Читать книгу Der Kuss der Schwarzen Papua - Reinhard-Johannes Moser - Страница 7
Im South Pacific Aero Club
ОглавлениеNeuguinea ist nach Grönland die zweitgrößte Insel der Welt, doch es ist – obwohl in den tropischen Breiten des Südpazifiks gelegen – eher noch unzugänglicher als sein nördliches Pendant. Die relativ schmale, sich über 800 km in ost-westlicher Richtung erstreckende Insel wird in der Mitte von einem bis zu 5000 Meter hohen Gebirgskamm durchzogen, der sie auch politisch in zwei Hälften teilt: Neuguinea mit vielen vorgelagerten Inseln im Norden und Papua mit der Hautstadt Port Moresby in dem Australien zugewandten Süden. Darüber, dass in den Hochtälern der von den Küsten aus fast unzugänglichen Berge auch Menschen lebten, gab man sich eigentlich erst während und nach dem Zweiten Weltkrieg Rechenschaft. Heute weiß man, dass im gemäßigten Klima, des lange Zeit Malaria freien Hochlandes schon seit der Steinzeit mehr Menschen lebten als in den schwül-heißen, von Tropenkrankheiten verseuchten, sumpfigen Küstenebenen.
Das Interesse an dieser gottvergessenen Bergwelt und am Staat als solchem schnellte ins Grenzenlose, als man dort Gold und bald darauf auch Erdöl entdeckte. Während den Jahren der Kolonialzeit war nur eine kleine weiße Minderheit und eine Handvoll Einheimischer zu Reichtum gelangt. Vor diesem Hintergrund sahen die Auguren für den nach Unabhängigkeit strebenden Staat anfänglich nur Wolken am wirtschaftlichen Horizont. Ganz präzise rechneten Wirtschaftsanalysten jedem, der es wissen wollte, vor, dass die Inselrepublik zwar durchaus ein bisschen Kopra, Gummi und Tropenholz exportieren könne, im Wesentlichen aber von den milden Gaben der Entwicklungshilfe abhängig bleiben werde. Die Entdeckung der begehrten Rohstoffe schien diese pessimistischen Prognosen nun im Handumdrehen in ihr Gegenteil zu verwandeln - bis sich eine unzähmbare Umwelt dem Ausbau einer industriewürdigen Infrastruktur in den Weg stellte. Die einzige Straße von Bedeutung, die Papua-Neuguinea bis heute besitzt, ist der 600 km lange Highland Highway, den Australien dem Land zu seiner Unabhängigkeit im Jahre 1975 schenkte und der die an Bodenschätzen reichen Teile des Hochlandes von der Hafenstadt Lae aus erschließt. Nur 25 Jahre nach seiner Fertigstellung war aber auch dieses Meisterwerk der Baukunst bereits im Begriff, von der Natur und von jenen Einheimischen, die psychisch den Sprung in die Neuzeit nicht geschafft hatten, zurückerobert zu werden: Bergrutsche, Wildbäche und das nicht zu zügelnde Wachstum tropischer Pflanzen haben der Straße dabei ebenso zugesetzt wie das kriegerische, entfernt an mittelalterliches Raubrittertum erinnernde Gebaren der Menschen, die entlang der Passstraße leben und begonnen haben, für das Queren ihrer Siedlungsgebiete Wegzölle zu erheben.
Um solchen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen und um die Verbindung auch zu jenen Regionen herzustellen, die mit keiner Erschließungsstraße beglückt wurden, hatte Australien schon früh auf das Flugzeug als Verkehrsmittel gesetzt und bis zu 400 Naturpisten so weit hergerichtet, dass sich mutige Piloten darauf zu landen trauten. Die Zivilluftfahrt besitzt damit durchaus Tradition in Papua-Neuguinea und sie schuf sich dem entsprechend ihren eigenen gesellschaftliche Rahmen: 1952 gegründet, kann der South Pacific Aero Club (SPAC) auf eine bewegte und insgesamt stolze Geschichte zurückblicken.
Vom Glanz der Gründerjahre, als sich die bessere Gesellschaft Port Moresbys am Abend im Club vor den Toren der Stadt zum Dinner mit anschließendem Tanz einfand, wo tagsüber kühne Männer die Kunst lernten, an Berghängen, die keinen Fehler verzeihen, zu starten und zu landen, ist dem SPAC nur wenig geblieben. Vor allem seit das historische Club-Gebäude mit seiner offenen Terrasse dem Neubau des internationalen Flughafenterminals weichen musste und als Ersatz nur einen fehl konstruierten Hangar am entgegen-gesetzten Ende der Piste zugewiesen erhielt. Dorthin hatten sich früher normale Bürger nicht einmal am hell lichten Tag zu fahren getraut, da Rascals die Zufahrtsstraße ganz selbstverständlich dazu benutzten, mit vorgehaltener Waffe ihren Lebensunterhalt zu erpressen. Das Ende des Aero Clubs in seiner traditionellen Form war damit so gut wie besiegelt – hätten sich nicht ein paar Piloten und Flugzeugmechaniker zusammengefunden um für den Erhalt ‚ihres’ Clubs zu kämpfen.
Dies setzte ein abenteuerliches Bauprogramm in Bewegung, das damit begann, alle normalen Fenster gegen solche aus kugelsicherem Glas auszutauschen und damit endete, den simplen Wellblech-Hangar mit Stahlplatten wie einen Banktresor zu panzern. Parallel dazu galt es, mit Billigung und Hilfe der Polizei bewaffnete Wächter anzuheuern, die es puncto Verwegenheit und Treffsicherheit mit jedem Rascal aufnehmen konnten. Für Piloten und Mechaniker war der Platz damit nicht nur sicher genug geworden, um dort in der Mittagspause ein preiswertes Menü zu verzehren, sondern auch um nach Feierabend den staunenden Kollegen bei einem, besser noch bei zwei oder mehreren Gläsern Bier von ihren eben erst knapp überlebten Notlandung oder anderen, haarsträubenden Abenteuern zu berichten.
In einem Punkt bewies der South Pacific Aero Club, dass bestimmte Verhaltensmuster in einem Drittweltland nicht anders sein müssen als in Europa oder Australien: Kühne Flieger ziehen schöne Mädchen an, und schöne Mädchen ihrerseits die Reichen und Mächtigen. So habe ich im Aero Club schon an der Theke gesessen, wenn dort mehr Minister und Spitzenpolitiker versammelt waren als zum gleichen Zeitpunkt im Plenarsaal des Parlaments.
Genau dorthin zog es mich jetzt und ich fühlte mich umgehend wohl, als mich die ersten Australier in ihren kurzen Uniformhosen am Stehtisch neben dem Eingang mit einem vertrauten „hi, mate“ oder „hi, Doc“ begrüßten.
„Einen ‚Jag’“, orderte ich an der Theke, an der es um diese Zeit, am frühen Nachmittag, noch weidlich Platz gab. Die Bestellung war im Prinzip überflüssig, denn ich bestellte immer einen ‚Jag’, die australische Variante einer bayrischen’ Maß'. Im Nu stand der – im Gegensatz zu Bayern – randvoll und ohne „Kragen“ eingeschenkte Krug vor mir, da der Kellner schon mit dem Zapfen begonnen hatte, als er mich in der Türöffnung auftauchen sah. Genüsslich schenkte ich mir aus dem Krug ein Glas ein, und gönnte mir einen ersten, herzhaften Schluck. Dann erst schaute ich mich in der Runde nach bekannten Gesichtern um, zu denen ich mich hätte gesellen können. Doch für die meisten Piloten und Mechaniker war es wohl noch zu früh, um Feierabend zu machen, und zum Anhören von innenpolitischem Gequassel politischer Hinterbänkler, die sich um einen anderen Stehtisch geschart hatten, fehlte mir jede Lust.
Nach seinem Umzug an den Holding Point 32, seinen jetzigen Standort also, der seinen Namen von dem Punkt auf dem Rollweg erhalten hat, wo die Flugzeuge stoppen müssen, bis sie vom Tower die Freigabe erhalten, auf die Piste 32 zu rollen um in Richtung Nordnordwest zu starten, hatte der SPAC ein Zweiklassensystem eingeführt: Es gab eine mit Rosenholz getäfelte Bar ‚For members only’ und nebenan einen etwas größeren Raum mit ungeschminkten Hangar Wänden aus nacktem Blech und Beton, den man mit Spielautomaten und einem Billardtisch aufgewertet hatte und der vor allem Nicht-Mitgliedern offenstand. Dort hielten sich üblicherweise auch jene Mädchen auf, die hofften, für den Rest des Abends einen festen Begleiter zu finden, der sie dann – Höhepunkt der Gefühle – auf die Seite der Mitglieder einlud. Beide Clubhälften stießen an der Bar zusammen, so dass es ein leichtes war, über den Tresen hinweg die jeweils andere Seite zu überblicken.
Da ich unter den Mitgliedern beim besten Willen keinen mir zusagenden Zechkumpan fand, dem ich meine Horrorgeschichte von Beimuru hätte auftischen können, spähte ich über den Tresen hinweg ins benachbarte Abteil. Auch dort drängte sich um diese Zeit das Publikum noch nicht, nur die Spielautomaten waren besetzt und um den Billardtisch hatten sich ein paar Mädchen geschart. Ich kannte einige von ihnen, die durchaus hübsch und sympathisch, insgesamt aber zu wenig verführerisch waren, als dass ich sie so früh schon hätte auf meine Seite einladen wollen.
Als ich einige Zeit später meinen Blick ein weiteres Mal in die Runde schweifen ließ, entdeckte ich doch noch einen Bekannten: Richard, den Ersten Sekretär einer europäischen Botschaft, den Kultur beflissene Spötter den “Quasimodo“ von Port Moresby nannten. Ebenso wenig von der Natur mit Schönheit verwöhnt wie der Glöckner von Notre Dame, war er von buckliger Gestalt und besaß einen Klumpfuß, der ihn so stark beim Gehen behinderte, dass er den Eindruck erweckte, er bewegte sich wie viele Schlangen seitwärts vom Fleck.
Richard kam nur selten, wenn ich es genau überlege, eigentlich gar nie, als Privatmann in den Club – er erschien dort stets in halboffizieller Mission. Anders ausgedrückt: er fuhr wohl nur auf Geheiß seines Chefs an den Flugplatz, einerseits, wenn dessen Frau verreist war, dann aber auch, wenn es darum ging, wichtigen Besuchern aus der Zentrale eine VIP Behandlung angedeihen zu lassen. Dann spürte Richard für den europäischen Geschmack nicht allzu fremdartige, kontaktfreudige Mädchen auf, investierte auf dem Heimweg je nach Bedarf noch einige Kina in Parfum, Make-up oder fehlende Schuhe und lieferte genau zum richtigen Zeitpunkt durchaus verführerisch hergerichtete, dunkelhäutige junge Damen in seiner Dienststelle oder im Hotelzimmer der Gäste ab.
Da ich in Richards Botschaft nur verkehrte, wenn ich eine Einladung aus beruflichen Gründen nicht ablehnen durfte, war mir die Moral des Chef de Mission und seines Edel-Zuhälters letztlich egal – wäre da nicht ein Girl gewesen, das ganz oben auf Richards Liste stand, das gleichzeitig aber auch mir ans Herzen gewachsen war.
Sie mochte gerade 18 Jahre alt sein, besaß noch etwas Babyspeck um die Hüften und schaute aus großen, dunklen Augen noch immer so unschuldig in die Welt, wie vor einem Jahr, als ich sie in die Hauptstadt gebracht hatte. In Orokolo, ihrem Heimatdorf, rief man sie Kila, doch in Port Moresby nannte sie sich bald einmal ‚Jenny’. Richard hatte ihr den Wechsel empfohlen, weil sie einen Namen brauchte, den sich Ausländer auch nach dem fünften Whisky und bei gesteigerter sexueller Erregung noch merken konnten.
Kila gehörte zu den Mädchen am Billardtisch, kehrte mir aber den Rücken zu. Aus Erfahrung wusste ich, was sich in den nächsten Minuten dort abspielen würde: sobald das Spiel beendet war, würde Richard am Tisch vorbeischlendern und seinen Auserwählten ins Ohr flüstern:
„Wenn du heute Abend ‚Fun’ (Spaß) haben willst, kannst du mit mir kommen! Geh nach draußen und warte bei meinem Auto bis ich deine Drinks bezahlt habe!“
Da Richard den Ruf besaß, das Spesenreglement seiner Botschaft großzügig auszulegen und die meisten der Girls ihre Getränke beim Barkeeper anschreiben lassen mussten, konnten sie gar nicht anders als die ‚Einladung’ des Diplomaten-Gnoms anzunehmen.
Der Schock des Überfalls von Beimuru, die Enttäuschung über die Arbeitsmoral unserer Mitarbeiter in Kopo, die Ermüdung durch den Rückflug nach Port Moresby und der Frust, im Aero Club statt eines aufgestellten Zechkumpans „Quasimodo“, vorzufinden, versetzten mich in eine denkbar düstere Laune. Wenn mir schon der Tag verdorben war, dann sollte es Richard nicht besser gehen! Schnell kramte ich deshalb aus den Tiefen meiner Jeans zwei Ein-Kina Münzen hervor und schob sie dem Mann hinter dem Tresen zu. Kina Münzen heben sich von den meisten andern Geldstücken in der Welt durch ein Loch in der Mitte ab, das ihr Auffädeln erleichtert, falls jemand das Geld als sichtbares Zeichen seines Wohlstandes in Kettenform um den Hals tragen oder einen Brautpreis stilvoll in Girlanden Form abliefern möchte.
„Schnell“, drängte ich,“ bring Jenny eine Coke und sag ihr, sie soll zu mir kommen!“
Der junge Mann kannte mich gut genug um sofort zu verstehen, was ich beabsichtigte. Kaum nämlich, dass er den Drink ins Glas gefüllt hatte, sah er, wie Richard seine Zigaretten und Streichhölzer zusammenpackte und sich damit eindeutig anschickte, aufzubrechen. Deshalb kürzte er einfach das Verfahren ab, ließ den Softdrink weg und rief Jenny zu sich, statt ihr das Glas zu bringen.
Verwundert blickte sich das Mädchen um, sah zuerst den Barkeeper fragend an und entdeckte dann mich, ziemlich im gleichen Augenblick, als auch Richards Blick auf mich fiel. Im Gegensatz zu ihm aber jubelte Jenny laut, ließ ihre Kameradinnen stehen und eilte direkt auf die Rosenholz-Seite in meine Arme, ohne vorher die nötige Erlaubnis zum Überqueren des gesellschaftlichen Äquators eingeholt zu haben.
Während Jenny auf dem Barhocker neben mir kletterte, schlichen hinter uns drei oder vier der Mädchen vom Billardtisch in Richtung jenes Parkplatzes, der ebenfalls nur ‚for Members’ vorgesehen war. Dort parkte üblicherweise die schwarze Limousine mit den getönten Scheiben und dem grünen CD des ‚Corps Diplomatique’ auf ihren Nummernschildern, die Richard für seine delikateren Missionen benutzte. Er selber folgte kurze Zeit später, nachdem er die Zeche seiner Auserwählten beglichen hatte. Als er hinter mir vorbeiging hielt er kurz inne und tippte mir auf die Schulter:
„Sorry, Doc, ich pflege sonst nicht, Leute beim Turteln zu stören. Aber weil ich glaube, dass es für sie wichtig ist, möchte ich es nicht versäumen, sie daran zu erinnern, dass die Vergabe unseres Umweltprojektes, für das auch sie sich beworben haben, genau heute in zwei Wochen stattfindet.“
Dann verbeugte er sich artig, tippte mit zwei Fingern an einen imaginären Hut und entfernte sich, ohne eine Reaktion von mir abzuwarten.
Damit war mein Tag endgültig verdorben, denn mein kleiner Triumph, ihm Jenny/Kila weggeschnappt zu haben, drohte, sich in einen vernichtenden Pyrrhus-Sieg zu verwandeln. Sollte nämlich unser Entwicklungsprojekt bei der von Richard angesprochenen Vergabe leer ausgehen, dann war unser wirtschaftliches Überleben ernsthaft in Frage gestellt.