Читать книгу Denk sinnlich - Rüdiger Müngersdorff - Страница 29
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ОглавлениеLooking back on a conference about transformation remembering an old quote what sticked now for centuries in my mind: if the highest aim of a captain was to preserve his ship, he would keep it in port forever.
Thomas von Aquin
And a much younger one: every word has consequences. Every silence, too.
Jean Paul Sartre
Cities have the capacity of providing something for everybody, only because and only when, they are created by everybody.
Jane Jacobs
There is no ‚agility‘ and there is no ‚new work‘ without diversity. Looking at the reality quite now – only cities, metropolitan areas provide the space for living different life, different identities. Doing so, they create a diversified culture and build up the infrastructure for innovation, inventiveness and responsiveness for future development. So, let’s urbanize companies – develop the culture from the castell culture with strong borders to a city culture.
Immer besser? Immer schlechter?
Die Physiker*innen mögen eine bloße Zeit kennen, eine des kontinuierlichen Vorwärtsschreitens. Ich kenne die Zeit nur verbunden und gefüllt mit Bedeutung und Eigenschaften. Zwei große Metaphern haben der Zeit ganz unterschiedliche Grundbedeutungen gegeben. Die eine Metapher, die vom goldenen Zeitalter, dem ein silbernes, ein eisernes Zeitalter folgt, erzählt die Zeit als einen Prozess des steten Niedergangs. Die andere Metapher, die davon spricht, dass wir als Zwerge auf den Schultern von Riesen stehend mehr sehen, mehr leisten können, erzählt die Idee des Fortschritts, des steten ‚Besser Werdens‘ im Lauf der Zeit. Beide Metaphern bestimmen auch heute noch unsere Idee von Zeit – oft nutzen wir sie, die so grundverschieden sind, zugleich.
Der Mythos von den Zeitaltern findet sich schon bei Hesiod – hier lebten die Menschen ursprünglich unter der Herrschaft des Gottes Kronos in Frieden, sorglos wie die Götter. Die Körper dieses goldenen Geschlechts alterten nicht, Nahrung gab es in Hülle und Fülle, Arbeit war nicht nötig. Wir finden die Idee des friedlichen und sorglosen Anfangs des Menschengeschlechts, in dem wir in Harmonie mit der Natur lebten, in vielen Formen. Sie bestimmt noch heute unser romantisches Verhältnis zur Natur. Doch die Menschen entfernten sich von diesem Zustand vielleicht durch Dekadenz, vielleicht durch Sünde, vielleicht durch Eigensinn, vielleicht durch Habgier über das silberne Zeitalter ging es zum eisernen Zeitalter hin zu – ja wohin? Wo stehen wir heute? Im steinernen? Im sandigen Zeitalter? Blickt man auf die Menge der Arbeit, die wir heute verrichten sollen, dann dürften wir in den Augen der alten Griech*innen schon recht weit unten sein. Geschichte, als durch Ereignisse gefüllte und bedeutungsvolle Zeit, ist die Geschichte des Verfalls und eine, die immer wieder mit der Idee der Gottferne verbunden ist. Nicht nur die Griech*innen haben mit dieser Idee gearbeitet, sie findet sich in den indischen Religionen, in der altägyptischen Kultur und schließlich auch in den Bildern und Geschichten der Genesis. Gibt es eine Rückkehr in diesen Vorstellungen? Wenn, dann wiesen die Prophet*innen der Gottesnähe vor allem einen Weg, den des Ausstiegs – das Heil war nicht mehr in dieser Welt und in dieser Zeit – das Paradies des Ursprungs ist für immer verloren.
Es gab im alten Griechenland allerdings auch schon die andere Metapher: die, die von einer steten Entwicklung der Menschen sprach, die sie wachsen sah – hin zu einem ‚immer besser‘. Xenophanes oder auch Lukrez ließen die Menschheit in einem tierähnlichen Zustand, geprägt von Hunger, Angst und Schutzlosigkeit beginnen und erzählten die Geschichte des langsamen Fortschritts in der Entwicklung von Zivilisation und Kultur, der langsamen Loslösung von der Natur und den Bedingungen des Naturzustandes. Dieses Fortschrittsbild konkurrierte mit dem Mythos der Zeitalter.
Mit der beginnenden Renaissance entstand eine neue Fortschrittsmetapher. Wir finden sie zum Beispiel bei Bernhard von Chartres, der gesagt haben soll, wir seien gleichsam wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen und die so mehr und Entfernteres sehen können. Sie tun dies nicht, weil sie selbst so viel größer als die Vergangenheit sind, sondern weil sie, obwohl Zwerge im Vergleich zu den Alten, auf ihren Schultern sitzend von deren Größe emporgehoben werden. Ein Bild, das unsere Idee von Fortschritt, die stete kollektive Arbeit am Wissens-, Könnens- und Erfahrungserwerb tief bestimmt hat. Ein Bild, das ein Band zwischen denen vor uns, und unseren Nachkommen webt, die wir alle an dem einen Projekt des Fortschritts arbeiten. In einem Brief an Robert Hooke hat dies Isaak Newton formuliert: „If I have been able to see further (than you and Descartes), it is because I have stood on the shoulders of giants.“ Fortschritt entsteht aus der Arbeit von vielen und indem wir sie nutzen, indem wir auf ihr aufbauen, leisten wir einen neuen Beitrag, tragen zur Größe des Riesen bei, auf dem nachfolgende Zwerge wieder werden weiter sehen können. So begründen wir die Hoffnung, dass es auch nach uns noch immer besser werden wird.
Und wo stehen wir heute? Unsere Technofixer beschwören das Bild des Fortschritts, hoffen, dass wir unsere Probleme in Folge der ausraubenden Vernutzung der Natur werden lösen können, während andere uns zurück in die Natürlichkeit wünschen, hoffend, dass mit der Rückkehr in den Naturzustand auch die Gottferne überwunden wird und ein neues goldenes Zeitalter anbricht.
Wenn es um die tiefen Metaphern geht, dann gibt es wohl nicht viel Neues unter der alten Sonne.
Transformation und Sicherheit
Kein Moment der Ruhe. Immer Bewegung. Das Neue nimmt das Alte und ist im Nehmen schon ein Altes. Wie lernen wir das Fließen, selbst Bewegung zu sein? Ist unsere Sehnsucht nicht das Beständige, das was uns Ruhe und Angekommensein vermittelt? Wir haben lange Burgen gebaut, sie stehen noch und haben ihr eigenes Recht. Wir selbst aber sind Nomad*innen geworden und suchen noch unsere Routen, die uns in der Bewegung Sicherheit geben. Die Macht der Burgen hat sich dabei vor die Mauern verlagert – es ist der Marktplatz, der Marktflecken, der von seiner Attraktivität lebt und den wir als Nomad*innen besuchen und wieder gehen, in steter Bewegung der Veränderungen. Wir haben zu lernen, in Fluss zu sein und in uns selbst oder in gewählter temporärer Gemeinschaft unsere Sicherheit zu finden. Das verunsichert manche; manche so sehr, dass sie Burgen und Mauern bauen wollen – aber wer hält einen Fluss auf?
Wohin führt mich das Leben? Der aktuelle Titel der Illustrierten Neon. Nicht lange ist es her, da hätte der Titel nur heißen können ‚Wie führe ich mein Leben?‘ Es ändern sich die mentalen Modelle, managen, machen, bestimmen etc. verlieren wohl ihre Vormachtstellung.
Zeitschere
Relativ zur sich beschleunigten Komplexität der Lebenswelt wird die Zeit des menschlichen Lebens kürzer. Die Möglichkeiten, den eigenen Lebensraum intensiv kennenzulernen und in seinen Sinnbezügen zu erforschen, werden geringer. Kontingenzerlebnisse nehmen zu. Orientierung und Vermittlung eines Kontinuitätserlebens in Bezug auf das eigene Leben werden von der Außenwelt immer weniger gestützt. Die Forderungen an die individuelle Sinnbestimmung und Vermittlung von Kontinuität steigen. Die beschleunigende Zunahme von Komplexität in der Lebenswelt überfordert dabei das individuelle Leistungsvermögen. Orientierungsverluste sind die Folge. Sie werden durch radikalere Selektionen oder durch die Leugnung von Komplexität durch simplifizierende Sinnsysteme, denen es in Bezug auf die Wirklichkeit an Leistungsfähigkeit mangelt, kompensiert.
Nötig wäre dagegen, sich gegenüber der Kontingenz und Komplexität offen zu halten, ohne dabei die Orientierung und das für die Versicherung der eigenen Existenz nötige Kontinuitätserleben zu verlieren.
Lässt sich die eigene Kontinuität im Sinne einer offenen Geschichte erzählen? Einer Geschichte, die indem sie geschrieben wird, Kontinuitäten herstellt – und dies immer wieder neu. Lässt sich durch eine Selektion auf einen wesentlichen Bereich Orientierung intensiver erleben, ohne dabei die Offenheit für die Komplexität zu verlieren?
Linien
Eine Linie teilt. Sie schafft zwei Flächen. Von der*vom Zeichner*in aus gesehen, eine linke und eine rechte Fläche. Beide stehen gleichwertig nebeneinander. Dann kommt die Bezeichnung hinzu und die eben noch gleichwertigen Flächen verändern sich in ihrer Bedeutung, sie werden wertend geformt. Die eine Fläche wird wichtig, bedeutsam, die andere wird reduziert oder verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.
Worte können wie Linien sein, die eine Fläche teilen. Sie teilen aber nicht nur ein Blatt Papier, sondern sie zeichnen in den sozialen Raum und machen Unterschiede mit Folgen. Ein solches Wort war und ist z.B. der Begriff ‚wertschöpfend‘, wenn er auf die Erbringung von Leistung in Unternehmen angewendet wird. Peter F. Drucker’s oft zitierter Satz: „Es geht nicht nur darum, dass man die richtigen Dinge tut, sondern man muss die Dinge auch richtig tun.“, markiert den Beginn einer wertenden Linie in Unternehmen – es gibt Arbeitsschritte, die schaffen Mehrwert am Produkt und an der Dienstleistung und solche, die dies nicht tun. Plötzlich gab es zwei Flächen im Unternehmen, eine die die bevorzugte Bedeutung ‚wertschöpfend‘ erhielt und eine, die folglich nicht wertschöpfend war.
Beschreibungen haben Folgen. Menschen, die sich in der Bedeutungsfläche ‚nicht wertschöpfend‘ wiederfanden, mussten sich nach ihrem Wert fragen – sie waren auf einen Strich Dienstleister*innen, Unterstützer*innen und eventuell verzichtbar, man konnte sie auch zukaufen. Der soziale Raum war neu gestaltet und mit ihm Bedeutung und Rang von Funktionen und Menschen. Ähnliches geschah mit dem Wort ‚Kernkompetenz‘, das eine Linie zog zwischen den Kompetenzen und das der einen Beachtung gab, der anderen Aufmerksamkeit nahm. Einige Kompetenzen waren mit einem Strich im Kern, andere plötzlich in der Peripherie.
Das Papier, die Linie und die Fläche bleiben gleich, sie verändern sich kaum in der Zeit und eine Linie auf dem Papier ist immer wiederholbar. Wortlinien sind jedoch nicht zeitresistent. Sie wandeln sich, wie Zeiten sich wandeln. Auch wenn wir heute mit großer Entschiedenheit unsere Wortlinie ziehen und Bedeutung nach heutigem Wissen verteilen, so mag morgen das Bedeutungslose das eigentlich Bedeutsame sein. Zieht Linien und lasst den Blick auf beide Flächen ruhen – was heute unwichtig erscheint, mag morgen die Quelle von Neuheit sein.
ein lesezeichen grashalm fällt in meinen schoß fernes sommerglück
wie das licht dich weckt glaubst der winter hat uns noch schneeglöckchengeläut
„When people with privilege hear that they have privilege, what they hear is not, ‘Our society is structured so that your life is more valued than others.’ They hear, ‘Everything, no matter what, will be handed to you. You have done nothing to achieve what you have.’ That’s not strictly true, and hardly anyone who points out another’s privilege is making that accusation. There are privileged people who work very hard. The privilege they experience is the absence of barriers that exist for other people.“ Mychal Denzel Smith
„Every time we choose safety, we reinforce fear.“ Cheri Huber
„When we are tired, we are attacked by ideas we conquered long ago.“ Friedrich Nietzsche