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Misslungene Triangulierung

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»Viele Psychologen, die sich mit der Reife meiner Generation beschäftigen, halten 80 Prozent der deutschen Babyboomer-Männer für ›mangelhaft trianguliert‹. Was nichts anderes bedeutet als ›Kind geblieben‹. […] Vorab und verkürzt gesagt: Misslungene Triangulierung führt zu einem Mutterkomplex. […] Die Konflikte in der Ich-Werdung gestalten sich bei Jungen komplexer als bei Mädchen, denn ein Hineinwachsen in die eigene Geschlechterrolle wird als größerer Verrat an der Mutter erlebt. Aufgespannt zwischen Selbstentdeckung und Loyalität zur Mutter entsteht ein großes Aggressionspotenzial, denn die Loslösung von der weiblichen Identifikation zugunsten einer noch fremden Identität wird als große Bedrohung erlebt. Irgendwann versuchen kleine Jungen, diesen Konflikt ödipal zu lösen, indem sie ihre Mutter begehren. Nach Meinung vieler Analytiker lässt sich dieser Konflikt für Jungen jedoch nur dann befriedend lösen, wenn eine ›triangulierende dritte Person‹ hinzutritt – der Vater. Erst das Entdecken des Vaters als neue, männliche Identifikationsfläche, aber auch als Schutz gegen den vermeintlichen Verlust der Mutter erlaubt es kleinen Jungs, ihren symbiotischen Konflikt auf gesunde Weise zu lösen. […] Wenn kein Vater als Identifikationsfigur verfügbar ist, besteht die Gefahr, dass ein sogenannter ›Puer-aeturnus-Komplex‹ (nach C. G. Jung) ausgebildet wird. Der Komplex beschreibt Männer, die auch in der Lebensmitte die innerpsychische Reife von Teenagern behalten. Der ewige Jüngling ›führt typischerweise ein provisorisches Leben wegen seiner Angst, in einer Situation gefangen zu werden, aus der er nicht mehr entkommen kann. Er begehrt Unabhängigkeit und Freiheit, reibt sich an Grenzen und neigt dazu, jede Einschränkung unerträglich zu finden.‹ Nicht zufällig entspricht die psychologische Beschreibung des Puer-aeturnus-Komplexes ziemlich genau den Beschreibungen des typischen Babyboomer-Mannes in der klassischen Kriegsenkel-Literatur. […] In den meisten Fällen unreifer Babyboomer-Männer lässt sich tatsächlich ein abwesender oder persönlich schwacher Vater nachweisen, der allenfalls physisch anwesend war, aber dennoch emotional unerreichbar blieb. Viele Väter meiner Generation waren als Kriegskinder traumatisiert worden. Emotionale Nähe zu ihren leiblichen Kindern löste bei vielen Vätern der Kriegskind-Generation eine Abwehrreaktion aus, denn Emotionalität war ein Trigger zur Rückerinnerung an die eigene Kindheit. […]

Vom Verlust der Freiheit

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