Читать книгу Operation Ljutsch - Reinhard Otto Kranz - Страница 6

2 Ein Brief – eine Liste – ein Vermächtnis

Оглавление

Als er das Kuvert genauer abtastete, entdeckte er in der Tiefe die vertraute Form einer CD-Hülle. Das machte ihn zuversichtlich. Sicher, so nahm er an, waren es ein letzter Gruß und einige alte Fotos des Kultur-Funktionärs – für den er ihn lange gehalten hatte. Fotos von den verschiedenen Anlässen und Orten, bei Ausstellungen von Oies Arbeiten, Workshops und Kongressen, bei denen sie sich jeweils, und kaum vorhersehbar, in den Achtzigerjahren getroffen hatten. Moskau, Helsinki, Prag, Paris – selbst in Havanna tauchte Michakow auf, wie Kai aus der Kiste.

Auch dort wie vom Film, in weißem Leinenanzug und Strohhut, mit Silber beschlagener Krücke, eine Zigarre schmauchend, sodass Oie einen Augenblick glaubte, es könne nur ein Doppelgänger sein – jedenfalls kein Funktionär der großen Sowjetunion, die zu der Zeit zumeist graumäusig und jenseits aller Moden gekleidet daherkamen.

Oftmals, wenn er diesen Michakow schon fast vergessen und mit seiner Arbeit als Gestalter irgendwo zu tun hatte, traf er ihn ‚rein zufällig’ als Beobachter der Szene, in der er dann viel Zeit und ungemein anregende Gespräche zu bieten hatte. Seine Themen und Geschichten waren nicht die eines Außenhändlers von Filmen, wie man erwarten konnte.

Michakow interessierten vielmehr der Zustand der Gesellschaft in der DDR, das Publikum und der Freundeskreis Oies – auch die Probleme und Perspektiven aus der Sicht der gestaltenden Künste.

Fragestellungen, wie sie Oie bei vielen Intellektuellen und Künstlern im Ostblock täglich begegneten, da in Zeiten der Perestroika jedermann nach Orientierung suchte: Wo stehen wir? Wie kann es weitergehen? Was sind die entscheidenden Probleme, wo werden Lösungen sichtbar – und wo sind Verbündete?

Michakow konnte auf eine unnachahmlich einschmeichelnde, direkte Art fragen. Mit seinen Erkundigungen zu den Gefühlen der Deutschen, zur Stellung der Kunst an der Schnittstelle zur Wirtschaft, kam er ihm von Mal zu Mal mehr vor wie ein Staubsauger der kulminierend zerbröselnden Verhältnisse.

Ihn interessierten weniger der politische Rahmen, den er zu Teilen besser kannte als Oie. Sein Interesse galt vielmehr den Stimmungen, den Hoffnungen, den Verbindungen und Personen, die Oie aus seiner breit angelegten Tätigkeit als freier Gestalter – und nur als Künstler geduldeter Exot kannte. Freunde und Protagonisten der Perestroika in der DDR interessierten ihn besonders.

Dem konnte und wollte Oie sich nicht entziehen, obwohl ihm Konstantin Michakow immer rätselhafter wurde. Dessen unvorhersehbares, oft kryptisches Verhalten machte ihn zunehmend stutzig und dann auch misstrauisch-einsilbig, denn er witterte dahinter einen Geheimdienst.

Michakow bemerkte es und nutzte die Gelegenheit, anlässlich eines feuchtfröhlichen Treffens am Rande eines Design-Kongresses in Ungarn, sich unter vier Augen, mit wahrem Namen, als Igor Iwanowitsch Antonow vorzustellen. Er entschuldigte sich warmherzig und versprach, von nun an mit offenen Karten zu spielen.

Als Verfechter und Organisator – im Dienste der Perestroika, wie er es beschrieb – war er, wie Oie es da verstand, in quasi missionarischer Funktion in den Ländern des Ostblocks unterwegs. Als Offizier des Militär-Geheimdienstes der Sowjetunion.

Von dieser Organisation hatte Oie noch nie zuvor gehört. Sie war im öffentlichen Bewusstsein absolutes Niemandsland. Ebenso die von Igor Antonow offenbarte Tatsache, dass derartige Dienste in allen Ostblock-Ländern existierten.

Die Perestroika und ihre letzten Begegnungen waren lange her, – und nun lag Igors Brief vor ihm.

»Teurer Albrecht!« stand da, und Oie zog ein warmer Schauer über den Rücken. »Wenn Du diesen Brief erhalten hast, bin ich hoffentlich in einer besseren Welt. Das klingt für dich sicher merkwürdig von einem alten Kommunisten, aber ich habe mit den Jahren gelernt, dass es viele Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir mit unserer Schulweisheit nie ergründen werden – um zu Deiner Freude einen Klassiker zu zitieren.

Wir glaubten immer, alles im Griff zu haben, alles unter Kontrolle.

Wir glaubten an den gesetzmäßigen Siegeszug unserer theoretisch idealen Gesellschaftsordnung – und sind doch am Leben gescheitert. Gescheitert aus Ignoranz, Dummheit und kultureller Entwurzelung, die, wie die Nonne Simone Weil formulierte, die gefährlichste Krankheit der menschlichen Seele ist.«

Oie musste innehalten, um diese ernüchternde, menschliche Bilanz auch nur ansatzweise zu begreifen. Das hatte er am wenigsten von Igor Antonow erwartet, dessen ehern sozialistisches Menschenbild er kannte, dessen Vorstellungen vom gerechten und dabei allwissenden Staat er nicht teilte – und dessen militärisches Vokabular ihn anfangs in Erstaunen versetzte.

Er las weiter: »Als Offizier stand ich in einem Lagezentrum der Sowjet-Armee ohnmächtig daneben, als im November 1983 die Welt in den Abgrund schaute – und wir noch einmal davongekommen sind. Ich hatte es satt, dieses ganze alkoholisierte Geschäft der noch vom Weltkriegssiege besoffenen Generäle. Auch die brutale Großmachtpolitik der Sowjetunion in Deutschland, in Ungarn, der Tschechoslowakei, – in Polen und Afghanistan.

Die degenerierten Herren bei Militär und Geheimdiensten auf allen Seiten, in vielen Ländern, die sich gegenseitig hochschaukelten und Bedrohungslagen schufen, die es ohne sie nie gegeben hätte – wie ein Krebs seine Metastasen schafft und immer weitere Bereiche der Gesellschaft befällt.

Nur zu einer Zeit konnte ich – konnten wir – stolz sein. Das war, als wir gemeinsam den strategischen Umbau Europas zum großen Frieden auf den Weg brachten, um den Kalten Krieg zu beenden.

Die Europäische Perestroika, die wir hinter der sowjetischen Perestroika absichtsvoll verborgen hielten, verborgen halten mussten, wenn wir Erfolg haben wollten.

Die Operationen, vom Kreml-Flug über die Bewältigung der Polenkrise, die Grenzöffnung in Ungarn, die Beendigung der Botschaftsbesetzung in Prag, bis hin zum Fall der Mauer in Berlin, waren die Basis der Europäischen Perestroika, deren Friedensfrüchte heute viele genießen können.

Das macht mich glücklich und dankbar, obwohl ich mit Trauer an die denke, die dabei auf der Strecke blieben, weil das Volk sich die Errungenschaften dieser menschlichen Revolutionen, gegen das dumpfe Beharren der Apparate in dieser Welt der intriganten Mächte des Geldes, wieder aus den Händen stehlen ließ.«


Das saß. Oie fiel es wie Schuppen von den Augen. Wenn einer wie Igor Antonow, der, wie er nach all den Jahren wusste, die Operation Ljutsch dirigiert hatte, die auf bisher rätselhafte Weise mit dem Fall der Berliner Mauer und der Deutschen Einheit zusammenhing, wenn also Antonow sich zu all diesen Operationen bekannte, und dazu noch den strategischen Zirkel so weit zog, dann wirkte es in seinem Gehirn wie eine Flut von Frischzellen.

Das war Geschichte aus einer völlig anderen, bisher unbekannten Perspektive – das wurde ihm schlagartig klar.

Die friedlichen Revolutionen in den Ländern des Ostblocks hatten offensichtlich einen bisher nicht bekannten geheimdienstlichen Hintergrund. Aber was war das für ein strategischer Plan, der da durchgezogen worden war?

Er sprang auf, lief durchs Zimmer wie im Nebel und war wie elektrisiert.

Viel gefühlte Zeit war vergangen, als er sich setzte, um weiterzulesen: »Teurer Albrecht, Politiker-Chargen spreizen sich mit ihren Beiträgen zum Fall der Berliner Mauer, zum Ende des Kalten Krieges und zum Frieden in Europa. Dabei werden diejenigen vergessen, die diesen Umbau, die Europäische Perestroika, entworfen, geplant und organisiert haben. Neben den Bürgerrechtlern, die danach kamen und darauf aufbauen konnten, waren sie die wirklichen Helden.«

Und weiter: »Schaff ein Denkmal für diese Helden des Rückzuges, für diese Idealisten in einer von Macht und Geld besessenen Welt – ich weiß, Du kannst das – Du bist für mich ein wahrer Künstler und nur solche können das!«

Oie war verblüfft über diese Schmeichelei und ratlos zugleich. Wie sollte das gehen? Sollte er diesen Brief veröffentlichen, das Inkognito Antonows lüften und die Medien aufscheuchen? Das meinte Igor sicher nicht im Ernst. Und wer würde dem Glauben schenken? Wem sollte das nützen? Und warum hatte Antonow das nicht schon selbst getan? Sollte er benutzt werden? Wo waren Fakten?

Weiter las er: »Sicher erinnerst Du dich an unsere Begegnung im Muchina-Institut in Leningrad, vor dem Diplom eines namenlosen Bildhauers der Klasse für Monumental-Skulptur. Da stand ein stark verkleinertes Modell für ein Lermontow-Denkmal auf dem Lande in meinem geliebten Heimatdorf. Vor dem Gutshaus der Großmutter des Dichters, wo er seine Kindheit verbracht hatte, sollte es stehen. Ein sitzender Dichter mit großer Geste und aufgeschlagenem Buch in der Hand, in Bronze.

Das Probestück aus Ton, im künftigen Originalmaßstab, war ein bestiefeltes Bein Lermontows bis zum Knie – aber dieses Knie konnte niemand mit den Händen erreichen, so hoch war es.

Dein erfrischender Kommentar, als respektierter Deutscher Gast in Anwesenheit der Kulturfunktionäre, klingt mir noch heute in den Ohren: ›Unmenschlicher Maßstab! Monumentalität allein entfaltet keine Poesie – und darum geht es in der Kunst!‹

Das war Deine ernüchternde Zusammenfassung, die den Genossen in die Knochen fuhr und mich gefreut hat.

Oder der Design-Kongress der Sozialistischen Länder auf diesem ungarischen Renaissance-Schloss, als ein paar Alt-Stalinisten vorschlugen, das Zentrum sozialistischen Designs in Moskau zu gründen und Du das, in Deinem darauf folgenden Vortrag zu Eurer Arbeit für den öffentlichen Raum, so nebenbei und unter dem stürmischen Beifall aller Fachleute im Saal, als letzten Anflug von kulturellem Imperialismus abqualifiziertest.

Das war schon Mut in diesen Zeiten, und seitdem vertraue ich Deinem Spürsinn für den Geist der Sache und die mutige Form. Die danach drohenden diplomatischen Verwicklungen habe ich übrigens verhindert, wie ich auch in der Folgezeit oft die Hand über Dich halten konnte, wenn es gefährlich wurde und Du als Gestalter vom Apparat oder der Staatssicherheit beschädigt werden solltest.«


Oie war erstaunt, so Offenherziges von Antonow zu lesen, aber er nahm es als honorige Schlussbilanz eines kämpferischen Lebens und einer wahren Freundschaft.

Die Überraschung allerdings folgte am Schluss: der Verweis auf die unscheinbare, unbeschriftete CD.


»Als Hilfe für Dich, lieber Albrecht, bei der Umsetzung meines letzten strategischen Planes – mit Verlaub sagt man wohl seit Goethe – sende ich Dir die CD mit einer Übersicht über die wichtigsten Operationender Europäischen Perestroika – die Licht-Operationen.

Du findest geordnet, wie Du es als Kultur-Preuße erwarten darfst, Operationen, Decknamen, Klarnamen und Adressen beteiligter Akteure bei der Abwehr des Mächtigen und Blöden.

Namen von noch Lebenden, die Dir besonders nützlich sein könnten, habe ich unterstrichen. Mach etwas daraus, gedenke meiner in Freundschaft und auch all derer, die das Ende des Kalten Krieges und den Triumph des Lichtes nicht mehr erleben konnten.

Dazu gehört leider auch Dein Bruder Otto, an dessen Tod ich mich schuldig fühle, denn ich habe ihn damals, in der Vor-Wendezeit, auf eine Mission nach Moskau geschickt, auch – möchte ich zu meiner Entschuldigung sagen – um ihn aus dem Schussfeld der Staatssicherheit zu nehmen.«


Oie drückte mit dieser Information etwas gewaltig in die Magengrube, denn bisher galt Otto nur als vermisst – jedoch ohne irgendein Lebenszeichen seit über zwanzig Jahren.


Er las erschüttert weiter: »Ich habe Otto damals in diese neu entstandene Gruppe von Historikern empfohlen, die begannen, den Widerstand der Feinde der Perestroika zu bilanzieren, – denn Du weißt, nur was erinnert wird, ist wirklich geschehen.

Einen Einfluss auf die Geschichtsschreibung späterer Generationen bekommt man nur durch Fakten.

Er ist seitdem vermisst und es ist mir besonders wichtig, Dir und Deiner Familie zu sagen, wie leid mir das tut, denn jetzt gibt es Anhaltspunkte dafür, dass er das Opfer unserer Gegner wurde. Mein damaliger Stabschef Nikolai Nikolajewitsch Ossipow hat mir kürzlich davon berichtet. Das Schweigen Dir gegenüber, nach der Wende, hat auch damit zu tun, dass ich Dir sein Verschwinden nicht erklären konnte und mich schuldig fühle.

Bitte verzeih mir!


Dein alter Freund Igor Iwanowitsch Antonow.«


Tränen verschleierten Oies Augen, er erhob sich und lief wie im Nebel zum Fenster, um die sich asthmatisch verkrampfenden Lungen zu lüften.

Das mit Otto war nach so vielen Jahren für ihn in die Ferne gerückt, im Gegensatz zur älteren Schwester Maria, die, wenn nur Ottos Name fiel, zu Tränen gerührt war: »Nicht wissen, kein Grab« – sagte sie immer – »das ist das Schlimmste!«

Nun brach alles wieder auf, denn was wirklich geschehen war seit dem Sommer der Wende, als Otto auf seiner Reise durch die Sowjetunion so spurlos verschwand, hatten sie niemals erfahren. Dass Igor Antonow damals Auftraggeber war, vernahm er zum ersten Mal – und verstand dessen Schuldgefühle.

Einen Hinweis jedenfalls gab es jetzt, der ihn elektrisierte – Nikolai Nikolajewitsch Ossipow. Den musste er finden, schon um des Seelenfriedens seiner Schwester willen.

Aber sonst? Der Brief? Die Listen?

Oie wusste nicht, was das sollte. Warum verstand er ja – aber wie sollte das gehen? Ein Denkmal? Wofür genau? Wie? Was war Igor Antonows Anliegen? Wollte der Geheime sich auf diese Weise, nach seinem Tode und durch die Hintertür, einen Platz in der Geschichte sichern? Sollte er dafür alles stehen und liegen lassen, sich absehbar mit Geheimdiensten anlegen und möglicherweise seinen Kragen riskieren? Fünf Jahre vor dem Ruhestand, und mit einer Familie, die ihn brauchte – sollte er das wirklich tun?

Wie nahe ging ihm das alles wirklich noch?

Merkwürdigerweise bei Weitem nicht so nahe, wie der kürzliche Tod seines Schul-Freundes Daysi, den er fast dreißig Jahre nicht gesehen hatte, und der doch auf eine Weise mit seinem Leben verbunden war, die mit Igor - dem so offensichtlich abgetarnten Maschinisten im Räderwerk der Geschichte - nicht vergleichbar war.

Lag es daran, dass, wenn Schulfreunde sterben, Teile unserer schönsten Kindheitserinnerungen ins Vergessen abwandern, ein Teil von uns stirbt, den wir um keinen Preis der Welt verlieren möchten?

So wie beim Bruder, dessen Tod ihm, in Verbindung mit dem des gemeinsamen Jugend-Freundes, auf einmal wie ein Schlusspunkt, wie das nahende Ende auch seiner Tage erscheinen musste.

Diese Erinnerungen ließen seine Hände zittern und er schaute, im warmen, die Augen trocknenden Aufwind der Fensterbank, nun wieder auf den Brief – und las noch einmal, wie im Traum.

Gedanken durchschossen ihn wirbelnd. War Igors posthumer Auftrag nicht die Chance die Nebel zu lichten, die noch immer über ihrer Freundschaft lagen?

Sie waren ja über die Jahre nur lose verbunden, gelegentlich und über einzelne Ereignisse, deren Bedeutung Oie damals nicht einschätzen konnte – die mit diesem Brief jedoch wieder auf den Prüfstand kamen.

Jetzt, so fühlte er, gab es die Chance, Hintergründe und neue Facetten eines immer noch schemenhaften Bildes von Igor Antonow – dem geheimen Drahtzieher zur Deutschen Einheit – zu entdecken, und das lockte ihn mehr, als er es sich in diesem Augenblick eingestehen mochte.

Er schaltete den Laptop ein, sichtete die Daten auf der CD, die nach Ländern des Ostens geordnet waren, und fand darunter einige bekannte und viele ihm unbekannte Namen. Aber immer zugeordnet bedeutende Institutionen, Dienststellen und Funktionen. Das zog sich als Prinzip durch und basierte offensichtlich mit Goethe, den Antonow so verehrte, auf der Erkenntnis – Dass wir jemand sein müssen, um etwas zu bewirken!

Auch die Überschriften der Länderblöcke und augenscheinlichen Operations-Gebiete elektrisierten Oie, denn da stand über dem Sowjetischen Teil Prelomlenie – was er in der Übersetzung als Lichtbrechung zu deuten wusste – mit dem Zusatz Kreml-Flug.

Der Finnische Teil, mit einer Handvoll Namen, stand mit deutscher Überschrift auf der Liste und war mit Operation Abendlicht benannt, – und ebenfalls mit dem klein gedruckten Zusatz: Kreml-Flug.

Weiter folgend auf der Liste stand bei einem Dutzend polnischer Namen die Überschrift Operation Morgenlicht. Über dem ungarischen Teil war Operation Schlaglicht vermerkt, gefolgt vom tschechischen Teil, der mit Operation Herbstlicht gekennzeichnet war.

Den Schluss bildete eine längere Liste von Namen und Adressen, die auf den ersten Blick von der damaligen DDR geografisch begrenzt wurde, und die Operation Lichtstrahl hieß – was dem Russischen Ljutsch entsprach.

Oie fand unter den etwa hundert Namen im deutschen Operationsgebiet eine Anzahl ihm namentlich bekannter Fachleute aus Wissenschaft, Technik, Kultur und Militär – einige waren unterstrichen. Dass auch sein Bruder Otto van Oie mit dem Decknamen Topograf darunter war, überraschte ihn nicht wirklich.

Bei näherem Hinsehen war im deutschen Teil kein Akteur aus der alten Bundesrepublik. Die waren ja, so erinnerte er sich, in anderem Zusammenhang auf den geheimnisvollen Rosenholz-Dateien und betrafen angeblich niemanden von aktueller Bedeutung in Politik und Wirtschaft.

Aber das Zusammenspiel dieser Rosenholz-Dateien mit der vor ihm liegenden Liste Antonows würde in der Zukunft vielleicht Aufschlüsse über fundamentale Zusammenhänge bringen – so vermutete er spontan.

Nur – war das gewollt, würde das irgendwen interessieren? Störte es die bisherige Weltsicht vom Wunder der Bürger-Revolutionen des Ostens, angeführt vom Heiligen Geist weniger so genannter Dissidenten, Bürgerrechtler und rhetorisch geschulter Geistlicher – von denen er keinen auf der Liste sah – nicht gewaltig?

Eine Fülle von Fragen durchfurchte sein Gehirn, bis zu einem kurzschlussartigen Versagen. Er konnte es nicht zu Ende denken.

Etwas aber war ihm ins Herz gefahren und die Gedanken daran ließen es höher schlagen. Es war die Information über seinen Bruder, die ihn elektrisierte und alles Andere in den Hintergrund drängte. Endlich ein Hinweis – wenn auch ein trauriger. Oberst a.D. Nikolai Nikolajewitsch Ossipow stand auf der russischen Liste, – mit der Anmerkung: Mönch im Höhlenkloster Nischni Nowgorod.


Operation Ljutsch

Подняться наверх