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Kapitel 10

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Ich war eine halbe Stunde zu früh. Aus diesen und anderen Gründen setzte ich mich noch auf eine Zigarette in den Jardin du Luxembourg. Es war ein lauer Sommerabend. Die Sonne modellierte lange, sahnige Schatten. Es war ein schöner Sommerabend. Ich schlenderte dann an dem Wasserbecken vorüber, wo Väter und Söhne heute wie an jedem anderen Tag kleine, motorisierte Modellschiffe mittels Fernbedienung über einen Miniatursee tuckern ließen, schaute eine Weile zu, ehe ich mich schließlich zu der Buchhandlung begab, in der Daniel an diesem Abend seine Autographen-Sammlung einem halbexklusiven Publikum zur Anschauung zu bringen gedachte.

Es fanden sich erst wenige Gäste in dem Buchladen. Daniel, noch damit beschäftigt, letzte Hand an all die Schaukästen zu legen, in denen seine gesammelten handschriftlichen Schätze dekorativ ausgebreitet lagen, begrüßte mich, indem er mir zuwinkte, als ich den Laden betrat.

Um die Zeit totzuschlagen, tat ich so, als würde ich unter reger Anteilnahme all das aufgebahrte Gekritzel prominenter Hände beschnüffeln, wartete insgeheim aber eher darauf, dass die Bar mit den Getränken freigegeben wurde. Daniel wechselte lediglich ein paar flüchtige Worte mit mir, er war zu diesem Zeitpunkt noch zu sehr beschäftigt.

Er war zugleich der Geschäftsführer dieser Buchhandlung. Nicht mehr für lange. Er hatte vor, sich zu verselbstständigen, um gemeinsam mit einem Freund und in Eigenregie Kunstpostkarten zu vertreiben, ein einträgliches Gewerbe, wie er mir wiederholt versicherte. Ich kam gelegentlich in seinen Laden, weil er auch deutsche Bücher im Sortiment führte. Daniel Castor war Schweizer, lebte seit gut zwei Jahren in Paris. Er war ein smarter Endzwanziger mit guten Manieren, guten Sprachkenntnissen, gutem Aussehen und einem großzügigem Charakter.

Nach und nach füllte sich die Buchhandlung. Es gab zu essen und zu trinken. Eine bunt zusammengewürfelte Schar von Leuten verteilte sich über die Räumlichkeiten, in denen die Luft rasch von Tabakrauch und Gesprächskonfetti stickig wurde.

Man muss den Schmerz wegdenken.

Der so sprach, stand mit dem Rücken zu mir, war groß, fast riesig, von stachliger Dürre und sein mächtiges, kantiges Haupt wirkte umso mächtiger, als die rötlichen Haare darauf wild züngelnde Komposthaufen bildeten und mir den Eindruck erweckten, als könnte jeden Moment ein Buschfeuer von ihnen ausgehen. Wer wollte da schon der Brandstifter sein?

Ich stand so nahe, dass ich hören konnte, worum es in diesem Gespräch gerade ging. Es ging um Hämorrhoiden. Der zweite Mann, der diese Unterhaltung bestritt, litt unter selbigen und beklagte wiederholt, dass das eine äußerst schmerzhafte Sache sei. Er habe sich daher entschlossen, wie er ausführte, die lästigen Untermieter operativ entfernen zu lassen. Er war gut anderthalb Köpfe kleiner als die rote Giraffe, und ich hatte beide schon einmal an diesem Ort gesehen, kannte sie flüchtig auch von anderen Anlässen her. Der kleinere war Musiker, hielt am Ircam, diesem renommierten französischen Babel für zeitgenössischen Musiklärm, Kompositionskurse ab, der andere war Dramaturg.

Man wechselte jetzt das Thema, nachdem eine junge, atlantesk anmutende Frau hinzugetreten war. Sie hatte zwei Konzertkarten zu vergeben, eine für einen Klavierabend mit Arturo Benedetti Michelangeli, eine andere für ein Konzert mit Kompositionen von Manuel de Falla. Der Große schien interessiert an ABM, bei de Falla runzelte er die Stirn und hob abwehrend beide Hände. Die Frau wunderte sich.

Was hast du gegen den Spanier?

Nichts. Aber man verschone mich mit dem hrteig seiner Töne.”

Findest du seine Kompositionen denn so übel?”

Sagen wir, begrenzt. Wie allen blinden Komponisten fehlt de Falla in der Musik eine entscheidende Dimension.

Und diere?

Der Raum.

Einig war man sich in der Runde dagegen in der Beurteilung des italienischen Tastenvirtuosen. Der Musiker betonte die Tatsache, dass ABM mühelos imstande sei, mit seinen Fingern Unterschiede im Grammbereich zu erspüren, was dazu beitrage, dass sein Anschlag so unvergleichlich klinge. Im übrigen sei er zwar, wie die allermeisten seiner Zunft, eine Mimose, gehöre aber immerhin nicht in den Klub jener Pianisten, die Besuchern die Tür nur mit dem Ellenbogen öffnen.

Es war ferner die Rede von den akustischen Vorzügen und Nachteilen berühmter Konzertsäle und Opernhäuser, aber da war ich schon im Begriff, meinen Standort zu wechseln, um mich anderen Spezialitäten des Abends, sowie den kostenlosen Speisen und Getränken zuzuwenden. Lediglich ein Satz hallte schwach in meinen Ohren nach, mit welchen der lange Dramaturg sein Eingeständnis darüber zum Abschluss brachte, dass er sich immer und überall und nachgerade in öffentlichen Aufführungshäusern besonders gut aufgehoben fühle.

Ich mag Räume, die man von mehr als einer Seite aus betreten kann.”

Auf meinem Weg zur Getränke-Bar werde ich von schüchternen Worten angeknabbert. Was mich betrifft, so sind mir ja nur wenige der Anwesenden geläufig. Der ein wenig schmächtige und unauffällige Mensch, der jetzt das Wort an mich richtet, scheint dagegen überhaupt niemanden zu kennen. Seine Zunge wirkt bereits ein bisschen schwer, offenkundig aufgrund einiger Gläser Wein. Er erkundigt sich, ob ich ebenfalls Künstler sei, stellt sich seinerseits als Journalist vor. Wie näheres Nachfragen ergibt, ist er eigentlich Radiosprecher und das bei einem radio libre. Er fühle sich, wie er sagt, hier eher fehl am Platze, ist aufgrund einer Einladung Daniels gekommen, den er auf einem Musiker-Wettbewerb kennen gelernt haben will. Sein Name: Roger Kruger.

Und dann ist da noch diese mittelgroße Gestalt im dunklen Anzug mit dem dunklen, an den Schläfen leicht ergrauten Haar, den ein wenig herben wie auch ein wenig femininen Gesichtslinien, der schmalen Narbe auf der linken Wange und den kühlblauen Augen, deren Blicke wechselweise alles Nähere zu fixieren und dann wieder in unbestimmte Fernen gerichtet zu sein scheinen.

Er steht ruhig im Raum, dieser Mensch, umbrandet von Männlein und Weiblein, Figuren, Gestalten, die gestikulierend und vernehmlich laut miteinander plaudern, er selber wirkt dagegen unbeteiligt, lässt nur gelegentlich einen Halbsatz über die Lippen gleiten und zieht in Abständen bedächtig an einer kurzen Zigarre.

Sie erregt meine Aufmerksamkeit, diese Person, und ich errege ihre Aufmerksamkeit, und es könnte, wie es bei Männerbanden zuweilen geschieht, eine unterschwellig angehaucht gleichgeschlechtliche Grundierung haben, ohne dass es einem der Beteiligten zwingend zu Bewusstsein kommen müsste. Jedenfalls geraten wir später miteinander ins Gespräch, und er stellt sich mir vor, unter dem Namen Carlos van Breusegem.

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