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Rückflug nach Port Moresby

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Die Wunde an Alex Kopf ging derart tief, dass ich darauf bestand, sie nähen zu lassen. Das hätte zur Not auch ein Barfußdoktor, von den Einheimischen eher despektierlich ‘Doktaboy’ genannt, in einem der ländlichen Gesundheitszentren von Beimuru oder Ihu erledigen können, vorausgesetzt, man hätte dort gerade chirurgischen Faden und eine sterile Nadel zur Hand gehabt. Da ich dessen nicht so sicher war und kein Risiko eingehen wollte, beschloss ich, meinen technischen Direktor nach Port Moresby zu fliegen, wo eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet war.

So stapften wir denn die Hauptstraße von Beimuru zurück in Richtung Flugplatz, wo wir unser Flugzeug, eine zweimotorige, in Italien gebaute Partenavia P68, auf dem von Pauls Arbeitern einem Golfplatz gleich geschorenen Rasen abgestellt hatten. Da der Straßenunterhalt zu den wenigen Aufgaben gehörte, um die sich Paul nicht kümmerte, hatten wir nur die Wahl, entweder in einem Trampelpfad in der Mitte der Straße knöcheltief im Morast zu waten, oder durch kniehohes, vom Regen der vergangenen Nacht noch immer feuchtes Gras zu stapfen. Der Respekt vor Schlangen, deren Artenreichtum auf der Pazifikinsel alle Rekorde schlägt, ließ es uns ohne Zaudern angezeigt erscheinen, lieber den in keiner Weise dem Sprichwort entsprechenden „goldenen“ Mittelweg zu beschreiten.

Von überall her tauchten Eingeborene verschiedenster Herkunft auf: Die Mehrheit bildeten hellbraune Mischlinge aus dem schmalen Küstenstreifen der Papua Region, wo schon vor über hundert Jahren Matrosen aus aller Herren Länder vor Anker gegangen waren um billige Industriegüter gegen die ebenso unwiederbringlichen wie prunkvollen Federn des Paradiesvogels oder die vor allem in Asien hoch geschätzten Häute und Genitalien von Reptilien einzutauschen.

Da die Seefahrer amourösen Abenteuern ebenso wenig abgeneigt waren wie die immer neugierigen Einheimischen und sich beide herzlich wenig um allfällige Konsequenzen ihrer Schäferstündchen scherten, floss in den meisten Adern gemischtes Blut.

Unter den Frauen stachen die Polynesierinnen wegen ihrer Anmut hervor: mit ihren ebenförmigen, schlanken Körpern auf die endlose, blauschwarz schimmernde Haare fielen, kamen sie dem Schönheitsideal der durch die Gemälde von Gaugin berühmt gewordenen Südsee Insulanerinnen äußerst nahe.

Den krassest denkbaren Gegensatz zu ihnen bildeten die kleinwüchsigen Hochländer aus den abgeschiedenen Bergtälern um Goroka, Mount Hagen und Tari. Ihre gedrungenen Körper mit überentwickelten Gesäßmuskeln und krallengleichen Zehen zeugten davon, dass diese Menschen in ihrer Heimat vorwiegend an immer feuchten, glitschigen Berghängen herum kletterten. Ihre tief zerfurchten, steinzeitlichen Gesichter aus denen oft grimmig dreinblickende Augen funkelten, flößten selbst ihren nächsten Nachbarn, die ihnen weder am Anthrazit der Hautfarbe, noch an der Krause des Haares nachstanden, Unbehagen, wenn nicht gar Respekt ein.

Sie alle bildeten lebende Beweise dafür, dass in diesem Teil der Welt Textilien bis zur Ankunft der ersten christlichen Missionare vor gut hundert Jahren unbekannt gewesen waren, denn der Umgang mit Stoffen und Kleidern war ihnen nach wie vor fremd. Als Folge davon kamen sie für unsere Begriffe ungepflegt daher: die Männer barfuß in löchrigen Hosen und zerfetzten Hemden, die Frauen in verwaschenen Blusen mit Rüschen an den kurzen Ärmeln, die sie eindeutig für wichtiger hielten als z.B. die Knöpfe, die meist fehlten. Zu diesen „Meri Blaus“ genannten „Damenblusen“ gehörte einer Tracht gleich ein bis auf die Knöchel fallender, oft ausgefranster, bunter Rock.

Mit Ausnahme der Kleinkinder schienen alle im Begriff zu sein, etwas zu kauen. In der Tat steckten sie sich regelmäßig kleine Mengen von Betelnuss, der Volksdroge des Pazifiks, in den Mund. Die wahren Genießer tunken dabei zuerst den Kern in Kalk ehe sie ihn zusammen mit einer Senffrucht stückchenweise in den Mund schieben und zu kauen beginnen. Eine chemische Reaktion bewirkt in der Folge, dass nicht nur die leicht berauschende Wirksubstanz freigesetzt wird, sondern dass sich noch dazu der Speichel blutrot färbt. Da er bitter schmeckt und in regelmäßigen Abständen ausgespuckt werden muss, finden sich überall dort, wo Papus verkehren, rote Flecken auf Wegen und Wänden. Die Betelnuss-Kauer selber erkennt man leicht an einem schwarz-roten Belag auf ihren Zähnen, beziehungsweise auf den Stummeln zu denen sie jahrelanges Kauen reduziert. Verbunden mit einem für Uneingeweihte abstoßenden Mundgeruch genügt dieser Anblick normalerweise, um einer engeren Annäherung zwischen Einheimischen und Ausländern einen Riegel zu schieben.

Wiederum machten uns alle bereitwillig Platz, wobei viele mit einem gemurmelten ‚sorry’ ihr Bedauern über den blutigen Vorfall, in den auch wir verwickelt waren, zum Ausdruck brachten.

Genau dies Verhalten entspricht dem Grundcharakter der Papus: 99 Prozent von ihnen sind trotz ihres oft grimmigen Aussehens freundlich und sanftmütig, vor allem Fremden gegenüber. Doch das eine Prozent der „Rascals“ genannten Kriminellen, die vor keiner Brutalität zurückschrecken und die an jeder Art von Blutvergießen ihre wahre Freude haben, genügt, um das ganze Land weltweit in Misskredit zu bringen.

Im Flugzeug angelangt gab ich über Kurzwelle meinen Flugplan nach Port Moresby auf und erhielt umgehend aus der Hauptstadt die Startfreigabe. Schon wenige Minuten später befanden wir uns in der Luft, wo wir auf der UKW-Regionalfrequenz für allfällige andere Piloten, die in der Gegend unterwegs waren, unsere Position und unsere Flugroute in Form einer Blindmeldung absetzten.

Postwendend meldete sich Paul in unseren Kopfhörern. Er befand sich mit seinem Hubschrauber im Anflug auf Beimuru und hatte noch keine Ahnung von dem, was dort in seiner Abwesenheit vorgefallen war. So war es nur selbstverständlich, dass er uns einlud, umzukehren, und über Nacht seine Gäste zu sein. Doch nachdem ich ihn in groben Zügen über die Ereignisse ins Bild gesetzt hatte, verstand er, dass wir es vorzogen, nach Port Moresby weiterzufliegen und wünschte vor allem Alex gute Besserung.

Die Flugroute von Beimuru nach Port Moresby führte über unser Projektgebiet in Kopo. Um dort nach dem Rechten zu sehen und gleichzeitig zu signalisieren, dass wir am gleichen Tag nicht mehr zurückkehren würden, stieg ich vorerst nur auf 3000 Fuß. Aus dieser niedrigen Höhe betrachtet, wirkt das vielfältige, in allen Grüntönen schimmernde Blätterdach des tropischen Regenwaldes wie ein Panzer, der eine in sich geschlossene Welt gegen Eindringlinge aller Art abschirmt.

Wo die Natur noch unberührt ist, hat sich der Dschungel in verschiedenen, sich oft überlappenden Etagen etabliert. Verstreut darin liegen, scheinbar in der Steinzeit vergessene, kleine Dörfer, die nicht einmal ein Trampelpfad mit irgendwelchen Nachbarn verbindet. Je näher man aber der Küste kommt, desto häufiger stößt man auf uniforme grüne Flächen: ein untrügliches Indiz dafür, dass Menschen die Natur durch das Anlegen von Gummi- oder Kokospalm-Plantagen massiv verändert haben. Erste weiße Siedler hatten den Urwald schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerodet aber ihre Plantagen spätestens 1975, zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea, wieder aufgegeben. Nur in den seltensten Fällen hatten sich die einheimischen Grundeigentümer dazu entschlossen, solche Pflanzungen zu übernehmen und weiter zu pflegen. So verkamen die Palmen bald einmal in meterhohem Gras, das ihnen die Nahrung entzog. In der Folge trugen die geschwächten Bäume nicht nur keine Früchte mehr, sondern sie fielen auch schnell Käfern und anderen Schädlingen wehrlos zum Opfer.

Die Küstenebene Papuas ist derart flach, dass die aus dem Hochland zweitausend Meter tief herabstürzenden Flüsse schnell ihre reißende Kraft verlieren und sich bald nur noch träge in Mäandern dem Meer entgegen schlängeln. Hier liegt das Paradies der Krokodile, die sich je nach ihrer Spezies im Süßwasser der Flüsse, im Salzwasser des Meeres oder in beiden heimisch fühlen. Die meisten Einheimischen fürchten die Tiere wegen ihrer Tücke und bleiben auf Distanz. Nur unerschrockene Jäger wagen es, in ihre Brutgebiete einzudringen: meist junge Männer, die ihrer Liebsten einen Beweis ihrer Unerschrockenheit, ihres Mutes und nicht zuletzt ihrer grenzenlosen Zuneigung liefern wollen.

Ich machte mir oft einen Spaß daraus, in toten Flussarmen zwischen den Bäumen, knapp über der Wasseroberfläche zu fliegen und zu beobachten, wie viele der sonst unsichtbaren, eher plumpen Reptilien sich, vom Lärm aufgescheucht, blitzschnell und geschmeidig ins Wasser gleiten ließen.

Nach gut 40 Minuten Flug kam die mit rund einem Kilometer Länge unübersehbare, Gras bewachsene Landebahn von Ihu in Sicht. Ich nahm etwas Gas weg um Geschwindigkeit und Höhe weiter zu reduzieren, drehte dann nach links ab und hielt, eine Handbreit über den Baumgipfeln fliegend, genau auf unser Projektgebiet zu. Die Frauen auf unserer Gemüsefarm und die Männer, die in der Holzverarbeitung tätig waren, sollten keine Chance haben, uns schon von weitem kommen zu sehen.

Die Überraschung gelang perfekt: unsere Mitarbeiter am Boden entdeckten unseren Vogel erst als er sich schon über ihren Köpfen befand und da war es zu spät, um noch schnell eine Gießkanne in die Hand oder ein Brett auf die Schultern zu nehmen.

„Es ist doch immer das Gleiche“, seufzte Alex resigniert in sein Mikrophon. „Wir bringen die Leute so weit, dass sie ihr Gemüse in den ersten Hotels von Port Moresby verkaufen und ihr perfekt gesägtes Holz direkt auf dem Weltmarkt anbieten können, und trotzdem legen sie sich lieber unter einen Baum und träumen in den Tag hinein, sobald wir ihnen den Rücken kehren.“

Was sollte ich darauf antworten. Alex erwartete auch keinen Kommentar von mir, denn wir wussten beide, dass hier ein Problem bestand.

Fünf viertel Stunden später landeten wir auf Jacksons Airport, dem internationalen Flughafen der Hauptstadt Port Moresby, und rollten auf einen der Abstellplätze in der Nähe des South Pacific Aero Club. Über Funk hatte ich unsere Projektverwaltung in der Hauptstadt gebeten, uns ein Auto an den Flugplatz zu schicken um Alex so schnell wie möglich in ärztliche Behandlung zu bringen. Schließlich kannte ich meinen Kollegen nur zu gut, um zu wissen, dass es ihm schwerfallen würde, nicht in den Club, sondern ins Krankenhaus zu gehen.

Oto, unsere Büro-Leiterin, die Alex fast so gut kannte wie ich, war deshalb persönlich zu unserem Empfang erschienen und das war gut so. Denn mit einem gehörigen Schuss Blut von den Tonga Inseln in ihren Adern, hatte sie die Statur dieser überdurchschnittlich stämmigen Südsee Insulaner geerbt und strahlte dem entsprechend einen Respekt aus, dem sich selbst Alex nicht entziehen konnte.

Nachdem er unter lautem Protest abgefahren war und ich das Flugzeug gesichert hatte, war ich selber nun nur allzu gerne bereit, mich den Versuchungen des in einem Hangar untergebrachten Clubs am Ende der Landebahn 14 auszusetzen.

Der Kuss der Schwarzen Papua

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