Читать книгу Operation Ljutsch - Reinhard Otto Kranz - Страница 12

8 Fischzug der Erinnerungen

Оглавление

Sie drückten sich leicht vom Steg ab, schwebten in freies Wasser und der Kahn glitt mit ein paar Ruderschlägen Ulms hinaus.

Kein Windhauch war zwischen dem Hochwald-Saum der Ufer in dieser sternklaren Nacht spürbar. Der See erschien im sanften Licht des gerade aufgehenden Mondes spiegelglatt.

Fast lautlos kamen sie nach wenigen Minuten zu einer Boje nahe am Schilf, die ein im Wasser schwimmender kaum sichtbarer, rindenlos-heller Holzkloben war.

»Der ist über ein Perlonseil auf dem Grund verankert, so fällt er nicht auf«, flüsterte Ulm.

»Wem fällt er nicht auf?«

»Na allen: Den Nachbarn, dem Förster und den anderen Anglern.«

»Ach, deshalb im Dunkeln?«

»Nö. Vor allem wegen der Chancen nachts an meinem Platz etwaszu fangen – und wegen der Stimmung. Wirst du gleich sehen, so was erlebst du nicht in der Stadt. Lass uns bisschen was tun.«

Sprach’s, und holte aus einem Plast-Eimer im Boot eine lange feste Sehne, die er an der Holzboje verknüpperte. An dieser Schnur waren im Abstand von einigen Metern armlange Schnüre mit Haken befestigt. Ulm griff in eine Büchse des Anglerkoffers und zog spitzfingrig Mehlwürmer heraus, die er einzeln an die Haken steckte.

»So geht das und das mach ich jetzt, während du langsam rudernd voraus gehst, immer in dem Abstand am Schilf entlang.«

Oie tat wie ihm geheißen und bemühte sich um möglichst geräuschloses Rudern. Schon nach etwa zweihundert Metern war das Ende der Leitschnur erreicht.

»Stopp jetzt«, brummte Ulm, »und die Schnur versank in der Tiefe. Nur eine Sorgleine mit Plast-Schwimmer am Ende markierte die Position.

»Wie tief ist es hier?«

»Zwischen zwei und drei Meter«, antwortete Ulm. Er wies auf die Ruder und dann voraus, worauf Oie mit kräftigen Schlägen in die Mitte des Sees zog, wo ihn ein aufkommendes Lüftchen mit den unvergleichlichen Gerüchen des feuchten Nacht-Waldes überraschte.

Ulm steckte einen Klappanker zusammen, versenkte ihn und sortierte sich.

»Hier – nimm die Decke, bevor du auskühlst. Das Wasser hat zwar Sommer-Temperatur, aber gegen Morgen wird’s frisch.«

Der Mond war in der Zeit ihrer Leinenarbeit in voller Schönheit aus dem Wald über den See gezogen und tauchte die Szene nun in ein graublau-silbernes Zauberlicht.



Darunter machten sie es sich bequem, und Ulm griff Obstgeist aus dem Koffer, den er mit einem Brummeln, mehr auffordernd als fragend, Oie hinhielt: »Schluck!«

Der nahm einen kräftigen Zug und gab ihn zurück, worauf Ulm schnaufend einen herunter gurgelte, der seinem Kampfgewicht entsprach.

Es war eine zauberhafte Nacht. Der Pudel stand im Bug mit den Vorderpfoten auf der Bordwand, witterte und lauschte den feinen Geräuschen des nächtlichen Waldes, die sie erst jetzt wahrnahmen.

Ein Kuckuck tönte in der Ferne, ein Waschbär planschte grunzend und Oie empfand eine kaum zu beschreibende Idylle.

Nach einiger Zeit durchbrach Ulm flüsternd die Stille: »Wie ist es dir damals in Berlin ergangen, nachdem du weg bist?

»Nicht schlecht – oder besser gesagt, wie hier auf dem Lande – wo ich ja noch weiter Projekte bearbeitete und auch mein angestammtes Atelier behielt. Die Aufgaben wurden allerdings vielfältiger.

Die Kehrseite der Medaille war dann Terminstress, denn die ganze Vorstandsarbeit beim Künstlerverband war ja ehrenamtlich und nur zu bewältigen, weil ein effizienter Apparat dahinterstand.

Ich konnte mir bald, wegen der großen Nachfrage, die Arbeit an den Gestaltungsprojekten aussuchen und zu Gastvorträgen, Workshops und Seminaren so einiges in der Welt bereisen. Meine tolle Frau kam dann dazu – du bist ihr doch damals begegnet?«

»Ja«, bestätigte Ulm, »ich erinnere mich an diese schöne Kollegin. Alle waren der Meinung, sie sei letztendlich der Grund für deinen Weggang.«

»Nein, es war die neue Verantwortung in Berlin, denn ihr hattet mich ja - frei und geheim, wie ich immer betone, und ein kleines Novum in der DDR – auf diesem letzten Verbands-Kongress im Herbst achtundachtzig in den Vorstand und ins Präsidium des Künstlerverbandes gewählt – verantwortlich für Architektur und Bildende Kunst, die von vielen Kollegen als ambivalent empfundene Baugebundene Kunst.«

»Ja, wegen des organisatorischen Aufwandes manchmal störend, aber wichtig für die Kultur des öffentlichen Raumes – und gut bezahlt – auch bei uns auf den Dörfern. Damit konnten wir unsere freien Bildhauer-Arbeiten gut finanzieren.«

»Aber andererseits, mit ihren kreativen Explosionen, der Feind der Planwirtschaft«, setzte Oie nach. – »Das war für mich, in Konfrontation der Bildenden Künstler mit der damals allmächtigen, zentralen Plattenbau-Mafia, eigentlich ein Himmelfahrtskommando.

Da hatte ich dann jede Woche Fingerhakeln um Projekte und Mittel mit gutwilligen, interessierten Auftraggebern, aber auch gewohnheitsträgen, mauernden Bonzen der Bauverwaltungen.

Auch mit dem Ausräumen von Hindernissen der Reichsbedenkenträger auf allen Ebenen. Du weist schon: Was ist das denn? Brauchen wir das? – Es stört den Plan-Ablauf! Geht nicht! Was das kostet! – Das wollen unsere Menschen nicht!

Mit der Reisestelle des Verbandes und des Kulturministeriums gab es auch ständig Probleme, um die man sich kümmern musste. Die Reise-Angelegenheiten unseres Bezirkes und deine Sache waren auch dabei.«

»Ja, meine Sache«, wurde Ulm bedächtig. Er nahm wieder einen Schluck aus der Pulle und reichte sie herüber.

»Ich habe damals nicht mehr geglaubt, zu der Giacometti-Ausstellung nach München fahren zu können. Der Antrag wurde zweimal ohne Begründung abgelehnt – und dann überraschend doch gestattet. Warst du das?«

Oie trank und fixierte Ulm lächelnd: »Ja, damals eigentlich ganz einfach für mich. Ich kannte ja euer Reiseproblem, den Frust über dieAblehnungen – und habe mit denen in der Zentrale des Verbandes offen darüber geredet.«

»Mit wem?«

»Mit einem geheimnisvollen Herrn, vom Ministerium des Innern – zumindest sagte er mir das anfangs so, als Neuling im Vorstand. Der tauchte regelmäßig auf und befragte mich zu verqueren Verbands-Angelegenheiten.«

»Was für Angelegenheiten?«

»Na, wenn mal wieder ein Kollege bei einer West-Reise drüben geblieben war, wie dieser Restaurator, mit den Packen Blattgold für die Restaurierung der Orangerie Neustrelitz – oder der blauäugige Fluchtversuch unserer malenden Freundin, mit dem Stehgeiger aus dem Orchester der Stadt, über die bulgarische Grenze, der dort dann im Knast gelandet war. Den Genossen interessierte auch, wie es aktuell um den Künstlerverband stände, nach diesem für den Partei-Apparat provozierenden Verbands-Kongress.

Ich habe immer Klartext geredet und ihn, nachdem ich von deiner zweiten Ablehnung erfuhr, direkt gefragt, was da los ist. Er konnte nichts sagen, aber versprach, sich zu erkundigen.

Einige Zeit später kam er mit der Nachricht, dass so ein Ortswichtig aus eurem Dorf kein gutes Haar an euch gelassen hätte – so wie ihr lebt, arbeitet und eure Kinder erzieht.

Auch dass ihr das alte, nicht mehr gebrauchte Feuerwehrhaus, gegen den Willen der lokalen Obrigkeit, zu einer kleinen Galerie umbauen wolltet, Stimmung dafür in der Gemeinde machtet – das war der tiefere Grund.

Einige in der Provinz-Provinz sahen die führende Rolle der Partei im Dorf angekratzt, mochten euch bunte Vögel nicht – und die örtlichen IM haben euch denunziert.«

»Ja« – brummte Ulm »es war für uns Zugezogene sicher ein kleiner Kulturkampf, bei dem wir nach und nach die Mehrheit der Dörfler auf unsere Seite ziehen konnten. Die, die sich davon was für das Dorfleben und den Tourismus versprachen. Das haben uns allerdings einige machtbesoffene Dorf-Schranzen nicht verziehen.«

»Letztlich habe ich dem Offizier von der Stasi – so war später klar – gesagt, dass diese Anschuldigungen einfach Quatsch seien, nichts mit eurer Qualität als Bildhauer zu tun hätten und ich als Vorstand für euch bürge. Ansonsten könne ich nicht mehr dafür garantieren, dass ihr unter dieser Reisesperre dem Arbeiter- und Bauern-Paradies künstlerisch noch freundlich gesonnen bleiben könnt.«

»Das hast du gesagt?«, zweifelte Ulm ungläubig.

»Na so sinngemäß natürlich – nach zwanzig Jahren. Ich war nie sehr diplomatisch!«

»Aber«, sagte Ulm, »in meiner Stasi-Akte, die ich vor einigen Jahren lesen konnte, stand, ich sei ein Feind der Republik, – irgendein IM-Waldläufer hat das von sich gegeben.«

»Der steht auch in meiner Akte und ich weiß, wer das war«, stöhnte Oie.

»So was, bei mir waren entscheidende Stellen geschwärzt.«

»Bei mir war das auch so – aber es war trotzdem einfach. Da tauchten ganz persönliche Dinge auf, die nur Steinfelds wissen konnten. – Gerd Steinfeld, der sich überall anbiedernde Dozent für Philosophie, der angeblich wegen der Biermann-Affäre geschasst wurde. In Wirklichkeit hatte er seine Stelle verloren, weil er seine lange terminierte und oft verschobene Doktorarbeit nicht auf die Reihe bekam. Das habe ich aber erst Jahre später erfahren.«

»Ja«, brummte Ulm traurig. »Steinfeld und seine Frau Doktor Steinfeld haben Spuren hinterlassen im Kunstbetrieb.«

»Na ja«, wiegelte Oie ab, »ihr konntet den großen Softie alle ganz gut leiden in eurem Jahrgang an der Kunsthochschule und habt nicht bemerkt, dass er alle bespitzelte. Auch Alma mochte ihn und hat ihn angeschleppt. Die Steinfelds verkehrten dann oft privat bei uns – auch bei den abendfüllenden Küchentisch-Disputen. Du erinnerst dich: Nirgendwo sonst wurde so Klartext über die versumpften Verhältnisse geredet, wie dort, im Privaten. Diese kleine Form des Dampfablassens war immer wie ein Sauerstoff-Zelt.

Da Steinfeld nach seinem Rauswurf angeblich keine standesgemäße Anstellung mehr fand, habe ich ihn mitgenommen und als Werkstatt-Gehilfen eingestellt. Als freiberuflicher Künstler konnte ich das unkompliziert. Er hielt sich auch für einen begnadeten Handwerker und ich glaubte das anfangs auch.

Sogar beim Wohnungstausch habe ich ihnen geholfen, was – wie du weißt – damals ein Riesenproblem werden konnte. Bei uns im Haus haben wir sie aufgenommen, nachdem eine passende Wohnung für das Rentner-Ehepaar gefunden worden war, das da vorher wohnte. In diesem verfallenden Mehrfamilienhaus aus der Gründerzeit, für das ich dann große Sanierungs-Kredite aufnahm.

Steinfeld sollte eine Rolle als Geselle in meiner Werkstatt spielen, da ich bei vielen Projekten auf Reisen und auf Baustellen war.

Nur, es passierte nichts, wenn ich abwesend war. Irgendwas fehlte immer: Wie in dem Witz von der Ost-Hölle, in der die Teufel mal keine Nägel haben und mal keine Bretter, um Feuer-Kreuze zu bauen. Und wenn sie doch mal beides haben – ist Versammlung.

Oder es war höhere Gewalt, weshalb nicht viel passierte.

Heute glaube ich, ihm saß die ganze marxistisch-leninistische Ideologie quer im Kopf. Er hätte wohl doch lieber als Partei-Sekretär in meinem Atelier gearbeitet – oder mitregiert, wie sich das damals Parteichinesisch nannte. Wir waren also bald auf Kollisionskurs.«

»Ja der war schon ein komischer Vogel«, belustigte sich Ulm. – »Erkonnte mit intellektueller Attitüde hervorragend und überaus betroffen die Probleme der Gesellschaft in der DDR reflektieren. Aber offensichtlich wollte er nur provozieren und aushorchen.«

»Aber du weißt, Ulm, ihr wart alle erfreut über diesen Zugewinn an Persönlichkeit in der intellektuell beschränkten Provinz – und auch ich habe ihm anfangs vertraut.

Auch seiner Frau, die als Philosophin – zum Erschrecken aller Kollegen – zum Kunst-Erklärer mutierte, als sie mit dem Segen der Partei einen entsprechenden Posten ergattert hatte.«

»Joohh«, grunzte Ulm, »ein promovierter Kampfbesen mit Hintern und Brüsten. Kunst-Kritikerin mit Hausfrauenverstand und Marx-Engels-Lenin-Gesamtausgabe unter dem Arm – in freihändiger Kunstdeutung – das war Spitze! Ich musste sie wegen ihres blöden, ahnungslosen Geschwätzes vor Publikum, bei Beratungen und Ausstellungseröffnungen ein paar Mal bloßstellen, sonst hätten die Anwesenden gedacht, da ist was dran. Danach war richtig Hass auf mich und Linde – das erklärt auch einen Teil unserer Schwierigkeiten.«

»Das war für mich dann doch ein lösbares Problem, weil ich Steinfeld als Gehilfen entlassen habe. Damals allerdings ein ungeheurer Fauxpas im erträumten Sozialismus«, stöhnte Oie, »und der Beginn einer Treibjagd von sechs IM auf mich. Mit allen Registern, wie Zigarettenkippenauf unserem Küchentisch, wenn wir als Nichtraucher in unsere Wohnung zurückkehrten, abgehörten Telefonaten, sichtlich inspiziertem Atelier, nicht zugestellten Fachzeitschriften von West-Kollegen und Beschwerden über meine unkonventionelle Arbeitsweise. – Ich sollte zur Strecke gebracht werden.«

»Das war damals für alle zu bemerken«, schürzte Ulm die Lippen. »Dem entspricht auch, was ich in dieser ersten Broschüre ‚FeindlichNegativ – Zur politisch-operativen Arbeit einer Stasi-Zentrale’ nach der Wende gelesen habe.

Da ging es um die Bekämpfung und Zersetzung von Künstlern. Da sind Linde und ich, Alma und du, sowie zwei Dutzend anderer Künstler, Theaterleute, Schauspieler und Musiker namentlich erwähnt. Bloß, wie bist du damals da rausgekommen?«

»Nur durch vorzeigbare, nicht angreifbare Gestaltungsergebnisse an der Basis, wie du dich sicher erinnerst. Aber natürlich auch wegen der Wahl in den Zentralvorstand des Künstlerverbandes – und wohl auch wegen eines Schutzengels, dessen Nachlass mir jetzt Sorgen macht und weshalb ich auf der Flucht sein muss.

Das ist aber eine andere Geschichte, die ich dir erzählen kann, wenn ich da durch bin und selbst Klarheit habe.«

Ulm brummelte, immer noch erschüttert: »So was – die Steinfelds!«

Er nahm noch einen kräftigen Schluck. Oie nur einen Kleinen, denn es ging schon an sein Limit.

»Deinen Roten Hammer aus dem Tor-Café in der Stadtmauer, hast du den damals wiederbekommen?«, fragte Ulm dann mit nervösem Lachen, wie um den letzten Erkenntnissen ein bisschen die Bitternis zu nehmen.

»Nein, der war weg, konfisziert von zwei Herren, die sich nicht vorstellten, erzählte mir noch zu Ostzeiten unsere Kellnerin unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Aber ich habe ein zweites Original angefertigt, das hängt jetzt in unserem Atelier.«

»Wie bist du eigentlich darauf gekommen, diesen Roten Hammer über den Künstler-Stammtisch zu hängen? Das war ja irgendwie die musischste Insel in Neubrandenburg und über die Zeit ein magischer Ort, der beliebte Anlaufpunkt für alle Kollegen vom Lande. – Und auf einmal hängt da so ein Kontrapunkt, wie eine Provokation – dein Igel-Hammer.«

»Aus Ratlosigkeit Ulm – Jux und Freude würde ich heute sagen. An Provokation habe ich dabei erst gar nicht gedacht. – Es war ja damals schon eine schöne Tradition geworden, bei der Kollegen, ringsherum an den Wänden, Grafik und kleinere Bilder aufhängten. Ich besaß nichts Derartiges, nur große Entwurfs-Zeichnungen, die da nicht hinpassten. Aber immer mittags, wenn ich da war und die Bilder sah, schaute mich dieser große schmiedeeiserne Leuchter über dem achteckigen Eichentisch an.

Etwas Ergänzendes, Raumwirksames musste her – und außerdem hatte Gorbatschow in der Sowjetunion gerade die Perestroika verkündet. Dazu braucht man einen Hammer dachte ich und habe, von irgendeiner Vorahnung geritten einen großen Bau-Schlegel aus meiner Werkstatt genommen, den Kopf feuerrot lackiert und den hellen Stiel rundum mit Messing-Reißnägeln beklebt – wie einen Igel halt.«

Ulm grunzte lachend so laut, dass der Pudel hechelte und nach Beute Ausschau hielt.

»Als ich das Ding dann mittags kopfüber mit einer verchromten Klo-Perlenschnur am Leuchter aufhängte, war gleich großes Hallo unter unseren Kollegen und allgemeines Gelächter über die Idee.

Da noch viele andere Gäste im Tor-Café waren, ging das natürlich schnellrum in der Provinz-Hauptstadt. Auf dem dazugehörigen kleinen Pappschild an der Wand stand auch noch mein Name und ‚Ohne Worte– 1986’. Ich konnte den Hammer ja schlecht signieren.«

»Das haben wir bis zu uns aufs Dorf gehört und die Sektion Bildhauere iwurde von der Partei aufgefordert, dagegen Stellung zu beziehen, da man das Objekt unbedingt abhängen wollte, sich aber nicht traute. Natürlich konnte man auch nichts Sachliches vorbringen gegen das plastische Objekt an diesem Künstler-Stammtisch - und Ohne Worte! Also taten wir natürlich nichts«, brummte Ulm.

»Ja, Partei und Regierung des Bezirkes haben sich damit beschäftigt, wurde mir zugetragen. Ich wurde mehrfach hinter vorgehaltener Hand gebeten, den Hammer als Beitrag zurückzuziehen. Aber niemand konnte mir einen plausiblen Grund sagen, außer Verdächtigungen und Unterstellungen, – die ich natürlich, mit Hinweis auf ‚Ohne Worte’ zurückwies.

Doch die Mächtigen fühlten sich irgendwie provoziert. Ein Hammer war ja Teil des Staats-Emblems – Rot die Farbe der Arbeiterklasseund ihrer Partei – aber ein Reißzwecken-Stiel? Und kopfüber mit einer Klo-Perlenschnur an einem Kaffeehaus-Tisch?

Sie fühlten sich verunglimpft oder angegriffen – wussten aber nicht warum.«

»Oie, die fühlten sich doch immer angegriffen. Schon, wenn einer eine unbequeme Frage stellte oder etwas Frisches, Überraschendes vortrug, das sie nicht verstanden. Das war doch die mentale Folge der ideologischen Verblendung dieser Leute.«

»Du hast recht, Ulm. – Das Hauptproblem war aber, glaube ich, mehr die Öffentlichkeit. Der Künstler-Stammtisch, in der mittelalterlichen Wehr-Anlage mit der romantischen Ecke am Ofen, war einer der beliebtesten Plätze in der Stadt. Er wurde als musischer Ort gerne von irgendwelchen Leuten zu Kaffee-Kränzchen, Brigadefeiern oder Geburtstagen reserviert.

Die verstiegen sich dann über kurz oder lang zu lustigen Deutungen über den roten Igel-Hammer, erzählte mir die Kellnerin.

Da zeigt denen mal einer, wo der Hammer hängt, war wohl eine der häufigsten Deutungen des Bilderrätsels. Und - Da, wo der Hammer hängt, wurde zu einer kryptischen Orts-Bezeichnung unter den Leuten in der Stadt.

Die öfter auch anwesenden Spitzel an Nachbartischen kamen dann wohl mit dem Notieren defätistischer Äußerungen nicht hinterher.

Lustigerweise hat dann auch die Stasi reserviert, denn in der Nachmittagszeit – nach unserem Stammtisch – saßen da oft nur wenige, graue, schlecht gelaunte Figuren und bewachten den Roten Hammer quasi als Platzhalter, beobachtete die Kellnerin.

Ein paar Wochen lang ging das gut, bis die Herrschende Klasse – besser gesagt ihre Wadenbeißer – den Mut fasste, den Hammer einfach verschwinden zu lassen.«

»Verrückte Zeiten waren das schon«, lächelte Ulm, »und schon hoch nervös im Kulturbetrieb, vor allem in der Beschaulichkeit unserer Provinz, denn die Funktionäre wurden durch Gorbatschows Ideen der Perestroika in ihrem Herrschaftswahn fundamental erschüttert.«


Im Boot lagernd, erinnerten sie sich leise flüsternd an diese Zeit des Aufbruchs – eine Zeit der Suche nach Orientierung und neuen Maßstäben des Handelns. Dabei nahm sie Glanz und Stille der Nacht unterm Mondschein gefangen, der den Himmel über ihnen, begrenzt vom schwarzen Waldrand, wie einen riesigen See von funkelnden Sternen erscheinen ließ.

»Was war eigentlich damals mit diesem Leuchtenbauer Volkmar Nickel, aus Berlin, den du mir, im Jahr vor der Wende, für mein Gestaltungsprojekt vermittelt hast – für den Jugendclub in Neustrelitz – du erinnerst dich? Hast du noch mal was von ihm gehört, Oie?«

»Nein, der ist gleich nach der Währungsunion von der Bildfläche verschwunden. Du hast Glück gehabt, dass er dein Projekt damals noch beliefern konnte.«

»Vor der Wende war er schwer in Bedrängnis – deshalb frage ich dich ja. Am Schluss hat es gerade noch rechtzeitig geklappt. Ich hätte sonst hässliche Leuchten vom VEB-Elektrohandel nehmen müssen. Warum waren die einfachen Dinge damals so schwer?«

»Ach weißt du Ulm, das war doch im Sozialismus wie beim Spargel: Wer zuerst den Kopf rausstreckt, wird geköpft. – Das war dasProblem von Lampen-Nickel als Handwerksbetrieb. Wir haben ihn deshalb in einem Wettrennen mit dem Apparat, der ihn zur Strecke bringen wollte, unter das Dach des Künstlerverbandes geholt – sonst wäre Schluss gewesen.«

»Ein typischer, systembedingter Schwachsinn«, grimmte Ulm. »Er war doch der Einzige, der Leuchten mit besonderem ästhetischen Anspruch gebaut hat. In kleinen Serien, die ich in seiner Verkaufsgalerie am Prenzlauer Berg anschauen konnte. Dort habe ich mir, auf deine Empfehlung, technoide Design-Leuchten raussuchen können, obwohl er jammerte, weil er als gewöhnlicher Handwerker, mit verplantem Reparatur-Auftrag, für anständige Serien kein Material bekam.«

Oie erinnerte sich: »Die geballte Staatsmacht des Kreises wollte ihn damals ausbremsen, weil nicht sein konnte was nicht sein durfte, in ihrem sozialistischen Planwirtschafts-Wahn.

Da produzierte die größte DDR der Welt unendlich viele, teils gut gestaltete Lampen, vor allem für IKEA und die West-Warenhäuser, die natürlich kein Ostbürger kaufen konnte – bestenfalls für Westgeld im Intershop.

Und da kommt so ein Elektro-Ingenieur und produziert ohne Genehmigung in seinem Hinterhof, mit Maschinen vom Schrottplatz, Design-Leuchten, die Kult-Charakter hatten im Osten – und nachdenen die kulturelle Elite Schlange stand.

Ästhetische, langlebige Halogenleuchten aus Rest-Materialien der großen sozialistischen Industrie, – was anderes bekam er ja kaum.

Den Lampen-Nickel wollten sie deshalb unbedingt in die Knie zwingen, als sichtbare Alternative ausschalten, obwohl der Apparat ihm selbst die Luxus-Preise für seine Design-Leuchten vorschrieb, die er zu nehmen hatte, – um dann neunzig Prozent Gewinn bei ihm abzuschöpfen.

Vor allem fürchteten die Funktionäre – wie immer – das Wecken unerfüllbarer Bedürfnisse und die Frage, warum der so was zustande brachte und die große Volkseigene Industrie nicht. Die normalen Lampen-Läden hingen ja voller unverkäuflicher, überteuerter Trottel-Leuchten, die dann irgendwann hinter den Ural geschickt wurden, weil sie hier keiner kaufen wollte.

Nickel war damals ein Nervenbündel und hat das nur noch gemacht, um die Projekte im Lande, bei denen Gestalter mit seinen Leuchten in der Ausstattung geplant hatten, nicht im Regen stehen zu lassen.

Als ihm die Kreis-Planbehörde wieder mal besonders zusetzte, mit zugesagten und dann gestrichenen Materiallieferungen, haben wir ihm grundsätzlich geholfen – denn wir machten ihn zum Kandidaten im Künstlerverband.«

»Das habe ich von hier gar nicht mitbekommen. – Wie ging das denn?«

»Nickel war ja ein talentierter Macher und eine ganze Reihe von Leuchten hatten hohe Designqualität. Da hat er, für die Präsentation, aus seinen Produktions-Skizzen nur noch anständige Entwurfs-Grafiken machen müssen. Dann stand er, im Licht seiner Leuchten, vor der respektablen Aufnahme-Kommission und bekam Applaus für seine Leistungen. Ich hielt, als sein Mentor, die Laudatio auf das Wesen der Nickel-Leuchten, nämlich ästhetisches Licht, und anschließend wurde er als Kandidat aufgenommen.

Das war der Befreiungsschlag – denn er war der Planwirtschaft entronnen. Von da an war alles Kunsthandwerk, er bekam seine Wunschmaterialien, eine andere Steuerklasse und keiner redete ihm mehr in sein Produktions-Programm rein.

Der bornierte Apparat hat gespuckt, aber sie konnten nichts machen, denn er unterstand damit nicht mehr der Kreis-Plankommission. Nur deshalb hast du deine Leuchten doch noch bekommen.

So ging das, und so kenne ich viele Fälle, bei denen sich Künstler aus dem Vorstand für Kollegen eingesetzt haben, die in Bedrängnis waren – das war selbstverständlich. Natürlich auch, um dem konkreten Schwachsinn des verkalkten Systems die Stirn zu bieten.

Nach der Wende und mit der Währungsunion war allerdings Schluss bei Nickel. Alle kauften West-Leuchten zum halben Preis, da kam er mit seiner Uralt-Technik in der Fertigung nicht mit. Er musste schließen. Dann ist er – glaube ich – zu seiner Freundin nach Bulgarien gezogen.«

»Ja, damals war manches unendlich zäh, voller Tücken und Fangeisen, wenn man als Bildhauer für den öffentlichen Raum gestalten wollte«, schnaufte Ulm, »aber in meiner plastischen Arbeit war ich frei, denn es gab einen traditionellen, bildungsbürgerlichen Respekt vor der menschlichen Figur, vor Anspruch, Haltung und Poesie bildnerischenSchaffens. Das hat sich nach der Einheit gewaltig geändert. Die Dilettanten, die Spekulanten und verkopften Kunstdeuter bestimmen mittlerweile alles.

Das ist auch der Grund, weshalb wir uns nicht an diesem Wettbewerb für dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin beteiligt haben. Schon die Tatsache, dass der Wettbewerb für dilettierende Laien aller Couleur offen war, und auch die völlig überdimensionierte Jury von aus der Tradition gefallenen Bildhauern, Intellektuellen und Politikern nach Randgruppen-Proporz. Das machte das zu erwartende Ergebnis klar: Ein überdimensioniertes Bilderrätsel fern aller menschlichen Bezüge, ein modernistisches Monster irgendwelcher verschwurbelter Friseure und kulturell entwurzelter Vortänzer – mit dem intellektuellen Hammer der Kunst-Deuter auf den Kopf des Publikums. Auf das ernüchternde und belanglose, weil menschlich irrelevante Ergebnis, kann man eigentlich warten – und in der Berliner Kulturszene wettet man schon auf eine überdimensionale Schaukel fürs Volk.«

»Wundert dich das, Ulm? Inhalt und Form sind doch Qualitätskriterien für Gestaltung. Auch wenn sich das Ergebnis als entlarvend zeigt – und dann in der Kunstgeschichte, für künftige Generationen, als der letzte Punkt auf dem ‚i’ einer Zeitenwende steht.

Da hätten die rechtschaffenden Bürger und Fachleute des Ostens endlich ein Bild davon, wie sehr sie verschaukelt wurden, bei ihrem offenherzig-naiven Versuch, Ideale, Erfahrungen und Talente in das wieder vereinte Deutschland einzubringen.«

»Verschaukelt, Oie?«

»Na einerseits wohl versorgt und in den Schlaf gewiegt – mit einem finanziellen Kraftakt auf Pump, der noch unseren Enkeln den Schweiß auf die Stirn treiben wird – und andererseits eben am Voranschreiten zu einem besser verfassten Deutschland durch Verschaukeln gehindert.«

»So habe ich das noch nicht gesehen, das wäre dann wirklich eine Punktlandung – auch eine Entblödung der Mächtigen und ihrer hip-medialen Schleimer. Wenn wirklich so was kommt, werden sie es bejubeln: Fantastisch, noch nie da gewesen! – Und alle konnten sich beteiligen! Als ob das jemals wesentliche Kriterien menschlicher Kunst gewesen wären.«

»Ihr hattet ein Konzept, wie ich euch kenne – und habt dann resigniert?«, stocherte Oie nach.

»Ja, wie gesagt, schon die Zusammensetzung der Jury machte es aber klar, dass wir keine Chance hatten, mit unserem Modell, das mehr eine humanistische Alternative zur Aufgabenstellung geworden wäre.«

»Was war da falsch an der Aufgabenstellung, denkst du?«

»Die Ausblendung des menschlichen Geistes, der Kunstgeschichte und vor allem der bildnerischen Tradition. Allein schon der Gedanke, dass ein Denkmal für Menschen als Kulturbürger – für Freiheit und Einheit – jenseits figürlicher Plastik darstellbar wäre, ist völlig absurd.

So eine Form um der Form willen, ohne sinnlich erfahrbaren, bildhaften Bezug zur Geschichte und gleichzeitig zum menschlichen Leben, ohne fühlbaren Anspruch und Haltung, als quasi abstraktes, proklamatorisches Gebilde oder als Event-Installation.

Das machte für uns eine Beteiligung hoffnungslos.«

»So ist doch vieles in der zeitgenössischen Kunst und, denke ich an die Pyramiden, ist das doch – rein geometrisch und monumental – auch irgendwie grandios, das musst du zugeben, Ulm.«

»Ja, aber das ist nur eine monumentale nichtssagende Hülle, die Poesie und Formlust der Zeit im Innern versteckt. Ein Mausoleum für den Totenkult eines Gottes. Das hat doch nichts mit dem Lebender Bürger zu tun. Mit Hoffnungen und Tugenden, mit menschlicher Größe oder menschlicher Schwäche, dem fundamentalen Anspruch eines jeden großen Denkmals in der Kulturgeschichte.

Menschlicher Anspruch und menschliche Haltung waren doch in der Wende des Ostens – millionenfach multipliziert – die Triebkräfte zu Freiheit und Einheit. Das ist so alt wie die Welt. Und wird so alt wie die Welt, Oie – auch wenn die Herrscher des Kunstmarktes und ihre intellektuellen Sekundanten es beständig torpedieren.«

»Wie war eure Idee, – was habt ihr konzipiert unter diesem Anspruch?«

»Wir hatten so eine große, begehbare, flach aufsteigende, elliptische Naturstein-Spirale mit getreppten Flanken als Basisform geplant, die den gesamten Sockel des alten Hohenzollern-Denkmals überspannt – mit Arkaden zum Spreekanal, als Fassung, wie beim alten Denkmal.

Auf der Basisform sollten sich – wie in der Tradition abendländischer Kreuzwege – lebensgroße, allegorische Figurenpaare in spannungsvollem Abstand und auf hüfthohen Sockeln gegenüberstehen, zwischen denen die Besucher des Denkmals wie im Dialog hinaufwandeln. Allegorische figürliche Plastik, in Bronzeguss oder Stein, jeweils im Wettbewerb ausgeschrieben und paarweise von einem renommierten, figürlichen Bildhauer bearbeitet. Allegorische Figuren von Mut und Feigheit, Treue und Verrat, Stolz und Demut, Zuversicht und Verzweiflung, Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge, – und oben, im Zentrum, eine Allegorie der Freiheit, Einheit und Gerechtigkeit.

Das wäre eine der Bedeutung dieses deutschen Denkmals angemessene Dimension gewesen. Eine derartige Aufgabenstellung wäre eines Rodins, Klingers oder Michelangelos würdig. Das hätte die Chance etwas Großes und universal Gültiges dieser Zeit zu werden: Die menschlichen Tugenden und Schwächen der Bürger von Berlin oder auch Deutschland, wie sie gleichzeitig für die ganze Menschheit stehen könnten – wie es sich bei Rodins Plastik der Bürger von Calais so eindrucksvoll zeigt.«

»Sehr poetisch klingt das, und ich kann mir das gut vorstellen, Ulm. Allegorische Figuren – jede ein erhabenes Kunstwerk – im besten Sinne begreifbar, umlagert von Besuchern, in dieser poetischen Dimension, die deutsche und menschliche Geschichte trägt.

Und den Klang kann ich hören, das Geplapper und die Gespräche der Flaneure im Licht der Tages- und Jahreszeiten. Stell dir vor, man verabredet sich an der Liebe, oder an der Treue – oder an der Zuversicht. Oder du wirst zum Verrat bestellt, oder zur Verzweiflung – das ist doch eine poetische Ansage.

Schöne Idee Ulm und damals, in der alten Zeit, hätte ich gewusst, wie man die fähigsten Künstler an dieser Aufgabe vereint. Vor allem wie man es den Funktionären beibringt und dafür kämpft, dass es so gestaltet und umgesetzt wird.«

»Dafür warst du ja bekannt Oie, aber heute ist alles anders. Heute muss jeder für sich kämpfen, denn dieses selbstverliebte, wuchernde System der Kunst-Erklärer fürchtet nichts mehr in der Kunst, als menschliche Maßstäbe – und Fachleute, die sich einig sind. Denn da ist kein Platz mehr, für die Kunst-Hypnotiseure der Händler und Spekulanten, für kulturell blinde Intellektuelle und diese profilneurotischen Polit-Zwerge der Jurys.«


Der Mond war auf dem Weg in den Wald, – Ulm räusperte sich, und der Pudel ging erwartungsvoll, mit dem Schwanz wedelnd, in Stellung.

»Jetzt machen wir den Fischzug«, flüsterte er, holte den Anker ein und ruderte mit leichten Zügen zur Boje.

Was sie dann raus zogen, war eine Handvoll Aale, einen Hecht und ein paar kleine Barsche. – »Für Mephisto«, wie Ulm frohlockte, indem er den hechelnden Hund nach dem ersten Fischchen schnappen ließ.

Mit dem aufzwitschernden Gesang der ersten Lerchen in der heraufziehenden Morgendämmerung merkten sie, wie lange sie geredet hatten.

Urplötzlich kroch die Müdigkeit in ihre Knochen.

Beim Anlegen sichtete Oie Licht in der Küche des Hauses – Ulm versprach heißen Kaffee und sie gingen froh hinauf.

Als sie eintraten, kam ihnen Linde mit strahlendem Lächeln entgegen. »Schön, dass du so lange geblieben bist«, umarmte sie Oie. »Ich hatte schon Sorge, du könntest bereits weg sein. Ich mache gerade Frühstück – ist aber gleich fertig. Setz dich und erzähl!«

Dabei bewegte sie sich im körperbetonten naturfarbenen Leinenkleid barfuss und lautlos, wie schwebend, durch die Küche.

Linde war fast so alt wie Ulm, aber man merkte ihr die Jahre weniger an. Etwas üppigere Proportionen als damals, fand er, aber immer noch dieses schöne, strahlende und offene Gesicht, umrahmt von ihren dunklen, schon grau durchwirkten Haaren, die sie als hüftlangenZopf trug.

Oie erzählte ihr von den Projekten und Ereignissen der letzten Zeit, ohne den Vorfallauf Franzfelde zu erwähnen. Er entschuldigte sich auch, dass er bald weiter müsse, aber diesmal würde es nicht wieder zwanzig Jahre dauern, bis zum nächsten Besuch.

Nach dem Frühstück schauten sie sich im Atelier noch Lindes jüngste Arbeiten an. Sie waren so ganz anders als die Ulms. Bodenständige Figuren in Gips und Ton, auch kleine Bronze-Güsse voller Würde in straffen Formen, die etwas von der urigen, steingehobelten Landschaft der Uckermark atmeten.

Sie saßen auf dem Sofa des Ateliers und es schien ihm wie damals, als die beiden Bildhauer hier angefangen hatten und zuweilen – nach Tagen emsiger Arbeit – so manche Nacht durchgefeiert wurde.

Es gab in diesen vergangenen Zeiten klassischer, künstlerischer Exklusivität und gleichzeitig versuchter, ideologischer Bevormundung eine große Gemeinschaft unter den Künstlern auf dem Lande. Man ignorierte das offizielle Propaganda-Gedöns, stand streitbar zu seiner Arbeit, sah sich die der Anderen an und diskutierte über aktuelle Vorhaben am Bau – über Bücher, Musik, Theater und Filme.

Bei diesen Gesprächen ging es – so erinnerten sie sich – immer auch um die eigenen Maßstäbe für die weitere Arbeit vor der Kunst. Selbst in den wilden, politischen Diskussionen, die beinahe unvermeidlich waren, ging es um Anspruch und Haltung des Menschlichen – immer auch als Kontrapunkt zu den komisch-verkrampften Wort-Kapriolen der Kulturfunktionäre, in Vorahnung des heraufdämmernden Endes ihrer Deutungshoheit. Auch ging es um Produktivität, Wert und Nützlichkeit, im ästhetischen Sinne.

So war man erzogen und so hatte man seine akademisch-handwerkliche Ausbildung erfahren – getreu der goetheschen Maxime: Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben, vom Pfuschen nie.

Noch heute war diese ewige Wahrheit wichtig für sie – da waren sie sich einig. Gemeinsam erinnerten sie sich mit glänzenden Augen: Weißt du noch? – und die Zeit verging wie im Fluge.

Allerdings schlafften die Männer im Gespräch immer mehr ab und Ulm ruckte gegen seine Müdigkeit an. »Ich muss ins Bett, aber vorher fahre ich dich noch nach Fürstenberg zum Bahnhof.«

Auf der Fahrt bat Oie Ulm darum, spätestens am Abend mal vorsichtig in Franzfelde vorbeizuschauen – wegen der Tierfütterung.

»Das machen wir auch sonst schon mal, wenn Alma auf Reisen geht. Auf dem Lande hilft man sich, das ist selbstverständlich und existenziell. Aber was sage ich der Polizei, wenn da noch wer rumsteigt – nach den von dir angedeuteten Ereignissen?«

»Du sagst am besten, dass du das mit Alma verabredet hättest, wegen der Tiere. Hier ist der Schlüssel. Oder du gehst hinten vom Garten durch die Küchentür. Das mit dem Haken kennst du ja sicher. Mich hast du auf keinen Fall gesehen. – Bitte!«

»Kenne ich, ist schon gut«, brummelte Ulm in seinen Bart, »auch das kriegen wir auf die Reihe.«

Sie verabschiedeten sich herzlich und verabredeten einen weiteren Besuch Oies, mit Katharina, sobald die Umstände es zuließen.



Operation Ljutsch

Подняться наверх