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Die Expedition der Deep Search One

27. 9. 2015 Karibisches Meer:

15,39,30° nördlicher Breite, 74,53,43° westlicher Länge.

Das Expeditionsschiff Deep Search One stampft mit Kurs Südsüdwest und knapp 16 Knoten durch die aufgewühlte karibische See.

Auf der Brücke steht neben dem amerikanischen Kapitän Scott Creech der Expeditionsleiter Jean-Piere Zebagger und bekommt langsam wieder bessere Laune.

Vor 15 Stunden hatte die Deep Search One den Hafen von Kingston verlassen und einen Teil der an Bord befindlichen Wissenschaftler abgesetzt.

Endlich abgemustert hatten auch die beiden jamaikanischen Mitglieder der Kontrollkommission, die in den vergangenen fünf Wochen täglich nur genervt hatten, weil sie permanent ihren schlecht gelaunten Gesichtsausdruck an den Tag gelegt hatten, als ob man dem Staat Jamaica mit jedem Tauchgang ein Stück seiner nationalen Identität rauben würde…

Jean-Piere Zebagger hatte sich bereits vor 23 Jahren der Unterwasserarchäologie verschrieben und nahm unter seinem ehemaligen Expeditionsleiter Franck Goddio weltweit an den verschiedensten erfolgreichen Tauchmissionen teil.

Seit fünf Jahren war er jetzt im Auftrag einer französischen privat finanzierten Bergungsgesellschaft der verantwortliche Chef der Schatzsuche, doch seine letzten beiden Expeditionen waren, finanziell gesehen, niederschmetternde Flops gewesen.

Niemand auf dem Schiff nannte ihn bei seinem richtigen Namen, denn für alle war er nur „Jottape“, was man aber spanisch aussprach, also „Jotta“ und „Pe“, und genau drei Mitglieder der Besatzung durften ihn sogar auch mal scherzhaft "Le Frock" nennen.

Mit 82 Metern Länge war die Deep Search One eher ein mittelgroßes Forschungsschiff und erst vor einem Jahr mit den neuesten technischen Errungenschaften der modernen Unter-wasserarchäologie nachgerüstet worden.

Neben zwei vollautomatischen Unterwasserrobotern befand sich an Bord auch ein Miniunterseeboot, eine Kompression-Druckkammer und verschiedene sensorische Bojen-Systeme, die wie Torpedos geformt waren - vollgestopft mit den sensibelsten Detektoren und Scannern, die in verschieden großen Abständen hinter der Deep Search One durch die See gezogen wurden. Auf der Steuerbordseite befand sich das hochauflösende Echolotsystem, dass circa 200 Meter hinter dem Schiff schwamm und auf der Backbordseite befand sich das modernste Magnetresonanz System der Welt, mit dem sich vor allem Edel- und Halbedelmetalle wie Bronze, Gold und Silber aufspüren ließen, aber auch Manganknollen, die man in Meerestiefen ab 4000 Metern finden konnte.

Um die Kommunikation mit dem Rest der Welt zu ermöglichen, hatte das Schiff eine eigene Breitband-Satellitenanbindung, die lediglich bei sehr hohem Wellengang gelegentlich unterbrochen wurde - ansonsten war das gesamte Schiff eine komplette High-Speed-WLAN-Zone. Da die Eigner auch eine Website über die Reise des Expeditionsschiffes ins Netz gestellt hatten, konnte man täglich Online mit verfolgen wo das Schiff sich gerade befand - inklusive der wöchentlichen Lifestreams aus der Offiziersmesse. Das brachte jede Menge Medienpräsenz und gelegentlich sogar Spenden von reichen Gönnern.

Herr über die gesamten elektronischen Systeme war ein deutscher Computer-Nerd namens KC, der bereits seit mehr als elf Jahren mit Expeditionsleiter Jottape arbeitete. Nach eigenen Angaben sollte die Abkürzung „KC“ von „King of Chaos“ abgeleitet sein, wahlweise bot der Meister auch „Kistenweise Champagner“ als Lösung an, aber wenn man dann einen Blick in seinen Reisepass warf, wurde schnell klar, dass KCs Eltern die geniale Idee hatten, ihren Sprössling „Karl Christian“ zu nennen, weshalb generell Niemand diesen Pass zu sehen bekommen durfte.

An KC war eigentlich alles groß. Mit 196 cm war er an sich schon eine imposante Erscheinung, aber seine riesige Wampe, seine großen Hände und sein großen Zähne vervollständigen den Eindruck eines behäbigen Oktopusses, der ständig hinter seinen sechs Computerbildschirmen saß und den irgendwie nichts aus der Fassung bringen konnte, außer wenn es ihm an Nahrung mangelte, die er ebenfalls in enormen Mengen in sich hinein schaufelte. Für akute Notfälle hatte er in einem geheimen Fach in seinem Schreibtisch eine größere Menge an Süßkram versteckt. „Wenn mein Hirn nicht sofort ausreichend Glucose-Nachschub bekommt, dann habt Ihr ein gleich echtes Problem!“ Seine gelegentliche unmäßige Fresserei hatten dazu geführt, dass er mittlerweile eine leichte Diabetes hatte und sich täglich einmal eine Insulinspritze verabreichen musste, was ihn trotzdem nicht davon abhielt, den einen oder anderen Schokoriegel als Zwischenmahlzeit einzulegen.

Es gab mehr als eine Version, wie und seit wann sich KC und Jottape zusammen getan hatten: Am spannendsten war logischerweise die Alternative, in der KC, der als echter Pionier schon zu Jugendzeiten im ARPANET (dem Vorläufer des heutigen Internets) unterwegs war, seine neugierige Nase zu tief in zu viele Regierungsserver gesteckt hatte und deshalb dringend Europa verlassen musste, wenn er nicht riskieren wollte für längere Zeit weggesperrt zu werden.

Ein OFF-Shore-Job auf einem Schiff war demnach die erste Wahl bei seinen Auslandsbewerbungen und da er alle Anforderungen erfüllte, bekam er den Job als Computercontroller wirklich und arbeitete jetzt schon mehr als 10 Jahre harmonisch mit Jottape.

In wenigen Tagen sollte die Deep Search One den Hafen von Miami anlaufen, und obwohl der vorgeschriebene Kurs eigentlich schon "längst abgegrast war", bestand KC darauf, dennoch die beiden Sonarbojen ins Wasser zu lassen und die Unterwasserdaten aufzuzeichnen. "Man kann ja nie wissen", war seine Devise und da er auf dem ganzen Schiff allgemein als der immer gut gelaunte Glücksbringer galt, konnte sich auch Jottape nicht dagegen wehren, obwohl das auch gleichzeitig bedeutete, dass das Schiff somit maximal 16 Knoten laufen durfte, denn sonst wurden die Daten der Unterwassersonden unvollständig aufgezeichnet.

KC, Jottape und der Chefpilot des Unterseebootes Dennis Manzini bildeten das Rückgrat des Expeditionsteams. Trotz aller technischen Errungenschaften, befand sich auch noch ein Team der besten Bergungstaucher an Bord, eine kleine, aber hoch-karätige Mischung aus Unterwasserarchäologen und Meeres-biologen und natürlich die ganz normale Mannschaft des Forschungsschiffes.

Auf dem Achterdeck hatte die französisch-kreolische Köchin ein leckeres Buffet und den Grill aufgebaut, um dort einen kleinen Barbecue-Snack zu kredenzen. Während sich so langsam einer nach dem anderen der Crew auf dem Achterdeck einfand, blieb KC, wie immer, hinter seiner Computerwand sitzen und rief nach Jottape. "Hier schau mal was ich Witziges gebastelt habe". "Das hier erspart mir doch gleich eine Menge Arbeit."

KC hatte den Outputkanal der Meeressonden mit verschiedenen Soundgeneratoren seines neuen Synthesizers gekoppelt. Die Echolot Boje war so justiert, dass sie bei einer mittleren Meerestiefe von etwa 50 Metern einen angenehmen Grundton von sich gab und je tiefer der Meeresboden unter dem Schiff wurde, desto tiefer wurde auch dieser Ton.

Einen zweiten Soundgenerator hatte KC mit dem Nuklear-Magnet-Resonanzsystem der zweiten Boje gekoppelt und da man auf dem Meeresgrund im Boden öfters über metallische Objekte fuhr, wurden solche mit einem leichten Zwitschern angezeigt und je nach Menge der detektierten Masse würde ein größeres Objekt dann auch einen tieferen und vor allem lauteren Ton abgeben. Jottape lächelte über diese weitere Spielerei von KC, aber natürlich stimmte es, denn somit konnte er sich stundenlang vollkommen anderen Problemen widmen, während die Detektoren ihre Arbeit verrichteten und ihr Soundmodul bekannt gab, was sie gerade entdeckt hatten. Darüber hinaus wurden ja alle Daten dieser feinfühligen Instrumente sowieso mit den entsprechenden GPS-Koordinaten verknüpft, so dass man zu jeder Zeit auch jedes der "Events" wieder auf dem Meter genau ansteuern konnte. Jottape wusste, dass die vergangene, sechswöchige Operation vor Jamaika ein kompletter Reinfall war, denn sie hatten keine Spur von einer spanischen Galeone gefunden und deshalb machte er sich ein wenig Sorgen, was wohl die Auftraggeber der Schiffsgesellschaft von dieser Fahrt halten würden.

Die Kosten für Schiff, Ausrüstung, Mannschaft und Verpflegung beliefen sich pro Tag auf circa 20.000 $ und somit hatten die beiden vergangenen Expedition bis jetzt knappe 4.000.000 $ verschlungen, ohne auch nur einen einzigen Cent einzubringen.

Mit Wehmut erinnerte er sich an vergangene Fahrten mit seinen ehemaligen Chef Frank Goddio, mit dem er mehrere einmalige archäologische Sensationen in der Tiefe entdeckt hatte: Es war noch keine zwanzig Jahre her, als sie 1996 die versunkenen Königsviertel von Alexandria gefunden hatten, dann die Städte Heraklion und Kanopus im Jahr 2000 und natürlich war auch die Entdeckung des lange verschollenen Flaggschiffs von Napoleon Bonaparte - die „L´Orient“ - eines der absoluten Highlights seines Forscherlebens.

Es war jedes Mal ein einzigartiges Gefühl ein unbekanntes Artefakt der Vergessenheit zu entreißen und dem unendlichen Puzzle der Weltgeschichte eine neue Nuance hinzuzufügen.

Jottape betrieb seinen Job nicht wegen Geld oder Ruhm, sondern er hatte schon als kleiner Junge immer davon geträumt, eines Tages eine große archäologische Entdeckung zu machen, weshalb er auch schon als Jugendlicher fast ausschließlich Bücher über Archäologie gelesen hatte und nach seinem Abitur an der Sorbonne-Universität von Paris Archäologie studierte.

Er selbst konnte nicht mehr Tauchen, denn eine seltene Knochenkrankheit hatte die Bewegungsfreiheit seines Halses so verändert, dass er den Kopf nur noch eingeschränkt nach links und rechts bewegen konnte - er musste also immer seinen ganzen Körper zusammen mit dem Kopf drehen und war schon heilfroh, dass er ohne krampfhafte Verrenkungen das kleine U-Boot schmerzfrei steuern konnte.

Eigentlich war Jottape schon ziemlich müde und er wollte nur noch mal kurz in KCs Reich nach dem Rechten sehen, als plötzlich und, nach den Seekarten zufolge, völlig unerwartet, der Ton der Echolotboje nach unten ging und immer lauter wurde. Aber bereits nach zwei Sekunden nahm der Ton wieder seine gewohnte Höhe ein. Bei der gelaufenen Geschwindigkeit von 16 Knoten und der Entfernung von circa 400 m zwischen der ersten oder zweiten Boje würde es also ungefähr 30 Sekunden dauern, bis auch der Nuklear-Resonanzdetektor über diese Stelle schwimmen würde. KC und Jottape blickten sich kurz in die Augen, denn genau diese Situation hatten sie schon viel zu oft erlebt.

Bei der Einführung seines Soundsystems hatte KC als Referenz ein gestrichenes "C" für einen Fund von relevant großer Masse eingegeben.

Spaßeshalber hatte er die Sprechanlage für Schiffsdurchsagen mit dem sensorischen Bojensystem verbunden und somit hörte die gesamte Mannschaft gleichzeitig, was sich unter der zweiten Boje befand. Mit maximaler Lautstärke hörten sie dreißig Sekunden nach dem ersten Ton nun ein einwandfreies eingestrichenes "C" - doch war auch dieser Impuls so kurz, dass sich jeder auf dem Schiff fragte, ob sie wieder nur ein wertloses Stück Schrott oder vielleicht gerade noch eines der lange vermissten Marine-flugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden haben mochten.

Auch Captain Creech hatte das Signal vernommen und leitete die entsprechenden Manöver ein, um den unerwarteten Fund erneut zu überfahren. Der GPS-Tracker zeigte auf den Meter genau an, wo die Boje das Signal aufgenommen hatte. Nach wenigen Minuten überquerte die Deep Search One die angegebene Stelle zuerst von Westen, um dann nach circa zwei Meilen wieder auf Gegenkurs zu gehen und langsam die Bojen an Bord einzuholen.

Alle Maschinen wurden soweit heruntergefahren, dass die automatische GPS-Steuerung das Forschungsschiff immer exakt an derselben Stelle, also direkt über dem georteten Metall halten konnte, ohne Anker werfen zu müssen. Noch war ja gar nicht klar, um was es sich bei diesem Fund handelte und so beschloss die Truppe um Jottape zumindest den unbemannten Unterwasser-roboter vorzubereiten, um ihn mit Hilfe des Kranes in die dunkle See zu senken. In der Zwischenzeit hatte KC das aufgezeichnete Unterwasserprofil des Meeresbodens in ein von allen Seiten einsehbares, 3D-Modell am Computer umgebaut.

Im Allgemeinen hatte der Meeresboden in der Region eine durchschnittliche Tiefe zwischen 30 und 50 Metern, doch anscheinend lag ihr Fund in einem schmalen zerklüfteten Graben, dessen tiefster Punkt ungefähr 60 Meter unter dem Meeresspiegel lag.

An seiner schmalsten Stelle schien der Graben nur knappe 20 Meter breit zu sein und zog sich der Länge nach über mehrere Kilometer hin. An dem Ort, an dem die größte Signalstärke gemessen wurde, schien sich ein gekrümmtes längliches Objekt zu befinden, das auf der 3D-Animation wie der umgekippte Rumpf eines alten Segelschiffes aussah.

Die Auswertung des Magnetresonanzspektrums ergab eine hohe Wahrscheinlichkeit von mehreren Hundert Kilogramm Metall. Das lies darauf schließen, dass es sich bei dieser Ortung um eine der lange gesuchten Galeonen der spanischen Conquista handeln könnte.

Trotzdem war diese ungewohnte Auffindesituation schon ziemlich ungewöhnlich, denn normalerweise verteilten sich die gefundenen Artefakte von anderen Galeonen generell auf mehrere hundert Quadratmeter Grundfläche, doch hier war der Fundort ein enger Graben, in den das Schiff wohl nach dem Untergang abgesunken war, ohne auseinander zu brechen.

Am Achterdeck der Deep Search One war das Mitternachts-Buffet vollkommen verwaist, denn die Spannung an Bord hatte sich seit dem Fund in ca. 60 Meter Tiefe merklich gesteigert. Niemand dachte in diesem Moment an das Essen. Es dauerte es nur knappe 20 Minuten bis der unbemannte Unterwasserroboter mit seinen Kameras, Greifarmen und Analysegeräten startbereit war und an einem der Kräne im Meer versenkt wurde.

Aufgrund der guten Positionierung hatten KC und Dennis, die für die Steuerung unter Wasser verantwortlich waren, keine Probleme den Einstieg in den Unterwassergraben zu finden. Schon nach wenigen Minuten erblickten sie auf ihren Monitoren das gesuchte Objekt, dass im Durchschnitt ungefähr 4 bis 5 Meter aus dem Sand heraus ragte und näherten sich langsam vom Bug her an.

Von der Form konnte es sich nur um den Körper eines Segelschiffes handeln, doch im Lauf der Jahrhunderte hatte sich eine lebendige Schicht von Muschelsedimenten und Korallen auf dem Holz des Schiffes angesiedelt, und es war deswegen offensichtlich besonders gut konserviert. Meter für Meter steuerten sie den kleinen Unterwasserroboter langsam und vorsichtig und im Licht der Scheinwerfer glitten sie den gesamten Kiel entlang bis zum Heck des Schiffes, welches aber - zur großen Überraschung der Expeditionsleiter - gar nicht mehr vorhanden war.

Es machte den Anschein, als ob die letzten 5 bis 10 Meter des Bootskörpers entweder verschwunden oder „abgefressen“ waren und obwohl der Unterwasserroboter versuchte ein besseres Bild vom Inneren des gefundenen Schiffes zu machen, war es unmöglich mehr über das verschwundene Heck der Galeone herauszubekommen. Vielleicht ließen sich ja in der näheren Umgebung des Schiffes weitere Einzelteile finden, doch anscheinend waren die Meeresablagerungen und der feine Sand dafür verantwortlich, dass zunächst keine weiteren Teile des Schiffskörpers gefunden wurden.

Im großen Konferenzraum der Deep Search One versammelten sich alle Wissenschaftler und Taucher, um sich zu besprechen und da der drohende herannahende Hurrikan noch mindestens 24 Stunden von ihrer jetzigen Position entfernt war, machte sich die Crew daran, in aller Eile das schwere Bergungsgerät startklar zu machen. Die Verhältnis der angezeigten Metalle lies zwar keine genaueren Schlüsse auf den vermuteten Schatz zu, aber dafür blühte die Fantasie der Expeditionsteilnehmer schon jetzt in alle Richtungen.

Jottape würde zusammen mit Dennis im U-Boot in den Graben einfahren und so wurde der Plan gefasst, zu versuchen ein Loch in den Schiffsboden zu sägen, um dann einen der kleinen Kameraroboter ins Innere der Galeone vordringen zu lassen. Eine erste Analyse von KC hatte ergeben, dass die größte Menge an Metall anscheinend in der Mitte des Laderaums zu finden sei, während sie im Bereich des ehemaligen Oberdecks 17 Ortungen fanden, die eigentlich nur von Kanonen aus Bronze stammen konnten.

Im Normalfall hätte Jottape das gesamte Wrack mit allen Einzelteilen heben lassen, doch der sich nähernde Hurrikan sagte ihm, dass er sich vordringlich um den vermeintlichen Schatz kümmern musste. Ein paar alte Kanonen und die Knochen der ersoffenen Mannschaft konnte man auch zu einem späteren Zeitpunkt bergen. Bei der Vermessung des Grabens deutete sich eine nicht einzuschätzende Gefahr an, denn der Graben sah so aus, als ob ein großer Überhang jederzeit abstürzen könnte, weshalb man das U-Boot etwas weiter entfernt vom Fund hinabließ, um dann innerhalb dieses Grabens seitlich bis zum Wrack zu tauchen.

Um die gesamte Tauchausrüstung einsatzfähig zu machen, brauchte die Crew sowieso ein bis zwei Stunden, und so war auf der Deep Search One erstmals seit Monaten wieder das lange vermisste Jagd-Fieber zu spüren. Kurz vor Morgen-grauen war dann das Mini-Unterseeboot mit allen Werkzeugen durchgecheckt und Jottape und Dennis zwängten sich nacheinander in die enge gläserne Kabine - zur ersten bemannten Fahrt zum Wrack der Galeone.

Schon nach circa fünf Minuten hatte das kleine U-Boot den Rand des Unterwassergrabens erreicht, es wurden die starken Zusatzscheinwerfer eingeschaltet und das Tauchboot senkte sich Meter für Meter vorsichtig bis zum Grund des Grabens ab. Jottape war fasziniert von dieser unerwarteten Chance, während Dennis auch die beiden Unterwasserroboter mit ihren starken Scheinwerfern in Stellung gebracht hatte.

Ohne den Einsatz des Magnetresonanzdetektors wäre es vollkommen unmöglich gewesen dieses Wrack überhaupt zu finden, denn eigentlich sah der Fundort aus, wie ein natürlicher Buckel, der sich innerhalb des Grabens erhob und er hatte optisch gar nichts mehr mit einer stolzen spanischen Galeone gemeinsam.

Nachdem das Unterseeboot zweimal direkt über dem Schiffs-körper kreuzte und das Wrack dabei komplett gefilmt und gescannt hatte, beschloss Jottape einen Einstieg kurz über dem Meeresbodens zu wagen, denn offensichtlich waren alle Luken im Boden versunken und auch am nicht mehr existenten Achterdeck der Galeone versperrte ein großer Haufen Sand und Korallen den direkten Einstieg in die unteren Laderäume.

Doch zuerst musste der harte Panzer aus Muschelschalen und Korallen mit einer Art Presslufthammer von den Schiffs-Planken entfernt werden. Dazu wurden drei Taucher, die ein spezielles Gasgemisch in ihren Tiefsee-Tauchanzügen atmeten, zu dem Wrack heruntergelassen und mit den speziellen Unterwasser-presslufthämmern brauchten sie etwa zwei Stunden um eine zwei mal zwei Meter große Fläche von dem harten Panzer zu befreien.

Durch den Einsatz der Presslufthämmer und die nicht vorhandene Strömung innerhalb des Unterwassergrabens war die Sicht vom U-Boot mittlerweile fast bei Null, denn die Sedimente schwebten derart zahlreich im Wasser umher, dass man kaum noch etwas sehen konnte.

Wider den ersten Vermutungen befand sich das Holz, welches unter dem Muschelpanzer zum Vorschein kam, in einem extrem guten Zustand. Anscheinend war das gesunkene Schiff noch nicht sehr lange zur See gefahren, denn das Holz war nur sehr oberflächlich von Spulwürmern angegriffen, was sich bei älteren Schiffen vollkommen anders darstellte.

Um nicht eine der dicken Schiffsplanken anzusägen, kamen zuerst ein kleiner Bohrer und eine Endoskopkamera zum Einsatz. Das circa zwei Zentimeter große Bohrloch war direkt neben einer der Holzwanten herausgekommen und da man im Lichtkegel des Scheinwerfers nichts weiter sehen konnte, gab Jottape den Befehl, rechts von diesem Loch den Durchbruch zu sägen.

KC und der Rest der Crew überwachten die gesamte Aktion mithilfe der verschiedenen Bordkameras und übertrugen deren Bilder in den großen Konferenzraum, der mittlerweile gut gefüllt war. An zwei Computern durchsuchten mehrere Archäologen eine spezielle Datenbank für bekannte antike Schiffsmodelle, deren Existenz bekannt war und die man teilweise schon seit Jahrzehnten suchte.

Anhand der Größe und der Beschaffenheit des Schiffswracks konnte man dadurch vielleicht klären, um welche Galeone es sich hier handeln könnte. Ein eindeutiges Indiz zur Identifizierung fand man meist an den Schriftzügen auf den Ankern, den Kanonen, der Galionsfigur oder am Schriftzug am Heck und den Papieren in der Kapitänskajüte, doch da dieses Wrack kein Heck mehr hatte und die Anker nicht zu finden waren, blieb eigentlich fast nur noch die Möglichkeit, das Wrack über die an Bord mitgeführten Kanonen zu identifizieren.

Die an Bord der Deep Search One versammelten Archäologen waren ziemlich sicher, dass es sich bei dieser Galeone um ein Schiff aus dem 15. oder 16. Jahrhundert handeln müsse, denn der erkennbare Bau des Kiels und die Beschaffenheit der Planken waren typisch für spanische Schatzgaleonen aus dieser Zeit.

Seltsamerweise zogen sich die Sägearbeiten an dem frei gelegten Schiff länger hin, als ursprünglich vermutet. Denn selbst nach über 400 Jahren schien das verwendete Eichenholz noch in einem sehr guten Zustand zu sein und da Jottape den Tauchern bei ihrer schwierigen Arbeit sowieso nicht helfen konnte, manövrierten sie das kleine U-Boot nochmals an die Bruchstelle des Hecks.

Was war hier passiert? Wie konnte ein großer Teil dieser Galeone abgetrennt worden sein? Konnte ein Blitzschlag oder eine Explosion dafür verantwortlich gewesen sein? Selbst in der Umgebung von weiteren 200 bis 300 Metern konnten sie keine weiteren Teile des Schiffs mehr entdecken und so gaben sie die Suche nach dem Heck des Schiffes auf. Eigentlich wollte Jottape noch ein paar Holzproben von den Bruchstellen der Holzplanken zur Untersuchung einsammeln, aber mittlerweile war es schon später Vormittag und von KC kamen schlechte Nachrichten, denn der vorher gesagte Tropensturm namens "Barbara" hatte sich merklich verstärkt und war direkt auf ihrem Kurs, was bedeutete, dass die U-Boote der Deep Search One in weniger als 18 Stunden nur noch bedingt tauchfähig sein würden - wenn überhaupt.

Mittlerweile hatten die drei Taucher es endlich geschafft die Schiffsplanken zu zersägen und somit kam der kleinste der an Bord befindlichen Unterwasserroboter zum Einsatz um noch mehr Licht in das Innere des Wracks zu schicken.

Das Fernsehbild der Unterwasserkameras wurde gleichzeitig an alle Systeme übertragen und so war es ein einmalig spannender Film, als der etwa 40 cm breite Kameraroboter langsam durch einen schmalen Gang unterhalb der Bilge in den großen Laderaum vordrang.

Der Anblick war gespenstisch, denn nicht nur die Schiffsplanken waren noch in sehr gutem Zustand, sondern auch das gesamte Innere des Laderaums. Als die Kamera sich nach oben richtete, der ja im Normalfall der Boden war, wurden zwei lang gestreckte Reihen einfacher Sitzbänke und Tische sichtbar und nachdem die Kamera dann auf den Boden fokussierte, bot sich den stummen Beobachtern ein Bild des Grauens: Wie in einem angelegten Massengrab lagen Hunderte von Knochen, Schädeln, Helmen, Stiefeln, Schwertern und Brustpanzern auf dem Boden des großen Laderaums und ließen sich zahlenmäßig nicht zuverlässig abschätzen.

Wie konnte es sein, dass all diese Soldaten keine Zeit mehr hatten, um den Untergang des Schiffes an Deck zu überleben, denn anscheinend hatte ja keiner von ihnen den Laderaum verlassen können?

Doch die größte Überraschung sollte erst noch kommen. Am vordersten spitz zulaufenden Ende des Laderaums zeichnete sich eine große dunkle Kiste ab, und nach der groben Inspektion des gesamten Wracks handelte es sich bei diesem Objekt anscheinend um die einzige nennenswerte Ladung auf diesem Schiff. Alle Mitglieder der Expedition saßen gebannt vor den Bildschirmen und fragten sich, was wohl zum Untergang dieser großen Galeone geführt haben könnte, und um was es sich bei dieser geheimnisvollen Ladung wohl handeln konnte.

Der Versuch des Kameraroboters auch in ein tiefer gelegenes Deck einzudringen scheiterte, denn offensichtlich hatte sich der hölzerne Schiffskörper soweit eingegraben, dass lediglich die Ladeebene und die sich jetzt darüber befindliche Bilge zugänglich waren. Auf der einen Seite war diese Tatsache natürlich enttäuschend, aber auf der andern Seite stieg die Spannung, um was es sich wohl bei diesem etwa 2 mal 2 Meter hohen würfelförmigen Objekt handeln konnte.

Die einzige Möglichkeit um das sicher festzustellen, lag darin das man ein Loch in diese große hölzerne Kiste bohren könnte und man dann wiederum mit der Endoskop-Kamera sehen könnte, um was es sich dabei handelte. Auf der anderen Seite war es angesichts des heran nahenden Sturmes ratsamer, die Kiste, so wie sie war, an Bord des Forschungsschiffs zu holen. Nach der Berechnung von Jottape und KC war das die einzige Lösung, die innerhalb der nächsten Stunden auch realistischer weise funktionieren konnte.

Der Massenspektrometer hatte eindeutig eine große Menge Gold bestätigt - ein Irrtum war aufgrund der gemessenen physika-lischen Dichte von Gold ausgeschlossen.

Nach dem Markieren des geplanten Einstiegs blieben Jottape einige Stunden, um an Bord der Deep Search One endlich einmal zu schlafen. Bis der große Durchbruch fertig gesägt sein würde, konnte er sowieso kaum etwas Sinnvolles machen.

Drei frische Taucher sanken mit frisch geschärften Elektro-Sägen zu dem Wrack und machten sich an die mühsame Arbeit, so schnell wie möglich, das große Loch in den antiken Schiffsboden zu schneiden. Mittlerweile hatte KC anhand des Videomaterials und mit einer selbst geschriebenen Software eine erste Berechnung über die Anzahl der Knochen im Laderaum gemacht.

"Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" denn so pflegte sich das Computergenie gerne auszudrücken, "befanden sich in dem Laderaum zwischen mindestens 60 und maximal 80 Mann Bewachung". Diese Information trieb die Fantasie aller Expeditionsteilnehmer noch weiter an: Um was für eine Art von Schatz musste sie sich wohl handeln, wenn dieser von einer derart großen Anzahl von Soldaten bewacht wurde? Da KC die Abstände zwischen den Wandten exakt berechnet hatte, mussten die Presslufthämmer nur noch eine 20 cm breite Schnittkante vom Muschelbelag befreien, was diesen mühsamen Teil der Arbeit extrem beschleunigte.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit war es soweit: Das Zwei-Mann-Unterseeboot wurde erneut klar gemacht, denn die Taucher hatten es geschafft, die schwarzen erodierten Eichenplanken komplett zu zersägen. Mit Hilfe des stärkeren Tauchroboters wurden die zerschnittenen Planken vom Wrack weggezogen und schon eine Stunde später hatte das Team vier extra starke Bergungsgurte aus Kevlar an dem mächtigen schwarzen Holzkubus verzurrt. Zwei große Aluminiumschäkel verbanden diese Gurte an einem ungefüllten Bergungsballon, der daraufhin mit Pressluftschläuchen von den Tauchern langsam gefüllt wurde.

Nach unendlich scheinenden 20 Minuten bewegte sich der geheimnisvolle Sarkophag erstmals nach Hunderten von Jahren und schon bald hatten es die Taucher mit dieser Technik geschafft, die Tonnen schwere Kiste vollständig aus dem Wrack zu befreien.

Wegen des drohenden Felsüberhangs zog Jottape den Ballon höchstpersönlich mit dem U-Boot in Richtung sicherer Aufstieg. Sobald die schwere Last den Graben nach oben verlassen hatte, befestigten zwei weitere Taucher die Bergungsseile der Deep Search One und nach einer weiteren Viertelstunde tauchte die geheimnisvolle Kiste erstmals, nach Hunderten von Jahren in tiefster Dunkelheit, wieder an der Oberfläche auf. An Bord des Forschungsschiffs war bereits eines der großen Bassins mit Meerwasser gefüllt worden und so dauerte es keine weiteren zehn Minuten, bis der geborgene Schatz in einem drei Meter tiefen Wasserbecken im hinteren Drittel des Forschungsschiffes verstaut war.

Tropensturm "Barbara" hatte sich bereits durch hohen Wellengang und böige Winde angekündigt und so war die gesamte Crew mit höchster Konzentration und großer Eile dabei, alle unter Wasser benutzten Roboter und auch die Taucher wieder einzusammeln, die dann aber erst einmal für zwei Tage in der De-Kompressions-kammer verbleiben mussten und nur über die Fernsehmonitore miterleben durften, was der Rest der Mannschaft der Deep Search One in den kommenden Minuten zu Gesicht bekam.

Regel Nummer Eins in der angewandten Unterwasserarchäologie war, dass man die gefundenen Artefakte auf keinen Fall normaler Luft aussetzen durfte, und somit war es die Aufgabe von Dennis, sich im Taucher-Wetsuit in das Bassin mit dem Sarkophag zu begeben.

Auf Anweisung von Jottape wählte Dennis eine sichtbare Vertiefung an einem Eck des Würfels aus, um mit einem Unterwasserbohrer ein Loch in die massive Kiste zu bohren. Das Holz war anscheinend so dick, dass ein 20 cm langer Bohrer nicht ausreichte, um sich durch die nassen Holzplanken zu quälen. Schon als die Endoskopkamera durch dieses Loch nach unten geführt wurde, ließ sich erkennen, dass es sich nicht um eine einzige Holzkiste handelte, sondern das anscheinend mehrere Kisten ineinander verschachtelt waren. Das ließ sich an den verschiedenen Holzsorten und den dazwischen liegenden Schichten von Pech zweifelsfrei erkennen. Natürlich war auch diese Endoskopkamera via KCs Leitzentrale mit allen Fernsehschirmen des Schiffes verbunden und so war es ein gemeinsamer Aufschrei der gesamten Mannschaft, als der kleine Kamerakopf endlich in den letzten Hohlraum einfuhr: Im Licht des winzigen Scheinwerferkegels war eindeutig eine kleine Fläche bearbeitetes Gold zu erkennen.

So langsam wurde es Jottape klar, dass er vielleicht doch noch eine sensationelle archäologische Entdeckung gemacht hatte. Sie hatten mittlerweile das Gesamtgewicht der Holzkörpers mit 2,7 Tonnen ermittelt, aber selbstverständlich war allen klar, dass ein großer Teil dieses Gewichts von dem nassen Holz, dem Pech und dem aufgesogenen Meerwasser stammte. Zur Sicherheit führte Dennis eine weitere Bohrung an der diagonal gegenüberliegenden Ecke des Sarkophags durch, die endgültig klar machte, dass sich im Inneren des Holzwürfels ein goldener Kubus mit unbekannten Inhalt befand.

Anhand der Maße aus diesen Videosequenzen errechnete KC, dass der goldene Kubus mindestens 1500 kg schwer sein musste.

Um aufkommende Spekulationen auf dem Teppich zu halten nervte KC mit Basiswissen aus seiner Nebenhirnrinde: Bei einem spezifischen Gewicht von 19,32 g/cm³ würde ein massiver Würfel von einem Meter Kantenlänge knappe 20 Tonnen wiegen - deshalb konnte das Ding schon mal nicht komplett aus reinem Gold sein.

Was befand sich wohl im Inneren des goldenen Würfels? So langsam begriff nicht nur Jottape, dass sie durch puren Zufall und reines Glück auf eine einmalige archäologische Sensation gestoßen waren.

Da jedes Mitglied des Teams auch an dem eventuellen Gewinnen der Expeditionen beteiligt war, wurden mit Genehmigung von Jottape eine ganze Batterie von Champagnerflaschen kalt gestellt, denn heute gab es wirklich etwas Einmaliges zu Feiern.

Dann besprach er sich kurz mit KC, ließ sich eines der Satellitentelefone geben und wählte die Nummer seines ehemaligen Chefs Frank Goddio. Das Gespräch der beiden alten Freunde dauerte mehr als zwanzig Minuten und danach machte sich Jottape direkt auf den Weg zur Brücke, um mit Captain Creech den neuen Kurs zu besprechen.

Anspannung und Euphorie kamen in Wellen in ihm hoch und fast singend erklärte er dem verdutzten Captain: „Mein Bester, wir ändern den Kurs. Wir kreuzen vor dem Sturm und haben danach ein kleines Meeting auf hoher See - und wenn alles klappt, dann haben wir unseren fantastischen Fund schon in knapp zwei Tagen in Paris.“ Dann lachte er spitzbübisch und begab sich zum Feiern zu seinem leicht angetrunkenem Team.

Tropensturm "Barbara" war keiner von den großen Stürmen, und da die Deep Search One hochmodern und damit absolut seesicher war, freute sich Jottape richtig auf diesen bewegten Teil der Reise. Für den weiteren Transport des Sarkophags wurde in der Schiffsschlosserei aus den zerschnittenen Seitenteilen eines Containers ein maßgeschneiderter Behälter für den schweren Würfel zusammen geschweißt, welcher an allen Seiten fünf Zentimeter Luft zum Objekt hatte, sich mit Meerwasser füllen ließ, und dann hermetisch abgeschlossen werden konnte.

Während der Smutje in seiner Küche zu kulinarischen Höchstleistungen auflief und ein üppiges Buffet vorbereitete, hatte KC, ganz der Althippie, die Schiffsanlage voll aufgedreht und so stampfte die Deep Search One mit einer leicht angetrunkenen und singenden Belegschaft durch die Nacht und die schwere See und erst kurz vor Sonnenaufgang fand der letzte der Mannschaft den Weg in seine Koje.

Nur drei Stunden später ließ KC einen heiteren Morgensong über die gesamte Lautsprecheranlage des Forschungsschiffs ertönen:„Burnin`and Lootin`“ von Bob Marley und irgendwie konnte man dabei fast den dezenten Geruch frisch angezündeter Morgen-Joints dabei riechen.

Kurz darauf zeichnete sich die mächtige Silhouette eines riesigen Schiffes im gleißenden Gegenlicht der morgendlichen Sonne ab.

Es war die imposante „Charles de Gaulle“: Der einzige französische atomgetriebene Flugzeugträger, der in diesem Herbst im karibischen Meer vor Venezuela kreuzte.

Jottape hatte es vorgezogen, den unbekannten Schatz sicher-heitshalber in das heimische Frankreich ausfliegen zu lassen. Nicht das er, wie bei einer zurückliegenden Expedition, seit Jahren im Wasserbecken eines jamaikanischen archäologischen Institutes vor sich hin vergammelte, bevor die Behörden vielleicht irgendwann einmal beschliessen würden, diese Artefakte, wie besprochen und vertraglich vereinbart, endlich zur Untersuchung frei zu geben.

Da sich der Fundort der unbekannten Galeone zudem ziemlich genau an der 200-Meilen Grenze zu Jamaica befand, konnte man mit dieser Nacht- und Nebelaktion unangenehme Fragen zunächst einmal als stolzer Besitzer aussitzen - so war das eben, wenn es um alte Piratenschätze in der Karibik ging.

Obwohl der Sturm bereits fast abgeflaut war, schien es zu unsicher den maßgeschneiderten Container mit dem Metall-Sarkophag direkt mit dem Kran auf den Flugzeugträger zu hieven, und so wurde einer der großen Helikopter dafür benutzt und schon wenige Minuten später war die geheimnis-volle Kiste sicher auf dem Flugdeck des Flugzeugträgers abgesetzt.

Jottape und KC ließen sich von einem weiteren Helikopter ebenfalls auf dem Flugzeugträger fliegen und bereits zwei Stunden später befanden sich die zwei gemeinsam mit dem Container in einer kleineren Frachtmaschine und auf dem Weg nach Venezuela.

Ohne großes Aufsehen wurde der schwere Container direkt auf dem Flugfeld in einen der französischen Herkules-Transporter verladen, und so dauerte es nur noch knappe neun Stunden Flugzeit bis der Schatz und seine Entdecker auf dem militärischen Teil von Orly in Paris landeten.

Durch die entsprechenden Kontakte mit Franck Goddio war das archäologische Institut der Sorbonne-Universität am Place de Pantheon bereits informiert und da ja kein Mensch wusste, was sich in der Kiste befand, gab es nicht einmal besondere Sicherheitsmaßnahmen, um das ungelöste Geheimnis unbeschadet in das Universitätsgebäude zu transportieren. Nach dem Öffnen des Containerdeckels transportierte man das hölzerne Geheimnis in ein bereits mit Meerwasser gefülltes Becken und begann mit den ersten oberflächlichen Untersuchungen.

Um an das Innere heranzukommen, wurden zuerst die drei äußeren Holzschichten nacheinander vorsichtig abgetragen. Das verwendete Holz stammte eindeutig von europäischen Eichen, die nach dendrologischer Auswertung zwischen 1500 und 1580 in Nordspanien geschlagen sein mussten. Auch die Herkunft des Pechs, welches zwischen den einzelnen Schichten für eine mehr als wasserdichte Versiegelung sorgte, ließ sich anhand chemischer Analysen eindeutig belegen.

Es handelte sich um exakt die gleiche Substanz, die auch in Resten anderer antiker Fundstücke nachgewiesen worden war. Das gleiche galt für die zahlreichen verwendeten Nägel: In der ersten Schicht befanden sich nur noch korrodierte Löcher - denn das Meerwasser hatte diese Nägel komplett aufgelöst. Da jede Planke exakt fünf Zentimeter dick war, ergab sich - mit dem Pech dazwischen - eine knapp 43 Zentimeter dicke Holzschutzschicht um den inneren Würfel aus Gold. Ab Schicht Nummer drei waren die verbliebenen Nägel ohne jeglichen Rost und auch die Beschaffenheit des Holzes war fast „wie neu“.

Wer immer sich diese Verpackung ausgedacht hatte; Sie war über Jahrhunderte wasserdicht geblieben und hatte Ihren einzigartigen Inhalt anscheinend perfekt konserviert, wobei reines Gold sowieso in keiner Weise vom Meerwasser angegriffen wurde.

Da das innere Holz nicht einmal feucht war, hatte man das Bassin abgelassen und hievte den in der letzten Holzkiste steckenden Würfel auf ein fahrbares Podest aus hydraulischen Pleueln, das man wie eine Autohebebühne anheben oder absenken konnte.

Da es jetzt ja richtig spannend wurde, musste KC vordringlich organisieren, dass die Enthüllung auch im richtigen Rahmen ablaufen konnte. Er dirigierte also die Presse und die Techniker, die Fotographen und Wissenschaftler mit seiner eigenen Choreographie und seine unüberhörbare Stimme tönte in den mit Glas überdachten Innenhof des Institutes: „Wir brauchen einen riesigen Samtvorhang und zwar Rackzack!“ herrschte er einen der im Blaumann steckenden Arbeiter an, doch der verstand natürlich nur Französisch und da sich KC von dieser Tatsache niemals aus der Ruhe bringen lassen würde, zückte er pfeilgeschwind sein Tablett und suchte den passenden Begriff auf einer Website.

Um den einzigartigen Fund auch anständig zu feiern hatte die Sorbonne-Universität ein üppiges Büffet geordert und über das Netz eine ausgewählte Clique von Presseleuten, Lobbyisten und Förderern der Pariser Kulturszene eingeladen, die um Mitternacht an der Präsentation dieser archäologischen Sensation teilnehmen durften. Das „Who is who“ der französischen Archäologie-Forschung war eingeladen und in den verbleibenden Stunden bis zum feierlichen Moment gab es noch jede Menge Arbeit zu erledigen.

Als Entdecker mussten KC und Jottape in den sauren Apfel beißen und sich in einem sündhaft teuren Herren-Ausstattungs-Shop auf der Champs Elysee standesgemäß einkleiden, aber da die Rechnung selbstverständlich an ihre Firma ging, schlugen die Beiden gleich richtig zu und genehmigten sich den feinsten Zwirn, der sich in wenigen Stunden anfertigen ließ. Da ja Geld bekanntlich Berge versetzen konnte, waren beide Maßanzüge bereits eine Stunde vor der Deadline ins Ritz geliefert worden. Man hatte sie also auch noch ins beste Haus am Platz einquartiert - wenn das Franck Goddio wüsste. Endlich konnte Jottape auch ein einmaliges Artefakt der menschlichen Geschichte standes-gemäß präsentieren - und so stieg die Spannung mit jeder Minute.

Es war ausgemacht, dass nur er, KC und die Mitarbeiter der Sorbonne die letzten Holzbalken entfernen würden - hinter dem Vorhang - und dieser Moment lag jetzt direkt vor den beiden Entdeckern.

Vor dem geschlossenen Theatervorhang delektierten sich mehrere hundert Gönner, Wissenschaftler und Prominente zusammen mit der Presse an den Delikatessen und dem Champagner, während sanfte Ambiente-Musik unverfängliche Banalität vorgaukeln sollte. Da niemand wusste, was hinter der geheimnisvollen Einladung steckte, war die Spannung eher verhalten, denn eine plötzliche Sensation war nirgends öffentlich geworden und so hielt eine Reihe der illustren Gäste die Veranstaltung für nichts weiter als einen besonders gut eingefädelten Werbe-Gag der Universität.

Bevor es also ans Eingemachte ging, musste jetzt die letzte Schicht der umgebenden Bretter entfernt werden und da die Arbeiter die Nägel alle schon zur Hälfte aus dem Holz gezogen hatten, dauerte es nur wenige Minuten bis ein einzigartiger Anblick aus massivem Gold vor ihnen stand. Der Würfel war einfach nur atemberaubend und genau der richtige Kick für die Rede von Jottape, die er gleich halten musste.

Mit Saugnäpfen an einem Kran wurde der freigelegte Goldwürfel auf sein endgültiges Podest gehoben. Das Gewicht betrug laut der im Flaschenzug eingebauten Digitalwaage exakt und auf das Gramm genau 1600 Kilogramm... - angesichts der Größe des Würfels war diese Exaktheit einfach unglaublich, denn wie konnte man denn so ein großes Werkstück dermaßen exakt und auf ein Gramm genau herstellen? Vor allem, wenn es schon Jahrhunderte alt war?

Die endgültige Präsentationsplattform war aus 15 Zentimeter starkem Acrylglas, damit auch die Unterseite bequem mit einer Kamera betrachtet werden konnte und stand auf einer starken verstellbaren Hydraulik.

Der von KC dirigierte Arbeiter hatte wirklich einen schwarzen Samtvorhang aufgetrieben und somit wurde der Würfel nochmals komplett verdeckt und dann begann die Show: Zuerst redete der Rektor der Universität um nach drei Minuten an Jottape abzugeben, der in seiner rechten Hand einen Funkschalter hatte, der einen Motor starten konnte um den Stoff vom Würfel hochziehen.

Der feierliche Saal war in halbdunkles, indirektes Licht gehüllt - die Musik wurde langsam ausgeblendet und ein einzelner Scheinwerfer taucht Jottape in gleißendes Licht.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, Mesdames y Messieurs, Ladies and Gentleman. Zuerst muss ich meinen Partner und den Entdecker dieser Sensation nach Vorne holen: KC - kommst Du bitte? Und während sich KC freudig grunzend aus der Menge schälte, wurde der als Raumteiler dienende Vorhang nach hinten gezogen und der Samt-verhangene Würfel stand geheimnisvoll auf vier Hydraulik-Stativen“.

„Was wir gemeinsam vor ein paar Tagen in der karibischen See entdeckt und geborgen haben wird die Welt der Wissenschaft bestimmt einige Zeit beschäftigen. Noch wissen wir nicht, um was es sich genau bei diesem Artefakt handelt, aber ich bin stolz auf meine Crew, die Bergungsgesellschaft, die Force du Frappe der „Charles de Gaulle“ und natürlich alle Wissenschaftler, die hier an der Sorbonne helfen werden, die Geheimnisse unseres Fundes auszuwerten und zu veröffentlichen. Und jetzt wird eine Vergangenheit, die mehr als 400 Jahre auf dem Meeresgrund in Verborgenheit schlummerte erstmals wieder ans Tageslicht kommen. Wir präsentieren Ihnen jetzt unser einmaliges Artefakt.

In diesem Moment drückte er den Knopf und ein Motor zog den Stoff an die Decke - dann schalteten die Techniker das Flutlicht ein und in einem Meer von klickenden elektronischen Blitzen und Kameraverschlüssen der Fotographen ertönte ein hundertfacher Aufschrei des Entzückens aller Anwesenden.

So etwas hatte noch niemand gesehen: Wie aus einem Stück gegossen stand vor ihnen ein einzigartiger Würfel mit 160 Zentimetern Kantenlänge, der auf jeder Seite vollkommen unterschiedlich geformt war. Jede der Quaderflächen hatte in der Mitte ein jeweils anderes rundes Symbol, doch die Oberfläche jeder Seite sah so aus, als ob der gesamte Würfel über Jahrtausende im All geschwebt sein musste, denn er war übersät von kleinen und großen „Meteoriteneinschlägen“, die jedoch bei näherer Betrachtung alle unterschiedlich zu sein schienen - auf jeder der sechs Flächen waren andere Arten von Einschlägen zu entdecken: Mal waren sie tief und fast senkrecht zur Fläche; dann wieder kamen sie eher quer und streiften die Fläche nur so leicht, dass die Einschlagskrater lediglich wenige Millimeter tief waren.

Von der Unter- und Oberseite des Würfels übertrugen Digital-kameras das Bild dieser Flächen auf große Monitore, die neben dem Würfel aufgebaut waren. Insgesamt betrachtet glich keine der Seiten einer der anderen - aber alle zusammen schienen irgendwie im gleichen Stil erschaffen worden zu sein … doch wie?

Abgesehen davon, dass es sich bei der Verarbeitung von weit mehr als einer Tonne Gold um eine logistische Meisterleistung gehandelt haben muss - wie konnte es sein, dass nirgendwo eine Gussnaht zu sehen war, oder zumindest andere Anzeichen, dass der Würfel nicht aus einem Stück war - und wie konnte diese technische Meisterleistung zur Zeit der Mayas und Inkas verwirklicht worden sein?

Oder war der goldene Würfel vielleicht gar nicht irdischer Natur? Was dann? Was sollten uns die Symbole und diese einzigartigen Oberflächen sagen? Und welche Geheimnisse mochte der Kubus noch bereit halten, außer der Tatsache, dass er wahrscheinlich um die 50 Millionen Euro Wert war - sofern sich im Inneren nicht noch eine satte Überraschung verbarg. Und wie und warum war das Schiff, mit dem er ja anscheinend nach Spanien transportiert werden sollte, auf diese ungewöhnliche Art und Weise untergegangen?

Alle Flächen des Würfels waren mittlerweile mit einer hochauflösenden Kamera fotografiert und mit einem Projektor auf die großen Wände des Institutes produziert worden. Da sich die Bilder auch besonders via Twitter in Windeseile (#thegoldencube) verbreiteten, dauerte es nicht mehr als 52 Stunden, bis alle sechs Bilder auf Platz 1 bis 6 der Twitter-Hitparade standen.

Die Netzwelt war begeistert und wollte unbedingt mehr wissen. Was die Spekulationen über Sinn und Zweck des Würfels anging: ... Niemand hatte auch nur eine annähernd vernünftige Erklärung für dieses Phänomen - aber Tausende verbreiteten Ihren teilweise abstrusen Fantasien, denn bis dato hatte kein Mensch jemals eine derartige Arbeit gesehen.

Mit Gummihandschuhen geschützte Finger hatten mittler-weile jedes Symbol, jede Erhöhung und jede noch so kleine Vertiefung untersucht, in der vagen Hoffnung, dass es vielleicht doch noch einen Mechanismus geben könnte, der den geheimnisvollen Würfel automatisch "Sesam-öffne-dich-mäßig" aufschließen würde.

Jottape war angesichts der wissenschaftlichen Tatsachen wie vor den Kopf gestoßen: Da hatte er ein Leben lang gehofft einen Teil der Rätsel der menschlichen Vergangenheit zu lösen, und jetzt sah es ganz danach aus, als ob sein Fund die Menschheit vor noch viele weitere Rätsel ungeahnter Trag-weite stellen sollte.

Während sich die Welt und die Wissenschaft den Kopf über den goldenen Würfel zerbrachen, wurden im Institut weitere chemische und physikalische Untersuchungen am Objekt vorbereitet: Zusammen mit den besten Koryphäen aus Archäologie, Astronomie, Metallurgie und Decrypting, hatten sich kurz nach der Veröffentlichung der Fotos auch die weltweit führenden Spezialisten für frühe Maya-Geschichte aus Südamerika angekündigt, denn offensichtlich war der Würfel ja auch von dort aus auf die Reise mit der später gesunkenen Galeone gegangen.

Doch es sollte knappe zwei Jahre dauern, bis durch die kommenden Ereignisse erkannt wurde, dass bei der ersten Präsentation des Würfels eine Art unsichtbares Signal aus-gesendet worden sein musste ...

Doch das konnte zu diesem Zeitpunkt niemand erahnen.

KOLONIE 7

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