Читать книгу Von Sehnsucht und Träumen - Raphaela Höfner - Страница 12
ОглавлениеMai 1941
Berlin
»Hast du schon eine Nachricht erhalten?«, fragte Hannah. Marlene Liebreiz saß neben ihr auf einer großen Decke im Park.
»Nein, ich kann es überhaupt nicht verstehen. Ich habe den Brief vor drei Wochen persönlich vorbeigebracht und habe sogar etwas vorgesungen. Sie meinten, dass sie ein paar meiner Filme kennen würden und ich hatte den Eindruck, dass sie sehr angetan von mir waren.« Marlene zwirbelte eine ihrer schokoladenbraunen Haarsträhnen. Sie zog den Hut etwas tiefer ins Gesicht, damit er ihre helle Haut vor den Sonnenstrahlen schützte. Jede Bewegung sah bei ihr irgendwie elegant aus.
Es fiel schwer, sich nicht mit ihr zu vergleichen. Die glänzenden Haare, die vollen, sinnlichen Lippen, die dichten, schwarzen Wimpern, die ihre grünen Augen zum Leuchten brachten. Nicht zu vergessen Marlenes schlanke Taille, darüber der volle Busen und die schön geformten Hüften darunter. Lange, grazile Beine, die sie ganz bewusst in Szene setzen konnte. Das Spiel mit ihren Grübchen, wenn sie den Mund zu einem Lächeln verzog. Hannah konnte verstehen, dass die Männer sich den Hals verrenkten, wenn Marlene durch die Straßen stolzierte. Sie war eine bewundernswerte Frau. Eine Frau, die wusste, was sie wollte, doch Hannah beneidete sie keineswegs.
Marlene kam aus Ostpreußen, ihre Mutter hatte auf einem großen Gutshof als Dienstmädchen gearbeitet, bis zu dem Moment, als man erfuhr, dass sie schwanger war. Sie wurde verstoßen und vom Hof getrieben wie eine Schwerverbrecherin. Marlene Liebreiz kannte den Hunger von klein auf. Deshalb beklagte sie sich mit keiner Silbe über Lebensmittelrationierungen. Als kleines Mädchen war sie mit ihrer Mutter dann schließlich nach Berlin gekommen. Dort hatte diese wieder als Hausmädchen angefangen, während Marlene zur Schule gehen konnte. Schon damals hatte sie es geliebt, in andere Rollen zu schlüpfen. Seit dem Tag an, als sie zum ersten Mal ein Kino betreten hatte, war für sie alles klar gewesen: Sie wollte Schauspielerin werden. Nach dem Tod ihrer geliebten Mutter war sie als junge Frau allein nach München gegangen, um dort ein neues Leben anzufangen und Schauspielerin zu werden. Es hatte funktioniert.
Marlenes Gesicht war in zahlreichen Filmen zu sehen, kleine Produktionen, die mehr in Bayern bekannt waren. Doch sie wollte mehr. Sie hungerte nach den größten Rollen, war zu zahlreichen Vorsprechen gerannt und wartete nun seit Wochen auf einen Brief. Wenn Marlene mit ihrer rauchigen Stimme sang, konnte sie ihre Zuhörer in eine andere Welt entführen. Für Hannah war es völlig unverständlich, dass sie noch nicht einmal eine Absage erhalten hatte. Nichts. Seit Wochen einfach nichts.
»Vielleicht ist der Brief irgendwie verloren gegangen«, versuchte Hannah sie aufzumuntern. Wie sie es von daheim gewohnt war, hatte sie die Schuhe ausgezogen und fuhr mit den nackten Zehen über die Grashalme. Hannah liebte den Park. Wenigstens ein Hauch Natur in der Großstadt.
»Im Grunde ist es ja ihre eigene Schuld«, Marlene zog an ihrer Zigarette und stieß den Rauch langsam aus. »Was man nicht will, hat man scheinbar schon.« In ihren Augen schimmerte es, als sie den kleinen Hügel nach unten blickte, wo die Jungen Fußball spielten und die Mädchen Seil hüpften. Ein rothaariges Mädchen löste sich aus der Gruppe und lief zu ihnen hoch.
Marlene stöhnte genervt auf und rollte mit den Augen.
»Ich brauche noch ein Seil«, fauchte die Kleine und stemmte die Hände in die Hüften. Marlene rührte sich nicht und schaute an ihr vorbei, als wäre sie Luft.
»Hörst du schlecht? Ich brauche noch ein Seil. Das lange, wir wollen zu mehreren hüpfen.«
»Sieh in der Tasche nach«, gab Marlene zurück.
»Du bist doch das Dienstmädchen. Du musst es mir holen.«
»Ach ja?«
»Ja, du dummes Schaf! Ich muss dir doch nicht deine Aufgaben erklären.« Die Wangen hatten sich rot gefärbt und aus ihren Augen sprühten Funken.
»Pass bloß auf, was du sagst, Fräulein Lina! Am Ende saust das Seil aus Versehen auf dein Hinterteil.«
»Für dich heiße ich immer noch Paulina! Der Spitzname ist nur etwas für meine Freunde.«
»Schön, Paulina!«, äffte Marlene sie nach. »Zu deinen Freunden gehöre ich glücklicherweise nicht.«
Paulina schnappte laut nach Luft. Hannah konnte gut verstehen, dass Marlene die neunjährige Tochter ihres Dienstherrn nicht ausstehen konnte. Sie war arrogant und unverschämt.
»Hol mir mein Seil!«, schrie sie nun und stampfte mit dem Fuß auf den Boden, dass ihre Zöpfe ihr nur so um den Kopf flogen.
»Du hast ein ganz entscheidendes Wort vergessen«, gab Marlene trocken zurück. Hannah blickte amüsiert von ihr zu dem Kind. Während die anderen Dienstmädchen das kleine Biest fürchteten, da es sie herumkommandierte wie ein General und sogar Strafen für sie aussprach, ließ sich Marlene nicht auf der Nase herumtanzen. Hannah merkte, dass ihre Hände ein wenig zitterten. Wie gerne hätte sie der frechen Rotznase ein paar Ohrfeigen verpasst.
»Ich sage es meinem Vater«, versuchte sie eine neue Drohung, die Marlene jedoch völlig kaltließ.
»Nur zu, lauf zu deinem Herrn Papa. Ich werde ihm gerne erzählen, dass du dich wieder einmal im Ton vergriffen hast. Wir wissen ja beide, wie das beim letzten Mal ausgegangen ist.«
Paulina schnaubte voller Zorn und riss die große Tasche auf. »Du hast das Seil ja nicht einmal eingepackt!«
»Nur zu deinem Schutz. Sonst hätte ich dich von vorneherein gefesselt. Dort drüben ist zum Beispiel ein passender Baum.«
Hannah entfuhr ein Lachen. Paulina funkelte beide Frauen noch einmal wütend an, dann rannte sie den Hügel wieder hinunter zu ihren Freundinnen.
»Ich hasse dieses kleine Miststück«, raunte Marlene und schüttelte den Kopf. »Ohne Paulina wäre die Arbeit der Himmel auf Erden.«
»Glaubst du nicht, dass du dir etwas zu viel herausnimmst? Schließlich ist sie die Tochter der von Schwarz.«
Marlene drehte sich zu Hannah, um sie voll anzusehen.
»Liebelein, bitte! Ich kann das beim besten Willen nicht durchgehen lassen! Von kleinen Mädchen lasse ich mir nicht die Butter vom Brot nehmen. Paulina hat letzten Monat erst dafür gesorgt, dass eines der anderen Dienstmädchen rausgeworfen wurde. Angeblich soll ihr etwas gestohlen worden sein. Die Alte von Schwarz glaubt der dummen Göre jedes Wort. Da ist es besser, wenn sie mich fürchtet. Dann traut sie sich nicht, mich zu verpetzen.«
»Was, wenn sie erzählt, dass du sie mit dem Seil gefesselt hast?«
»Das würde ihr nicht besonders gut bekommen. Ich kann ziemlich aufbrausend sein, wenn mir etwas auf die Nerven geht.«
Hannah prustete los. »Marlene Liebreiz, wie sie leibt und lebt!«
»Natürlich! Ich habe ja schließlich einen Ruf zu verlieren.«
Sie beobachteten das Spiel der Kinder. Paulina streckte ihren Freundinnen immer wieder die Zunge heraus und zog eines der Mädchen sogar mit voller Kraft am Zopf. Marlene stieß nur den Rauch aus und schüttelte den Kopf.
»Wie läuft es bei dir? Hast du endlich eine Antwort auf einen deiner Briefe bekommen?«
Das Thema kam so unvermittelt auf, dass Hannah die Tränen aufstiegen. Ertappt blinzelte sie sie weg.
»Tut mir leid«, schnurrte Marlene ihr ins Ohr und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Also hast du immer noch kein Sterbenswörtchen von ihm gehört?«
Hannah schüttelte stumm den Kopf. Nein, sie hatte immer noch kein Lebenszeichen von Jacob erhalten. »Ich verstehe es einfach nicht. Sonst wissen deine Quellen beinahe alles. Warum nichts über seinen Aufenthaltsort?«
»Vielleicht will er nicht gefunden werden.«
Hannahs Augen füllten sich erneut mit Tränen und Marlene ruderte sofort zurück. »So habe ich das natürlich nicht gemeint. Wie ich Jacob kenne, denkt er ohnehin nur an dich. Er will dich schützen.«
Auch in ihr arbeitete es. Wo zum Teufel steckte er? Er schien wie vom Erdboden verschluckt.
»Hast du schon mit diesem Winter geredet?« Sie rüttelte sanft Hannahs Schulter. »Er war schließlich Ortsgruppenleiter in Rosenheim und muss wissen, wo sie hin sind. Mittlerweile kommt mir alles sehr spanisch vor. So als ob es nicht ihre freie Entscheidung gewesen wäre. Wenn es so war, dann weiß er es. Winter muss den Ort kennen. Und die Umstände.«
Hannah erbleichte. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Sie hatte sich so sehr an den Gedanken geklammert, dass Jacob in die USA gegangen war, dass im schlimmsten Falle ihr Schiff untergegangen war und sie deshalb kein Lebenszeichen von ihm gehört hatte. Aber, dass er womöglich an einen anderen Ort gebracht worden war, gegen seinen Willen! Darauf war sie noch nicht gekommen. Marlene hatte recht, sie musste Winter aufsuchen, um Gewissheit zu erlangen.
»Weißt du was?« Sie legte Hannah den Arm um die Schultern. »Gib den nächsten Brief mir persönlich mit. Ich denke nicht, dass du nach der langen Zeit noch Erfolg bei dieser Unterkunft für Flüchtlinge hast. Da muss ein anderer Kontakt her. Meine Leute werden schon rausbekommen, ob Jacob überhaupt jemals amerikanischen Boden betreten hat oder nicht. Wenn wir dann immer noch nichts hören, ist es ausgeschlossen, dass er in Amerika ist.«
»Welchen Kontakt meinst du?«, bohrte Hannah nach.
»Unwichtig«, tat sie ihre Frage mit einer Handbewegung ab.
Marlene und ihre geheimen Kontakte. Jedes Mal, wenn Hannah mehr wissen wollte, wurde sie abgespeist. Es waren dieselben »Kontakte«, die ihr auch damals die falschen Papiere für Jacob zugespielt hatten. Hannah wurmte es, dass Marlene nicht ehrlich mit ihr war. Scheinbar hielt sie sie für zu jung, zu unschuldig oder zu unerfahren. Als ob sie jemals ein Sterbenswörtchen verraten würde! Sie würde Marlene schon noch beweisen, dass sie vertrauenswürdig war.
Kinderweinen drang an ihre Ohren und Werner eilte heulend auf sie zu. Blut tropfte aus seiner Nase.
»Wernerlein«, rief Marlene und sprang sofort auf, »was ist passiert?« So sehr sie Paulina hasste, so sehr liebte sie deren siebenjährigen Bruder.
»Ich habe …«, schniefte er, »den Ball …«, er wischte sich das Blut von der Nase, »auf die Rübe bekommen.«
Marlene zog ihn in ihre Arme und presste dem Jungen ihr selbstbesticktes Taschentuch an die Nase. Ihre Lippen streiften die Stirn des Kindes und sie wiegte es beruhigend hin und her. Hannah war sich sicher, dass sie eine gute Mutter sein würde. Einen Moment glitten ihre Gedanken fort und sie stellte sich Marlene mit ihrem Bruder Hermann vor. Wie sie zusammen ein Haus hatten und gemeinsame Kinder.
»Muss ich den Berg runterlaufen und den Schützen verprügeln?«
Werner quiekte vergnügt auf. »Nein, nein, es war doch keine Absicht.« Schluchzer schüttelten den kleinen Jungen.
»Du hast bestimmt einen wichtigen Schuss abgewehrt.«
Stolz richtete sich Werner auf. »Glaubst du?«
»Natürlich. Du hast den Ball abgewehrt und so ein Tor verhindert.«
Man konnte dem Kleinen ansehen, wie er angestrengt nachdachte. »Es tut schon gar nicht mehr so weh«, sagte er, hielt sich aber am blutigen Taschentuch fest. Marlenes Finger streichelten durch seine rötlichen Haare.
»Leni«, bettelte Werner, »bitte sing mir was vor.«
»Was willst du denn hören?« Marlene küsste seine Schläfe.
»Ich sing ein Lied für dich!«
»Also schön.«
Werner setzte sich kerzengerade auf und begann zu pfeifen. Marlene stimmte mit ein und schnippte dazu mit den Fingern. Die Musik strömte durch Hannahs Körper. Einige Spaziergänger schauten neugierig zu ihnen herüber.
»Komm zu mir her und wein doch nicht, was ist nur los mit dir? Quält dich der Kummer dann und wann, komm her und tanz mit mir.« Sie zog Werner auf und drehte ihn um sich herum. Das Taschentuch lag vergessen auf dem Boden. Die Mädchen liefen zu ihnen herauf und blickten mit großen Augen auf Werner und Marlene.
»Nimm die Tage nicht so hart, ich verrat dir meinen Trick: Ist doch noch dein Herz so schwer, dagegen hilft ein Lied.« Hannah ertappte sich dabei, dass auch sie in das Pfeifkonzert, das immer wieder zwischen den Strophen folgte, eingestimmt war. Marlene wirbelte den Jungen herum und tanzte ausgelassen mit ihm.
»Musik ist meine Medizin, kein Kummer mehr, kein Leid. Musik ist meine Medizin, denk jetzt an meinen Rat.« Theatralisch zeigte sie auf Werner und wiegte die Hüften. Immer mehr Spaziergänger blieben lauschend und lächelnd stehen, das war ihre Bühne. Je mehr Zuschauer sie hatte, desto wohler fühlte sie sich. Sie zog Hannah auf die Beine und begann, auch mit ihr zu tanzen.
»Ich sing ein Lied für dich, dann bist du nicht allein, ich sing ein Lied nur für dich, dann wirst du glücklich sein. Ich sing ein Lied für dich, und die Sonne lacht, ich sing ein Lied nur für dich, das Glück hat dich bedacht.« Um sie herum hüpften ausgelassen die Mädchen, nur Lina stand mit verschränkten Armen abseits.
»Musik ist meine Medizin, wir tanzen gleich zusamm’, Musik ist meine Medizin, werden nie mehr einsam sein.«
Marlene verstummte. Die Leute klatschten, Männer zogen ihren Hut. Auch die Herzen der Frauen flogen ihr zu. Erst jetzt bemerkte Hannah einen Mann in Uniform, der auf sie zukam.
»Wenn das nicht das Fräulein Liebreiz ist«, sagte er und er lächelte hungrig. »Sie machen es wohl besonders spannend. Wir warten immer noch auf Ihre Antwort.«
Hannah konnte Marlene ansehen, dass sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach, doch sie ließ es sich nicht anmerken.
»Vor drei Wochen waren Sie beim Vorsprechen und Vorsingen bei uns, und wir haben am selben Tag noch unser Angebot ausgeschickt. Bitte kommen Sie doch morgen vorbei, damit wir den Vertrag aufsetzen können. Es wäre uns eine große Ehre.«
»Ich werde noch einmal eine Nacht drüber schlafen«, antwortete Marlene und biss sich auf die Unterlippe. Die Augen des jungen Mannes glitten über ihr Gesicht und blieben dann auf ihrem Busen hängen.
»Bitte, Fräulein Liebreiz. Wir werden die Gage noch anpassen. Ich denke, dass wir uns einigen werden.« Er grinste.
»Na, dann sehen wir uns wohl morgen.« Sie streckte ihm ihre Hand hin und er küsste ihren Handrücken. Dann ging er zu seiner Frau zurück, die Marlene mit den Augen abtastete.
»Wernerlein, wir müssen los. Nach Hause.«
»Singst du mir dann noch einmal was vor?«
»So viel du willst.«
Hastig rollte Marlene die Decke zusammen.
»Von welchem Brief hat er denn gesprochen?«, wollte Hannah wissen. »Du hast doch gesagt, dass du keinen Brief bekommen hast.«
»So ist es ja auch. Keine Ahnung, wo dieser dämliche Brief ist. Seit Wochen warte ich auf Post.«
Sie drückte Hannah die Decke in die Hand und griff selbst nach der Picknicktasche. »Paulina!«, rief Marlene dem Mädchen zu, »los, wir gehen!«
Werner hopste zwischen ihnen an der Hand, während Paulina schmollend einige Meter hinter ihnen lief und sie mit Blicken tötete. Als sie das Haus erreichten, bat Marlene Hannah, noch mit hineinzukommen. Paulina verschwand sofort in den Garten.
»Marlene«, sagte eines der anderen Dienstmädchen atemlos, als sie den großen Flur betreten hatten. »Schnell, das musst du dir ansehen. Ich habe beim Staubwischen etwas in Fräulein Paulinas Zimmer entdeckt. Du wirst es nicht glauben!«
Marlene ließ die Tasche fallen und rannte in ihren Absatzschuhen die Treppe nach oben. Hannah folgte ihr.
»Hier, im Puppenhaus«, rief das Hausmädchen aufgebracht.
Mit einem Satz war Marlene beim Puppenhaus und riss das Dach herunter. In jedes Zimmer waren Briefe gequetscht, alle an Marlene adressiert.
»Dieses verdammte Miststück!«, stieß sie hervor. Hektisch blätterte sie durch die Post. »Komm, hilf mir!« Hannah nahm ihr einige Briefe ab und erkannte unter anderem auch Hermanns Handschrift.
»Hier!«, keuchte Marlene und riss einen der Umschläge auf. Ihre Augen flogen über die Buchstaben und plötzlich stieß sie einen Freudenschrei aus. »Die Zusage! Ich habe die Zusage!« Sie fiel Hannah um den Hals. »Wie er gesagt hat! Nur noch eine höhere Gage!« Sie überzog den Brief mit Küssen.
Eine Gestalt stand im Türrahmen und beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen.
»Ganz schön voll dein Puppenhaus, nicht wahr?«
Paulina antwortete nicht. Ihre Puppen lagen vergessen in einer Ecke des Zimmers. Die Haare hatte sie ihnen zum Teil abgeschnitten, einige der Puppen sahen aus, als hätte das Mädchen ihnen Brandflecken verpasst.
»Ein hübsches Versteck hast du dir da ausgesucht.«
»Ich hätte sie verbrennen sollen«, sagte Paulina kalt. Marlene machte einen Schritt auf sie zu und Hannah befürchtete, dass sie ihr eine Ohrfeige verpassen würde.
»So viele Briefe«, quiekte Werner und schob sich an Paulina vorbei ins Zimmer. »Singst du jetzt wieder was für mich, Leni?«
»Natürlich, Werner!« Triumphierend hob Marlene ihre Zusage nach oben. »Ab sofort wirst du mich den ganzen Tag lang singen hören. Im Radio! Im Fernsehen!« Sie verließ lachend das Zimmer, Werner tapste ihr hinterher wie ein kleiner Hund.
Bevor Hannah ihnen nachlief und die Tür hinter sich zuzog, sah sie, wie Paulina eine ihrer Puppen packte. Auf dem Kleidchen war ein Stern befestigt – ein gelber Stern. Die Kleine griff nach einer Schere und schnitt der Puppe mit einem Ratsch den Kopf ab. Eine Gänsehaut überlief Hannah, als der Kopf auf den Boden fiel und durchs Zimmer kugelte. Der Rumpf lag leblos daneben, Watte quoll daraus hervor. Hannah ließ die Tür hinter sich zufallen, doch so sehr sie auch dagegen ankämpfte, das Bild von Paulina und der Puppe blieb.