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Fränzi Müller

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Ich erfuhr vom Tod von Fränzi Müller auf dem Flug aus Papua-Neuguinea in die Schweiz durch eine kurze Meldung unter der Rubrik „Vermischtes“ in der Neuen Zürcher Zeitung. Unter dem Titel: „Mysteriöser Mord an Geschäftsfrau“ las ich da, dass die Inhaberin eines Fachgeschäfts für völkerkundliche Kunstgegenstände in ihrem Laden in Zofingen erstochen aufgefunden worden war. Das Besondere an dem Verbrechen war, dass es keinerlei Hinweise auf den Täter oder die Tatwaffe gab, obwohl während des ganzen für den Mord in Frage kommenden Zeitraums Polizei und Feuerwehr direkt vor dem Ort des Verbrechens im Einsatz gestanden waren. Auch über das Motiv der Tat bestand Unklarheit, denn ersten Abklärungen zufolge waren weder Geld, noch Sachgüter entwendet worden.

Da es in Zofingen nur eine Boutique für Ethnologica gab, stand für mich umgehend fest, dass es sich bei dem Opfer um Fränzi Müller handeln musste.

Ich hatte Fränzi während meiner eigenen Studienzeit kennen gelernt. Sie war einige Jahre älter als ich und hatte die Universität eigentlich schon verlassen, als ich damit begann, mir mein akademisches Rüstzeug als Völkerkundler zu holen. Dennoch gab es Berührungspunkte, vor allem über das Völkerkundemuseum, das in dem Zeitraum, in dem ich dort meine Praktika abverdiente, zu den wichtigsten Kunden von Fränzi gehörte. Dort lernte ich sie als fröhliche, unkomplizierte Kollegin schätzen, die weder mit einem Komplex herumlief, weil sie die Universität ohne akademischen Abschluss verlassen hatte, noch mit einem Dünkel, weil sie sich zu den raren Spezialisten zählen durfte, denen international geachtete Sammlungen Kaufaufträge anvertrauten.

Wenn ich ihr in der Stadt gelegentlich über den Weg lief, befand sie sich häufig in der Begleitung von – ständig wechselnden – Männern, die eines gemeinsam hatten: sie alle waren älter als Fränzi, besaßen oft schon angegraute Schläfen, trugen maßgeschneiderte, für ihr Alter etwas zu salopp geschnittene Anzüge und boten mit Vorliebe Goldkettchen oder Raubtierzähne auf ihren Solarium gebräunten Brüsten zur Schau. Wahrscheinlich fuhren sie auch silbergraue Porsches oder rote Ferraris.

Fränzis Tod berührte mich wohl, er weckte in mir aber noch mehr Neugier. Deshalb rief ich nach den Weihnachtsfeier-tagen Esther an, eine Mitarbeiterin des Völkerkunde-museums, von der ich wusste, dass sie mit Fränzi befreundet war. Die erinnerte sich, dass ich in der Region Zofingen wohnte und schlug mir vor, sie gleich am nächsten Tag am Tatort zu treffen, da sie dort im Auftrag des Museums zusammen mit der Polizei das Inventar aufnahm.

Die Leitung der Untersuchung lag in den Händen von Kommissar Moor, einem drahtig aussehenden Mittdreißiger, der genauso gut hätte Sportlehrer sein können. Er begrüßte uns kollegial und bat uns, in Fränzis Laden einzutreten.

Mir lief es kalt über den Rücken, als ich über die Schwelle des Raumes schritt, in dem Fränzi ums Leben gekommen war.


Moor rekapitulierte kurz die Fakten, die bis jetzt feststanden:

„Franziska Müller, von allen ‚Fränzi’ genannt, ist in diesem Raum am Samstag, den 19. Dezember, kurz vor zehn Uhr morgens ermordet worden. Wir kennen die Tatzeit so genau, weil wir sowohl einen Zeugen haben für den Zeitpunkt, zu dem sie den Laden aufgesperrt hat, als auch einen für den Zeitpunkt an dem sie darin tot aufgefunden wurde. Da der Gerichtsarzt bereits 5 Minuten später zur Stelle war konnte er uns mit Sicherheit bestätigen, dass der Tod maximal 20 Minuten vor seinem Eintreffen eingetreten war, das heißt frühestens um 09.50 Uhr und spätestens um 10.00 Uhr. Von einer derart genauen Bestimmung des Todeszeitpunkts kann man als Polizist eigentlich nur träumen. Aber ausgerechnet im vorliegenden Fall kompliziert diese Präzision die Aufklärung eher: Ein vor dem Nachbarhaus postierter Kollege hat nämlich geschworen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in diesen zehn Minuten niemand das Haus von der Straße her betreten hat.Das wäre nun immer noch gut und recht, wenn es zu diesem Laden eine Hintertüre oder Nebeneingänge gäbe. Aber leider gibt es nichts von alledem. Der Laden besitzt nur eine einzige Türe neben einem kleinen Schaufenster an der Stirnseite, sowie zwei doppelt verglaste Fenster an der Längsseite. An Nebenräumen im Innern gibt es eine kleine Toilette mitWaschbecken und einen ebenso winzigen Abstellraum, der mit Schachteln verstellt ist. Unmöglich, dass sich hier jemand über einen längeren Zeitraum hätte verbergen können. Außerdem sind alle Fenster und die Türe unversehrt. Ein Einbruch scheidet damit aus technischen Gründen aus.“

„Wie ist Frau Müller eigentlich ums Leben gekommen?“ wagte ich den Kommissar zu unterbrechen.

„Auch das wüssten wir selber nur allzu gerne“, seufzte Moor.

„Ursächlich ist das Opfer an einer Stichwunde ins Herz gestorben. Es handelt sich um einen einzigen Stich, der von vorne fast horizontal mit einem großen, spitzen und scharfen, wahrscheinlich dolchartigen Gegenstand beigebracht wurde. Er war sofort tödlich und muss von einer eher kräftigen Person ausgeführt worden sein. Nichts deutet darauf hin, dass ein Kampf oder – von Seiten des Opfers - auch nur der Versuch einer Abwehr stattgefunden hätte. Unnütz zu betonen, dass wir auch von der Tatwaffe keine Spur gefunden haben. Kurz: Wir tappen zwei Wochen nach der Tat noch immer absolut im Dunkeln.“

„Aber zumindest, was das Motiv angeht, scheinen sie gewisse Vorstellungen zu haben“, meldete sich Esther zu Wort.

Moor winkte ab:

„Die Beziehungs-Fährte hat uns bis jetzt nirgendwo hingeführt. Sicher, Frau Müller hatte eine gewisse Anzahl von Männern gekannt. Aber sie war eher der Typ von emanzipierter Frau, die einen Mann anlacht, wenn er ihr gefällt. Das hat dann wenig mit Liebe zu tun und schafft kaum Voraussetzungen für ein Verbrechen aus Leidenschaft.“

„Bleibt also nur der geheimnisvolle Inhalt des Ladens hier“, überlegte ich laut.

„Ganz genau“, stimmte mir Moor eifrig zu, legte allerdings umgehend seine Stirn in Falten und gab zu bedenken: „Auf dieser Ebene stoßen wir natürlich schnell an die Grenzen dessen, wo uns konventionelle kriminalistische Methoden weiter helfen. Stellen sie sich vor, was passiert, wenn wir einem unserer Gerichte mit Beweismitteln wie Schnitzereien aus Papua-Neuguinea kommen und dazu über Götter, Geister und Magie referieren. Dann werden uns nicht nur die Juristen rauswerfen, dann werden uns auch die Medien in der Luft zerreißen.“

Ich begriff Moors Dilemma: Im schonungslosen Licht der Öffentlichkeit befand er sich genau in der Mitte zwischen zwei Lagern: den rationalen Naturwissenschaftlern der wissenschaftlichen Abteilung der Kriminalpolizei und den idealistischen Völkerkundlern, für die ein Regenzauberer etwas so Selbstverständliches ist wie für den Normalverbraucher der Meteorologe mit seinen Prognosen am Ende der Tagesschau.

Aber auch ich selber stand ratlos in der Mitte des Ladens, etwa dort, wo Fränzis Leiche gelegen haben musste. Rund um mich stapelten sich, sauber nach ihrer Herkunft geordnet, Schattenspielfiguren aus Indonesien, seltene Doppelikat Stoffe aus Bali, Hakenfiguren vom Sepik, Fruchtbarkeitssymbole aus allen Kulturen Afrikas und Ozeaniens, dazu ebenso Furcht erregende wie betörende Masken von allen Kontinenten, ja selbst aus dem abgelegenen Haslital in der Schweiz. Wie sollte man in dieser Vielfalt einen Gegenstand finden, der – so es ihn überhaupt gab – etwas mit Fränzis Tod zu tun haben konnte?

Da kam Esther plötzlich ein Gedanke:

„Ich war mit Fränzi lange und eng befreundet. Deshalb kannte ich auch eine ganze Reihe von durchaus intimen Details aus ihrem Privat- und Berufsleben, die sie nie streng auseinanderhielt.

So weiß ich zum Beispiel, dass sie Anfang Dezember von einer ausgedehnten Tour durch den Pazifik und die indonesische Inselwelt zurückgekehrt ist. Schon am Tag nach ihrer Ankunft rief sie mich an um mir mitzuteilen, dass sie ein paar außergewöhnlich seltene Stoffe mitgebracht hatte, die das Museum sicher interessieren würden. Die Stücke seien so rar, dass sie sie von einem chinesischen Händler vorerst einmal nur in Kommission genommen hatte bis feststand, ob sie die Ware auch zu einem angemessenen Preis verkaufen könne.

Da ich selber die letzten zwei Wochen vor Weihnachten abwesend war, hatten wir uns vor ihrem Tod nicht mehr treffen können und am Telefon war sie nicht um alles in der Welt dazu zu bewegen gewesen, mir irgendwelche Details zu geben.

Fränzi hatte sich in den ganzen Jahren, die wir uns kannten, nie geziert, wenn es ums Geschäft ging. Folglich musste an dem Handel, den sie mir jetzt vorschlug, etwas Besonderes sein. Dem entsprechend habe ich, als wir das Inventar aufnahmen, alles, was mir in die Finger kam, mit Sperberaugen kontrolliert. Doch da war nichts Außergewöhnliches dabei. Auch Natascha, die Leiterin unserer Textilabteilung, eine Koryphäe von Weltruf, kam nach pingeliger Analyse des Materials zu dem Schluss, dass keiner der Stoffe, die wir bis jetzt untersucht haben einen Einbruch, geschweige denn einen Mord wert gewesen wäre.“

Das deckte sich auch mit meinem ersten Eindruck: alles, was Fränzi feilbot, war qualitativ hochwertig und rechtfertigte damit durchaus ihre nicht gerade bescheidenen Preise. Insgesamt aber orientierte sich ihre Kollektion eher an einem breiten Publikumsgeschmack und nicht an den ausgefallenen Wünschen elitärer Sammler. Waren die außergewöhnlichen Stoffe, von denen sie Esther am Telefon erzählt hatte, etwa schon verkauft worden, oder lagerten sie gar an einem anderen Ort? Ich versprach Esther und Kommissar Moor auf jeden Fall, mich in den nächsten Stunden einmal mit meiner praktischen Erfahrung mit orientalischen Textilien kritisch im Laden umzusehen.

Doch als das Mittagessen näher rückte, packte ich bereits enttäuscht einen letzten Ballen mit 'Bilum' genannten Netztaschen aus Papua-Neuguinea wieder zusammen und atmete tief durch. Eigentlich hatte ich in den letzten Stunden so viele Stoffe, Kleider, Gürtel und Hüte in den Fingern gehabt, dass ich darauf hätte stoßen müssen, wenn es hier tatsächlich etwas ganz Spezielles zu finden gegeben hätte. Musste ich unter diesen Umständen die Rolle mit geflochtenen Matten ohne Herkunftsbezeichnung, die zu meinen Füssen lag und über die ich schon ein paar Mal gestolpert war, trotz knurrendem Magen wirklich auch noch begutachten?

Mehr um einer Pflicht Genüge zu tun als aus Überzeugung knüpfte ich das Band auf, das die teils über zwei Meter langen Matten zusammenhielt.

Einige von ihnen waren durchgehend gemustert, andere nur am Rand verziert. Den Großteil hielt ich für so banal, dass ich mich fragte, weshalb Fränzi sie überhaupt gekauft hatte. Schlimmer noch: einige Stücke fielen durch Unregelmäßigkeiten auf, die eigentlich keiner geübten Flechterin unterlaufen durften. All dies führte mich nach wenigen Minuten schon zum Schluss, dass es sich bei dem Paket wohl um Ausschussware handelte, die aus diesem Grund auch achtlos auf dem Fußboden lag.

Ich teilte meine wenig aufschlussreichen Erkenntnisse Esther mit, die aus ihrer Enttäuschung kein Hehl machte. Während des Mittagessens einigten wir uns darauf, meine Mission vorzeitig abzubrechen. Dankenswerterweise übernahm es meine Kollegin, Kommissar Moor den Schlüssel und das magere Ergebnis unserer Arbeit zu überbringen.


Der Kuss der Schwarzen Papua

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