Читать книгу Der Kuss der Schwarzen Papua - Reinhard-Johannes Moser - Страница 8
Kampf um Entwicklungsprojekt
ОглавлениеDa ich nun schon einmal in Port Moresby war und das Wochenende bevorstand, beschloss ich, gleich in der Hauptstadt zu bleiben.
Als Leiter eines Projekts, das rund sieben Millionen Waldbesitzern in Papua-Neuguinea Wege aufzeigen sollte, wie sie aus ihrer Ressource Geld machen konnten ohne deshalb gleich ganze Landstriche kahl zu schlagen, musste ich die Hälfte meiner Zeit der Sisyphusarbeit der Verwaltung opfern, so dass mir nur 50 Prozent blieben um unsere Lösungsansätze praktisch weiter zu entwickeln und parallel dazu noch Behörden oder Partnerorganisationen technisch zu beraten.
Meine Aufgabe wurde durch eine nur in Melanesien verwurzelte Tradition erschwert, ja gelegentlich verunmöglicht: Die Bevölkerung dieser kleinen Gruppe von Pazifikinseln hat über die Jahrhunderte hinweg ihr eigenes Rechtssystem entwickelt, das vor allem im Bereich des Grund- und Erbrechts deutlich von unseren Vorstellungen abweicht. In Papua-Neuguinea, auf den Salomonen und in Vanuatu erbt z.B. jeder Eingeborene gleich bei seiner Geburt einen oder mehrere Bäume über deren Nutzung er völlig frei verfügen kann. Obwohl sich in PNG auf diese Weise fast 97 Prozent des Landes in Privatbesitz befinden und über weite Strecken von undurchdringlichem Dschungel überwachsen sind, fällt es deshalb schwer, irgendwo rechtlich von ‚Wald’ zu sprechen. Genau genommen handelt es sich ja immer nur um Ansammlungen von einzelnen Bäumen, deren individuelle Eigentümer ganz unterschiedliche Ziele verfolgen können – was sie in der Praxis oft auch tun. Meine Mission bestand vor diesem Hintergrund nicht zuletzt darin, Gruppen von Grundbesitzern zu bilden, die bereit waren ihre Bäume in ein Gemeinschaftsunternehmen „Wald“ einzubringen, der sich dann sinnvoller, Umwelt schonender und für alle Gewinn bringender nutzen ließ als wenn jeder Baumbesitzer unkoordiniert für sich alleine entschied.
Den Samstag verbrachte ich vorwiegend mit Hausarbeit. Gegen Abend kam dann Alex mit dick verbundenem Kopf auf einen ‚Sundowner’ vorbei. Dieser Brauch heiligt in den Tropen die Zeit des Sonnenuntergangs, der auf den Südseeinseln meist ein Schauspiel von magischer Farbenpracht bietet. Da seine Regeln einfach zu befolgen sind, halten sich die meisten, vor allem wenn sie über ein Fleckchen Erde mit Blick Richtung Westen verfügen daran, lassen alle Arbeit ruhen und genießen ganz einfach mit einem Drink in der Hand das täglich aufs neue faszinierende Naturereignis.
Erstaunlicherweise kam er ohne Freundin und auch der übliche Vorschlag, noch die eine oder andere Bar zwischen dem Yacht- und dem Aero-Club aufzusuchen, blieb heute aus.
„Bist du krank?“ fragte ich ihn ehrlich besorgt, denn ich kannte meinen Kollegen lange genug um zu wissen, dass ihn eine Schramme am Kopf nicht von so lieb gewonnenen Gewohnheiten wie einer fröhlichen Runde nach Feierabend abhalten konnte.
„Vergiss es“, knurrte er niedergeschlagen, „du kannst von mir nicht erwarten, dass ich mit so einem Turban“ – dabei zeigte er auf die weiße Binde seines Kopfverbandes – „unter die Leute gehe.“
Ich musste lachen. Alex, der es im Dschungel an Wildheit mit jedem Buschmann aufnahm, war in seinem Innersten eine eitle Mimose geblieben: wenn er schon einmal in der Stadt war und ausging, dann musste bei ihm von den auf Hochglanz polierten Halbschuhen bis zur Designerkrawatte alles stimmen. Ein Kopfverband vermochte diesen Ansprüchen natürlich nicht zu genügen.
Es dauerte in der Folge noch bis Dienstag der folgenden Woche bis ihn der behandelnde Arzt definitiv von seinem “Turban” befreite und damit für eine Rückkehr in sein Projektgebiet frei gab. Der gab daraufhin keine Ruhe bis ich gleich für den nächsten Morgen einen Flugplan von Port Moresby nach Ihu aufgab.
Der Flug verlief wie im Bilderbuch und weckte einmal mehr die Illusion, genau gemäß dem Werbespot der PNG Tourismus Behörde ‚Paradise live’, das 'Paradies hautnah' erleben zu dürfen. Da Nordwestmonsun herrschte, starteten wir auf der Piste 32. Nach dem Abheben zog ich unsere Partenavia in eine Linkskurve, so dass wir direkt über das architektonisch auf gelungene Art einem Geisterhaus vom Sepik nachempfundene Parlamentsgebäude und die wichtigsten Ministerien im Regierungsviertel Waigani hinweg flogen. Nach dem Überqueren eines kleinen Hügelzuges verließen wir langsam die Neuzeit und setzten unseren Steigflug über das Pfahlbaudorf Hanuabada und den Hafen von Fairfax, quer über die Bucht von Port Moresby in südwestlicher Richtung fort. Minuten später erreichten wir über dem Fischerdorf von Torebada die Korallensee mit ihrem silbrig blau schimmernden Wasser. Von hier aus setzte ich Kurs auf das Kap von Redscar Head und die wie Finger aus dem Wasser ragenden Kekeni Felsen, wobei ich der Küstenlinie nach Westen folgte. Alex als mein Copilot genoss jetzt einen herrlichen Blick auf ausgedehnte Mangrovenwälder, die den nahen Bergen zu in Krokodil verseuchte Sümpfe übergingen. Von Kekeni aus steuerte ich direkt auf die Insel Yule zu. Auf ihr hatten sich Ende des 19. Jahrhunderts die ersten christlichen Missionare niedergelassen und ein Kloster errichtet, das heute noch besteht und sogar einfache Fremdenzimmer vermietet. Hier meldeten wir uns von Moresby Radar ab, dessen Reichweite auf rund 50 Meilen begrenzt ist und überquerten während der nächsten 40 Minuten den Golf von Papua ehe ich querab von Kerema, der ‚Hauptstadt’ der Golfprovinz, den Sinkflug in Richtung Ihu einleitete.
Da wir erst nach zehn Uhr abgeflogen waren, bildeten sich über den warmen Gewässern des Golfs, jetzt, im Laufe des späten Vormittags, bereits die ersten Haufenwölkchen. Über dem Vailala drehte ich scharf nach rechts und folgte dem Flussverlauf bis zu unserem Projektgebiet, wo heute, da Oto, meine Büroleiterin, die Belegschaft über Funk aufgescheucht hatte, schon vom Flugzeug aus emsige Aktivität zu beobachten war. Nach einem behutsam geflogenen Vollkreis richtete ich die Nase des Flugzeugs direkt auf die Piste von Ihu aus, fuhr die Klappen aus und setzte nur wenige Meter hinter hundert Jahre alten Palmen, deren Lage mitten in der Anflugschneise in jedem andern Land schon längst eine Schließung des Flugplatzes nach sich gezogen hätte, sanft auf der dicht mit Gras bewachsenen Landebahn auf.
Sobald wir ausgerollt waren und ich die Motoren abgestellt hatte, eilte ein Großteil der Bevölkerung von herbei. Die Landung eines Flugzeugs bot in dieser verlassenen Gegend immer eine willkommene Abwechslung und manchmal brachte ich der Gefälligkeit halber ja auch Post oder dringend benötigte Waren wie Medikamente aus der Hauptstadt mit. Grund genug für die Einwohner, nachzusehen, ob ich nicht wieder so ein ‚Geschenk’ im Gepäck dabeihatte.
In Ihu begann Alex Reich. Er hatte den Ort entdeckt und von Anfang an alle Gespräche mit den Einheimischen geführt bis sich langsam die Idee herauskristallisierte, dort eines unserer geplanten Projekte durchzuführen. In der Folge hatte er mit Häuptlingen und Stammesältesten unzählige Varianten durchgesprochen, ob, und falls gewünscht, wie und mit welchen Partnern wir es anpacken könnten, dieser armseligen, vergessenen Ecke der Welt einen Weg in die Zukunft zu öffnen. Der Gleichgültigkeit der breiten Bevölkerung und allem Ränkeschmieden einiger lokaler Machthaber zum Trotz hatte sich schließlich ein harter Kern von Stammesvertretern gebildet, mit dem er glaubte, die gemeinsam ausgefochtenen Pläne in die Tat umsetzen zu können. Das war vor vier Jahren gewesen und seither war viel Wasser den Vailala hinuntergeflossen: Wir hatten den Standort des Projekts aus der näheren Umgebung von Ihu in eine Dschungellichtung namens Kopo, im Kanu gut 40 Minuten stromaufwärts, verlegen müssen, weil im Distrikts Hauptort die Allianzen täglich wechselten und Neid und Eifersucht dafür sorgten, dass sich das Projekt nicht entfalten konnte.
Nun gibt es in Papua-Neuguinea bis heute kein Grundbuch, ja die auch von der Weltbank unterstützte Idee, ein Kataster einzuführen, weckte bei Regierung und Opposition des Landes gleichermaßen heftigsten Widerstand. Solange Alex und seine Getreuen nur ein paar Bäume fällten um damit eine Handvoll Hütten zu bauen, störte das keinen. Doch als der erste Flussdampfer, ohne in Ihu , direkt flussaufwärts nach Kopo weiterfuhr und nur einen Tag später mit einer ganzen Ladung sauber gesägten Holzes für den Markt in Port Moresby zurückkehrte, löste dies allgemeinen Alarm aus.
„Wessen Bäume fällen die eigentlich?“ lautete in den folgenden Tagen die Preisfrage in Ihu. Der Distrikt-verwalter, der selber nicht aus der Gegend stammte, konnte keine Antwort geben, weil Fragen, die Grund und Boden betreffen, auf dem Lande dem Stammesrecht unterstellt sind. Wie, ums Himmels Willen, sollte ein junger Administrator von der anderen Seite der Insel wissen, nach welchen ungeschriebenen Gesetzen die Papus der Golfprovinz ihre Bäume vererben?
Die Lage begann sich in dem Moment gefährlich zuzuspitzen, als die ersten in Ihu ansässigen Häuptlinge damit begannen, alle nur auffindbaren Waffen vom traditionellen Pfeil und Bogen bis zur Kalaschnikoff – zum Glück meist ohne passende Munition – zusammenzutragen und sie zusammen mit bunten Farben an ihre Stammesmitglieder zu verteilen. Die Kriegsbemalung, für die das Schminkzeug bestimmt war, galt dabei als ebenso wichtig wie die Waffen selber, da sie in der Vorstellung der Einheimischen übermenschliche Kräfte verleiht, unverwundbar macht, mindestens jedoch dem Gegner gleich beim ersten Aufeinandertreffen einen gehörigen Schrecken einjagt. Gemeinsam wollten sie zu einem Feldzug nach Kopo aufbrechen um uns fremde Waldfrevler zu vertreiben. Eine mögliche Katastrophe wurde nur dadurch verhindert, dass sich die ersten Scharmützel bereits vor dem großen Abmarsch noch im Distrikts Hauptort selber ereigneten, wo sich wesentlich mehr Krieger eingefunden hatten, als es in Kopo überhaupt Bäume gab.
Dem Distriktverwalter und dem lokalen Polizeichef schwante dennoch nichts Gutes. Sie zogen wenig verheißungsvollen Vermittlungsverhandlungen pragmatisch die Flucht vor und stahlen sich durch ein Fenster auf der Rückseite des am Vailala gelegenen Verwaltungsgebäudes zum Flussufer davon. Dort hatten sie in kluger Voraussicht ein Dingi versteckt, mit dem sie sich über den Golf von Papua in die Provinzhauptstadt Kerema absetzen konnten. Da die Distriktverwaltung trotz entsprechenden Apparaten in ihren drei Büros und einem deutlich sichtbaren Draht, der zu einem Ständer auf dem Dach führt, keinen funktionsfähigen Telefonanschluss besaß, ließ sich die Flucht nach Kerema gut damit rechtfertigen, dass nur auf diese Weise die Provinzregierung alarmiert werden konnte.
Auf dem Airstrip, der eine ideale natürliche Arena bildete, formierten sich derweil Schlachtreihen lärmender, Waffen schwingender Männer, die halb tanzend, halb hüpfend bis auf Pfeilschuss Weite auf einander zustürmten, kurz stoppten und dann auf die gleiche Weise wieder zurückwichen. Sie hatten offensichtlich bereits vergessen, dass sie eigentlich gemeinsam nach Kopo in den Krieg ziehen wollten um den Clan zu besiegen, der das Forstprojekt mit uns durchführte. Von ihnen unbemerkt legte derweil am Ufer des Vailala ein Dingi an, dem drei Männer entstiegen: Martin, Alex direkter Ansprechpartner, und seine beiden Söhne Maikel und Kris.
Sie kletterten die rutschige Uferböschung des Vailala empor, Martin voran, seine beiden Söhne hinter ihm. Sobald die ersten Gaffer, die ungeduldig darauf warteten, dass das erste Blut auf dem Airstrip floss, Martin erkannten, wichen sie respektvoll zurück. Martin seinerseits brauchte nur wenige Augenblicke, um sich einen Überblick zu verschaffen, dann winkte er die beiden Söhne heran, die je einen Gegenstand in der Hand hielten, und schritt unerschrocken auf die erste Schlachtreihe zu.
In ihrer Erregung nahmen ihn die angehenden Krieger anfänglich gar nicht wahr. So fiel es ihm leicht, die Schlachtreihen zu durchqueren und in der Mitte zwischen den Fronten Position zu beziehen. Er tat dies keine Sekunde zu früh, denn bereits lösten sich einzelne Kämpfer aus den Reihen, preschten zum Zeichen ihres besonderen Mutes vor und schossen Pfeile in die Luft, worauf sie schnell wieder in die Geborgenheit ihrer Schlachtreihe zurück flüchteten. Sollte nun aber ein junger Krieger zu keck werden und eine imaginäre Linie überschreiten, oder sollte gar einer der nicht gezielt abgeschossenen Pfeile wider Erwarten einen Gegner verletzen, dann war die Gefahr groß, dass die Schlachtreihen auf einander losstürmten und es zu einem eigentlichen Gefecht mit Toten und Verwundeten kam.
Um dem zuvorzukommen, winkte Martin schnell seine Söhne heran und nahm jedem seinen Gegenstand aus der Hand: Maikel eine dicke Bibel und Kris eine aus Ebenholz geschnitzte, 'Tambu' genannte Figur. Beide hob er mit weit gespreizten Armen in die Höhe und rief mit weithin vernehmbarer Stimme, die man dem eher schmächtigen Mann gar nicht zugetraut hätte, beschwörend:
„Im Namen unserer Vorfahren und im Namen Gottes: haltet ein, bevor ihr Blut vergießt!“
Die Schlachtreihen schlossen sich langsam zu einem Kreis um den Friedensapostel und die Zuschauer vom Rande wagten sich zögernd, die eben noch zum Schlachtfeld auserkorene Landepiste zu betreten. Martin fühlte, dass er den rechten Ton getroffen hatte und schickte sich nun an, bald in Pidgin, bald in Tokples, ein rhetorisches Feuerwerk abzubrennen, das jener obskuren australischen Pfingstmission, die ihn zum Christentum bekehrt und zum Laienprediger ausgebildet hatte, alle Ehre machte.
Himmlische Freuden und Höllenqualen ausmalend errang er so bei seinen andächtig lauschenden Zuhörern zumindest einen Etappensieg. Denn Papus gelten als wankelmütig und in vielen Belangen westlicher Logik unzugänglich: selbst wenn man ihnen beweisen kann, dass sie im Unrecht sind, geben sie nicht unbedingt klein bei.
Immerhin hatte sich unser Projekt seither ohne direkte Drohung gegen Leib und Leben der Beteiligten entfalten können, auch wenn es weiterhin von den meisten Bewohnern der Region eher argwöhnisch als liebevoll betrachtet wurde.