Читать книгу Oberlicht - Reinhold Zobel - Страница 10
Kapitel 8
ОглавлениеEs war Carlos, der mir den Kontakt vermittelte. Er wusste, dass ich dringend Geld brauchte. Nachdem ich mich telefonisch angemeldet hatte, fuhr ich mit der Metro bis zur Station Victor Hugo. Die angegebene Adresse lag in der Avenue Victor Hugo. Ich war nicht aufgeregt, denn ich erwartete nichts. Ich war neugierig.
Es war eines dieser hochherrschaftlichen Wohnhäuser, an deren Eingang einen ein großes schmiedeisernes Tor erwartet und in die man nur über die Concièrge oder einen Zahlencode gelangen kann. Ein Dienstmädchen ließ mich in die Wohnung, die in einem der oberen Stockwerke lag, hinter einer massiven, anonymen Tür aus dunklem Holz,(Namensschilder sucht man in diesen Häusern vergebens) und geleitete mich in einen Vorraum, der ein Wartezimmer hätte sein können. Er war karg möbliert. Ich blieb erst stehen und setzte mich danach in einen Bauhaus-Stuhl, starrte auf eine Bodenvase mit Trockenblumen und wartete auf das Hereinrollen des Operationstisches.
Endlich erschien Jemand, eine junge Frau. Ich öffnete ein wenig den Mund, nicht um etwas zu sagen, sondern einfach so. Es war nicht Grace Kelly, die im Türrahmen auftauchte, aber es hätte ihre kleine Schwester sein können. Sie trug ein bleigraues, schlichtes Kostüm, und es stand ihr so ausgezeichnet, wie ihr jedes beliebige andere Kleidungsstück auch gestanden hätte.
“Monsieur Imka?”
“Der bin ich.”
“Mein Vater lässt sich noch für ein paar Minuten entschuldigen. Er wird Sie dann gleich empfangen.”
“Ah ja... danke.”
“Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas anbieten, einen Tee oder einen Kaffee?”
“Oh... einen Kaffee vielleicht.”
“Bon. Ich werde dem Mädchen Bescheid geben.”
Damit entschwand sie wieder. Das also war Ariane Edelman, die Frau, mit der Carlos einmal verlobt gewesen war. Ich war porentief beeindruckt.
Den Kaffee hätte ich ganz in Ruhe austrinken können, was ich nicht tat, um nicht versehentlich innerhalb der nächsten Minuten aufs Klo zu müssen, denn bis ich abgeholt wurde, rann einiger Sand durch die Uhren. Da mir die Exverlobte von Carlos das Geleit gab, sah ich, von ihrem Anblick und ihrer Gegenwart getröstet, darüber hinweg, widmete mich dafür umso ausgiebiger dem geschmeidigen Bewegungsablauf ihrer vollkommenen Hüften, während ich ihr durch zwei weitere Räume und über eine metallene Wendeltreppe in das nächst höhere Geschoß folgte, eine Wegführung, die man zwischen diesen greisen Mauern nicht unbedingt vermutet hätte. Offenbar war hier nachträglich ein Durchbruch zwischen zwei Etagen geschaffen worden.
Wir erreichten am Ende der Treppe einen klösterlich anmutenden Raum. Der Fußboden war schwarzweiß gefliest, die Wände chremig lackiert, es gab nur ein schmales, mit schwarzen Stoff abgehängtes Fenster und davor eine Art Altar, zu dessen Seiten hölzerne, buntbemalte Figuren mit dämonischen Fratzen ins Zeitlose starrten.
Meinen erstaunten Blick bemerkend, klang mir zur Linken die melodische Stimme meiner Begleiterin ans Ohr, und als ich sie anschaute, sah ich von ihren Lippen erstmalig ein schwaches Lächeln abperlen.
“Es sind chinesische Heiligenstatuen, Han Dynastie. Mein Vater sammelt sie.”
“Ah bon.”
Während ihr Mund noch lächelte, wurde der Blick, den ich von ihr auffing, zu Heliumgas und so spiegelglatt, dass man darauf hätte ausrutschen können. Wie könnte man, überlegte ich, der jungen Dame wohl imponieren? Sollte ich versuchen, ein Rad zu schlagen, oder es vielleicht mit einem Zitat aus Zarathustra probieren?
“Ich lasse Sie jetzt allein, mein Vater wird gleich zu Ihnen kommen.”
Und wieder rauschte sie davon. Ich hustete. Vom Fenster her, das einen Spalt weit geöffnet war, hustete es zurück, ein Windzug, der eine leichte Prise Straßenlärm mit sich führte und so gar nicht in die heilige Stille dieses heiligen Raumes hineinpassen wollte.
Dann kam Dr. Edelman. Der Mann trug eine schwarze Binde über dem linken Auge, aber nicht allein deshalb hatte er etwas von einem Seebären. Sein Händedruck glich einem Schraubstock, war so fest, dass es mich schmerzte, sein Barthaar so weiß und dicht, dass es einem Pelz glich. Es war kurz rasiert wie das Haupthaar, das nur noch an den Seiten seines kantigen Schädels überlebt hatte. Er trug einen Anzug aus hellem Leinen, dazu geflochtene Schuhe, beides, so schätzte ich, norditalienischer Herkunft, Cherruti vielleicht oder Valentino. Seine Augen hatten das nämliche klare Bergseegrün wie die Augen seiner schönen Tochter. Er war groß, größer als ich und doppelt so breit. Der weiche Bass seiner Stimme hätte mühelos jedes Opernhaus ausmessen können. Es gibt Menschen, bei deren Anblick es schwer fällt zu glauben, dass sie jemals jung waren und andere, dass sie je alt werden. Edelman zählte zur ersten Gattung.
Er bat mich in das anliegende Zimmer, es schien sein Arbeitszimmer zu sein und wir setzten uns, er auf der einen Seite eines Schreibtisches, der überraschend altmodisch und von Papieren überladen war, ich auf der anderen Seite. Die Sessel, auf denen wir saßen, hatten geschnitzte, hohe Lehnen, wahrscheinlich gleichfalls Sammlerstücke.
“Sie sind also der junge Mann, den Carlos mir als Kurier empfohlen hat?”
“So ist es, Monsieur.”
“Trinken Sie einen Cognac?”
“Gern.”
“Wir können dann gleich in medias res gehen, wenn Sie einverstanden sind.”
Ich war einverstanden. Mein Gegenüber erhob sich und ging zu einem Barschrank hinüber, aus dem er zwei Gläser und eine Flasche Cognac hervorholte. Viel Licht fiel in den Raum, welches von einem steilen und breiten Atelierfenster herkam, das nach Norden ging. Das Wetter änderte sich gerade. Gewitter lag in der Luft. Die Wolken flogen dunkler über die Stadt. Nach und nach färbte der sinkende Himmel sich kolkrabenschwarz.
An der rechten Seite des Raumes hing an der Wand eine alte Seekarte. Darunter stand auf einem Schemel ein beleuchteter Globus. Direkt vor mir auf dem Schreibtisch fand sich ein Lichtbild, das mir auffiel. Es stand offenkundig verkehrt herum, nämlich mit der Vorderseite zum Besucher, also zu mir. Ariane Edelman war im Vordergrund zu sehen. Sie trug einen Badeanzug, einen weißen Einteiler. Etwas nach hinten versetzt standen zwei Männer, ebenfalls in Badezeug. Der eine von ihnen war Carlos.
Er wirkte kleiner als Ariane. Er trug auf dem Kopf eine Tenniskappe und hielt die schwarz behaarten Arme über der schwarz behaarten Brust verschränkt. Seine Figur machte einen durchtrainierten Eindruck, obwohl man ahnte, das er einmal zur Leibesfülle neigen würde; seine ganze Haltung verriet Lässigkeit, nur in seinem Gesicht meinte ich einen Ausdruck eigentümlicher Spannung ausmachen zu können. Ariane dagegen versprühte leuchtende Morgenfrische.
Die Angelegenheit, deretwegen ich hierher bestellt worden war, war rasch erledigt. Der Vorgang bestand in der Hauptsache darin, dass Edelman mir einen versiegelten Umschlag, eine Adresse und eine Holzkiste aushändigte, die in etwa so groß war, dass eine Tischlampe darin hätte Platz finden können.
Ich hegte den krummen Verdacht, dass es ihm im Grunde bei dieser Zusammenkunft mehr darum zu tun war, mich persönlich in Augenschein zu nehmen. Edelman hatte mir, ehe er die genannten Gegenstände überreichte, im Plauderton die eine oder andere Frage zu meiner Person gestellt, auf die erste Hörprobe hin unverdächtige Fragen, die aber dennoch einen bestimmten bewertenden Zweck zu verfolgen schienen. Die Mission, die mir aufgetragen werden sollte, bestand darin, die Holzkiste bzw. deren Inhalt nebst Umschlag per Auto nach Madrid zu transportieren und dort einem spanischen Gewährsmann zu übergeben. Im Gegenzug würde man mir eine andere Holzkiste aushändigen, die ich dann mit zurück nach Frankreich nehmen und hier abliefern würde.
Was war nun der Inhalt der rätselhaften Fracht? Eine aus Holz geschnitzte Madonnenfigur vielleicht oder eine minoische Vase? Ich wurde darüber im Unklaren gelassen, nur soviel ließ Edelman durchblicken: Er sei von einigem Wert, der Inhalt.
Carlos war mir in dieser Sache als unsichtbarer Begleitschutz zur Seite gestellt und sollte mich während der ganzen Reise telefonisch mit weiteren Instruktionen versorgen. Ursprünglich war wohl beabsichtigt gewesen, dass er selber diesen Transport übernahm, doch fehlte es ihm angeblich an Zeit; so kam man, hieß es, auf mich. Dieser Kurierdienst würde, versprach Carlos mir im Vorwege, gut honoriert werden (so gut, dass ich davon für eine Weile meinen Lebensunterhalt würde bestreiten können).
“Ich glaube, das wäre dann erst einmal alles, für den Augenblick. Haben Sie noch fragen, Monsieur Imka?”
“Keine.”
“Schön...übrigens, das soll ich Ihnen von Carlos noch ausrichten: Er trifft sich mit Freunden Freitagabend bei Bofinger und lässt sie wissen, dass Sie herzlich eingeladen sind, hinzu zu kommen. Also, vergessen Sie diesen Termin nicht. Ich denke, Carlos wird Ihnen noch einiges mitzuteilen haben.”
“Danke für den Hinweis, Monsieur.”