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Kapitel 2

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Die Maisonne ging unter. Es war heiß, aber nicht richtig. Der Regen hatte aufgehört, und Dunst war aufgezogen. Blaugrau sickerte Licht hindurch, sammelte sich rasch, raschelte hie und da auf den graublauen Dachfirsten und versank schließlich leise knisternd in den Häuserschluchten der Stadt. Die Häuser, sie standen gekrümmt und glichen ertrunkenen Regenwürmern. Die Seine war aufgeschwollen und schwappte ihre trüben Fluten bis hinauf auf den Asphalt der Uferstraße. Man hatte diese vorübergehend für den Verkehr sperren müssen. Die ganze Stadt hatte Mundgeruch.

Kaum Verkehrslärm. Keine Signale. Tunnelschächte gähnten verlassen. Und die Brücken? Auch auf ihnen seltsame Leere. Sie duckten sich über dem düster schäumenden Fluss, spannungslos. Unter dem Firmament ruderten hilflos ein paar dunkle Vögel, umsponnen von Nebelfäden, es war alles sustenuto. Es war, als wäre die Welt eben erst tausend Jahre alt geworden.

Ich öffne ein Fenster und lehne mich hinaus. Die Luft frischt auf. Das Unwetter scheint langsam abzuziehen. Auf der Straße geht ein einsamer Schwarzer, er springt in Tanzschritten um die zahlreichen Wasserpfützen herum. Ich kenne ihn zufällig, weil ich seine Schwester kenne. Sie heißt Aissatou, seinen Namen habe ich vergessen. Beide wohnen ein paar Häuser weiter in einem Auffanglager für Afrikaner. Beide kommen aus dem Senegal.

Ich drehe mir eine Zigarette. Mir kommt die Idee, an diesem Abend ins Kino zu gehen. Das habe ich seit längerem nicht getan. Es hat Zeiten gegeben, da brachte ich es wöchentlich gut und gerne auf drei Kinobesuche. Paris ist ein Ort, um ins Kino zu gehen. Es gibt in fast jedem Quartier mehrere kleine Programmkinos, dorthin gehe ich am liebsten. Ich wohne jetzt im 20. Arrondissement. Ein Lichtspielhaus liegt gleich um die Ecke. Es spielt seit Wochen, wie ich weiß, nur Revuefilme, darunter ist eine Zelluloid-Reihe mit Fred Astaire. Heute gibt es, wenn ich es richtig erinnere: Flying down to Rio. Den kenne ich schon, wie fast alle übrigen Filme von Herrn Austerlitz... Ich bin hier immer gern allein ins Kino gegangen, eine Ausnahme bilden die Kinobesuche mit Kim, obwohl, die haben mehr ihretwegen stattgefunden.

Als ich dann vor dem Kino stehe, erwartet mich eine unerfreuliche Überraschung. Das Haus hat vorübergehend geschlossen, wegen Umbauten. Merde alors. Ich bin enttäuscht, wütend. Was also tun? Wohin sich wenden? Wen fragen?

Ich entschied mich für den Bus und fuhr stadteinwärts. Das Fahrzeug war nahezu leer bis auf eine Gruppe halbwüchsiger Mädchen und Jungen, italienische Schüler, auf Klassenfahrt vermutlich. Sie stiegen mit mir zusammen aus, nahe Les Halles. Ich blieb ein paar Schritte zurück und schaute den Mädchen nach, ein Strauß junger, blühender Mösen, der ausgelassen schnatternd über den Asphalt flog.

Auf Straßen und Plätzen regte sich nach und nach wieder flinkes, munteres Treiben, Neonlichter morsten, Autos kreischten, Stimmen schlugen ihre insularen Bugwellen gegen Hauswände und Bürgersteige, und doch schien alles anders als gewöhnlich, lyrischer, ja, geträumter. Mein Ziel war das Centre Pompidou. Ich trank zuvor ein Glas Rotwein, das ich vor einem Bistro an einem noch regennassen Tisch einnahm, zusammen mit einem Sandwich. Heute entsprach die Stadt meinem Fassungsvermögen.

Der Wein war zu warm, was Folgen hatte. Ich trank nur wenige Schlucke, reichlicher dagegen von dem eiskalten Wasser, das in einer benachbarten Karaffe stand. Der Wein verströmte in dem Schein der Straßenlampen eine magmatische Präsenz, abgeschlossen zwar durch ein gläsernes Haus, aber doch grenzenlos in seinem feurigen Herzrot. Aus dem Bistro vernahm man Musikfetzen, es war das leicht quäkende Falsett von Michel Polnareff.

Oberlicht

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