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Kapitel 11

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Paco und Lisa. Ich wohne jetzt bei den Beiden. Sie haben mich aufgenommen. Sie haben eine große Altbauwohnung. Sie haben viel Platz. Sie wollten mir helfen, als es mir schlecht ging. Doch es geht mir nicht mehr schlecht. Sie haben Vertrauen zu mir. Aber vielleicht nähren sie ja eine Schlange an ihrem Busen. Und das Gift dieser Schlange, es kreist längst unbemerkt in ihrem Blutkreislauf.

Lisa wirft mir gelegentlich lüsterne Blicke zu. Sie wirkt unbefriedigt. Sie langweilt sich. Liebt Paco sie, und liebt sie ihn, oder ist alles nur noch schlechte (An) Gewohnheit?

Gestern immerhin entdeckte ich die Beiden eng umschlungen auf dem marineblauen Sofa in ihrem Wohnzimmer. Paco lag oben und küsste Lisa. Es war morgens. Lisa schien gerade aufgestanden zu sein. Sie trug ein Negligé. Sie sah begehrenswert aus. Sinnlich hingestreckt lagerte sie auf dem Diwan. Ich kam aus der Küche. Sie kam aus dem Morgenland.

Paco hatte mich noch nicht bemerkt, da er mir den Rücken zuwandte. Sie blickte an ihm vorbei, während er sie ablutschte. Unsere Blicke trafen sich, komplizenhaft. Dann spreizte sie die Beine. Sie trug einen Schlüpfer, doch der Anblick ihrer geöffneten Schenkel war blanke Wollust. Ich sah, wie sich der dünne Stoff über ihrer Schamspalte spannte, und der Stoff war feucht.

Geh, mein Sklave,

bringe mi r meh r Gold , meh r Geschmeide , komm, mei n begeh r enswe r ter Dien e r , bringe mein Fleisch zum Singen!

Ab und an sitzen wir Drei zusammen und spielen eine Runde Poker, gelegentlich bis spät in die Nacht hinein. Ich habe wenig Bares, doch Paco ist großzügig. Er borgt mir Geld, kleine Summen. Und ich gewinne oft. Ich gewinne mit seinem geborgten Geld. Paco bleibt gelassen, ja, er scheint amüsiert. Er zahlt mir meinen Gewinn gern in Dollar aus. Damit nötigt er mich, zur nächsten Bank zu gehen, um es dort in Deutschmark einzutauschen. Paco liebt solche kleinen, handlichen Späße. Warum, weiß keiner.

Eigentlich müsste ich den beiden dankbar sein. Ich habe ihre Fürsorge in Anspruch genommen. Eine Zeitlang war ihr Heim mir nicht nur Herberge, sie hielten mich auch über Wasser. Aber ich will, dass sich das ändert. Ich will kein Pflegefall mehr sein. Ich will Unabhängigkeit. Und ich will, dass sie in meinem Schatten gehen.

Es hatte unlängst eine Periode gegeben in meinem Leben, da war ich nicht nur wohnungslos, nicht nur mittellos, ich war auch orientierungslos. Man könnte fast sagen, ich drehte mich so sehr im Kreise, dass ich nicht mehr wusste, ob ich der Hamster war oder das Laufrad.

Paco sah darin offenbar eine Aufgabe. Er, der oft ein wenig zu müde und zu kraftlos für sein Alter wirkt - er ist Anfang Vierzig - konnte plötzlich ein Funkeln in seinen ein wenig schräg stehenden Augen entzünden, und etwas Zupackendes ging von seinen Handlungen aus. Es schien, als läge es ihm, im Elend anderer Leute die Rolle des Samariters, die barmherzige Hand, den großen Bruder zu spielen. El Paco, wie ich ihn bisweilen seiner Wildlederstiefel, seiner Metallgürtel und seines kupfernen Ohrrings wegen nenne, gewährte mir also Beistand. Nun, er ist der Ältere, der Erfahrenere von uns Beiden, und ich respektierte seine Motive, wenn ich sie auch nicht immer ganz durchschaute.

Doch dosierte er seine Hilfe allzu sehr, er teilte sie mir sozusagen löffelweise zu, er ging darin vor, als verfolge er insgeheim eine pädagogische Absicht. Und das gefiel mir nicht. Es mochte jedoch noch etwas anderes geben, was ihn bewegte. Mitunter, wenn wir so beisammen saßen, und er sich unbeobachtet fühlte, ruhten seine Blicke wohlgefällig auf mir, und es war nicht nur Hilfsbereitschaft darin zu lesen, es war auch, so wollte es mir vorkommen, ein inniges, zwangsverliebtes Leuchten darin, das in unregelmäßigen Abständen aufblitzte, das Licht eines vereinzelten Leuchtturms in stürmischer, endloser See.

Dann kam Fred aus England zurück. Er war dorthin gegangen, um ein Praktikum zu machen, hatte es aber auf halber Strecke abgebrochen. Mit ihm verstand ich mich auf Anhieb. Ich kannte ihn vorher nicht. Er wohnte zunächst wie ich bei seinem Bruder. Wir, also Fred und ich, kamen rasch überein, zu zweit auf Wohnungssuche zu gehen, wie wir überhaupt in der Folge eine Reihe unserer Aktivitäten bündelten und miteinander vereinten.

Fred zeigte sich als lebhafter, als sportiver Typ. Er suchte regelmäßig ein Fitness Studio auf, Einrichtungen, die zu dieser Zeit überall in Berlin pilzgleich aus dem Boden sprossen, und er hatte Spaß daran, mit Altmetall herumzubasteln. Manchmal begleitete ich ihn auf Schrottplätze, wo er zielsicher tonnenweise Blechteile zusammenklaubte, aus denen er später dann in seiner Werkstatt, einer alten Garage, skurrile Fantasiemaschinen erschuf. Er konnte sich, wie es mir vorkam, überhaupt mehr für Altmetall erwärmen als für die Jurisprudenz.

Einer sah die neue Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Paco nahm es mir offenbar übel, dass sein jüngerer Bruder und ich uns so gut verstanden. Er wurde wortkarger, wenn wir miteinander sprachen, er interessierte sich zunehmend weniger für das, was ich tat oder sagte, ja, manchmal hätte man meinen können, er ginge mir aus dem Weg. Die Stimmung im Hause Ehrenfels war streckenweise ziemlich gereizt, da war es ein Segen, als Fred und ich endlich eine Wohnung im Wedding fanden und ausziehen konnten. Etwas Neues mochte von nun an beginnen.

Interessiert dich nicht, was ich dir vorlese?

Das 18. Jhdt., meinst du.”

Ja, zum Beispiel.

Nicht zwingend.

Mir erscheint es spannend und aufregend, es ist eine Epoche, die kulturell eine bezaubernde Frische ausstrahlt, auch Anmut, Grazie und in der sich noch so viele unverbrauchte Ideen finden lassen.”

Das mag so sein.”

Ich saß mit Lisa morgens beim Frühstück zusammen. Ihre auch für Mitte Dreißig noch mädchenhaften Gesichtszüge kräuselte ein feiner Wellenkamm aus hellen Sommersprossen, ihr naturblondes Haar fiel nicht mehr wie früher in langen, meist staubtrockenen Strähnen über ihre Schultern, sie hatte es auf Bubenlänge kürzen lassen, was ihr aber, wie ich fand, ausgezeichnet stand.

Während sie Müsli mit Joghurt aß, häufte ich Rührei, Schinken und gebratenen Speck auf meinen Teller. Was sie ins Schwärmen versetzte, war ein Artikel, der sich mit der Kunst des 18. Jhdts.befasste, und aus dem sie mir vorhin unaufgefordert auszugsweise vorgelesen hatte. Ich konnte ihr ja in manchem beipflichten. Aber ich hatte keinen rechten Zugang zu dergleichen historischen Ausflügen, wie ich auch die historischen Romane nie gemocht hatte, die sie und ihr Mann so liebten, eines der raren Interessen übrigens, denen die beiden mit vergleichbarer Leidenschaft nachgingen. Sicher, dachte ich bei mir, man sollte sein Herz ruhig an irgendeine Sache hängen, denn sonst landet das Herz womöglich im Dunkelsack.

Lisa war in letzter Zeit oft rastlos und ratlos. Sie schien auf der Suche nach etwas, ohne recht zu wissen, was sie suchen sollte und wo. Das war mein ganz persönlicher Eindruck. Auch Paco zeigte Anwandlungen von innerer Unruhe, wenngleich selten. Seine Gedanken und Anstrengungen galten im Allgemeinen dem Geschäft. Ihm konnte es kaum unterlaufen, dass er unvermittelt von geistigen Abenteuern oder dem Aufbruch zu neuen Ufern träumte.

Doch eines Tages, es war zu einer Zeit, als ihn eine böse Hepatitis heimsuchte, fuchtelte er überaschend mit einer Lektüre vor meiner Nase herum, aus der er eifrig ein paar Passagen rezitierte, die da etwa lauteten:

Die Schöpfung hat es offenbar so vorgesehen, dass täglich die Sonne aufgeht, aber hat die Schöpfung auch vorgesehen, dass du jeden Morgen dasselbe Büro betrittst, dieselben Gesichter anstarrst, derselben Arbeit nachgehst und dieselben, immer wieder aufgekochten und längst erstarrten Beschwörungsformeln murmelst? Genügt es dagegen nicht manchmal, heftig gegen eine Türkante zu stoßen, um das ganze eigene Dasein fragwürdig erscheinen zu lassen?

Aber wie ich Paco kannte, brannte er nicht mehr als ein Strohfeuer ab. Seine ganze Erregung würde sich nach einer schlecht durchlüfteten Nacht sicher wieder in Nichts aufgelöst haben, und dann würde man ihn wie gewohnt über Rebensorten, Weinjahrgänge sowie Gewinn-Verlust Rechnungen philosophieren hören. Genauso kam es. Die Krankheit ging vorüber. Das Buch war bald vergessen, die Umbruchstimmung ebenfalls.

Lisa zeigte sich da schon handfester in ihren Sehnsüchten. Bei ihr konnte ich mir ohne weiteres vorstellen, dass sie eines Tages eine Fahrkarte nach Afrika löste, um dort hungernden Kindern eine hingebungsvolle Pflegemutter zu sein. Lisa malte in ihrer Freizeit. Und sie hatte viel freie Zeit, da sie nur stundenweise im Laden aushalf. Sie malte Aquarelle, vorzugsweise Blumen... Astern, Rosen, Lilien, und sie malte nicht schlecht, wie ich und auch andere fanden, wenngleich sie weit davon entfernt schien, eine künstlerische Berufung in sich zu spüren. Aber man sollte etwas spüren, in seinem Innern, einen Drang, ein Wollen, eine Berufung.

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