Читать книгу Was uns den Schlaf raubt - Reinhard Pietrowsky - Страница 16
3. Albträume in verschiedenen Kulturen und Zeitepochen
ОглавлениеIn der Geschichte der Menschheit lassen sich bis in die jüngste Vergangenheit zwei große Erklärungsansätze finden, wie die Menschen das, was wir heute als Albträume bezeichnen, zu erklären versucht haben. Zum einen wurden Träume, sowohl schöne als auch angstvolle, als von den Göttern eingegeben betrachtet. Daher wurden Träume gedeutet, weil sich aus ihnen Hinweise und Voraussagen für den Träumer ableiten ließen. Dies galt somit auch für die schrecklichen, angstbesetzten Träume. Zum anderen wurden Träume als von Dämonen verursacht angesehen. Angstvolle Träume waren nach dieser Auffassung ein Zeichen dafür, dass der Träumende von Dämonen oder Geistern heimgesucht wurde, meist um mit dem Schlafenden Unzucht zu treiben. Unabhängig von diesen beiden großen Erklärungsansätzen gab es schon seit der griechischen Antike die Auffassung, dass Träume – und damit auch angstbesetzte Träume, also Albträume – ein Ausdruck des Seelenlebens seien. Diese Auffassung des Träumens spielte aber bis in die jüngere Vergangenheit eine deutlich untergeordnete Rolle, wenngleich wir sie bereits bei Aristoteles finden. Sie wurde erst im 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Psychologie als Wissenschaft wieder bedeutsam und ist die jetzt gängige Annahme zur Entstehung der Albträume. Daher finden wir auch erst mit der heutigen Auffassung, dass Albträume ein Ausdruck des Psychischen sind, die Sichtweise, dass es sich bei ihnen um ein psychisches Störungsbild handelt.
Im Folgenden wollen wir in der Geschichte der europäischen Kultur, einschließlich des Alten Orients, Ägyptens und des islamischen Kulturkreises, aufzeigen, wie sich diese Auffassungen, dass Träume und Albträume entweder von den Göttern oder von Dämonen stammen, darstellten. Diese Abhandlung kann nicht erschöpfend sein und nicht den Großteil der menschlichen Kulturen erfassen. Zum einen, weil es den Rahmen dieses Buches sprengen würde, zum anderen, weil unser Wissensstand über die angenommenen Ursachen von Angstträumen und deren Bedeutung bei vielen Kulturen sehr gering ist. Sie ist daher – verständlicherweise – zentriert auf die eigene Kultur. Wir werden aber in einem Kapitel die Träume und Albträume im islamischen Kulturkreis beschreiben, weil dieser eine sehr differenzierte Sicht der Träume aufweist. Deutlich wird aus alldem, dass böse Träume, die wir heute als Albträume bezeichnen, erst seit gut hundert Jahren wissenschaftlich erklärt und seit wenigen Jahrzehnten erst als eine klinische Störung verstanden werden. Wir werden daher dann die wissenschaftliche Sicht der Albträume im 19. Jahrhundert beschreiben und im letzten Teil dieses Kapitels die Sichtweise vorstellen, dass Albträume ein Ausdruck des Seelenlebens, der Psyche, des Träumers sind. Mit dem Verlust des Glaubens an die Macht der Götter oder Geister haben somit die schlechten Träume ihren Platz unter den Zeichen dieser höheren Mächte verloren und sind zum subjektiven Ausdruck des Individuums geworden.