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Doppelbindung

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Der Prozess der Parentifizierung ist eng mit der Doppelbindungstheorie verknüpft. Ebenso wie Kinder instinktiv fühlen, dass sie in eine nicht gemäße Erwachsenenrolle schlüpfen, in der sie missbraucht werden, fühlen auch Eltern, dass es nicht okay ist, sich über Gebühr von ihren Kindern stützen zu lassen. Im Familiensystem bauen sich daher kommunikative Tabus auf, damit derartige Rollenumkehrungen nicht offengelegt werden. Hierbei kristallisieren sich typische, äußerst negative Kommunikationsmuster heraus, die man früher als Ursache für Schizophrenie in Betracht gezogen hatte. Obgleich sich diese These nicht bestätigen konnte, üben derartige Kommunikationsformen dennoch eine sehr lähmende Wirkung auf Schutzbefohlene aus. Zentrales Merkmal ist ein Machtgefälle und eine Abhängigkeit zwischen Erziehungsberechtigten und Kindern oder im Äquivalent zwischen Chefs und Angestellten. Kern des Problems sind paradoxe Signale oder Handlungsaufträge, die sich widersprechen, die aber dennoch eine Handlung einfordern, bei der sich der Schutzbefohlene in jedem Fall schuldig macht, ihn also in ein Dilemma stürzt. Perfiderweise sind die doppelten Botschaften oder Signale nicht sofort erkennbar, da sie sich mitunter auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen abspielen. Möglicherweise gibt es einen verbalen Handlungsauftrag, der zugleich jedoch von einem nonverbalen Verbot (über Mimik und Gestik) begleitet wird. Der Sender (Elternteil) leitet damit einen eigenen ungelösten, ambivalenten Konflikt an den Empfänger (Kinder) weiter, zugleich ist der Vorgang natürlich in hohem Maße aggressiv. Für den Empfänger ist die Doppelbindung unauflösbar, weil er keine Wahl hat, den restriktiven Maßnahmen zu entgehen – er macht sich in jedem Fall schuldig. Zudem gibt es ein unausgesprochenes Verbot zur Metakommunikation, das heißt, es ist dem Empfänger strengstens untersagt, den Widersinn der Situation anzusprechen, denn damit würde er alles noch schlimmer machen. Da sich der Empfänger aufgrund seines Abhängigkeitsverhältnisses gezwungen sieht, der Aufforderung nachzukommen, und er die Situation nicht verlassen kann, erlebt er jede Double-Bind-Kommunikation als ohnmächtige Qual.« 12

Zur Vertiefung dieser Pathomechanismen muss ich auf mein vorangegangenes Buch verweisen. In diesem Folgewerk ist mir eine Ergänzung wichtig, die ich für die Entstehung der großen politischen Narrative der Neuzeit für wesentlich halte: die internalisierte, toxische Scham nach John Bradshaw.

Vom Verlust der Freiheit

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