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Im Jah­re 1585 wur­de im Schlos­se zu Düs­sel­dorf die Hoch­zeit des jun­gen Her­zogs Jan Wil­helm mit Ja­ko­be von Ba­den so pomp­haft und ma­je­stä­tisch ge­fei­ert, wie es dem An­se­hen des rei­chen Jü­li­cher Fürs­ten­hau­ses ent­sprach. Nach­dem die Fest­lich­kei­ten ab­ge­lau­fen wa­ren, ver­ab­schie­de­te sich der Kur­fürst von Köln, Ernst von Wit­tels­bach, der Bru­der des Her­zogs von Bay­ern, von der Braut, die sei­ne Nich­te war, und sag­te zu ihr, er schei­de leich­teren Mu­tes, als er ge­kom­men sei; denn es habe oft­mals an sei­nem Ge­wis­sen ge­nagt, ob die Hei­rat, zu der er sie in wohl­wol­len­der Mei­nung und Ab­sicht auf ihr Glück über­re­det habe, sie auch zu­frie­den­stel­len wer­de. Nun habe er sich aber, da er wäh­rend der Hoch­zeit ihr lä­cheln­des Ant­litz und auch die viel­fa­che Pracht ih­rer neu­en Um­ge­bung und die Höf­lich­keits­be­zei­gun­gen der Fa­mi­lie ge­se­hen habe, dar­über zur Ruhe be­ge­ben.

Ja­ko­be lä­chel­te mit Au­gen und Mund halb gut­mü­tig, halb spöt­tisch und er­wi­der­te: »Mich dünkt die Um­ge­bung nicht so präch­tig und die Fa­mi­lie nicht so höf­lich wie Euch. Alle Far­ben er­schei­nen mir hier aschen­far­ben und alle Kurzweil wie Lan­ge­wei­le und Trüb­sal. Mein Schwie­ger­va­ter, der alte Her­zog, den Ihr mir als den ver­stän­digs­ten und statt­lichs­ten Herrn im Rei­che ge­schil­dert hat­tet, ist ein al­ber­ner Greis, der den Löf­fel Sup­pe ver­schüt­tet, den sei­ne zit­tern­de Hand zum Mun­de führt. Mei­ne from­me Schwä­ge­rin Si­byl­le hat mich mit kal­ten, trock­nen Lip­pen ge­küsst und die Au­gen jäm­mer­lich ver­dreht, als ob ein Lei­chen­be­gäng­nis ge­fei­ert wür­de.«

Ja, sag­te der Kur­fürst ein we­nig ver­le­gen, er habe nicht ge­wusst, dass es so häss­lich um den al­ten Her­zog ste­he; der Schlag, der ihn kürz­lich ge­trof­fen, habe sei­nen Ver­stand ge­schwächt, doch sei ja zu hof­fen, dass sei­ne Ärz­te ihm wie­der einen Auf­schwung gä­ben; an­de­rer­seits sei er bei so ho­hen Jah­ren, dass man sich auf sei­nen Hin­tritt ge­fasst ma­chen müs­se, und dann wer­de sie die Her­rin wer­den. Denn sie habe doch wohl Schön­heit und Witz ge­nug, ih­ren Ge­mahl, ein wie mäch­ti­ger Fürst er auch sei, ih­rer noch mäch­ti­ge­ren Herr­schaft zu un­ter­jo­chen. Ihr heim­li­ches Hän­de­drücken und Auf-die-Füße-Tre­ten bei der Ta­fel sei ihm nicht ent­gan­gen; sie sol­le nur be­ken­nen, dass sie mit Jan Wil­helm wohl­ver­se­hen sei. Da­bei strei­chel­te der Kur­fürst ihre vol­len, dun­kel­er­rö­te­ten Wan­gen und ih­ren mit Per­len­schnü­ren be­häng­ten Na­cken.

Mit ih­rem Ge­mahl sei sie zu­frie­den, sag­te sie; sie hät­te nicht ge­glaubt, dass er so hübsch und so ar­tig sei. Der wür­de ihr ge­wiss nicht viel zu schaf­fen ma­chen.

Der Kur­fürst be­trach­te­te sie un­schlüs­sig und gab ihr dann noch eine Rei­he gu­ter Leh­ren und Er­mah­nun­gen. Zu leicht sol­le sie sich’s auch nicht vor­stel­len, sie sei am bay­ri­schen Hofe zwi­schen from­men und lie­be­vol­len Ver­wand­ten auf­ge­wach­sen, hier in Düs­sel­dorf sei­en große Auf­ga­ben für sie, aber auch Ge­fah­ren, und es gel­te Vor­sicht und Miss­trau­en zu üben. Es wäre wohl schön, wenn sie die Kir­che in die­sen Lan­den wie­der auf­rich­ten könn­te; aber die Stän­de sei­en meis­ten­teils kal­vi­nisch und hät­ten lei­der all­zu viel Macht, sie müs­se sich hü­ten, mit der Ge­walt drein­zu­fah­ren, lie­ber Ge­le­gen­hei­ten ab­war­ten und lis­tig durch­schlüp­fen. Vor al­len Din­gen sol­le sie sich zu­rück­hal­ten, bis sie ein Prinz­lein ge­bo­ren ha­ben wer­de, das wer­de ihr An­se­hen ver­lei­hen, und es wer­de ja­wohl nicht lan­ge da­mit an­ste­hen.

Ob er etwa mei­ne, er kön­ne ihr jetzt schon et­was an­mer­ken, sag­te die jun­ge Frau la­chend, in­dem sie sich sei­ner Ab­schieds­küs­se zu er­weh­ren such­te. Er sol­le nur ih­ret­we­gen ru­hig sein, sie sei nun ein­mal hier, habe sich dar­ein er­ge­ben und wol­le sich mit Gott so gut ein­rich­ten, wie es mög­lich sei.

Sei­ne Ratschlä­ge sei­en über­flüs­sig, dach­te sie, als er sie ver­las­sen hat­te; aber er mei­ne es gut mit ihr und habe sie auf­rich­tig lieb. Wa­rum soll­te er sie auch nicht lie­ben, da sie doch ihr An­ge­sicht so won­ne­voll auf dem run­den ve­ne­zia­ni­schen Spie­gel wie eine Was­ser­ro­se auf blan­ker See­flä­che schwim­men sah. Nun woll­te sie aber zei­gen, dass sie mehr ver­mö­ge als Bli­cke wer­fen und Lau­te spie­len; sie, die als Pro­tes­tan­tin ge­bo­ren und durch Got­tes Fü­gung an den bay­ri­schen Hof ge­bracht und zur Kir­che zu­rück­ge­führt war, woll­te im Jü­li­cher Lan­de die Ket­ze­rei aus­rot­ten und sich da­durch der höchs­ten Ehre bei Papst und Kai­ser, vor al­len Din­gen bei ih­rem Pfle­ge­va­ter, dem Her­zog Wil­helm von Bay­ern, wert ma­chen.

Nach ih­rer Mei­nung konn­te es nicht so blei­ben, dass Jan Wil­helm, ihr Mann, als ein Kind und fast als ein ar­mer Tropf am Hofe galt; sie hat­te den künf­ti­gen Her­zog ei­nes rei­chen Lan­des ge­hei­ra­tet, und als sol­cher soll­te er sich öf­fent­lich zei­gen. Ihm kam es vor, als wer­de er zum ers­ten Male recht ge­wür­digt und in sei­ner Be­deu­tung er­kannt, und er griff has­tig nach den Zü­geln der Re­gie­rung, um die er sich vor­her nie­mals be­küm­mert hat­te. Da es eben da­mals ge­sch­ah, dass die Stadt We­sel, die als eine ein­hel­lig kal­vi­ni­sche, tap­fe­re und wohl­ha­ben­de Ge­mein­de be­kannt war, einen ka­tho­li­schen Geist­li­chen hin­aus­ge­schafft hat­te, mach­te sich Jan Wil­helm da­hin­ter und ord­ne­te an, die Stadt sol­le eine ih­rer Kir­chen dem ka­tho­li­schen Got­tes­dienst ein­räu­men. Da­ge­gen er­ho­ben sich die Stän­de, die pro­tes­tan­tisch wa­ren, als ge­gen eine ge­walt­sa­me Neue­rung, und auch der alte Her­zog, nach­dem er eine Wei­le er­staunt und miss­trau­isch zu­ge­se­hen hat­te, ver­bat sich das vor­dring­li­che Ge­ba­ren sei­nes Soh­nes. Dar­über kam es zu bö­sen Auf­trit­ten in der Fa­mi­lie, wo­bei der alte Her­zog vor­züg­lich Jan Wil­helm be­droh­te, Si­byl­le hin­ge­gen Ja­ko­ben vor­warf, sie sei schuld an der Ver­wand­lung ih­res Bru­ders, der bis da­hin ein from­mer, ge­hor­sa­mer Sohn ge­we­sen sei. Mit dem Schwie­ger­va­ter und der Schwä­ge­rin hät­te sich Ja­ko­be al­len­falls fer­tig zu wer­den ge­traut; aber mäch­ti­ger als die­se wa­ren, wie sie all­mäh­lich be­merk­te, ei­ni­ge Räte des Her­zogs, vor al­len Herr von Wal­den­burg, ge­nannt Schen­kern, der an Stel­le des hin­fäl­li­gen Al­ten nach sei­nem Gut­dün­ken re­gier­te. Die­ser war es, des­sen Be­feh­len der Hof­staat und die Die­ner­schaft ge­horch­ten und der im­mer da­hin­ter­steck­te, wenn ihre und ih­res Man­nes Wün­sche auf Wi­der­stand stie­ßen.

Als sie ei­nes Abends mit ei­ni­gen jun­gen Her­ren und Frau­en von Adel beim Brett­spiel sa­ßen und die Scha­tul­le leer fan­den, aus der sie das Geld zu ei­nem neu­en Ein­satz neh­men woll­ten, wur­de ih­nen vom Zahl­meis­ter, nach dem sie schick­ten, be­deu­tet, sie hät­ten mehr ver­braucht, als ih­nen zu­ste­he, er wol­le ih­nen wohl für den Au­gen­blick mit ei­ner Klei­nig­keit aus sei­nem Ei­ge­nen aus­hel­fen, ins­künf­ti­ge möch­ten sie aber das Wams nach dem Stücke schnei­den und die Schlep­pe ein we­nig stut­zen.

Es ge­lang Ja­ko­be nicht, in ih­rem Man­ne die­sel­be Ent­rüs­tung zu er­re­gen, die sich ih­rer be­mäch­tigt hat­te, noch we­ni­ger, ihn zum Ein­schrei­ten ge­gen den Mar­schall Schen­kern zu brin­gen, auf den der Zahl­meis­ter sich be­ru­fen hat­te. So zog sie denn den mäch­ti­gen Mann selbst zur Re­chen­schaft und hielt ihm vor, dass sie nicht etwa ihn um Geld bit­te, viel­mehr ver­lan­ge, dass ihr un­er­be­ten ge­lie­fert wer­de, was zur Be­strei­tung ei­nes fürst­li­chen Hof­halts er­for­der­lich sei.

Das sei ih­nen ge­lie­fert wor­den, ent­geg­ne­te Schen­kern kalt, sie hät­ten es aber all­zu schnell ver­braucht.

Das Blut stieg der jun­gen Frau ins Ge­sicht. Nicht so viel sei ihr ge­reicht wor­den, wie sich zum Na­del­geld für eine un­ver­mähl­te Prin­zes­sin schi­cke. Was sie denn aus­ge­ge­ben hät­te? Ge­wän­der und Klein­odi­en hät­te sie mit­ge­bracht, hier nichts der­glei­chen er­hal­ten. Ob es ihr etwa ver­bo­ten sein sol­le, bei ih­rem täg­li­chen Gang in die Mes­se Al­mo­sen aus­zu­tei­len? Oder ob ih­nen das Brett- und Kar­ten­spiel als ihre ein­zi­ge Un­ter­hal­tung zu miss­gön­nen sei? Es gebe Un­ter­ta­nen des Her­zogs, die präch­ti­ger als sie und ihr Herr auf­zö­gen, aus­reis­ten, so oft und wo­hin es ih­nen be­lieb­te, und Gna­den ver­teil­ten wie re­gie­ren­de Fürs­ten. Da­bei lenk­te sie das zor­ni­ge Feu­er ih­rer dun­kelblau­en Au­gen ge­ra­de auf ihn.

»Ich ge­nie­ße«, sag­te Schen­kern mit dreis­tem Lä­cheln, »was mei­ne Äm­ter mir ein­brin­gen. Ei­nem je­den das Sei­ne. Ihre Gna­den müs­sen mit Ihrem Ein­kom­men haus­hal­ten und sich in die Stel­lung Ihres Ge­mahls fü­gen ler­nen, die be­schei­de­ner ist als die hoch­fah­ren­den Mie­nen und Wor­te Eu­rer Gna­den. Denn bis jetzt ist der jun­ge Herr nur der ers­te Un­ter­tan un­se­res re­gie­ren­den Her­zogs.«

»Der Rat, den Ihr mir gebt, ist gut für Euch«, rief Ja­ko­be auf­brau­send. »Wir wer­den se­hen, wer sich eher in die Stel­lung bücken muss, die ihm zu­kommt, Ihr oder ich.«

Einst­wei­len frei­lich muss­te Ja­ko­be das kärg­li­che Le­ben fris­ten, das ihr vor­ge­schrie­ben war, wo­mit es eher schlim­mer als bes­ser wur­de, umso mehr, als sie nach Ver­lauf ei­ni­ger Jah­re noch im­mer nicht schwan­ger ge­wor­den war. Die Sucht, sich her­vor­zu­tun, zu der sie Jan Wil­helm an­ge­spornt hat­te, ließ gänz­lich bei ihm nach und wich trü­ben Ge­dan­ken, wie dass Gott ihn mit Kin­der­lo­sig­keit für sei­ne Sün­den stra­fe, als wel­che er vor­züg­lich an­sah, dass er sei­nem Va­ter ge­trotzt und dass er Elend über sei­ne Un­ter­ta­nen ge­bracht habe. Es wa­ren näm­lich in die Stadt We­sel, die er zur Ein­füh­rung ei­nes ka­tho­li­schen Pfar­rers hat­te zwin­gen wol­len, spa­ni­sche Trup­pen ein­ge­legt wor­den, die sich we­gen des Krie­ges mit den nie­der­län­di­schen Staa­ten an der Gren­ze be­fan­den, und er hat­te eine Bitt­schrift der Stadt ge­le­sen, in der sie über ihre Be­drän­gung Kla­ge führ­te. Ein Satz, der dar­in vor­kam, näm­lich: ›Schreit es nicht zum Him­mel, dass schutz­lo­se Wit­wen und Wai­sen, die kei­nes an­de­ren Ver­bre­chens schul­dig sind, als dass sie in ih­rem Glau­ben ver­har­ren wol­len, von ei­ner frem­den, grau­sa­men Sol­da­tes­ka un­aus­steh­li­che Mar­ter und Qual Lei­bes und der See­le er­dul­den müs­sen?‹, hat­te sich ihm so ein­ge­prägt, dass er durch nichts an­de­res zu ver­drän­gen war. We­der Schel­ten noch Schmei­cheln, wo­durch Ja­ko­be ihn wech­sel­wei­se um­zu­stim­men such­te, noch die sonst be­lieb­te Zer­streu­ung des Brett- oder Ball­spiels ver­fin­gen; ja, ei­nes Ta­ges kam es so weit, dass der Prinz sich auf­zu­ste­hen wei­ger­te, weil ihm die Lust am Le­ben ver­gan­gen sei.

Um die­se Zeit starb Diet­rich von Horst, der Jan Wil­helm er­zo­gen hat­te und dem er, ob­wohl er von ihm mit Stren­ge be­han­delt wor­den war, so zärt­lich an­hing, dass man sich nicht ge­trau­te, sei­ne Schwer­mut durch die To­des­bot­schaft zu ver­meh­ren. Die Ärz­te des al­ten Her­zogs, un­ter de­nen ein sech­zig­jäh­ri­ger Mann, der Dok­tor So­len­an­der, das meis­te An­se­hen hat­te, er­teil­ten den Rat, den Kran­ken durch eine Rei­se zu ent­fer­nen; wäh­rend­des­sen kön­ne der von Horst be­stat­tet wer­den, und zu­gleich wür­den die neu­en Ein­drücke den jun­gen Her­zog auf an­de­re Ge­dan­ken brin­gen.

Ja­ko­ben, die ih­ren Ge­mahl be­glei­ten woll­te, riet So­len­an­der freund­lich da­von ab; er ehre und ver­ste­he ihre Lie­be und Treue, ur­tei­le je­doch als Arzt, dass eine voll­stän­di­ge Ver­än­de­rung der Um­ge­bung dem Kran­ken am dien­lichs­ten sei, be­son­ders auch, weil es nicht an­ders sein kön­ne, als dass die Nähe sei­ner jun­gen und schö­nen Frau ihn zu al­ler­hand Zärt­lich­kei­ten ehe­li­cher Lie­be rei­ze, wo­durch er sei­ne Kraft er­schöp­fe, und das müs­se eben jetzt am al­ler­meis­ten ver­mie­den wer­den. Trotz ih­res Vor­ur­teils ge­gen den Arzt, der kal­vi­nisch war, flö­ßte sein red­li­ches und wür­di­ges We­sen ihr Ver­trau­en ein, so­dass sie ihm mit kind­lich huld­vol­lem Lä­cheln er­wi­der­te, sie wol­le sich sei­nen An­ord­nun­gen fü­gen. Frei­lich war es ihr aufs bit­ters­te zu­wi­der, dass es Schen­kern war, dem ihr Mann an­ver­traut wur­de und der ihn wie einen Ge­fan­ge­nen mit sich führ­te; al­lein sie trös­te­te sich da­mit, dass Jan Wil­helm in ei­nem leid­li­chen Zu­stan­de wie­der­kom­men und dass sie zu­nächst ein­mal von dem Druck sei­ner selt­sa­men Me­lan­cho­lie frei sein wer­de.

So recht von Her­zen frei und fröh­lich, ob man das in dem weit­läu­fi­gen Schlos­se von Düs­sel­dorf sein kön­ne, dar­an zwei­fel­te sie zwar. Oft­mals stand sie vor dem Bil­de der ver­stor­be­nen Her­zo­gin Ma­ria, der Mut­ter ih­res Man­nes, die, wie man ihr er­zählt hat­te, jah­re­lang voll ir­rer und trüb­se­li­ger Ge­dan­ken, fast ab­we­sen­den Geis­tes ge­we­sen war. Nicht ohne Grau­en be­trach­te­te sie die schma­le, in sich zu­sam­men­ge­kro­che­ne Ge­stalt, die von dem schar­lach­far­be­nen Bro­kat­kleid er­drückt schi­en, das spuk­haft blei­che, angst­vol­le Ge­sicht un­ter den gelb­lich-ro­ten Haa­ren und die dünn­fing­ri­gen Hän­de, die sich wäch­sern um ein An­dachts­buch bo­gen. Auch ihr ge­fiel es, Schwie­ger­toch­ter ei­ner Toch­ter des hoch­se­li­gen Kai­sers Fer­di­nand I. und Tan­te des re­gie­ren­den Kai­sers Ru­dolf zu sein; trotz­dem mach­te es sie ein we­nig la­chen, dass man sich hier auf die­se miss­ra­te­ne Per­son so viel zu­gu­te tat. Wie ein Ge­s­penst vor der Mor­gen­rö­te muss­te dies Jam­mer­bild vor ih­rer Kraft und Schön­heit er­lö­schen! Ver­se aus ei­nem Ge­dicht fie­len ihr ein, das Graf Phil­ipp von Man­der­scheid einst für sie ge­macht hat­te, ihr Ge­lieb­ter, den ihre Hei­rat in Ra­se­rei und selbst­mör­de­ri­schen Tod ge­trie­ben hat­te, und die lau­te­ten: ›Kö­ni­gin Son­ne, du leuch­test so! Ich und der Som­mer, wir bren­nen lich­ter­loh!‹

Ein tiefer Un­mut stieg in ihr auf: wäh­rend die Welt über­all voll Lust und Pran­gen war, muss­te sie in die­sem Schlos­se ein­ge­sperrt sein, des­sen Luft Gott weiß wo­her von ver­derb­li­chen Übeln voll zu sein schi­en. Kaum war sie der düs­te­ren Ge­sell­schaft ih­res Man­nes le­dig, so kam der alte Her­zog und klag­te sich un­ter Wei­nen und Seuf­zen an, er habe den ein­zi­gen Sohn, der ihm üb­rig­ge­blie­ben sei, zur Verzweif­lung ge­trie­ben, in­dem er ihn nicht zur Re­gie­rung habe zu­las­sen wol­len; das habe ihn mit arg­wöh­ni­schen und wi­der­wär­ti­gen Ge­dan­ken er­füllt; er sei ein har­ter, un­ge­rech­ter Va­ter ge­we­sen, zur Stra­fe wer­de nun sein Haus aus­ster­ben und Un­glück über sein Land kom­men. Ja­ko­be dach­te bei sich, dass dem Al­ten recht ge­sch­ehe; aber lan­ge moch­te sie ihn doch nicht wei­nen se­hen und be­schwich­tig­te ihn mit mit­lei­di­gen Wor­ten und aus­ge­las­se­nen Ne­cke­rei­en, so­dass er sie zu­letzt aus sei­nem Jam­mer kläg­lich an­la­chen muss­te. Er und Si­byl­le schrie­ben lan­ge Brie­fe an Jan Wil­helm, er sol­le sich nur lus­tig ma­chen, da­heim gehe al­les gut und nach Wunsch; denn Dok­tor So­len­an­der hat­te ih­nen ge­sagt, es sei wich­tig, dass der Kran­ke hei­te­re Ein­drücke er­hal­te.

Drei Tage spä­ter je­doch wur­de der Rei­sen­de von Schen­kern zu­rück­ge­bracht, der er­klär­te, nach ei­ner an­fäng­li­chen Bes­se­rung habe des Kran­ken Me­lan­cho­lie so zu­ge­nom­men und ein so heil­lo­ses An­se­hen ge­won­nen, dass er schleu­nig habe um­keh­ren müs­sen; der Wunsch, zu Hau­se zu sein, sei der ein­zi­ge Trieb ge­we­sen, der noch ei­ni­ges Le­ben in die­ser ar­men See­le ver­ra­ten habe. Eine ge­wis­se Be­ru­hi­gung schi­en der Kran­ke zu spü­ren, als er sich wie­der in Ja­ko­bes Hän­den fühl­te; al­lein wenn er auch all­mäh­lich zu ei­ner Le­ben­stä­tig­keit zu­rück­kehr­te, so war die­se doch un­re­gel­mä­ßig und un­ge­ord­net und er­weck­te Grau­en. Des Nachts be­son­ders ruh­te er nicht, son­dern ging hin und wi­der in den lan­gen Gän­gen des Schlos­ses und ver­lief sich wohl gar, und wenn der alte Her­zog oder sonst je­mand von der Fa­mi­lie ihm ent­ge­gen­trat mit Be­schwö­run­gen, er sol­le sein La­ger auf­su­chen, so stier­te er sie sinn­los an oder schrie und fuch­tel­te mit den Ar­men, bis sie zu­rück­wi­chen und sich ver­bar­gen.

Ein­mal er­wach­te Si­byl­le in der Nacht durch ein ab­son­der­li­ches Kra­chen der Stie­ge un­ter dem Da­che, und da sie, vor­sich­tig schlei­chend, dem Geräusch nach­ging, ka­men ihr ih­res Bru­ders Be­diens­te­te ver­stört ent­ge­gen und mel­de­ten, dass er in Beglei­tung ei­nes ein­zi­gen Edel­kna­ben auf die Zin­ne des Schlos­ses ge­stie­gen sei, um nach dem Fein­de aus­zu­lu­gen, und dass er ge­droht habe, es dür­fe ih­nen nie­mand fol­gen. Si­byl­le weck­te zit­ternd den Al­ten, klei­de­te ihn not­dürf­tig an und zog ihn, der kaum ver­stand, was vor­ging, mit sich fort aus dem Tor hin­aus auf den Schloss­platz. Es war No­vem­ber, und der Sturm heul­te feucht von Wes­ten her über den Rhein. Nach oben bli­ckend, ge­wahr­te Si­byl­le auf dem Da­che eine schat­ten­haf­te Be­we­gung und un­ter­schied zwei Ge­stal­ten, von de­nen die klei­ne­re eine Fa­ckel trug, de­ren Flam­me die sau­sen­de Luft fla­ckernd aus­ein­an­der­bog; die an­de­re, hoch und schmal, warf lan­ge Arme in die Luft, bück­te sich, knie­te nie­der und beug­te sich weit zwi­schen den Zin­nen vor in die Tie­fe. Mit ent­setz­tem Fin­ger deu­te­te Si­byl­le auf das her­ab­hän­gen­de Haupt, des­sen lan­ges Haar der Wind hin und her blies; plötz­lich er­losch die Fa­ckel, die von dem Kna­ben ge­hal­ten wur­de, wor­über der in sei­nem Pelz schau­dern­de Alte er­schrak und, bei­de Arme nach oben aus­brei­tend, den Na­men sei­nes Soh­nes hin­auf­jam­mer­te. Angst­voll drück­te Si­byl­le ihre Hand auf sei­nen Mund, weil sie glaub­te, es sei ge­fähr­lich, einen Nacht­wand­ler an­zu­ru­fen; oh­ne­hin hat­te der Wind die schwa­chen Grei­sen­lau­te ver­weht, und es schi­en nicht, als ob der irre Träu­mer sich der Ge­gen­wart sei­ner An­ge­hö­ri­gen be­wusst ge­wor­den sei.

Ja­ko­be war er­wacht, als ihr Mann das La­ger ver­ließ; da sie aber dar­an ge­wöhnt war, hat­te sie sich nicht dar­um be­küm­mert und war wie­der ein­ge­schla­fen. Als Si­byl­le mit gräm­lich schar­fen Wor­ten dar­auf hin­deu­te­te, sag­te Dok­tor So­len­an­der, der Schlaf sei der ar­men Frau wohl zu gön­nen, die tag­über Pla­ge und Sor­ge vollauf habe. Vi­el­leicht sei es rat­sam, um ver­derb­li­che Zu­fäl­le zu ver­hü­ten, dass Ja­ko­be künf­tig das Schlaf­ge­mach zu­schlie­ße und ih­ren Mann nicht hin­aus­ge­hen las­se, vor­aus­ge­setzt, dass sie sich ge­traue, ihn zu be­meis­tern. Üb­ri­gens sei da nichts zu ma­chen, als dass der Kör­per des Kran­ken ver­stän­dig durch gute Luft und mil­de, be­kömm­li­che Nah­rung ge­pflegt wer­de, da­mit von dort aus das trü­be We­sen nicht noch ge­nährt wer­de; er habe auch er­fah­ren, dass die ab­ster­ben­den Mo­na­te No­vem­ber und De­zem­ber Schwer­mü­ti­gen ge­fähr­lich wä­ren, und ver­trös­te­te auf das neue Jahr, des­sen wach­sen­des Licht Bes­se­rung brin­gen kön­ne.

Die­se Hoff­nung ver­sieg­te in den Früh­lings­mo­na­ten, da sich in dem Zu­stan­de des Kran­ken nichts We­sent­li­ches än­der­te, wie er auch wech­sel­te. Ja­ko­be ver­moch­te ihn wohl nachts im Schlaf­zim­mer fest­zu­hal­ten, in­dem sie sei­nen Wut­aus­brü­chen tap­fer stand­hielt; nun aber wei­ger­te er sich zu es­sen, weil die Spei­sen, die man ihm vor­setz­te, ver­gif­tet sei­en, und be­zich­tig­te die kal­vi­ni­schen Ärz­te, dass sie ihm nach dem Le­ben stell­ten. Wenn der Alte, Si­byl­le oder Ja­ko­be vor sei­nen Au­gen aus sei­ner Schüs­sel aßen, nahm er wohl auch ein we­nig da­von, aber mit Seuf­zen und Ekel, und wen­de­te sich bald still­schwei­gend weg nach der Wand; denn er blieb meis­tens im Bett lie­gen und stand erst am spä­ten Abend auf, um stun­den­lang im Ge­mach auf und ab zu ge­hen.

Die Kun­de von der selt­sa­men Er­kran­kung des Er­ben von Jü­lich-Cle­ve war nicht ge­heim­zu­hal­ten und reg­te vie­le Höfe auf, in­dem die Fürs­ten das An­recht und die An­wart­schaft über­leg­ten, die sie etwa an der be­trächt­li­chen Erb­schaft könn­ten gel­tend ma­chen. Die schwäch­li­che Lei­bes­be­schaf­fen­heit Jan Wil­helms hat­te schon in sei­nen Kna­ben­jah­ren al­ler­lei be­son­de­re Ge­dan­ken in der Ver­wandt­schaft auf­kom­men las­sen; als je­doch der jun­ge Her­zog mann­bar wur­de und hei­ra­te­te, hat­te man es da­bei be­wen­den und auf sich be­ru­hen las­sen. Wie nun die Nach­kom­men­schaft aus­blieb und ein Ge­bre­chen um sich griff, das al­ler ärzt­li­chen Kunst spot­te­te, setz­te man sich al­ler­or­ten in Be­reit­schaft, um bei der ers­ten Ge­le­gen­heit zu­zu­grei­fen, ehe ein an­de­rer zu­vor­käme. Vollends als im Jah­re 1592 der alte Her­zog starb, des­sen er­lo­sche­ner Geist dem Zu­sam­men­bruch noch ge­wehrt hat­te, wie eine von Düns­ten ver­hüll­te Mond­schei­be die Bil­der der Erde trü­be zu­sam­men­hält, die nach ih­rem Un­ter­gan­ge in Nacht ver­sin­ken, nahm die Ver­wir­rung und Ent­zwei­ung im Schlos­se auf das ärgs­te zu und eben­so die Be­gier der be­tei­lig­ten An­ver­wand­ten, sich ein­zu­mi­schen.

Si­byl­le und Jan Wil­helm hat­ten drei äl­te­re Schwes­tern, die in der Zeit auf­ge­wach­sen wa­ren, als der nun ver­stor­be­ne Her­zog, Wil­helm der Rei­che, noch rüs­tig und sei­nes Geis­tes mäch­tig ge­we­sen war. Im evan­ge­li­schen Glau­ben er­zo­gen, wa­ren sie froh, den Ver­fol­gun­gen, die sie durch den wach­sen­den Ein­fluss der ka­tho­li­schen Räte er­dul­den muss­ten, zu ent­rin­nen, in­dem sie sich mit pro­tes­tan­ti­schen Fürs­ten ver­mähl­ten, die äl­tes­te, Ma­rie Eleo­no­re, mit dem bran­den­bur­gi­schen Her­zog von Preu­ßen, die bei­den an­de­ren mit zwei Wit­tels­ba­cher Vet­tern, dem Pfalz­gra­fen Phil­ipp Lud­wig von Neu­burg, der eine un­er­schüt­ter­li­che Säu­le des lu­the­ri­schen Be­kennt­nis­ses war, und dem Pfalz­gra­fen Jo­hann von Zwei­brücken, ei­nem un­er­schro­cke­nen Vor­kämp­fer des Kal­vi­nis­mus. Als Ma­rie Eleo­no­re, von ih­rem Va­ter selbst ge­lei­tet, in Preu­ßen an­lang­te, er­gab es sich, dass der Bräu­ti­gam blöd­sin­nig und also kei­nes­wegs der statt­li­che Frei­er war, als wel­chen man ihn am Jü­li­cher Hofe emp­foh­len hat­te; al­lein die Braut, von de­ren Ent­schei­dung ab­hän­gig ge­macht wur­de, was nun ge­sche­hen soll­te, dach­te an ihre trüb­se­li­ge Ge­fan­gen­schaft im Schlos­se zu Düs­sel­dorf, wo ihr Va­ter, um sie zur Mes­se zu zwin­gen, sie an den Haa­ren ge­schleift hat­te, und ur­teil­te, dass sie es als Her­zo­gin von Preu­ßen eher bes­ser als schlim­mer ha­ben und we­nigs­tens in Si­cher­heit ih­rem Glau­ben ob­lie­gen kön­nen wer­de. Dem­ge­mäß er­klär­te sie sich be­reit, des Schwach­sin­ni­gen Frau zu wer­den und ihn treu und ge­dul­dig zu pfle­gen. Jetzt ließ sie es sich an­ge­le­gen sein, ihr vä­ter­li­ches Land den Bran­den­bur­gern zu­zu­wen­den, da­mit es nicht in die Ge­walt der Ka­tho­li­ken käme.

Der Pfalz­graf von Zwei­brücken, ein bie­de­rer, un­ge­stü­mer Herr, der es nicht an­ders wuss­te, als dass die Pro­tes­tan­ten Söh­ne des Lichts und die Ka­tho­li­ken Söh­ne der Fins­ter­nis wä­ren, und die letz­te­ren be­kämpf­te, wie und wo er ver­moch­te, miss­trau­te der Ja­ko­be, die erst kürz­lich vom Papst durch die Gol­de­ne Rose aus­ge­zeich­net wor­den war; aber als er in das Trei­ben am Düs­sel­dor­fer Hofe mit ei­ge­nen Au­gen hin­einsah, ge­wann es da­mit eine an­de­re Ge­stalt. Es wur­de deut­lich, dass der erz­ka­tho­li­sche Schen­kern, der es mit Spa­ni­en hielt, und Si­byl­le, die täg­lich lan­ge Brie­fe voll Heim­lich­kei­ten an die je­sui­ti­schen Wit­tels­ba­cher in Mün­chen schrieb, ihre Fein­de wa­ren und sie in al­len ih­ren Rech­ten kränk­ten.

Die pro­tes­tan­ti­schen Stän­de, Graf von Fal­ken­stein, die Her­ren von Bon­gart, Ors­beck und Palland, mit de­nen der Pfalz­graf sich in Ver­bin­dung setz­te, er­zähl­ten, die arme Her­zo­gin sei übel dar­an; ob­wohl sie stolz und lei­den­schaft­lich sei, ver­mö­ge sie al­lein nichts wi­der Schen­kern, der kei­nen Zip­fel der Macht aus den Hän­den las­sen wol­le. Des­halb be­die­ne sie sich ih­rer, der Stän­de, um ih­ren Wil­len durch­zu­set­zen; so­wie es sich aber dar­um hand­le, ih­nen den Preis zu be­wil­li­gen, um den sie ar­bei­te­ten, näm­lich die Dul­dung ih­res Be­kennt­nis­ses, so wei­che sie aus und zür­ne wohl gar, dass man ihr, der Her­zo­gin, eine Rech­nung ma­che, an­statt ihr um­sonst zu die­nen. Schen­kern wür­de sich dem Teu­fel ver­schrei­ben, um die Macht zu be­hal­ten, ja hät­te es ei­gent­lich schon ge­tan, da er mit den Spa­ni­ern im ge­hei­men Bun­de sei. Es sei weit und breit kei­ne Hil­fe für die Her­zo­gin als bei ih­nen, möch­te sie es nur ein­se­hen! Sie ih­rer­seits setz­ten ihre Hoff­nung auf die pro­tes­tan­ti­schen Er­ban­spre­cher, de­nen sie gern den Weg ins Land bah­nen woll­ten.

Wie stür­misch des Pfalz­gra­fen Sinn auch war, wuss­te er doch, dass er sich einst­wei­len noch zu­rück­hal­ten muss­te, be­son­ders weil das Erbrecht sei­ner Frau durch einen Ver­zicht, den sie bei der Hei­rat ge­tan hat­te, zwei­fel­haft und sein Land zu klein und un­aus­gie­big war, als dass er ver­ein­zelt et­was hät­te aus­rich­ten kön­nen. Zu­nächst rie­fen die strei­ten­den Par­tei­en die höchs­te Macht des Kai­sers an, und Ge­sand­te und Be­voll­mäch­tig­te reis­ten zwi­schen Prag und Düs­sel­dorf er­geb­nis­los hin und wi­der. Die In­struk­tio­nen Kai­ser Ru­dolfs wa­ren näm­lich dar­auf zu­ge­rich­tet, dass der Zu­stand wo­mög­lich er­hal­ten blie­be, in dem alle Par­tei­en sich die Waa­ge hiel­ten, und höchs­tens etwa Schen­kern ein we­nig ge­schützt wür­de, von dem man sich am ehe­s­ten Nut­zen ver­sprach; denn so blieb der Kai­ser Schieds­rich­ter und konn­te nach dem Aus­ster­ben der re­gie­ren­den Fa­mi­lie de­sto bes­ser die Beu­te an sich rei­ßen.

Zu­wei­len war Ja­ko­be nie­der­ge­schla­gen und wein­te ver­stoh­len, um nach­her de­sto fröh­li­cher zu sein. Es ge­hör­te zu ih­rem Hof­staat ein Narr, den sie wohl lei­den moch­te, weil er sie je­der­zeit zum La­chen brach­te. Er hat­te ein bart­lo­ses Ge­sicht, dem nicht an­zu­se­hen war, ob er jung oder alt sei, und eine jäm­mer­li­che Mie­ne, ob­wohl er sich ge­wöhnt hat­te, sei­nem Be­ru­fe ge­mäß be­stän­dig Spä­ße zu ma­chen, ja auch das Ernst­haf­te in al­ber­ner Form vor­zu­brin­gen. Ja­ko­be pfleg­te stun­den­lang tol­les Zeug mit ihm zu schwat­zen und lach­te bis zu Trä­nen da­bei, be­son­ders wenn ihre Schwä­ge­rin Si­byl­le da­zu­kam und schee­le Bli­cke auf ihre Aus­ge­las­sen­heit warf. Ein­mal be­riet sie mit dem Nar­ren, was sie an­stel­len könn­ten, um ih­ren schwer­mü­ti­gen Ge­mahl zu er­hei­tern, und nach al­ler­lei Vor­schlä­gen, mit de­nen sie sich ge­gen­sei­tig stei­ger­ten, ka­men sie über­ein, der Narr sol­le Klei­der und Kopf­putz der Her­zo­gin an­le­gen und so zu Jan Wil­helm ge­hen und ihm schön­tun, wie wenn er Ja­ko­be wäre, was sie auch aus­führ­ten. Durch eine Spal­te der Tür sah Ja­ko­be zu, wie der Narr, den sie selbst aus­staf­fiert hat­te, sei­ne wei­ner­li­che Stim­me so süß an­schlug, wie er konn­te, um dem Kran­ken al­ler­lei ge­zier­te und fre­che Zärt­lich­kei­ten vor­zu­tra­gen, und ihn zu­letzt zu ei­nem Tänz­chen be­wog, wo­bei er sich ab­son­der­lich ver­dreh­te und mit der schwe­ren Schlep­pe ih­res Ge­wan­des schar­wen­zel­te. »Gott steh mir bei«, sag­te Ja­ko­be, wäh­rend sie den seuf­zen­den Nar­ren aus sei­ner Ver­mum­mung be­frei­te, »was für ein Scheu­sal bin ich in mei­nes Ge­mahls Au­gen! Mich nimmt wun­der, wie er doch al­le­we­ge so sehr in mich ver­liebt sein mag.«

In­des­sen muss­te Ja­ko­be wahr­neh­men, dass die An­häng­lich­keit ih­res Man­nes, der sie sich nach fast zehn­jäh­ri­ger Ehe und nach so vie­len Pro­ben si­cher wähn­te, ab­nahm, ja zu­wei­len sich in das Ge­gen­teil ver­kehr­te. Mein­te sie an­fäng­lich, dass es sich nur um eine der sinn­lo­sen Lau­nen hand­le, wie sei­ne Krank­heit sie mit sich brach­te, so über­zeug­te sie sich all­mäh­lich, dass et­was an­de­res da­hin­ter­steck­te, und rich­te­te ih­ren Ver­dacht auf Schen­kern, der nebst sei­nen An­hän­gern den Her­zog häu­fig be­such­te und auf ihn ein­re­de­te. Als sie nun den Die­nern Be­fehl gab, nie­man­den mehr ohne ihr Wis­sen zu ih­rem Ge­mahl zu las­sen, kam ei­nes Ta­ges Herr von Os­sen­bruch, in al­len Din­gen Schen­kerns Hel­fer und Ge­sel­le, das Kam­mer­fräu­lein bei­sei­te schie­bend in ihr Ge­mach und be­klag­te sich, dass sie den Her­zog ab­sper­re.

Wie er sich er­dreis­ten kön­ne, so gröb­lich zu ihr her­ein­zu­fah­ren, herrsch­te sie ihn an. Sie sol­le ihn doch nicht für ih­ren Feind an­se­hen, sag­te nun Os­sen­bruch, sie sei ein viel zu schö­nes Weib­chen, als dass ein Mann sie has­sen kön­ne. Sie ste­he ja auch so ver­las­sen da, und wenn sie des Tros­tes be­dür­fe, möch­te sie sich doch an ihn hal­ten, er sei ein Mann für zehn Män­ner, er sei ein Fels, sie sol­le es nur mit ihm ver­su­chen, und so wei­ter. Wie er ihr da­bei zu­dring­lich nä­her kam und sein duns­ti­ger Atem sie streif­te, rief sie, er sei be­trun­ken und sol­le sie auf der Stel­le ver­las­sen, was er aber nicht für Ernst nahm; so schlug sie ihn mit der Hand in das ge­dun­se­ne Ge­sicht und ge­bot den Die­nern, die in­zwi­schen her­bei­ge­eilt wa­ren, ihn fort­zu­schaf­fen.

Hier­über kam es zu ei­nem Streit mit Schen­kern, der Ge­nug­tu­ung für den sei­nem Freun­de zu­ge­füg­ten Schimpf for­der­te, wäh­rend Ja­ko­be ver­lang­te, dass Os­sen­bruch be­straft und dass sie ins­künf­tig vor ähn­li­cher Un­ge­bühr ge­si­chert wür­de. Es wun­de­re ihn, sag­te Schen­kern, was für über­spann­te Prä­ten­tio­nen sie stel­le, da sie doch ihre Pf­lich­ten als Ge­mah­lin des Her­zogs nicht er­fül­le, viel­mehr ih­ren Mann ein­schlie­ße, um al­lein zu herr­schen, ihm auch nicht ein­mal einen Er­ben ge­bo­ren habe, was ihn füg­lich ver­an­las­sen könn­te, das un­frucht­ba­re Bünd­nis auf­zu­lö­sen, wo­für es an Bei­spie­len aus der al­ten und neu­en Ge­schich­te nicht feh­le. Mit spöt­ti­schem Lä­cheln ent­geg­ne­te Ja­ko­be, er habe wohl ver­ges­sen, dass sie und ihr Ge­mahl der hei­li­gen ka­tho­li­schen Kir­che an­ge­hör­ten, wel­che die Ehe­schei­dung nicht zu­las­se; so­lan­ge sie am Le­ben sei, kön­ne der Her­zog nur Ba­star­de zeu­gen, wenn er über­haupt dazu fä­hig sei.

Schen­kern ant­wor­te­te dar­auf nicht; denn es traf ihn, dass sie recht ha­ben könn­te: so­lan­ge sie am Le­ben sei, wür­de er nichts Durch­grei­fen­des aus­rich­ten kön­nen. Es war in der Tat un­wahr­schein­lich, dass der Papst sich zur Schei­dung der Ehe be­reit­fin­den las­sen wür­de; woll­te er, Schen­kern, den Her­zog an­der­wei­tig ver­mäh­len, so müss­te Ja­ko­be ster­ben. Nach­dem er sich dies eine kur­ze Zeit hat­te durch den Kopf ge­hen las­sen, schrieb er an den Dok­tor So­len­an­der, der mit Gif­ten wie mit Heil­mit­teln Be­scheid wuss­te, weil es zum ge­mei­nen Nut­zen not­wen­dig sei, sol­le er die Her­zo­gin Ja­ko­be, die den Tod viel­fach aus die­sen und je­nen Grün­den ver­dient habe, ganz heim­lich mit ei­nem ge­eig­ne­ten Gif­te, das etwa ei­ner Arz­nei oder den Spei­sen bei­ge­mischt wer­den kön­ne, ver­ge­ben; zu­gleich ihn mit nicht aus­blei­ben­der schreck­li­cher Stra­fe be­dro­hend, falls er von dem hei­klen Ge­schäft et­was ruch­bar wer­den lie­ße.

So­len­an­der be­ant­wor­te­te dies Schrei­ben mit ei­nem Brie­fe des In­halts: Ei­nem Arz­te, der im Na­men Got­tes die Kunst, zu hei­len und die Men­schen an Leib und Le­ben zu för­dern, aus­übe, sei es de­sto schänd­li­cher, sei­ne Wis­sen­schaft zum Zwe­cke des Mor­des zu be­nüt­zen, und we­der die Furcht vor Ra­che noch die Gier nach Be­loh­nung wür­de ihn je dazu be­we­gen, sich an ir­gend­je­man­dem, ge­schwei­ge an der Her­zo­gin zu ver­grei­fen. Habe die­sel­be eine Schuld auf sich ge­la­den, so soll­ten Rich­ter, de­nen es zu­ste­he, dar­über er­ken­nen; er sei aber der Mei­nung, wenn er auch den Staats­ge­schäf­ten fern­ste­he, dass sie sich kein so bar­ba­ri­sches Ur­teil mit Recht zu­ge­zo­gen habe, da viel­mehr, selbst wenn sie aus Ju­gend und Un­be­dacht sich ein­mal ver­fehlt hät­te, die trau­ri­ge und höchst schwie­ri­ge Lage, in die sie un­vor­be­rei­tet ge­ra­ten sei, sie von je­dem Vor­wurf frei­spre­chen müs­se.

Nicht ohne Be­sorg­nis be­trach­te­te So­len­an­der seit­dem die Her­zo­gin, die er von dem Mord­wil­len ei­nes fast all­mäch­ti­gen Man­nes um­kreist wuss­te, und er sann ver­geb­lich, wie sie aus dem Feu­er­gür­tel, der sie um­zün­gel­te, zu ret­ten sei. Das ge­fähr­li­che Ge­heim­nis je­man­dem an­zu­ver­trau­en, wag­te er nicht; es hät­te wohl auch nicht ein­mal ein Fürst den Ge­walt­ha­ber, der den Kai­ser und so­gar den Kö­nig von Spa­ni­en hin­ter sich hat­te, auf das blo­ße Zeug­nis ei­nes an einen Arzt ge­rich­te­ten Brie­fes zu stür­zen un­ter­neh­men dür­fen. Ge­le­gent­lich ließ er ein war­nen­des Wort ge­gen Ja­ko­be fal­len, sie sol­le doch Nach­gie­big­keit und Vor­sicht üben, da sie bei der trau­ri­gen und lei­der un­heil­ba­ren Krank­heit des Her­zogs ei­ner Wit­we gleich­zu­stel­len und schutz­los den grau­sa­men Un­bil­den des Le­bens preis­ge­ge­ben sei; aber sie lach­te ihn aus in der Mei­nung, Gott sei ih­res Rech­tes und ih­rer gu­ten Ab­sicht be­wusst und wer­de sie so oder so am Ende zum Tri­um­phe füh­ren.

In­des­sen hat­te Schen­kern be­schlos­sen, da So­len­an­der ver­sag­te, die Her­zo­gin durch die An­kla­ge auf ein Ka­pi­tal­ver­bre­chen zu stür­zen, und war eif­rig be­müht, den Stoff dazu zu­sam­men­zu­brin­gen. Des­halb nä­her­te er sich all­mäh­lich der Si­byl­le, die küm­mer­lich und sor­gen­voll als eine frei­wil­lig Ge­fan­ge­ne im Schlos­se leb­te und sich ge­gen je­der­mann be­klag­te, dass die Schwä­ge­rin sie nicht zu ih­rem Bru­der las­se und dass sie seit dem Tode ih­res Va­ters ver­ach­tet und ver­sto­ßen in ste­ten Ängs­ten le­ben müs­se. Er hin­ter­brach­te ihr, wie das Un­kraut der Ket­ze­rei im Lan­de fort­wu­che­re, da es nicht aus­ge­reu­tet wer­de, son­dern un­ter dem Schut­ze der Her­zo­gin sich frech aus­sprei­zen kön­ne; wie die pro­tes­tan­ti­schen Fürs­ten sich schon als Her­ren ge­bär­de­ten und wie man ihr, der Si­byl­le, zu gu­ter Letzt auch noch einen ket­ze­ri­schen Ge­mahl auf­zwin­gen wer­de.

Das sol­le nie­mals ge­sche­hen, sag­te Si­byl­le, lie­ber wol­le sie un­ter aus­ge­such­ten Mar­tern ster­ben; sie habe es aber auch schon be­merkt, dass man sie her­um­zu­krie­gen hof­fe.

Wenn sie nur eine Stüt­ze an ih­rem Bru­der hät­te, sag­te Schen­kern. Es sei doch wun­der­lich, wie Jan Wil­helm vor der Hoch­zeit ein so ge­sun­der, from­mer und treff­li­cher Herr ge­we­sen sei und wie mit dem Ein­zu­ge der Ja­ko­be das Un­we­sen sei­nen An­fang ge­nom­men habe.

Nie­mals habe sie ihr trau­en mö­gen, sag­te Si­byl­le; schau­rig sei es ihr über die Haut ge­lau­fen, als sie sie zu­erst er­blickt habe, und auch ihr ar­mer Bru­der habe oft wun­der­li­che Re­den über sie ge­führt, wenn er sich auch nicht of­fen her­aus­ge­traut hät­te, da er of­fen­bar von ihr ver­strickt und ver­zau­bert ge­we­sen sei. Dass sie ihm nie­mals mit rech­ter ehe­li­cher Lie­be zu­ge­tan ge­we­sen sei, kön­ne sie, Si­byl­le, ge­nug­sam be­wei­sen; was für Teu­fe­lei­en sie mit ihm und ih­nen al­len vor­ha­be, wis­se kei­ner ge­nau, und es sei wohl an­ge­zeigt, sich recht­zei­tig in De­fen­si­on zu set­zen. Es hielt nicht schwer, die Prin­zes­sin in der Über­zeu­gung zu be­stär­ken, es wer­de nicht eher gut, als bis Ja­ko­be mit ih­ren Teu­fels­küns­ten fort­ge­räumt sei; dann erst wer­de es mit der Re­li­gi­on, dem Her­zog und dem gan­zen Lan­de wie­der in den al­ten Flor kom­men. Als eine flei­ßi­ge Schrei­be­rin setz­te Si­byl­le die Punk­te auf, durch wel­che ihre Schwä­ge­rin sich von An­fang an ver­däch­tig ge­macht habe, ging sie mit Schen­kern durch, der noch dies und je­nes hin­zu­setz­te, und gab das Ver­spre­chen, vor Ge­richt al­les münd­lich zu wie­der­ho­len und zu be­kräf­ti­gen, wenn der Pro­zess nur stracks an­ge­zet­telt und eif­rig ge­för­dert wür­de.

Bald da­nach kam Herr von Bon­gart in großer Er­re­gung zu Ja­ko­be: Schen­kern habe al­len Stän­den, Be­am­ten und her­zog­li­chen Die­nern an­ge­zeigt, der Her­zog wer­de un­ter dem Vor­ge­ben, dass er krank sei, von sei­ner Ge­mah­lin in ge­fäng­nis­haf­ter Ein­sper­rung ge­hal­ten; nie­mand sol­le ihr bei Stra­fe Lei­bes und Le­bens mehr die­nen, er wol­le den Her­zog be­frei­en, da­mit die Un­ter­ta­nen ih­res recht­mä­ßi­gen Herrn wie­der ge­nie­ßen könn­ten. Ja­ko­be sol­le nicht mei­nen, dass dies nur lee­re Dro­hun­gen wä­ren; man munkle schon, dass auf ein ge­ge­be­nes Zei­chen die Spa­nier ein­fal­len und eine neue Bar­tho­lo­mäus­nacht ver­an­stal­ten wür­den, wel­cher kei­ner ent­rin­nen soll­te, der re­for­mier­ten Glau­bens sei oder sich Schen­kern wi­der­set­zen wür­de. Die Her­zo­gin müs­se sich nun ent­schei­den, ob sie es mit ih­nen hal­ten wol­le, so woll­ten sie auch Gut und Blut an ihre Ret­tung wa­gen. Sie sol­le ih­rem Glau­ben in Frie­den an­hän­gen und ihn im Schlos­se aus­üben, eben­so soll­ten ihre Glau­bens­ge­nos­sen, so­fern sie sich be­schei­den hiel­ten, vor ge­walt­sa­mer Be­drän­gung si­cher sein; doch müs­se sie ih­rer­seits den Re­for­mier­ten ih­ren Glau­ben und sons­ti­ge Rech­te ver­bür­gen und ih­nen Si­cher­heit ge­gen die Spa­nier und Je­sui­ten ge­ben. Sie woll­ten sich jetzt mit ih­rem fürst­li­chen Wort zu­frie­den­stel­len, weil Ge­fahr im Ver­zu­ge sei, spä­ter, wenn sie erst freie Hand vor den Ty­ran­nen hät­ten, kön­ne der Ver­trag im ein­zel­nen aus­ge­macht wer­den.

Nein, rief Ja­ko­be auf­flam­mend, sie kenn­ten sie schlecht, wenn sie glaub­ten, dass sie et­was zur Ver­klei­ne­rung ih­rer Re­li­gi­on un­ter­neh­men wür­de. Dann wür­de Gott frei­lich die Hand von ihr ab­zie­hen, wenn sie Land und Leu­te den Ket­zern aus­lie­fer­te. Sie wol­le mit Hil­fe Got­tes und auf sei­ne Ge­rech­tig­keit bau­end al­ler ih­rer Fein­de Herr wer­den. Da­von war sie nicht ab­zu­brin­gen, so­dass Bon­gart nach lan­ger ver­geb­li­cher Un­ter­re­dung mit düs­te­rer Mie­ne das Schloss ver­ließ.

Ja­ko­be mein­te im Schlos­se si­cher wie in ei­ner Fes­tung zu sein; als aber die Dun­kel­heit des Abends her­ein­brach und sie vom Rhein her ein Plät­schern und Rau­schen zu hö­ren glaub­te, wur­de ihr ban­ge, und es fiel ihr ein, selbst an den Fluss zu ge­hen und den Fähr­leu­ten zu be­feh­len, dass sie wäh­rend der Nacht nie­man­den, wer es auch sei, über­setz­ten. Sie leg­te ih­ren Pelz an, denn es war Win­ter, und ging, nur von ei­ner ih­rer Kam­mer­frau­en be­glei­tet, zu den Hüt­ten der Fähr­leu­te, die ihr be­reit­wil­lig Ge­hor­sam zu­si­cher­ten. Über dem schwarz­blan­ken Stro­me wog­te kal­ter Dunst, und am Him­mel glit­zer­ten die Ster­ne mit Eis­glanz. Es könn­te leicht die käl­tes­te Nacht des Win­ters wer­den, sag­te ein Fähr­mann, in­dem er dem Rauch sei­nes Atems nach­blick­te. Sie wol­le ih­nen einen gu­ten Schlaf­trunk hin­un­ter­schi­cken, sag­te Ja­ko­be mun­ter; dann soll­ten sie sich aufs Ohr le­gen und aus­ru­hen, denn in die­ser Nacht sei ihr Dienst, kei­ne Diens­te zu leis­ten.

Wie ehr­lich die Fähr­leu­te es auch im Au­gen­blick mein­ten, stimm­ten sie doch die Ver­spre­chun­gen Schen­kerns und noch mehr sei­ne Dro­hun­gen rasch um; denn wer, dach­ten sie, wür­de sie her­nach vor sei­nem Zor­ne be­schir­men? und so setz­ten sie die Ver­schwo­re­nen mit ih­ren Knech­ten und Waf­fen nach­ein­an­der über den Strom. Auch im Schlos­se fan­den die­se nur ge­rin­gen Wi­der­stand, be­setz­ten es, quar­tier­ten Jan Wil­helm in die Ge­mä­cher sei­ner Ge­mah­lin ein und führ­ten Ja­ko­be un­ter höh­ni­schen Dro­hun­gen und an­züg­li­chen Spä­ßen in das Zim­mer, das er seit drei Jah­ren nie ver­las­sen hat­te. Sie sei die Zau­be­rin Cir­ce und habe ih­ren ei­ge­nen Ge­mahl als ein ver­ächt­li­ches Schwein in einen Ko­ben ge­sperrt; aber wie der rühm­li­che Held Odys­seus die Lis­ti­ge über­lis­tet habe, so müs­se sie nun selbst in den un­flä­ti­gen Kä­fig wan­dern, wo sie zu­vor das Op­fer ih­rer Teu­fels­küns­te ge­hal­ten hät­te.

Wie dann die förm­li­che An­kla­ge ans Licht trat, in wel­cher Ja­ko­be als eine Ehe­bre­che­rin und Zau­be­rin ab­ge­schil­dert war, die den Schei­ter­hau­fen ver­dient habe, ent­setz­te und ent­rüs­te­te sie sich zwar an­fäng­lich; aber sie trös­te­te sich ih­res Man­nes, der sie, wie sie mein­te, doch nicht ganz ver­ges­sen und ver­sto­ßen ha­ben könn­te, fer­ner des Kur­fürs­ten Ernst, des al­ten Her­zogs von Bay­ern, ih­res Pfle­ge­va­ters, und an­de­rer Freun­de, schließ­lich der Stell­ver­tre­ter Got­tes auf Er­den, des Paps­tes und des Kai­sers, wel­che bei­de oft­mals ihr vä­ter­li­ches Wohl­wol­len für sie um­ständ­lich an­ge­zo­gen hat­ten.

Was Jan Wil­helm an­be­langt, so be­kam er krampf­haf­te Zu­fäl­le, wenn man nur den Na­men sei­ner Frau nann­te, und schimpf­te sie Be­trü­ge­rin, Zau­be­rin und Hexe, die ihm zu­erst mit gott­lo­sen Rän­ken den Kopf krank ge­macht und ihn dann für toll aus­ge­ge­ben habe, um die Her­rin zu spie­len und sei­ner zu spot­ten. Als es ihr ver­mit­telst ein paar treu­er Die­ner ge­lang, ihm einen Brief zu­zu­spie­len, in dem sie ihn an die ehe­li­che Lie­be und Treue mahn­te und an­fleh­te, sie im Un­glück nicht zu ver­las­sen, ant­wor­te­te er ihr, er lie­be sie zwar im­mer noch zärt­lich, kön­ne ihr aber we­gen ih­rer Un­treue und Bos­heit nicht mehr ver­trau­en und stel­le al­les der Zu­kunft an­heim; und her­nach noch ein­mal, er wer­de nun eine neue, hüb­sche und jun­ge Ge­mah­lin neh­men, bei der er es gut ha­ben wer­de; mit ihr, Ja­ko­ben, habe er nichts mehr zu schaf­fen, und sie sol­le sich nicht un­ter­ste­hen, wie­der an ihn zu ge­lan­gen.

Trotz Schen­kerns und Si­byl­lens Ei­fer schlepp­te der Pro­zess sich lang­sam hin; denn die kai­ser­li­chen Ab­ge­ord­ne­ten wa­ren be­auf­tragt, nichts End­gül­ti­ges von sich zu ge­ben, viel­mehr die Sa­che hin­zu­spin­nen, umso mehr, als Ja­ko­ben nichts nach­zu­wei­sen war, was ein Ma­le­fi­z­ur­teil be­grün­det hät­te. An­de­rer­seits hät­te ein Frei­spruch die Ge­gen­par­tei bloß­ge­stellt und neue schwie­ri­ge Kno­ten ge­schürzt. In al­len Punk­ten ver­moch­te sich Ja­ko­be gut oder ge­nug­sam zu ver­tei­di­gen. Sie gab zu, al­ler­lei Mit­tel zur Hei­lung des Her­zogs ver­sucht zu ha­ben, so habe sie Zet­tel mit Sprü­chen in sein Wams ein­ge­näht, um Zau­ber und schäd­li­chen Ein­fluss von ihm fern­zu­hal­ten; aber die Ge­gen­par­tei, na­ment­lich Si­byl­le, hät­te der­glei­chen als et­was Üb­li­ches auch vor­ge­nom­men. Dok­tor So­len­an­der gab das Ur­teil ab, sol­che Mit­tel sei­en zwar aber­gläu­bisch und könn­ten Krank­hei­ten nicht über­win­den, eben­so­we­nig je­doch sie her­vor­ru­fen oder stei­gern. Dass sie Ehe­bruch be­gan­gen habe, be­stritt sie, wenn sie auch zu­ge­stand, dass ein ge­wis­ser jun­ger Edel­mann ihr gern und häu­fig auf­ge­war­tet habe. Der freund­li­che Um­gang mit ihm, sag­te sie, kön­ne ihr nicht als Sün­de an­ge­rech­net wer­den, da sie so ein­sam und freund­los, ei­ner Wit­we gleich, ge­lebt habe. Am we­nigs­ten ließ sich mit dem Ver­dacht der Ket­ze­rei aus­rich­ten, da sie die An­for­de­run­gen der pro­tes­tan­ti­schen Stän­de nie­mals wirk­lich be­wil­ligt hat­te und vie­le Zeu­gen aus­sag­ten, wie flei­ßig sie nicht nur stets die Mes­se be­sucht, son­dern auch die An­dacht in ih­rem Ge­mach ver­rich­tet hat­te. Als man ihr vor­warf, dass in dem fürst­li­chen Trau­er­hau­se, wo Gott, sei es zur Stra­fe oder zur War­nung, die Lich­ter aus­ge­bla­sen habe, so­dass die Be­woh­ner, vor­an Si­byl­le, in ei­nem La­by­rinth von Trüb­sal, Furcht und Grau­en um­her­ge­irrt wä­ren, man sie al­lein, Ja­ko­ben, al­le­zeit gu­ter Din­ge und zu Spä­ßen auf­ge­legt ge­se­hen habe, reck­te sie sich ein we­nig und sag­te, man habe sie in ih­rer Kind­heit ge­lehrt, es sei fürst­li­che Pf­licht und Tu­gend, den Kum­mer in sich zu ver­zeh­ren und den Un­ter­ta­nen ein hel­les Ant­litz zu zei­gen, wie die Son­ne von Gott be­stellt sei, der Erde Licht und Wär­me zu ge­ben, de­ren sie be­dür­fe und von sich aus nicht mäch­tig sei.

An hilfs­be­rei­ten Freun­den blie­ben Ja­ko­be in­des­sen doch nur zwei: der Kur­fürst Ernst von Köln, ihr Oheim,1 und der Land­graf von Leuch­ten­berg, ih­rer jün­ge­ren Schwes­ter Mann. Zwi­schen dem Kur­fürs­ten und den Jü­lich-Cle­ve­schen Rä­ten, näm­lich Schen­kern und sei­nem An­hang, schweb­te schon lan­ge eine Streit­sa­che, in­dem sie meh­re­re Äm­ter, die der Kur­fürst als ihm zu­ste­hend in An­spruch nahm, dem pro­tes­tan­ti­schen Gra­fen Bentheim ver­kauft hat­ten, was ihn dar­in be­stärk­te, sie für ei­gen­mäch­ti­ge, fre­vel­haf­te und nur den ei­ge­nen Nut­zen bezwe­cken­de Leu­te zu hal­ten. Sie ih­rer­seits sag­ten, man sehe wohl, warum er in Ja­ko­bens An­ge­le­gen­heit ihr Wi­der­sa­cher sei; sie hät­ten ihn ver­hin­dert, sich auf Kos­ten von Jü­lich-Cle­ve zu be­rei­chern, wo­bei ihm die Her­zo­gin wohl gern be­hilf­lich ge­we­sen wäre.

Dem Land­gra­fen von Leuch­ten­berg hät­te in frü­he­rer Zeit Ja­ko­be bes­ser an­ge­stan­den als ihre we­ni­ger schö­ne Schwes­ter, und er hat­te ihr eine ge­wis­se An­häng­lich­keit be­wahrt, ob­wohl sie nun bald vier­zig Jah­re alt war und die Zau­be­rei der Ju­gend nicht mehr aus­strahl­te. Da­ne­ben war es ihm ban­ge, die ge­walt­tä­ti­gen und räu­be­ri­schen Räte möch­ten sich des Ju­we­len­schat­zes der Ja­ko­be be­mäch­ti­gen, der nicht un­be­trächt­lich war und der, da sie kei­ne Kin­der hat­te, nach sei­ner Mei­nung ihm zu­fal­len muss­te, wenn sie etwa stür­be. In An­be­tracht ih­rer be­denk­li­chen, un­frei­en Lage hät­te er es an­ge­zeigt ge­fun­den, dass sie ihm die Kost­bar­kei­ten gleich jetzt in Ver­wah­rung gäbe, und such­te eine Ge­le­gen­heit, die Über­ga­be heim­lich zu be­werk­stel­li­gen. Der Land­graf konn­te die­sen Zu­schuss gut ge­brau­chen, denn er wa­te­te bis zum Hal­se in Schul­den und war oft nahe am Er­trin­ken. In­des­sen da er von Na­tur mun­ter und um­gäng­lich und dazu meis­tens be­trun­ken war, er­drück­te ihn die Sor­ge nicht, wenn er nur so viel auf­trieb, um das Le­ben in sei­ner Art wei­ter­zu­fris­ten. Sein ge­müt­li­ches We­sen mach­te ihn ge­eig­net, zwi­schen den strei­ten­den Par­tei­en im Rei­che zu ver­mit­teln, und so reis­te er im Auf­tra­ge des Kai­sers an den Hö­fen um­her und er­füll­te fröh­lich sei­ne Pf­licht, in­dem er bei vol­lem Hum­pen den ha­dern­den Fürs­ten güt­lich zu­re­de­te.

Es war Mai, als der Land­graf mit sei­ner Frau in Düs­sel­dorf an­kam und zu sei­ner Schwä­ge­rin in das Schloss ge­las­sen zu wer­den be­gehr­te. Die Wa­chen je­doch ga­ben ihm zu ver­ste­hen, dass das nicht an­ge­he, und trotz sei­ner Pro­tes­te muss­te er am Ende zu­frie­den sein, in ei­nem Wirts­hau­se vor der Stadt Quar­tier zu neh­men. Un­ter der Hand be­nach­rich­tig­te er die ge­fan­ge­ne Her­zo­gin, dass er da sei und nachts in ei­nem Boo­te vor ihr Fens­ter fah­ren und ver­su­chen wol­le, sich von dort­her mit ihr zu be­spre­chen. Ja­ko­be, wel­che we­nig Un­ter­hal­tung hat­te, harr­te wil­lig vom Ein­bruch der Dun­kel­heit an im Fens­ter und ver­trieb sich die Zeit mit bun­ten Erin­ne­run­gen aus ih­rer schö­nen Ju­gend. End­lich weck­te sie ein Gluck­sen und Rie­seln des Was­sers aus ih­ren Träu­men, wor­auf sie bald die Um­ris­se ei­nes nä­her glei­ten­den Na­chens wahr­nahm und das Zei­chen ei­nes we­hen­den Tüch­leins, das ihre Schwes­ter be­weg­te, eben­so er­wi­der­te. Freu­dig er­kann­te sie den di­cken Land­gra­fen und ihre zier­li­che Schwes­ter, brei­te­te die Arme aus, lä­chel­te, dank­te und er­zähl­te flüs­ternd, sie sei wohl­auf, es feh­le ihr so­weit an nichts, sie habe eine be­schei­de­ne Frau zur Be­die­nung, er­hal­te gut und reich­lich zu es­sen, auch Wein zu trin­ken, frei­lich sei sie der Ge­fan­gen­schaft müde, der Land­graf sol­le doch auf eine Zu­sam­men­kunft drin­gen; wenn sie sei­nen Ernst sä­hen, wür­den sie nicht wa­gen, ihm dau­ernd zu­wi­der zu sein.

Sie sol­le nur ge­trost sein und ihm ver­trau­en, er­wi­der­te der Land­graf, je­der­mann wis­se, dass er ein be­son­ders Ver­trau­ter des Kai­sers sei; wenn es nicht an­ders gehe, wer­de er stracks nach Prag rei­sen und sich stren­ge Be­feh­le vom Kai­ser selbst ho­len, die ihm schon den Weg zu ihr bah­nen wür­den. In­zwi­schen sol­le sie auf der Hut sein und sich de­mü­tig und füg­sam an­stel­len; denn wenn ein Lamm von ei­nem grim­mi­gen Hun­de be­wacht wer­de, dür­fe es ihm kei­nen Vor­wand oder An­lass ge­ben, es zu zer­rei­ßen. Ja­ko­be schüt­tel­te la­chend den Kopf und sag­te, sie sei nicht als ein Lamm, son­dern als eine Fürs­tin ge­bo­ren.

Lan­ge wag­ten sie die Un­ter­re­dung nicht fort­zu­füh­ren, und mit nas­sen Au­gen sah Ja­ko­be das win­zi­ge Fahr­zeug ver­schwin­den, um das her­um der brei­te Fluss roll­te und der hohe Him­mel flu­te­te und dem der Mond als eine Fa­ckel vor­an­schweb­te.

Der Land­graf mach­te sein Wort wahr und fuhr schleu­nig nach Prag, wo er zu­nächst durch­setz­te, dass das End­ur­teil des Pro­zes­ses bis auf wei­te­res ver­scho­ben wur­de. Wie er dies nun aber dem Kur­fürs­ten von Köln mit­teil­te, mein­te die­ser, be­denk­lich sei­ne große höcke­ri­ge Nase rei­bend, da­mit sei mehr ge­scha­det als ge­won­nen; denn nun wür­de Schen­kern dar­an ver­zwei­feln, mit dem Pro­zess sein Ziel zu er­rei­chen, und wür­de auf an­de­re Mit­tel den­ken, de­nen nie­mand be­geg­nen kön­ne. Er habe kürz­lich ver­nom­men, füg­te er hin­zu, dass Schen­kern einen be­rühm­ten Arzt aus Eng­land habe kom­men las­sen, um den Her­zog zu hei­len, der so schwach im Kop­fe sei wie je, mit dem er aber si­cher­lich et­was vor­ha­be, sei es, dass er ihn ver­hei­ra­ten oder dass er nur be­wei­sen wol­le, wie ge­sund er sei, seit ihn Ja­ko­be nicht mehr ver­zau­bern kön­ne. Es sei zu fürch­ten, dass die Her­zo­gin in den Hän­den der Räte nicht mehr si­cher sei, und es hand­le sich dar­um, ih­nen das Op­fer zu ent­rei­ßen. Sie durch Ge­walt oder List selbst zu be­frei­en, sei ein zwei­fel­haf­tes und hoch­ge­fähr­li­ches Werk, des­sen sie sich nicht un­ter­fan­gen dürf­ten; da­hin­ge­gen kön­ne man den Kai­ser viel­leicht da­hin brin­gen, dass er an­ord­ne, die Her­zo­gin sol­le bis zum end­li­chen Aus­tra­ge des Pro­zes­ses ei­nem Un­par­tei­ischen, etwa dem Land­gra­fen von Leuch­ten­berg, zur Be­wa­chung über­ge­ben wer­den.

Das, sag­te der er­schro­cke­ne Land­graf, ge­traue er sich wohl aus­zu­rich­ten, und mach­te sich wie­der auf die Rei­se, nach­dem er Ja­ko­be Nach­richt hat­te zu­kom­men las­sen, sie sol­le ge­trost sein, in Bäl­de wer­de sie aus dem Elend und der Un­wür­dig­keit hin­aus­ge­führt wer­den.

Wäh­rend die­ser Zeit hat­te Schen­kern viel Ar­beit und Mühe mit Jan Wil­helm, der, da er sich vor Frem­den fürch­te­te, in der Mei­nung, sie könn­ten ihm et­was an­tun, von dem eng­li­schen Arzt durch­aus nichts wis­sen woll­te. Auch Si­byl­le und ei­ni­ge von den Rä­ten mein­ten, dass es eine ver­fäng­li­che An­ge­le­gen­heit sei, bei der man schritt­wei­se und mit wohl­über­leg­ten Kau­te­len vor­ge­hen müs­se, umso mehr, als der ver­schrie­be­ne Eng­län­der ein Ket­zer sei. So wur­de ver­fügt, er müs­se sei­ne Kunst zu­nächst an ei­nem an­de­ren er­wei­sen, wozu der Sohn ei­ner Bür­gers­frau aus­er­se­hen wur­de, der nach ei­nem schwe­ren Fall blöd­sin­nig ge­wor­den war und al­len Be­spre­chun­gen, Be­schwö­run­gen und Arz­nei­en bis­her ge­trotzt hat­te. Es zeig­te sich, dass das dem Bur­schen ver­ab­reich­te Mit­tel ihm gut an­schlug; ja sei­ne Mut­ter und an­de­re Zeu­gen fan­den ihn auf­ge­weck­ter, als er je­mals ge­we­sen sei. So hin­der­te denn nichts mehr, es mit dem Her­zog gleich­falls zu ver­su­chen, des­sen angst­vol­len Wi­der­stand Schen­kern da­durch über­wand, dass er ihm die längst ver­spro­che­ne schö­ne Frau in Aus­sicht stell­te, wenn er sich der Kur un­ter­zö­ge, die ihn voll­stän­dig wie­der­her­stel­len wür­de. Doch ver­lang­te sei­ne Furcht noch al­ler­lei Si­cher­heits­maß­re­geln, worin ihn Si­byl­le schwes­ter­lich un­ter­stütz­te, dass näm­lich der Arzt selbst, Schen­kern und meh­re­re an­de­re Räte zu­erst von der Arz­nei tran­ken, die Jan Wil­helm ein­neh­men soll­te. Nach­dem sie sich durch Ge­bet und das hei­li­ge Abend­mahl dar­auf vor­be­rei­tet hat­ten, würg­te ein je­der sei­nen An­teil an dem Schleim, der wi­der­lich schmeck­te, hin­un­ter, wor­auf Jan Wil­helm nach Ver­ord­nung des Arz­tes vier­und­zwan­zig Stun­den lang, so­weit mög­lich ohne Ru­he­pau­se, im Zim­mer auf und ab ge­hen muss­te. Auch hier­bei muss­ten meh­re­re Rats­per­so­nen ge­gen­wär­tig sein, teils um die rich­ti­ge Aus­füh­rung des Ge­schäf­tes zu über­wa­chen, teils um den Kran­ken durch Ge­spräch zu zer­streu­en und durch ihr Bei­spiel zu er­mun­tern.

In die­ser Ar­beit war Schen­kern be­grif­fen, als das Gerücht zu ihm ge­lang­te, der Kai­ser habe be­foh­len, dass die Her­zo­gin dem Land­gra­fen von Leuch­ten­berg über­ge­ben wer­de, und der­sel­be sei schon un­ter­wegs, um die sei­nem Schutz Emp­foh­le­ne ab­zu­ho­len. Dass er dies nicht ge­sche­hen las­sen dür­fe, stand Schen­kern so­gleich fest. Um Ja­ko­be wür­den sich alle scha­ren, die An­spruch mach­ten, ihm die Herr­schaft zu ent­rei­ßen, und viel­leicht wür­de die Rach­süch­ti­ge ihm nun ih­rer­seits die Sch­lin­ge ei­nes Pro­zes­ses dre­hen und um den Hals wer­fen. Da­ge­gen muss­te er eine ei­li­ge An­stalt tref­fen.

Ja­ko­be leb­te un­ter­des­sen fröh­li­che Tage. Sie träum­te da­von, dass sie nun bald frei und un­ter Freun­den sein, Neu­es und Schö­nes se­hen und wie­der die Hul­di­gun­gen ge­nie­ßen wür­de, die ei­ner hoch­ge­bo­re­nen, re­gie­ren­den Her­rin und ei­nem schö­nen Wei­be ge­bühr­ten. Sie mal­te sich auch aus, dass sie ih­ren Ge­mahl wie­der­ha­ben und ihm sei­ne Un­treue vor­wer­fen wür­de, wie sich all­mäh­lich Angst und Lie­bes­sehn­sucht in sei­nem hüb­schen Ge­sich­te aus­prä­gen, wie er wei­nen, sie ihm end­lich ver­ge­ben und sich von ihm lieb­ko­sen las­sen wür­de. Oder aber es wür­den ihr an­de­re, viel herr­li­che­re Män­ner be­geg­nen und ihr neue, große Be­se­li­gun­gen ge­ben und ihr zu ih­rem Recht und ih­rer Ra­che ver­hel­fen. Un­ge­dul­dig in­des­sen war sie nicht, son­dern ließ, mit Be­ten und Sti­cken be­schäf­tigt, die feu­er­hel­len Herbst­ta­ge mit den Flu­ten des Rheins un­ter ih­rem Fens­ter vor­bei­flie­ßen, ohne sie zu wä­gen oder zu zäh­len.

So war es denn eine nach­denk­li­che Sa­che, dass die Her­zo­gin am Mor­gen des 3. Sep­tem­ber 1597 von ih­rer Kam­mer­frau, die wie üb­lich in ihr Ge­mach kam, tot im Bet­te ge­fun­den wur­de; denn nie­mand hat­te Zei­chen ei­nes Übel­be­fin­dens am vor­her­ge­hen­den Abend an ihr wahr­ge­nom­men. Be­vor das Er­eig­nis noch recht be­kannt wur­de, ließ Schen­kern das Be­gräb­nis vor­neh­men, has­tig und schänd­lich, wie es sich für ge­rin­ge, na­men­lo­se Leu­te oder Ar­me­sün­der ge­schickt hät­te. Zwei­fel­te nun auch nie­mand dar­an, dass es bei die­sem To­des­fall et­was ge­walt­sam zu­ge­gan­gen sei, so hü­te­te sich doch ein je­der, den Ver­dacht öf­fent­lich zu äu­ßern oder gar den mut­maß­li­chen Mör­der zur Re­chen­schaft zu zie­hen; denn ohne Be­wei­se hät­te man sich da­mit in eine dor­ni­ge Sa­che ein­ge­las­sen.

Da­mit man ihm de­sto we­ni­ger an­ha­ben kön­ne, ließ Schen­kern die Spa­nier ins Land, die un­ter ih­rem Feld­herrn Men­do­za meh­re­re Plät­ze be­setz­ten und sich dort als recht­mä­ßi­ge Her­ren ge­bär­de­ten. Ei­nen Grund zu die­sem un­er­hör­ten Schritt zog Schen­kern dar­aus ab, dass er einen Plan der pro­tes­tan­ti­schen Er­ban­spre­cher, sich in Be­sitz des Lan­des zu set­zen, ent­deckt habe und die­sen habe zu­vor­kom­men müs­sen. Ein Ge­schrei der ver­ge­wal­tig­ten Ge­gend er­füll­te bald das Reich, des­sen Glie­der denn auch zu er­wä­gen be­gan­nen, was bei ei­nem der­ar­ti­gen feind­li­chen Ein­bruch durch die Reichs­ge­set­ze vor­ge­se­hen sei. Die­se nun leg­ten die Pf­licht, den Feind ab­zu­weh­ren, dem nächst­ge­le­ge­nen Krei­se auf, wel­ches in die­sem Fal­le der west­fä­li­sche war, und der­sel­be setz­te sich dem­ge­mäß in Be­ra­tung, wie das Kreis­heer und das Geld, es zu be­sol­den, zu­sam­men­zu­brin­gen sei. Da je­doch meh­re­re Mo­na­te dar­über ver­lie­fen, wäh­rend wel­cher die Spa­nier nach ih­rer Wei­se Stadt und Land ver­wüs­te­ten, tra­ten ei­ni­ge Fürs­ten zu­sam­men, um etwa von sich aus der feind­li­chen Ei­gen­macht zu steu­ern, die dem Reich zur Uneh­re ge­rei­che und ih­nen ge­fähr­lich sei. Es wa­ren dies der Land­graf Mo­ritz von Hes­sen, der Her­zog Hein­rich Ju­li­us von Braun­schweig und der Pfalz­graf Kur­fürst Fried­rich IV., de­ren Län­der dem Her­zog­tum Jü­lich nahe la­gen und die über­haupt ge­wohnt wa­ren, bei al­len vor­kom­men­den Reichs­hän­deln Par­tei zu er­grei­fen.

Pfalz­graf Fried­rich IV. fühl­te sich für sei­ne Per­son nicht an­ders wohl als bei den fürst­li­chen Un­ter­hal­tun­gen der Jag­den, Tur­nie­re und Trink­ge­la­ge; aber er war sich be­wusst, der Trä­ger ei­nes ruhm­vollen Na­mens und Erbe von Fürs­ten zu sein, die sich durch kampf­be­rei­tes Ein­ste­hen für ihre re­li­gi­öse Über­zeu­gung an­ge­se­hen und ge­fürch­tet ge­macht hat­ten, und hielt dar­auf, die Über­lie­fe­run­gen sei­nes Hau­ses fort­zu­set­zen. Die blü­hen­de Pfalz soll­te die Vor­macht und Stüt­ze der Re­for­mier­ten im Rei­che und ei­gent­lich der Evan­ge­li­schen über­haupt blei­ben, da Sach­sen an­fing, eine trä­ge und zwei­deu­ti­ge Po­li­tik zu be­fol­gen, um es mit dem Kai­ser nicht zu ver­der­ben. Des­halb um­gab sich Fried­rich IV. mit re­for­mier­ten Rä­ten, die an sei­ner Statt un­ter­neh­mend, ehr­lie­bend und flei­ßig wa­ren, hing ih­nen dank­bar an und un­ter­warf sich ih­nen in al­len Stücken, mit der Ein­schrän­kung, dass er sich ih­rer un­be­que­men Herr­schaft nicht sel­ten ent­zog, um an be­freun­de­ten Hö­fen beim vol­len Be­cher sich ih­rer Ratschlä­ge und Grund­sät­ze gänz­lich zu ent­schla­gen. Auch sei­ne Ge­mah­lin, die Ora­nie­rin Lui­se Ju­lia­ne, de­ren Her­kunft die Ver­bin­dung mit ihr zum Zei­chen für küh­ne, kampf­be­rei­te re­for­mier­te Sin­nes­art mach­te, hat­te er we­gen ih­rer Bil­dung, ih­res be­herrsch­ten We­sens und tüch­ti­gen Cha­rak­ters an­fäng­lich ge­liebt und ver­ehrt; auf die Dau­er aber ver­moch­te er ihre Über­le­gen­heit, da sie eine Frau war, nicht zu er­tra­gen und zeig­te ihr die sei­ni­ge durch rohe Be­hand­lung, die sie mit Ge­duld und Wür­de er­trug; die­se Art und Wei­se schi­en ihm aber Ver­ach­tung aus­zu­drücken und gab da­her sei­ner Er­bit­te­rung stets neu­en Stoff.

An­ders ge­ar­tet war Land­graf Mo­ritz von Hes­sen, ein schlan­ker, statt­li­cher, über­aus tä­ti­ger und klu­ger Mann, von ei­ner ge­wis­sen Fein­heit und Ehr­lich­keit des Den­kens, so­dass er, wie er selbst durch Un­rat und Un­ord­nung ge­stört wur­de und sich stets ge­drängt fühl­te, in dunkle Win­kel hin­ein­zu­leuch­ten, über­all un­be­quem emp­fun­den wur­de, wo schmut­zi­ge oder stumpf­sin­ni­ge Be­hag­lich­keit wal­te­te. Er war seit dem Jah­re 1593 mit Ag­nes aus dem gräf­li­chen Hau­se Solms-Lau­bach ver­hei­ra­tet, die we­gen ih­rer Schön­heit mit der Göt­tin Ve­nus ver­gli­chen wur­de und die­se Gabe den Kin­dern ver­erb­te, die sie ihm ge­bar.

Da­ge­gen hielt der Her­zog von Braun­schweig am Al­ten fest, aber wie der Land­graf war er dem Mü­ßig­gang feind und dazu von so aus­ge­zeich­ne­ter Ge­sund­heit, dass das Trin­ken ihn nicht vom leb­haf­ten Be­trieb und viel­fa­cher Tä­tig­keit ab­hielt. Die­se bei­den Her­ren ge­rie­ten leicht an­ein­an­der, weil ein Streit zwi­schen ih­nen schweb­te, in­dem der Her­zog auf meh­re­re Äm­ter An­spruch er­hob, die der Land­graf als sein Ei­gen­tum an­sah und stets an­ge­se­hen hat­te und in de­ren Be­sitz er sich, recht­li­cher Ent­schei­dung vor­grei­fend, ge­walt­sam ge­setzt hat­te. Da­von ab­ge­se­hen, reiz­ten den Land­gra­fen des Her­zogs brei­te Ge­müt­lich­keit, sein selbst­ge­fäl­li­ges Be­ha­gen, sei­ne alt­vä­te­rischen Sit­ten und die Lang­sam­keit sei­nes Ver­stan­des; den Her­zog da­ge­gen är­ger­te das neue­rungs­süch­ti­ge We­sen des Land­gra­fen, das er un­fürst­lich fand, sei­ne Re­de­fer­tig­keit und Über­le­gen­heit, wie er denn das Ge­fühl hat­te, als schla­ge der Land­graf sei­ne, des Her­zogs, welt­be­rühm­te Ge­lehr­sam­keit ge­ring an. Al­ler­dings dach­te der Land­graf dies­be­züg­lich, der Her­zog sei ein Fass voll Sau­er­kraut, es sei wohl viel dar­in, aber ge­rin­ge, gro­be Nah­rung. In der Po­li­tik war Her­zog Hein­rich im Grun­de der Mei­nung, die Din­ge wä­ren gut, wie sie eben wä­ren, und das alte Rö­mi­sche Reich, wie es nun ein­mal sei, dür­fe durch­aus nicht an­ge­tas­tet wer­den; da er aber dar­auf er­picht war, die Stadt Braun­schweig, die sich als Reichs­stadt ge­bär­de­te, sich un­ter­tä­nig zu ma­chen, und der Kai­ser in die­sem Zwist kürz­lich ge­gen ihn und zu­guns­ten der Stadt ent­schie­den hat­te, schloss er sich mit zä­hem Nach­druck den Fürs­ten an, die es an­ti­kai­ser­lich trie­ben.

Be­vor es zu ei­ner ge­mein­sa­men Be­rat­schla­gung kom­men konn­te, muss­te der zwi­schen dem Land­gra­fen und dem Her­zog schwe­ben­de Streit we­gen der Äm­ter in et­was bei­ge­legt wer­den, was der Pfalz­graf über sich nahm; dann tra­ten die Her­ren der Sa­che nä­her un­ter ei­ner star­ken Rede des Her­zogs Hein­rich Ju­li­us, wie schimpf­lich der spa­ni­sche Ein­fall für das Reich sei. Wenn es nicht Spa­ni­en wäre, mein­te Hes­sen, wür­de der Kai­ser sich eher rüh­ren, wie trä­ge er auch sei. Nun, man müs­se eben selbst han­deln, sag­te Hein­rich Ju­li­us, und da sie ein­mal so weit ei­nig wä­ren, sol­le das Un­we­sen bald ein Ende neh­men. Als es dar­an ging, das Heer zu­sam­men­zu­brin­gen, das die Spa­nier ver­trei­ben soll­te, zeig­ten sich je­doch vie­ler­lei Schwie­rig­kei­ten in Be­zug auf die An­zahl der Trup­pen und wie sie auf je­den zu ver­tei­len wä­ren; denn es woll­te je­der so we­nig wie mög­lich be­sol­den. Am Ende, mein­te Mo­ritz von Hes­sen, kön­ne man sich so hel­fen, dass man es den Hol­län­dern über­las­se, die Spa­nier zu ver­trei­ben, und sie nur mit Geld da­bei un­ter­stüt­ze. Die Hol­län­der hät­ten so­wie­so Sol­da­ten auf den Bei­nen und hät­ten eben­so viel In­ter­es­se dar­an wie das Reich selbst, dass die Spa­nier sich nicht im Cle­ve­schen fest­setz­ten. Was? rief der Her­zog von Braun­schweig ent­rüs­tet, mit den Hol­län­dern wol­le man ge­mei­ne Sa­che ma­chen und ih­nen gar noch Dank schul­dig wer­den? Mit den Re­bel­len und Trotz­köp­fen, die es den Fürs­ten gleich­tun woll­ten? Lie­ber wol­le er spa­nisch oder tür­kisch wer­den, und es sol­le kei­ner mehr mit ei­nem sol­chen Vor­schlag sei­ner fürst­li­chen Ehre zu nahe tre­ten. Dies war eine be­son­de­re Krän­kung für Mo­ritz von Hes­sen, der mit den hol­län­di­schen Staa­ten in ei­nem freund­schaft­li­chen Ver­hält­nis stand, so viel wie mög­lich Hol­län­der nach Hes­sen zu zie­hen und die dort herr­schen­de Blü­te an Kunst und Ge­wer­be in sein Land zu ver­pflan­zen such­te.

Nach Ver­lauf ei­ni­ger Wo­chen, wäh­rend wel­cher die Spa­nier ernst­lich ver­warnt wor­den wa­ren, sich aus dem Reich zu­rück­zu­zie­hen, ei­nig­te man sich über die Zahl der zu wer­ben­den Trup­pen; nun aber er­klär­te Chris­ti­an von An­halt, er wol­le den Ober­be­fehl, wor­auf man sich doch ver­las­sen hat­te, nicht über­neh­men. An sei­nem Mut und gu­ten Wil­len wer­de man nicht zwei­feln, sag­te An­halt, es sei ja be­kannt, un­ter wel­chen Schwie­rig­kei­ten er sei­ner­zeit dem Kö­nig von Frank­reich zu Hil­fe ge­kom­men sei; aber sei­ne Ehre sei ihm zu lieb, als dass er sie bei ei­ner zwei­fel­haf­ten Sa­che aufs Spiel set­zen möch­te. Er habe von An­fang an ge­sagt, dass man mehr Mit­tel an das Un­ter­neh­men wen­den müs­se, wenn et­was da­bei her­aus­kom­men sol­le, und wenn man nicht auf ihn höre, wol­le er auch kei­ne Rol­le da­bei spie­len.

Zwar ver­dach­ten die Fürs­ten dem An­hal­ter des­sen Ent­schluss, aber er brach­te Mo­ritz von Hes­sen auf den Ge­dan­ken, dass er an sei­ner Stel­le das Amt des Feld­herrn über­neh­men und auf die­sem Fel­de Lor­bee­ren ge­win­nen kön­ne. Es be­mäch­tig­te sich sei­ner bei der Vor­stel­lung eine ge­wis­se Un­ru­he, und er wuss­te selbst kaum, ob sei­ne Lust oder sei­ne Be­den­ken grö­ßer wä­ren. Ge­fah­ren und Stra­pa­zen fürch­te­te er nicht; und doch fühl­te er sich des Er­fol­ges nicht so si­cher, wie wenn er ein ma­the­ma­ti­sches Pro­blem hät­te lö­sen oder eine theo­lo­gi­sche Dis­pu­ta­ti­on hät­te hal­ten sol­len. In­des­sen ge­ra­de die­se Un­si­cher­heit sporn­te ihn an; es war ihm, als ob je­der die Zwei­fel hege, die in ihm selbst auf­stie­gen, und als müs­se er sie durch die Tat ent­kräf­ten.

Kaum war Land­graf Mo­ritz mit sei­nem Aner­bie­ten her­vor­ge­tre­ten, als der Her­zog von Braun­schweig er­klär­te, er habe sich be­reits zum Di­rek­to­ri­um des Krie­ges ent­schlos­sen und wol­le nun nicht da­von zu­rück­tre­ten. Er dach­te bei sich, es sei ein lä­cher­li­cher An­spruch von Mo­ritz, der doch nur ein Maul­held sei, den Feld­herrn spie­len zu wol­len, wäh­rend der Land­graf fand, nach­dem Hein­rich Ju­li­us erst kürz­lich vor Braun­schweig ab­ge­blitzt sei, täte er bes­ser, hin­ter sei­nem Bier­krug sit­zen zu blei­ben. Hier­über zer­schlug sich der Feld­zug der ver­bün­de­ten Fürs­ten; die Trup­pen, die sie schon ge­wor­ben hat­ten, über­nah­men die be­nach­bar­ten Krei­se; da die­se aber kein Geld hat­ten, sie or­dent­lich aus­zu­rüs­ten und zu un­ter­hal­ten, ver­lief sich das Heer, be­vor et­was Ei­gent­li­ches un­ter­nom­men war, und die Fes­tung Or­sau blieb einst­wei­len im Be­sit­ze der Spa­nier.

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Der Dreißigjährige Krieg

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