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Ein Krokodil greift Pita an

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Auf der Fahrt von Ihu nach Kopo pflegte ich routinemäßig gute drei Kilometer flussaufwärts einen kurzen Zwischenhalt einzuschalten um bei Martin zu Hause grüne Kokosnüsse zu kaufen, deren Milch ich herrlich erfrischend finde. Der hoch angesehene Martin war klein, fast zierlich von Gestalt und trotz seines weißen Haares von unbestimmbarem Alter. Physische Anzeichen wie die Furchen im Gesicht eines Papus lassen eben nur begrenzt Rückschlüsse auf sein wahres Lebensalter zu. Da er jedoch ebenso als Stammesführer für seine Weisheit, wie als Krokodiljäger für seinen Mut weit über den eigenen Stamm hinaus hohes Ansehen genoss, spielte die genaue Anzahl seiner Lebensjahre letztlich keine entscheidende Rolle.

Da ich vor jeder Landung in Ihu das Projektgebiet in Kopo überflog worauf wenig später unser Dingi den Vailala hinab zu schießen pflegte, um mich abzuholen, war Martin genau informiert, wann ich bei ihm vorbeischauen würde. Das hatte ihn bis dahin jedoch noch nie dazu bewogen, mir z.B. auf der Veranda seines Hauses am Fluss entgegenzukommen oder gar einen seiner Söhne zum Pflücken der Kokosnüsse vorauszuschicken. Immer war es an mir, den ersten Schritt zu tun, worauf er mit offenen Armen auf mich zukam und schnell auch einen Jungen losschickte um mir meine Kokosnuss zu pflücken.

Deshalb war ich an diesem Vormittag mehr als überrascht, als ich den kleinen Mann, umgeben von einigen seiner Leute, mit einem Gewehr in der Hand auf einem Baumstamm warten sah, der dort als Landungssteg diente.

Sobald er unser Boot erblickte winkte er uns lebhaft zu, unterstützt von seinen Begleitern, die ebenfalls aufgeregt mir ihren Armen in der Luft herumfuchtelten.

Als wir uns auf wenige Bootslängen genähert und die Fahrt verlangsamt hatten um sachte bei ihm anzulegen, begann er zu meiner Überraschung, auch noch mit seinem Gewehr zu hantieren und uns auf Pidgin und Englisch zur Eile anzutreiben:

Yu harri up, macht schnell, Leute, es geht um Leben und Tod! Ein Krokodil hat meinen Sohn Pita angegriffen. Wenn du ihm nicht hilfst wird er verbluten!“

Ich sprang als Erster aus unserem Kanu und nahm Martin in meinen Arm um den kleinen Mann zu beruhigen.

Martin“, sagte ich, „du weißt, dass ich kein Doktor der Medizin bin. Ich bin Ethnologe. Ich weiß nicht, ob ich deinem Sohn helfen kann. Pita braucht sicher einen richtigen Arzt, vielleicht auch nur einen Dokta Boy, einen Barfuß Doktor. Wo ist er jetzt und weshalb habt ihr ihn nicht in die Krankenstation nach Ihu gebracht?“

„Die in Ihu mögen uns nicht, die würden Pita eher töten - und außerdem sind die meisten von ihnen erst noch dümmer als wir, sonst würden sie schließlich nicht in Ihu leben!“

Er spukte voll Verachtung auf seine „städtischen“ Nachbarn in den Fluss.

Wie sich herausstellte, war Pita am frühen Morgen aufgebrochen um zu unserem Projekt zu marschieren und dort ein bisschen Geld zu verdienen. Das mochte eine Stunde Fußmarsch bedeuten, zuerst durch den Dschungel, dann durch ein Stück Sumpfland. Wie gewohnt war der junge Mann barfuß unterwegs gewesen, in kurzen Hosen und mit einem T-Shirt bekleidet; und wie alle Männer hier trugen er auf Schritt und Tritt ein massives Buschmesser mit sich. Die weglose Gegend kannte er wie seine Hosentasche: schließlich er war hier aufgewachsen und hatte seinen Vater oft auf der Jagd begleitet ohne jemals irgendeinem Krokodil begegnet zu sein. Die tummelten sich seit Menschengedenken eine weitere Wegstunde entfernt an einem von Sümpfen umgebenen ruhigen Nebenarm des Vailala.

Pita hatte Glück gehabt, dass ihn an diesem Morgen ein jüngerer Bruder ein Stück weit begleitete. So war er nicht allein, als die Bestie unversehens auftauchte und sogleich angriff. Denn während Pita sich verzweifelt gegen das überdurchschnittlich große Tier zur Wehr setzte, das sein rechtes Bein geschnappt hatte, rannte der Bruder ins Dorf zurück um Hilfe zu holen.

Es mochte zwanzig Minuten gedauert haben, bis die Retter im Laufschritt mit Messern, Lanzen, Pfeil und Bogen, einige sogar mit Gewehren bewaffnet an der Unglücksstelle eintrafen. Dort fanden sie einen bewusstlosen Pita, dessen Bein noch immer im Maul des Krokodils steckte. Ihm selber aber war es wie durch ein Wunder gelungen, die urzeitliche Echse mit einem Stich seines Buschmessers genau zwischen die Augen zu töten, bevor sie ihn in einen nahe gelegenen Tümpel hatte ziehen können, wo es für ihn kein Entrinnen gegeben hätte. Sein Blutverlust aber war so schwer gewesen, dass er offenbar gleich darauf das Bewusstsein verlor.

Da ihr Überleben oft von wirkungsvoller erster Hilfe abhängt, haben die Eingeborenen auf diesem Gebiet eine besondere Heiltradition entwickelt. So schafften sie es erfolgreich, die schlimmsten Blutungen an Pitas Bein zu stillen, doch damit war ihre ärztliche Versorgung an die äußersten Grenzen gestoßen. Das eigentliche Überleben des jungen Mannes hing nun davon ab, dass er möglichst schnell an einen Ort gelangte, wo man mit Transfusionen und den modernen Techniken westlicher Medizin vertraut war.

Für mich gab es nur eine Lösung: Pita in meine Partenavia zu bringen damit ich ihn notfallmäßig in den Provinzhauptort Kerema ausfliegen konnte. Wenn wir keine Zeit verloren, sollte er in weniger als einer Stunde auf dem Operationstisch des dortigen Krankenhauses liegen.

Ich teilte Alex mit, was ich vorhatte, ohne die Lage im Detail zu erörtern. Dazu fehlte jetzt einfach die Zeit und in meinen Augen gab einfach keine Alternative. Dann erteilte ich Martins Leuten den Befehl, Pita zu bringen und forderte gleichzeitig die Boys auf, das Dingi so herzurichten, dass man den Patienten dort auf einer notdürftig zusammen gezimmerten Bahre lagern konnte.

Martin hatte meine Reaktion vorausgeahnt und Pita bereits vor unserer Ankunft in die Nähe des Flusses tragen lassen. Als sie ihn jetzt zum Dingi brachten war er zwar bei Bewusstsein und hatte die Augen geöffnet, war aber nicht ansprechbar. Offensichtlich hatte ihn Martin mit einheimischer Pflanzenmedizin ruhiggestellt. Das Bein selber war in vor Blut triefende Laken gehüllt, die mit Sicherheit niemand auf ihre Sterilität geprüft hatte. Wir hatten zwar Verbandszeug im Projekt und im Flugzeug, aber ich war nicht sicher, ob es für die Versorgung einer so großen Wunde, wie Pita sie zu haben schien, ausreichte. Außerdem kam es mir vor allem darauf an, Zeit zu gewinnen.

Wir vertäuten deshalb die Bahre mit Pita so gut es ging auf dem Dingi und preschten dann mit größt möglicher Geschwindigkeit flussabwärts, legten genau unterhalb der Landebahn an und hatten Pita keine fünf Minuten später auf dem Boden der Partenavia festgezurrt.

Ohne umständlich einen Flugplan aufzugeben und auf eine Startfreigabe aus Port Moresby zu warten, setzte ich einfach eine Blindmeldung ab, in der ich Flugzeuge, die sich eventuell in der Gegend befanden, über meine Position und meine Absichten informierte. Dann rollte ich, um weitere Zeit zu gewinnen, trotz leichten Rückenwindes auf die Startbahn 30, gab Vollgas und hob nach endlos erscheinenden 800 Metern ab. Bei der herrschenden feuchten Schwüle gaben die Motoren bestenfalls 60 Prozent ihrer Leistung ab und das feuchte Gras des Airstrips verlängerte die Rollstrecke gegenüber einer Asphaltpiste um weitere 100 Meter. Da wuchsen die Palmen am Pistenende, die den Landeanflug bereits zum Abenteuer werden ließen, schnell zu lebensbedrohlichen Monstern in den Himmel, doch genau in dem Moment, als ich eigentlich den Start hätte abbrechen müssen, hob sich das Bugrad zögernd von der Piste und nur Sekunden später schwebten wir knapp eine Handbreit über die Bäume am Pistenrand hinweg.

Da Kerema nur 20 Flugminuten entfernt war, verzichtete ich darauf an Höhe zu gewinnen und navigierte, knapp über die Wipfel der Urwaldriesen hinweg, direkt auf die Bucht der Provinzhauptstadt zu. Sobald ich die Landebahn in Sicht hatte, setzte ich einen weiteren Funkspruch ab um meine Ankunft mitzuteilen, und drehte, als niemand antwortete, zu einem verkürzten Landeanflug ein, der mich direkt auf die Pistenachse führte.

In Kerema ist die Landebahn zwar asphaltiert, dafür aber für tropische Bedingungen ausgesprochen kurz. Außerdem befanden sich zu diesem Zeitpunkt die jeweils ersten hundert Meter an beiden Enden in einem derart schlechten Zustand, dass jeder mit der Situation vertraute Pilot es unterließ, dort aufzusetzen. Was blieb, waren ca.500 Meter holprige Piste, die laut Flughandbuch höchstens am Nordpol bei einer Temperatur von minus 20 Grad als ausreichend für eine sichere Landung betrachtet werden konnten.

In Kerema aber zeigte das Thermometer +37 Grad Celsius bei einer relativen Feuchte von über 90Prozent an: weiß Gott keine Bedingungen um die Grenzwerte, die jetzt bereits überschritten waren, noch weiter auszureizen. Aus diesem Grund entschloss ich mich, wie es im Lehrbuch steht, eine Platzrunde zu fliegen und gegen den Wind zu landen selbst wenn dies wertvolle zusätzliche Minuten kostete.

Bereits im Anflug sah ich, dass aus dem kleinen Abfertigungsgebäude von MBA, der regionalen Busch-Airline, Leute rannten und den Horizont nach meinem Flugzeug absuchten. Ich schaltete die Landescheinwerfer ein, damit sie mich in dem tropischen Dunst leichter ausmachen konnten, und setzte, da es im Funk still blieb, meinen Anflug einfach fort. Augenblicke später schwebte ich über eine idyllische Bucht und einen schmalen Streifen weißen Sandes auf die Piste ein, die rechte Hand zum Durchstarten bereit auf den Gashebeln; Schließlich konnte man hier nie sicher sein, dass nicht spielende Kinder oder streunende Hunde vor dem Flugzeug auf die Landebahn sprangen. Diesmal blieben derartige Überraschungen aus und so setzten wir trotz der Kürze der Piste sicher auf Runway 14 auf.

Als ich ausrollte, verdeckte mir anfänglich hohes Gras zu beiden Seiten der Landebahn den Blick auf das Vorfeld und das MBA Gebäude. Erst als ich mich auf der Höhe des Rollweges befand, der zu den Abstellflächen führt, sah ich die Leute, die heraus geeilt waren, wieder. Jetzt liefen sie gestikulierend auf die Partenavia zu. Ich rollte ihnen vorsichtig entgegen, stoppte dann, wobei ich die Motoren weiter im Leerlauf drehen ließ und befahl Martin, der seinen Sohn als einziger begleitete, die Passagiertüre auf der Höhe der linken hinteren Flügelkante zu öffnen: da der Lärm der Motoren selbst im Leerlauf noch ohrenbetäubend war, musste einer der Männer ins Flugzeug klettern um mir zu erklären, was sie mit ihrem Gestikulieren hatten zum Ausdruck bringen wollten.

Als erfahrenster kletterte der Stationsleiter von MBA, vom Propellerwind zerzaust ins Innere, warf einen kurzen Blick auf den Patienten und schob sich dann zwischen den Sitzen durch zu mir.

Hi Doc, lange nicht gesehen.“

„Schon gut, Big Boss“, winkte ich ab, „plaudern können wir ein anderes Mal. Sag mir lieber, was bei euch nicht stimmt, dass ihr mich nicht hier haben wollt!“

„Hat nichts mit dir zu tun, Doc, ehrlich. Die Mädchen hier freuen sich immer, wenn du vorbeischaust. Die Burschen sind dann weniger erbaut. Aber das tut nichts zur Sache.“

Das sollte ein Scherz sein und er lachte wobei er seine schwarzen Zahnstummel hinter Betelnuss rot leuchtenden Lippen zeigte. Als er merkte, dass mir nicht zum Spaßen zu Mute war, beeilte er sich:

„Ich habe im Funk gehört, dass du mit einem Patienten kommst, der schnell behandelt werden muss. Leider ist mein Sender kaputt, sonst hätte ich Dir gleich mitgeteilt, dass unser Krankenhaus geschlossen ist. Der Docta läuft einem Schürzenzipfel in Port Moresby nach, da sind die Pfleger einfach zu Hause geblieben. Nur die Hebamme ist hier, aber die kann dem jungen Mann da“ - er machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Pita – „wahrscheinlich nicht helfen. Wir wollten deshalb auf alle Fälle verhindern, dass du die Motoren abstellst, denn bei den Dingern weiß man ja nie, ob sie genau dann wieder anspringen, wenn man sie wirklich braucht.“

Der Station Chief war ein erfahrener Profi. In der Tat war die Technik „moderner“ Kolben-Flugmotoren bis in die neunziger Jahre hinein auf dem Stand von 1930 stehen geblieben so dass das Anlassen eines heißen Triebwerks oft weniger mit technischem Sachverstand als mit Glück zu tun hatte. Jetzt, wo ein echter Wettlauf mit der Zeit um Leben und Tod begann, hätte es verhängnisvoll werden können, wenn ein Motor auch nur vorübergehend seinen Dienst verweigert hätte.

„Gut gemacht“, sagte ich und klopfte ihm anerkennend auf die Schultern.

„Was willst du jetzt tun Doc?“

Ich war bereits dabei meine Tankanzeigen zu studieren und – da auch sie nicht hundertprozentig zuverlässig waren – nachzurechnen, wie lange ich seit dem letzten Tanken in der Luft gewesen war.

„Ich denke, das Avgas sollte mir bis Port Moresby reichen“, schätzte ich laut.“ Ich befürchte eher, dass meinem Patienten unterwegs das Blut und nicht mir das Benzin ausgeht!“

„Dann will ich dich nicht länger aufhalten“, sagte er, schlüpfte zurück zur Tür und verriegelte sie von außen sorgfältig.

Sobald er um die Flügelspitze gebogen war, gab ich Gas und rollte zurück auf die Startbahn. Dabei winkte ich Martin zu mir, der bei Pita geblieben war und nicht begriff, was genau geschah.

„Wir müssen weiter nach Port Moresby“, brüllte ich ihm durch den Lärm der Motoren zu. „Wird Pita noch anderthalb Stunden durchhalten?“

Ich glaubte, ein Nicken wahrzunehmen, war aber nicht sicher, ob Martin mich und den Ernst der Lage wirklich verstanden hatte. Doch darum konnte ich mich aber jetzt nicht kümmern, denn ich war am Ende der Piste angelangt und musste mich voll auf den Start konzentrieren. Da es sich bei Kerema nicht um einen beliebigen Buschflugplatz handelte und ich mich auf den Weg in die Hauptstadt machte, musste ich diesmal vor dem Take-off die nötigen Freigaben einholen. Für einmal funktionierte die Kurzwelle perfekt, die Verständigung mit den Lotsen in Port Moresby klappte wie am Schnürchen und ich hatte meine Starterlaubnis noch bevor ich meinen Instrumentenscheck abgeschlossen hatte.

Ich startete gegen Süden über leuchtende tropische Gärten hinweg auf eine im Kontrast zu den grünen Palmen tiefblaue Südsee hinaus, dann schmiegte ich die Maschine im Steigflug in eine sanfte Linkskurve um sie auf Ost Kurs geradewegs in Richtung Jacksons Airport zu steuern.

Als wir unsere Reiseflughöhe von 9000 Fuß erreicht hatten und ich die Motoren drosselte, kam Martin zu mir nach vorne, machte es sich im Kopiloten Sitz bequem, stülpte sich die Kopfhörer über und justierte das Mikrophon genau vor seinem Mund wie ein routinierter Flieger.

Ich beobachtete ihn überrascht aus den Augenwinkeln heraus, war jedoch für den Augenblick vollauf mit dem Austrimmen der Maschine und dem Funkverkehr mit Moresby Control und unserer Projektverwaltung beschäftigt, die ich beide über den Notfall unterrichten musste. Martin wartete geduldig und begann erst ins Mikrophon zu sprechen nachdem ich alles unter Kontrolle hatte.

Pita ist mein tapferster Sohn. Er wird durchkommen. Selbst wenn wir zwei Stunden bis Port Moresby brauchen sollten wird er überleben.“

„Dein Wort in Gottes Ohr!“ flehte ich. „Wenn alles normal verläuft, werden wir in weniger als einer Stunde dort sein. Aber was hättest du gemacht, wenn ich nicht vorbeigekommen wäre?“

„Es war kein Unfall, es war Magie“, sagte Martin, als handle es sich um das Natürlichste der Welt.

Als er meinen verblüfften Blick sah, bemühte er sich, mir eine Erklärung nachzuliefern:

„Wenn es sich um einen Unfall gehandelt hätte, dann hätte Pita keine Chance gehabt, denn wenn dich ein fünf Meter langes, hungriges Krokodil angreift, bist du tot, egal wie stark oder wie mutig du bist. Außerdem: dort wo das Biest auf ihn gelauert hat, gibt es überhaupt keine Krokodile.“

Auch ich hatte mir natürlich meine Gedanken über den Unfall gemacht. Deshalb gab ich zu bedenken:

„Aber Martin, wir erleben seit einem Jahr eine gewaltige Dürre. Ich habe schon von anderen Orten gehört, wo Tiere, die ihre angestammten Feuchtgebiete verlieren, auf die weit entfernte Flüsse zu wandern um sich dort nach einem neuen Lebensraum umzusehen. Bist du sicher, dass das Krokodil nicht unterwegs zum Vailala war, wo es im Überfluss Wasser und Fische gibt?“

„Blödsinn“, knurrte Martin enttäuscht über meinen mangelnden Sachverstand. „Die Krokodile in unserer Gegend leben in Sümpfen, die können mit dem reißenden Wasser eines Flusses nichts anfangen. Außerdem gibt es noch immer genug Tümpel in ihrer angestammten Heimat, in denen sie sich wohler fühlen als in dem Lärm und Trubel von Ihu und Kopo.“

Er machte eine Pause und studierte mein Gesicht unter den großen Kopfhörern hervor, als versuchte er darin zu lesen, ob ich seinen Überlegungen hatte folgen können. Dann fuhr er bekräftigend fort:

„Es war Magie, schwarze Magie, daran gibt es nichts zu deuteln. Einer unserer Feinde wollte mir etwas zu Leide tun. Aber weil er mich kennt, weiß er natürlich, dass man mir mit Zauberei so leicht nichts anhaben kann. Deshalb hat er sich Pita als Stellvertreter ausgesucht, meinen Lieblingssohn, der in dieser Hinsicht noch verwundbar ist. Was er natürlich nicht wissen konnte, ist, wie stark mir mein Ältester ans Herz gewachsen ist: Pita ist ein Teil von mir und war auf diese Weise durch mich gedeckt. Nur deshalb liegt er jetzt hier im Flugzeug und nicht auf dem Grund eines elenden Tümpels.“

Ich hatte den Autopiloten eingeschaltet und ließ mir Martins Erklärung durch den Kopf gehen. Dann gab ich zu bedenken:

„Selbst wenn es sich um schwarze Magie handelt: Wenn ich nicht des Wegs gekommen wäre, gestern zum Beispiel, als ich in Port Moresby war, dann wäre Pita hoffnungslos verblutet. Also hatte dein Sohn doch Glück im Unglück.“

Martin winkte mit einer müden Geste ab:

„Du bist zwar schon lange in unserem Land und kennst uns gut. Aber von Magie verstehst du immer noch nichts. Ganz klar: unsere Feinde wollten Pita töten, aber ich war stark genug, ihn zu schützen. Ich ließ ihn das Krokodil töten und ich ließ dich nach Kopo kommen, um Pita in Sicherheit zu bringen. Genauso ist es!“

Wie sollte ich das mit meinem in Europa geprägten Gehirn verstehen? Doch wenn ich genau überlegte, gab es da durchaus ein Element, das zu Martins Gunsten sprach: Ich hatte mich in der Tat spontan entschieden, unplanmäßig nach Ihu aufzubrechen. Hatten etwa Martins Geister mich dazu bewogen?

Auch der Rest des Fluges wurde eindeutig von guten Geistern beschützt: wir hatten freundliche Radarlotsen, die die kleine Partenavia direkt in den Landeanflug von Runway 14 führten und sogar eine Boeing 767 der australischen Qantas eine Warteschleife drehen ließen um uns so schnell wie möglich auf den Boden zu bringen.

Dort wartete bereits – von Oto mustergültig organisiert – der einzige fahrtaugliche Krankenwagen von Port Moresby um Pita in Empfang zu nehmen und, von Martin begleitet, in die Notfallstation des Central Hospital zu bringen. Der unvorhergesehene Flug in die Hauptstadt hatte mich allerdings so viel Zeit gekostet, dass es unvernünftig gewesen wäre, gleich anschließend den Rückflug nach Ihu in die drohende Dämmerung hinein anzutreten.

So entschloss ich mich, das Flugzeug abzustellen und aufzutanken. Danach schaute ich – nur um mir schnell ein kühles Bier zu gönnen - im South Pacific Aeroclub vorbei und entdeckte dort um den Billardtisch versammelt, ein Dutzend der hübschesten Mädchen von ganz Papua-Neuguinea, die nur darauf zu warten schienen, zu einem Drink auf die Mitglieder-Seite eingeladen zu werden. Die Versuchung war wieder einmal riesengroß, dem Herz nachzugeben und am Holding Point 32 hängen zu bleiben statt der Vernunft zu folgen und auf dem schnellsten Weg ins Büro zu eilen um mit Alex in Ihu über Funk Kontakt aufzunehmen.

Am Ende entschloss ich mich für einen Kompromiss: ich genehmigte mir nur ein kleines Bier und fuhr anschließend gleich ins Büro, von wo aus ich Alex darüber informieren wollte, dass ich frühestens im Laufe des nächsten Tages nach Kopo kommen würde.


Der Kuss der Schwarzen Papua

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