Informationen über die jeweilige Gegenseite hatten.

Kasha war noch keine achtzehn Jahre alt, als sie sich auch entschied etwas „für ihr Vaterland zu tun“ und so bat sie ihren Vater, dass er sie bei dieser Idee unterstützte. Von da an wurde Kasha immer wieder zu Schulungen und Seminaren eingeladen, die von der NSA und dem CIA abgehalten wurden und die vor allem darauf abzielten, hoch qualifizierte Studenten zu finden und auszubilden, welche an Universitäten, die nicht von den USA kontrolliert werden konnten, Ergebnisse „abschöpften“, die im Interesse der nationalen US-Sicherheit lagen - egal ob sie militärischer oder wirtschaftlicher Natur waren.

Auch wenn Kasha deshalb keine „richtige Full-Time-Spionin“ war, hatte sie von diesem Moment an eine „unsichtbare Unterstützung“ durch die Dienste und wurde trotzdem nur dann kontaktiert, wenn sie glaubte, etwas Wichtiges gefunden zu haben - ansonsten sollte sie sich voll auf ihr Studium konzentrieren und das Netzwerk der freien Wissenschaft möglichst unverdächtig infiltrieren.

Nach ihrem Studium der Quantenphysik und einer unrettbar kaputten Beziehung mit der größten Liebe ihres Lebens hatte Kasha es aufgeben sich mit ihrem eigenen Cinderella-Komplex zu beschäftigen und so galt ihr einziges Interesse von nun an der Grundlagenforschung an unbekannter Materie. Allerdings war sie alles andere, als ein Kind von Traurigkeit und wollte sich hin und wieder auch sexuell ausleben.

Dabei aber, war ihr der Status als Uni-Professorin mehr als einmal unpassend „in die Quere gekommen“ und sie musste sich eine neue Strategie für ihren regelmäßig aufkommenden „Heisshunger“ einfallen lassen. Deshalb besorgte sie sich ein paar billige Perücken und einige Kleidungsstücke, die man am einfachsten im Internet bei gewissen einschlägigen Sexshops einfach und anonym bestellen konnte. Dann fehlte nur noch ein zweites billiges Prepaid-Handy mit einer unbekannten Rufnummer und schon war ihre Ausrüstung für ihre Streifzüge durch die Campusbars der Nachbar-Unis perfekt, denn in ihrer eigenen Uni wollte Kasha auf keinen Fall auf Männerjagd gehen - das kam überhaupt nicht in Frage, denn der Sinn ihrer Missionen lag ja nicht darin, „den einmaligen Prinzen auf dem weissen Schimmel für den Rest des Lebens“ zu finden, sondern sich einen möglichst gut aussehenden, gut riechenden Sportler oder Ähnliches aufzureissen, der es ihr anständig und ausdauernd besorgte und den sie im Nachhinein auch problemlos wieder aus dem Rest ihres Lebens löschen konnte, ohne das nervige Drama, das mit einer „normalen Beziehung“ verbunden war.

Kasha zumindest hatte keinerlei Probleme mit ihrem selbst gewählten Beziehungsmodell, denn die unverbindliche und freie Wahl ihrer Sexpartner war bis dato zwar nicht immer „das Gelbe vom Ei“ gewesen, aber ihre interne Erfolgsstatistik konnte sich jederzeit sehen lassen, denn als perfekt gestyltes gespieltes Dummchen und mit ihrem atemberaubendem Körper hatte sie bereits erfolgreich zwei Quarterbacks aus der nationalen College-League abgeschleppt und die waren furiose Volltreffer-Liebhaber der Premium-Kategorie gewesen, an die sie noch Tage später lustvoll mit schweren Zitterknien denken musste. Bei zwei Gelegenheiten hatte sie mangels begattungsfähiger Bauerntrampel auf eine hübsche Studentin zurück gegriffen und obwohl sie diese lesbischen Erfahrungen gar nicht mal als „soo schlecht“ qualifizierte, war sie generell lieber das schwache Frauchen, das sich gerne von sportlichen Männerkörpern dominieren lies.

Die Carlon Mellon Universität von Pittsburgh ist Amerikas führende Forschungseinrichtung im Bereich der Robotik und Nanotechnologie und der Vorlesungssaal platzt aus allen Nähten, als die Professorin Kasha Muratti nur mit ihrem iPad bewaffnet zum Rednerpult geht und das kleine Tablett an die Multimedia-Anlage des Hörsaals anschließt. Ein Assistent bedient das Mischpult und während die großen Jalousien langsam die breite Fensterfront verdunkeln, springt der Projektor an und Kasha wird von ihrem Assistenten das Head-Mikrophon angelegt.

„Mein Name ist Dr. Kasha Muratti und ich freue mich, sie heute an Amerikas führender Universität für Future Design und Nanotechnologie begrüßen zu dürfen. Der Fachbereich für den sie sich eingeschrieben haben hat das große Ziel eines Tages nichts anderes als frei programmierbare Materie herzustellen.

Was genau dürfen wir uns darunter vorstellen? Wie so oft gibt uns die Natur zumindest ansatzweise eine grobe Idee, was wir eines Tages vielleicht erreichen könnten.“

Auf der großen Leinwand des Hörsaals begann der erste Film. Fast unwirklich groß sah man eine einzelne Ameise, die sich mit einem riesigen Blatt von links nach rechts über den Bildschirm bewegte. „Wir alle kennen die großartige Leistung, die Ameisen vollbringen können. Jede einzelne dieser Insekten kann für ihre Verhältnisse enorme Lasten über große Strecken transportieren, aber generell ist die Leistung einer einzelnen Ameise überschaubar bzw. sehr begrenzt. Ganz anders sieht es aus, wenn wir jetzt die Leistung von Ameisenvölkern betrachten.“

Auf dem Bildschirm erschienen jetzt Großaufnahmen von ganzen Ameisenvölkern, die Unmengen von zerschnitten Blättern über einen Dschungel-Pfad transportierten, dann wurden eindrucksvolle Zeitrafferaufnahmen von Termitenstämmen gezeigt, die komplette Gebäude innerhalb von wenigen Tagen zum Einsturz brachten.

„Was Sie in diesen Aufnahmen erkennen können ist sozusagen eine kleine Veranschaulichung dessen, was wir vielleicht gemeinsam in Zukunft hier erforschen werden.

Im Jahr 2012 wurde im LHC in der Schweiz das erste Mal die Existenz der Gottes-Teilchen (Higgs-Boson) nachgewiesen.

Die Wissenschaft ist der festen Überzeugung, dass es neben diesem noch weitere unerforschte Klein-Bestandteile innerhalb jedes Atoms geben muss, deren Funktionen wir noch nicht kennen. Aber uns treibt eine Vision: Wenn wir eines Tages in der Lage sein sollten, diese Bestandteile vollständig zu verstehen und sie zu manipulieren, dann wird es uns höchstwahrscheinlich möglich sein, sie auch dazu zu benutzen, um jede art von Materie „frei zu programmieren“.

Um zu verstehen was wir uns darunter langfristig vorstellen, haben wir ein paar weitere Animationen vorbereitet.“

Auf dem Bildschirm erschien eine Art umgekehrt laufender Countdown, der vom Jahr 2013 bis zum Jahr 2050 lief und dann in ein großes Fragezeichen gewandelt wurde.

Kashas Stimme klang wohltuend und sie war didaktisch fehlerfrei: „Stellen wir uns einfach vor unsere Erfindung gibt es schon. Auf dem Bildschirm erschien eine Art metallischer Kasten, der sich langsam öffnete. Der Inhalt schien beim Einzoomen aus lauter winzigsten Kügelchen zu bestehen. Wir nennen das, was wir erschaffen wollen „Nanobots“ - unser Synonym für winzigste Roboter, die ihre eigene Energieversorgung haben müssen und frei programmierbar sind.

Wenn wir also zum Beispiel in ferner Zukunft einen ganz banalen Fünfzehner Schraubenschlüssel benötigen und wir sind dann bereits im Besitz der Nanobots, dann könnten wir - wahrscheinlich über eine drahtlose APP - einfach einen Befehl an unseren Vorratsbehälter mit den Nanobots funken und in wenigen Sekunden hätten sich die Atome, bzw. deren Moleküle so angeordnet, dass man das gewünschte Werkzeug - in höchster Qualität - aus dem Behälter nehmen und benutzen kann.“

Die Leinwand zeigte eine Computer-Animation in der auf magische Art und Weise die kleinen Kügelchen zu einem fünfzehner Schlüssel morphten und dann kam eine animierte Hand ins Bild und benutzte das gerade erschaffene Werkzeug, um eine 15-ner Schraube festzuziehen. „Dies ist natürlich ein wirklich einfaches Beispiel um zu verdeutlichen, was wir erforschen wollen.“ Die Animation zeigte jetzt, wie die animierte Hand den Schraubenschlüssel wieder zurück in den Behälter legte und als ob man ein Stück Eis in eine heiße Suppe geworfen hätte, verschwand die Form des Schraubenschlüssels in wenigen Augenblicken.

Schließlich brauchte man einen 15-er Schlüssel nur wenige Mal im Leben und falls man jetzt aber gerade eine Lupe, ein Messer, einen Wagenheber oder sonst etwas benötigte, dann müsste man das einfach wieder an den Behälter der Nanobots „mailen“ und nach wenigen Sekunden hätte man dann jegliches Werkzeug, dass man jemals brauchen wird.

Es bleibt nun Ihrer Fantasie überlassen, was man mit diesen Möglichkeiten auf allen Sektoren des täglichen Lebens erreichen könnte: Medizin, Transport, Produktion und natürlich auch das Militär hätten vollkommen neue Möglichkeiten von Anwen-dungen und Produkten. Doch wie können wir es jemals so weit schaffen und was sind unsere realistischen Möglichkeiten?“

Wieder erschien eine Art von mega aktiven Wanderameisen auf der riesigen Leinwand, die alle auf einem Weg im Unterholz in einer unendlich wirkenden Reihe hintereinander herliefen. „Der Leistungsumfang der Nanobots muss essentielle Komponenten beinhalten: eine eigene Energieversorgung, die Möglichkeit der Kommunikation mit anderen Nanobots, das Bewusstsein an welchem Ort sie sich befinden und eine Programmierbarkeit, die unsere jetzigen Denkmodelle bei weitem übersteigt.

Vielleicht wird es auch Nanobots geben, die - wie in der Natur - andere Nanobots steuern und kontrollieren. Doch genau wie in der Natur birgt das gewisse Gefahren in sich“.

Man sah auf dem Projektor, wie ein Wissenschaftler die erste Ameise der langen Dschungelprozession vorsichtig mit Gummihandschuhen einfing und isolierte. Offensichtlich führerlos fand der Rest des gesamten Volkes anscheinend nicht mehr den richtigen Weg, denn die gesamte Population läuft weiterhin hinter der zweiten Ameise hinterher, die allerdings orientierungslos weiter marschierte - so lange bis das gesamte Volk - eine Ameise nach der Anderen - vor Erschöpfung starb. „Sobald man die eingefangene Führerameise‚ wieder an die erste Position des Prozession setzt, nimmt das gesamte Volk wieder gemeinsam den richtigen Weg zum Nest.

Wissenschaftlich realistischer ist wahrscheinlich die andere Option: Wenn wir es durch den Einsatz des LHC im CERN schaffen werden, auch die anderen noch unbekannten Bestand-teile innerhalb der Atome zu verstehen, dann kann es uns hoffentlich irgendwann gelingen, wahre frei programmierte Materie zu erschaffen und das wird dann wirklich ein neues Level der angewandten Wissenschaft ermöglichen.

Deshalb freue ich mich auf die kommenden Semester mit Ihnen, denn unser momentaner Forschungsstand sieht ungefähr so aus“: Auf der Projektionswand sah man jetzt eines der Experimente des vergangenen Jahres. Ein ganzes Rudel kleiner auf Rädern fahrender Miniroboter fuhr in einer vorgefertigten Versuchsanordnung anscheinend planlos in einem Labyrinth herum.

Alle Minirobots konnten miteinander kommunizieren und die Aufgabe lag darin, dass sie von einem Ausgangspunkt auf dem kürzest möglichen Weg durch ein verwinkeltes Labyrinth zu dem neuen Zielpunkt rollten. Obwohl der Versuch auf den ersten Blick wie eine Anordnung aus dem Kinderzimmer daherkam, schafften es die kleinen Robots nach mehreren Minuten wirklich alle den Zielpunkt zu erreichen. „Wenn wir den Stand unserer Forschung zum aktuellen Zeitpunkt betrachten, dann sind wir ungefähr hier“

Es war ein Bild vom Mount Everest zu sehen und das Bild zoomte auf einen kleinen Ausschnitt am Fuß des höchsten Bergs der Welt.

Wir wollen eines Tages den Gipfel dieser Forschung erreichen und wie man sehen kann, ist das noch ein ewig langer Weg.

Unser Ziel ist also klar - was wir nicht wissen können ist, wie lange die Forschung letztendlich brauchen wird, um diesen Gipfel zu erklimmen - aber wir wollen in den kommenden Jahren eine große Strecke dieses Weges erforschen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.“

KOLONIE 7

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