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6.

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Ei­ner von den Söh­nen Kai­ser Ru­dolfs, Don Gi­u­lio d’Austria, war durch die Ord­nungs­lo­sig­keit sei­ner Le­bens­füh­rung so an­stö­ßig ge­wor­den, dass der Va­ter ihn nach der Herr­schaft Kru­mau ent­fernt hat­te, wo er we­ni­ger be­merkt wur­de und wo die Ein­woh­ner­schaft se­hen muss­te, mit ihm aus­zu­kom­men. Das zü­gel­lo­se Be­neh­men des jun­gen Ba­stards er­schöpf­te je­doch end­lich ihre Ge­duld; er ver­folg­te Mäd­chen und Frau­en auf der Stra­ße und bis in die Häu­ser und be­han­del­te die Män­ner, die es ihm weh­ren woll­ten, als re­bel­li­schen Pö­bel, den er zu stra­fen wis­sen wer­de. Da­rauf­hin wur­de er vom Kai­ser wohl ein­mal zur Ord­nung ge­wie­sen, ohne dass je­doch et­was We­sent­li­ches ge­än­dert wur­de. Nun lern­te Don Gi­u­lio bei ei­nem Tanz, wo er sich ein­ge­drängt hat­te, die Toch­ter ei­nes Bar­biers ken­nen, ein scheu­es, mehr lieb­rei­zen­des als schö­nes Mäd­chen, in die er sich ver­lieb­te und die er so an sich zu zie­hen wuss­te, dass sie ihre El­tern ver­ließ, um als sei­ne Ge­lieb­te bei ihm zu woh­nen. Sei­ne nicht un­ed­le Er­schei­nung, sein lei­den­schaft­li­ches und zu­gleich hoch­fah­ren­des We­sen mach­ten sie so sehr zu sei­ner Skla­vin, dass sie sich se­lig pries, den Staub von sei­nen Fü­ßen küs­sen zu dür­fen, und dass eine Lieb­ko­sung von sei­ner Hand ihr fast die Be­sin­nung raub­te. Alle Ver­su­che der El­tern, ihr Kind zu­rück­zu­ho­len, wa­ren ver­geb­lich; er jag­te sie fort mit dem Be­deu­ten, es sei ihr frei­er Wil­le, ihm in sei­nem Hau­se als Magd zu die­nen.

In ei­ner Nacht je­doch kam das Mäd­chen schwer­ver­wun­det vor die Tür ih­res El­tern­hau­ses und ließ sich jam­mernd in ihr ver­las­se­nes Bett tra­gen; den Prin­zen hat­te, als sie in sei­nen Ar­men lag, plötz­lich eine Ra­se­rei er­grif­fen, so­dass er sie würg­te, sie in die Brust biss und sie er­mor­det hät­te, wenn auf ihr Schrei­en nicht ein Die­ner ge­kom­men wäre und ihr die Flucht er­mög­licht hät­te. Wi­der Er­war­ten ge­nas das Mäd­chen un­ter der Pfle­ge der El­tern, die es nun ängst­lich im Hau­se hü­te­ten. Trotz­dem ge­lang es Don Gi­u­lio, ihr Brie­fe zu­zu­ste­cken und auch selbst ein­zu­drin­gen; al­lein der Va­ter warf ihn hin­aus und rief, um sein Kind vor fer­ne­ren Nach­stel­lun­gen zu si­chern, den Schutz des Statt­hal­ters von Kru­mau an. Die­ser ver­wünsch­te im Her­zen den un­be­que­men Ba­stard, gab aber doch sei­nem her­ri­schen Drän­gen und Dro­hen nach und ließ es zu, dass der Bar­bier, weil er den Sohn des Kai­sers an­ge­grif­fen hät­te, ins Ge­fäng­nis ge­wor­fen wur­de. Nun er­reich­te Don Gi­u­lio sei­nen Wil­len; denn die furcht­sa­me Mut­ter glaub­te durch Nach­gie­big­keit Gna­de für ih­ren Mann er­kau­fen zu müs­sen, und das Mäd­chen ver­moch­te, wie­wohl es sich ent­setz­te und ver­lo­ren gab, kei­nen Wi­der­stand zu leis­ten. Durch De­mut und Zärt­lich­keit such­te sie einen neu­en Aus­bruch sei­ner selt­sa­men Wut zu be­schwö­ren, in­des er sie miss­trau­isch be­ob­ach­te­te, weil es ihm schi­en, als sei sie trau­rig und ver­lan­ge nach Hau­se. So wa­ren meh­re­re Wo­chen ver­gan­gen, als er ei­nes Abends, nach­dem er mehr Wein als ge­wöhn­lich ge­trun­ken hat­te, sie auf­for­der­te, sich zu ihm zu set­zen und mit ihm zu trin­ken. Ihre Wei­ge­rung reiz­te ihn, und es kam ein Blick in sei­ne Au­gen, der ihr eine schreck­li­che Erin­ne­rung ein­flö­ßte und ihre Glie­der lähm­te. Als er ihre Angst sah, ver­rie­gel­te er Tür und Fens­ter, warf sie auf das Bett und ließ nicht von ihr ab, bis sie tot war; ih­ren emp­fin­dungs­lo­sen Kör­per zer­riss und zer­hack­te er, wor­auf ihn plötz­lich die Kräf­te ver­lie­ßen.

Das ge­sche­he­ne Un­glück such­te man nach Mög­lich­keit zu ver­tu­schen. Der Bar­bier, der im Ge­fäng­nis schwer er­krankt war, wur­de zu­nächst dar­in ge­las­sen, da­mit sein Ge­schrei das Übel nicht ver­meh­re; spä­ter dach­te man, wenn es noch nö­tig sei, ihn durch Geld ab­zu­fin­den. Frei­lich sah der Statt­hal­ter ein, dass ernst­li­che Maß­nah­men ge­trof­fen wer­den müss­ten, um den Un­hold an der Aus­übung wei­te­rer und viel­leicht emp­find­li­che­rer Ab­scheu­lich­kei­ten zu ver­hin­dern.

Phil­ipp Lang un­ter­nahm es, den Kai­ser von dem Vor­ge­fal­le­nen in Kennt­nis zu set­zen, mach­te aber durch­aus nicht den Ein­druck da­mit, den man ge­fürch­tet hat­te. Das Mäd­chen hät­te sich vor­se­hen sol­len, mein­te der Kai­ser, man kön­ne nicht für jede Hure in der Welt auf­kom­men. Das sei wohl wahr, sag­te Lang; aber es sei doch wohl an dem, dass der jun­ge Herr ein we­nig haupt­krank sei, wie die Ärz­te wis­sen woll­ten, und man tue da­her viel­leicht am bes­ten, wenn man ihn der Be­wa­chung ei­nes ge­schick­ten Arz­tes so­wie ei­nes Geist­li­chen an­ver­traue, die wech­sel­wei­se mit Pur­gan­zen und Buß­pre­dig­ten, wie es sich eben schi­cke, ih­ren Vor­teil an ihm wahr­neh­men könn­ten. »Mei­net­we­gen«, sag­te der Kai­ser; man sol­le nur gründ­lich mit ihm ab­fah­ren, ihm sei al­les gleich. Sei­ne Söh­ne taug­ten nichts, frön­ten auf sei­ne Kos­ten ei­nem üp­pi­gen Le­ben, ohne es ihm zu dan­ken. Er zie­he jetzt die Hand von Don Gi­u­lio ab, und es dür­fe bei sei­ner Un­gna­de künf­tig nicht mehr von ihm ge­re­det wer­den.

In der habs­bur­gi­schen Fa­mi­lie wur­de die­se Ge­schich­te Don Gi­u­li­os mit Scha­den­freu­de und Ent­rüs­tung be­spro­chen und be­stärk­te sie in der Mei­nung, mit Ru­dolf gehe es ab­wärts, und sie müss­ten sich zu­sam­menschlie­ßen, da­mit er nicht das gan­ze Haus in den Ab­grund zie­he. Schon im Jah­re 1606 hat­ten sie un­ter sorg­fäl­ti­gen Vor­keh­run­gen zur Ge­heim­hal­tung ih­res Un­ter­fan­gens einen Ver­trag ab­ge­schlos­sen, nach wel­chem Matt­hi­as, als der Äl­tes­te, zu ih­rem Haupt an­ge­nom­men wer­den und be­fugt sein soll­te, im Fal­le der Not et­was Ent­schei­den­des vor­zu­neh­men.

Ru­dolf hat­te sich, nach­dem er sei­nes treu­en Feld­herrn be­raubt war, dazu be­we­gen las­sen, dass er Matt­hi­as in dem noch im­mer fort­dau­ern­den Tür­ken­krie­ge den Ober­be­fehl über­trug, und un­ter des­sen Lei­tung war es zu ei­nem nicht ge­ra­de un­güns­ti­gen Frie­dens­ver­tra­ge ge­kom­men. Als nun aber der Ver­trag dem Kai­ser vor­ge­legt wur­de, wei­ger­te er sich zu un­ter­schrei­ben, weil dar­in schimpf­li­che Ver­lus­te für ihn vor­ge­se­hen wä­ren; der Krieg, sag­te er, sol­le bis zur voll­stän­di­gen Un­ter­wer­fung des Fein­des fort­ge­setzt wer­den. Da­ge­gen war zu er­wi­dern, dass es zur Fort­füh­rung des Krie­ges an Geld feh­le, dass die Un­garn sich mit den Tür­ken ver­bin­den wür­den und dass es dem dop­pel­ten An­griff zu wi­der­ste­hen noch we­ni­ger mög­lich sein wür­de; aber Ru­dolf ent­geg­ne­te, er wis­se recht gut, dass Matt­hi­as durch den Frie­den das Heer frei be­kom­men wol­le, um es nach Prag zu füh­ren und ihm, sei­nem Bru­der, die Kro­ne zu ent­rei­ßen; da­hin wol­le er es nicht kom­men las­sen.

Die­sen Ver­dacht galt es dem Kai­ser aus­zu­trei­ben, und da Matt­hi­as sein Ge­wis­sen nicht rein fühl­te, auch die Ab­nei­gung des Bru­ders ge­gen sei­ne Per­son sich nicht zu über­win­den ge­trau­te, mach­te sich Khlesl nach Prag auf, um den Kai­ser von sei­nes Schütz­lings Un­schuld und Er­ge­ben­heit zu über­zeu­gen. Bei dem Has­se Ru­dolfs ge­gen Matt­hi­as war die­se Rei­se nicht ohne Ge­fahr für den Bi­schof, und vie­le warn­ten ihn, er sol­le sei­nen Kopf nicht mut­wil­lig in des Lö­wen Ra­chen ste­cken; aber Khlesl ließ sich nie durch Be­fürch­tun­gen für sei­ne Per­son von ei­nem Un­ter­neh­men ab­hal­ten, auch weil er sich als Werk­zeug Got­tes noch zu vie­len Ta­ten und Ehren vor­be­hal­ten glaub­te. Frei­lich konn­te er sich in Prag neu­er, un­be­hag­li­cher Ge­füh­le nicht im­mer er­weh­ren. An das klei­ne, bür­ger­li­che Wien ge­wöhnt, wo ihn je­der­mann kann­te und ehr­fürch­tig grüß­te, schi­en er sich fast in einen an­de­ren Erd­teil und un­ter bar­ba­ri­sche Fremd­lin­ge ver­setzt, de­ren Blick teils gleich­gül­tig, teils mit feind­se­li­ger Dro­hung auf ihm ruh­ten. Wenn sie hier ein Bu­ben­stück­lein an dir ver­üben woll­ten, ging es ihm zu­wei­len durch den Sinn, so möch­te es wohl lan­ge wäh­ren, bis ein Hahn da­nach kräh­te; aber er ließ das nicht auf­kom­men, son­dern be­ru­hig­te sich da­mit, dass Gott den Khlesl schon nicht wer­de sin­ken las­sen.

Eine Au­di­enz er­wirk­te Phil­ipp Lang, ge­mäß sei­nem Grund­satze, es mit Matt­hi­as nicht ganz zu ver­der­ben, der frü­her oder spä­ter doch den neu­en Kai­ser ab­ge­ben wür­de; frei­lich muss­te Khlesl ge­lo­ben, nichts, was dem Kai­ser emp­find­lich sein könn­te, vor­zu­brin­gen. Wäh­rend er durch lan­ge Gän­ge und über dunkle Trep­pen zu dem kai­ser­li­chen Vor­ge­mach ge­führt wur­de, ka­men ihm die selt­sa­men Gerüch­te über des Kai­sers schwarz­blü­ti­ge Ein­fäl­le zu Sin­ne nebst den be­klem­men­den An­wand­lun­gen, de­nen er sonst nicht un­ter­wor­fen war. Er er­in­ner­te sich, wie man­ches Mal er den Kai­ser in ver­trau­li­chen Ge­sprä­chen einen Bä­ren­häu­ter, Lü­gen­va­ter und Schmutz­fin­ken ge­nannt, ja dass er ihm Schwach­gläu­big­keit und man­geln­den ka­tho­li­schen Ei­fer vor­ge­wor­fen hat­te, und er dach­te, wie leicht er hier oben in ei­nem plötz­lich sich öff­nen­den Ver­lies für im­mer ver­schwin­den könn­te. Vor­wärts, Khlesl, raun­te er sich zu, die Furcht kommt vom Teu­fel! und sie wich denn auch mit ei­nem Schla­ge von ihm, als er dem Kai­ser ge­gen­über­stand, des­sen Blick sich in die Au­gen­höh­len zu­rück­zu­zie­hen schi­en und der ihm mit vor­neh­mer Lie­bens­wür­dig­keit die Hand reich­te. Lei­se und lang­sam sprach er da­bei sein Ver­gnü­gen aus, den be­rühm­ten Bi­schof ken­nen­zu­ler­nen, der so viel für die Wie­der­her­stel­lung der Kir­che ge­tan habe, und zeig­te sich über die­se Ver­hält­nis­se gut un­ter­rich­tet. Un­will­kür­lich duck­te sich Khlesl zu­sam­men, als wis­se er mit sei­ner großen, ma­ge­ren, stark­kno­chi­gen Per­son dem sanf­ten, ver­bor­ge­nen Man­ne vor ihm nicht bei­zu­kom­men, und be­gann von sei­ner An­häng­lich­keit an die Ma­je­stät zu spre­chen, wor­an er die Bit­te knüpf­te, der Kai­ser möge doch et­wai­gen Ver­leum­dun­gen kei­nen Glau­ben schen­ken, son­dern ihn als den er­ge­bens­ten sei­ner Die­ner be­trach­ten. Er hat­te je­doch den Satz kaum vollen­det, als er sich durch ein ge­lin­des Kopf­ni­cken und freund­li­ches Hand­win­ken des Kai­sers aus dem Zim­mer ge­scho­ben fühl­te und sich nach we­ni­gen Mi­nu­ten zwar un­be­schä­digt, aber ohne ir­gend­ein Er­geb­nis er­run­gen zu ha­ben wie­der vor die Burg ver­setzt sah.

An eine zwei­te Au­di­enz war nicht zu den­ken, oh­ne­hin be­durf­te der Kai­ser meh­re­re Tage, um sich von der An­stren­gung die­ses Empfan­ges zu er­ho­len. Von der Falsch­heit und Rau­blust des Matt­hi­as nur de­sto mehr über­zeugt, blick­te er angst­voll nach je­man­dem aus, der ihn vor sei­nen Fein­den schütz­te. Durch die Do­nau­wör­ther Sa­che ver­pflich­te­te er sich den Her­zog von Bay­ern, be­reu­te es aber, so­wie es ge­sche­hen war, und hät­te es gern rück­gän­gig ge­macht. Wie hat­te er auf Kos­ten der Reichs­städ­te, de­ren stets ge­füll­te Kas­se ihm in so man­chen Ver­le­gen­hei­ten aus­ge­hol­fen hat­te, den ehr­gei­zi­gen, heim­tücki­schen, nur all­zu mäch­ti­gen Fürs­ten be­rei­chern kön­nen? Hät­te er es nicht lie­ber mit den Evan­ge­li­schen hal­ten sol­len, von de­nen er in sei­ner Um­ge­bung so oft hör­te, dass sie ihm er­ge­be­ner wä­ren als sei­ne Glau­bens­ge­nos­sen und dass sie nicht, wie die Je­sui­ten, den Kö­nigs­mord für eine er­laub­te Sa­che hiel­ten?

Die be­dräng­te Lage des Kai­sers, die an den Hö­fen im Rei­che wohl­be­kannt war, brach­te den un­ter­neh­mends­ten un­ter den deut­schen Fürs­ten, Chris­ti­an von An­halt, auf den Ge­dan­ken, dass die Pro­tes­tan­ten sie be­nüt­zen müss­ten, um ihre Stel­lung durch An­schluss an das Reichsober­haupt zu be­fes­ti­gen. Die­ser Prinz, des­sen mun­te­ren, tap­fe­ren Geist die Sor­ge für sein klei­nes Land nicht aus­füll­te, hat­te eine Statt­hal­ter­schaft im pfäl­zi­schen Dienst an­ge­nom­men, die ihn in leb­haf­te­ren Zu­sam­men­hang mit den Welt­hän­deln brach­te. Rei­sen und Brief­wech­sel ver­mit­tel­ten ihm die Kennt­nis von al­lem, was vor­fiel, und lie­fer­ten ihm da­durch den Stoff zu stets neu­en An­schlä­gen im In­ter­es­se sei­ner Glau­ben­s­par­tei. Auch in Prag war er schon ein­mal ge­we­sen, hat­te dort Be­zie­hun­gen zum böh­mi­schen Adel an­ge­knüpft und war so­gar vom Kai­ser emp­fan­gen und mit Aus­zeich­nung be­han­delt wor­den. Mit der Über­zeu­gung, dass es sei­ner Kühn­heit und Schlau­heit nicht feh­len kön­ne, trat er die Rei­se an. Von den pro­tes­tan­ti­schen Her­ren in Prag wur­de er gut auf­ge­nom­men, und ihre Gast­freund­schaft ent­zück­te ihn; fast ver­wun­der­lich kam es ihm vor, dass sie so viel Wert auf den Bei­stand der Uni­on leg­ten, da doch die deut­schen Fürs­ten, an ih­rem Reich­tum ge­mes­sen, arme Schel­me wa­ren. Die re­for­mier­ten Her­ren Wen­zel von Bu­do­wa, Rup­pa und Eras­mus von Tschernem­bl, der be­deu­tends­te Stan­des­herr von Ös­ter­reich, hat­ten un­ge­mei­ne theo­lo­gi­sche Kennt­nis­se und wa­ren in der Po­li­tik al­ler Län­der be­wan­dert. Sie trau­ten alle dem Kai­ser durch­aus nicht, man könn­te ihn al­len­falls zwin­gen, Ver­spre­chun­gen zu ge­ben, nicht aber, sie zu hal­ten, er sei ein Rep­til, das über­all durch­schlüp­fe. Mit Matt­hi­as sei viel­leicht eher et­was aus­zu­rich­ten, er kön­ne die Hil­fe der Pro­tes­tan­ten durch­aus nicht ent­beh­ren, und wenn man nur den Khlesl ab­schaff­te, so wer­de er leicht zu re­gie­ren sein.

Tschernem­bl sag­te, die Habs­bur­ger hät­ten alle Prä­ten­sio­nen,1 die wä­ren ih­nen nicht aus­zu­trei­ben, am bes­ten wür­de man ganz ohne sie aus­kom­men. Ja, sag­te Rup­pa, ein be­schei­de­ner und ver­nünf­ti­ger Fürst, der ih­nen von vorn­her­ein ihre ur­al­ten Rech­te ver­bürg­te und ohne das nicht zu­ge­las­sen wür­de, schick­te sich bes­ser für sie. Sie könn­ten dann Sor­ge tra­gen, dass er nicht um sich grif­fe und sich breit mach­te. Wozu man sich über­haupt da­mit be­lü­de, mein­te Tschernem­bl. Wenn sich die Stän­de von Ös­ter­reich, Böh­men, Mäh­ren und Schle­si­en ver­bün­de­ten, so wä­ren sie doch stark ge­nug, selbst ihre In­ter­es­sen wahr­zu­neh­men. Auf Ve­ne­dig, Schweiz, Hol­land und die Uni­on könn­ten sie im­mer rech­nen. Die Re­pu­bli­ken hät­ten doch vie­le Fein­de, mein­te Graf Thurn kopf­schüt­telnd, und in die­sen krie­ge­ri­schen Zei­ten wäre man ohne ein fürst­li­ches Haupt übel ver­sorgt, gleich­sam als trü­ge man die Ho­sen ohne Gurt. Tschernem­bl ver­wies auf das Bei­spiel der Hol­län­der; wach­sam und ein­mü­tig müs­se man sein, da­von hän­ge al­les ab. Man sähe zur Ge­nü­ge an den grie­chi­schen und rö­mi­schen Staa­ten, wie sie in der Frei­heit ge­blüht hät­ten. Es sei leich­ter, sich äu­ße­rer als ein­hei­mi­scher Ty­ran­nen zu er­weh­ren; wie schwer wäre es, die Habs­bur­ger ab­zu­wer­fen, da sie ei­nem ein­mal im Ge­nick sä­ßen.

Chris­ti­an von An­halt hör­te sol­chen Ge­sprä­chen, wo die Fürs­ten wie Wür­fel hin und her ge­spielt wur­den, ver­wun­dert und mit heim­li­cher Miss­bil­li­gung zu, ließ sich aber nichts mer­ken, auch weil er dach­te, dass es da­mit noch gute Wei­le habe. Das üp­pi­ge We­sen mit den Wei­bern, das in Prag im Schwan­ge war, miss­fiel ihm glei­cher­wei­se, und er hielt sich ei­ni­ger­ma­ßen da­von zu­rück. Er pfleg­te sich stets einen Raum in sei­nem Geis­te wie eine Ka­pel­le vor­zu­be­hal­ten, wo­hin Lärm, Schmutz und Un­ge­zie­fer der Welt­ge­schäf­te nicht drang, wo der kla­re Hauch des rei­nen Got­tes­glau­bens und ho­her Men­sch­lich­keit weh­te und wo das Bild­nis ei­ner Frau thron­te, die er in­brüns­tig lieb­te und die ihm an­ge­hör­te, sei­ner Ge­mah­lin, ei­ner Grä­fin Bentheim, mit der er nun seit etwa zehn Jah­ren ver­hei­ra­tet war. Was ihn um­gab und was er tat, moch­te hie und da ein­mal übel schme­cken, das Be­wusst­sein, dass sei­ne See­le, wann er woll­te, sich in ei­nem Pa­ra­die­se läu­tern konn­te, ver­lieh sei­nem We­sen einen an­mu­ti­gen und stol­zen Schwung.

Hoff­nung be­schwing­te sei­nen Schritt, als er den Weg zum Kai­ser an­trat, und blies wie ein fri­scher Flü­gel­schlag mit ihm in das Ge­mach des Mon­ar­chen; er er­wi­der­te An­halts ehr­furchts­vol­len Gruß freund­lich, er­in­ner­te ihn an ihre frü­he­re Be­geg­nung und er­mun­ter­te ihn, sich zu­trau­lich zu äu­ßern. Zu­nächst, sag­te An­halt, kön­ne er nur Dank äu­ßern, dass der Kai­ser ihm das Glück sei­ner Ge­gen­wart ge­wäh­re, Dank, dass er in die­sem Au­gen­blick nicht nur als der Un­ter­tan zu sei­nem Herr­scher, son­dern dass er als ein Fürst und ein Mann zu dem spre­chen dür­fe, von dem die Ge­schi­cke der Welt ab­hin­gen.

»Soll­te es Euer Lieb­den al­lein un­be­kannt sein«, sag­te Ru­dolf weh­mü­tig, »dass kaum ein Herr auf sei­nem Gute so ver­las­sen und ohn­mäch­tig ist wie der Kai­ser?«

»Der Kai­ser win­ke nur«, sag­te Chris­ti­an leb­haft, »und das Reich ist ge­rüs­tet, sei­nem Be­fehl zu ge­hor­chen.« Der Kai­ser ken­ne ja nur einen klei­nen Teil des Rei­ches, er sol­le doch ein­mal nord­wärts rei­sen, da wer­de ihm al­les zu Fü­ßen lie­gen. Er sol­le doch de­nen nicht Glau­ben schen­ken, die aus Un­kennt­nis oder Ge­häs­sig­keit ihm die Pro­tes­tan­ten wie Hei­den und Reichs­fein­de ab­schil­der­ten; sie selbst nenn­ten sich Ka­tho­li­ken, denn sie hät­ten ja den al­ten Glau­ben nicht ab­ge­schafft, son­dern in sei­ner ur­sprüng­li­chen Rein­heit wie­der­her­ge­stellt. Könn­te er nur die Her­zen der evan­ge­li­schen Un­ter­ta­nen aus ih­rer Brust neh­men und auf­ma­chen wie einen Schrein, so wür­de er das Bild des Kai­sers als ein Hei­lig­tum dar­in ver­schlos­sen fin­den. Möch­te er nur zwi­schen den Par­tei­en ein ge­rech­ter Schieds­rich­ter sein und den Be­schwer­den der Evan­ge­li­schen ab­hel­fen, so wür­de der Frie­den im Rei­che wie­der auf­blü­hen. Könn­ten sie nur zu der Quel­le ge­lan­gen, wo das Recht un­ver­fälscht und un­ver­stopft flie­ße, so wür­den die evan­ge­li­schen Fürs­ten des Kai­sers treue Rit­ter und Erz­en­gel sein. Wa­rum soll­te die alte Ein­tracht zwi­schen den Par­tei­en sich nicht wie­der be­grün­den las­sen? Hät­ten sie doch den glei­chen Feind, den Tür­ken, der über ih­rem Strei­ten aus­ge­las­sen und mäch­tig ge­wor­den sei.

Der Kai­ser hat­te An­halt von Zeit zu Zeit durch einen Blick oder eine Hand­be­we­gung er­mun­tert, fort­zu­fah­ren. Sein Auge ruh­te mit Wohl­wol­len auf der eben­mä­ßig kräf­ti­gen Ge­stalt des Fürs­ten, aus des­sen hüb­schem Ge­sicht Of­fen­heit und Scharf­sinn strahl­ten und von des­sen We­sen eine Wär­me aus­ging, die es ihm leicht mach­te, sei­nen Wor­ten zu fol­gen. Nicht nur währ­te die Au­di­enz au­ßer­ge­wöhn­lich lan­ge, son­dern der Kai­ser be­en­de­te sie auch mit der Aus­sicht auf eine zwei­te und mit An­deu­tung, dass eine en­ge­re Ab­ma­chung die Fol­ge sein kön­ne.

Noch im Lau­fe des­sel­ben Ta­ges wur­de der Kai­ser an dem güns­ti­gen Ein­druck, den er emp­fan­gen hat­te, wie­der irre. Er hat­te sich, so schi­en es ihm nun, ei­nem lus­ti­gen Feu­er ge­nä­hert, um sich dar­an zu wär­men, und wür­de sich schließ­lich dar­an ver­bren­nen. Durch sei­ne Keck­heit, sei­nen Witz und sei­nen Schein von Of­fen­heit hat­te die­ser Mensch ihn zu um­gar­nen ge­sucht, dem es doch zu­letzt nur auf den Vor­teil und Nut­zen sei­ner Par­tei an­kam. War An­halt nicht ein be­rüch­tig­ter Auf­wieg­ler, der im Diens­te Hein­richs IV. von Frank­reich ge­stan­den hat­te und der es ohne Zwei­fel auch mit den hol­län­di­schen Staa­ten, den Tür­ken des Nor­dens, hielt? Ja, wenn er in den läs­ti­gen und lei­di­gen Streit­fra­gen, mit de­nen man ihn seit Jah­ren be­läs­tig­te, zu­guns­ten der Evan­ge­li­schen ent­schie­de, so wür­den sie ihn hilf­los sei­nen Fein­den aus­lie­fern. Auf­merk­sam rief er sich al­les zu­rück, was An­halt ge­sagt hat­te, ob ein Ver­spre­chen dar­in ver­steckt ge­we­sen wäre, die Uni­on wür­de ihm ge­gen Matt­hi­as zu Hil­fe kom­men. Ge­gen die­sen lis­ti­gen Fürs­ten galt es die Waf­fe um­zu­keh­ren und ihn so zu be­ar­bei­ten, dass er ihm, dem Kai­ser, die Diens­te der Uni­on zur Ver­fü­gung stell­te und eine nach Be­lie­ben zu zah­len­de Rech­nung da­für aus­schrie­be.

Bei der zwei­ten Au­di­enz spür­te An­halt so­fort, dass mit dem Kai­ser eine Ver­än­de­rung vor­ge­gan­gen war; er schi­en eine frem­de Mas­ke vor­ge­bun­den zu ha­ben, der ge­gen­über der ver­wirr­te Gast das herz­li­che Ge­spräch vom vo­ri­gen Male nicht wie­der an­zu­knüp­fen wuss­te. Er wis­se wohl, sag­te Ru­dolf, dass sein Bru­der Matt­hi­as sich Hoff­nung auf den Bei­stand der Evan­ge­li­schen ma­che, auch sein Bru­der Ma­xi­mi­li­an hät­te mit die­sen zu tun ge­habt, er durch­schaue al­les, man sol­le im Reich nicht den­ken, dass ein Blin­der oder ein Kran­ker auf dem Hrad­schin sit­ze. Dann plötz­lich be­klag­te er sich, dass die Stän­de nach­läs­sig im Zah­len der Tür­ken­steu­er ge­we­sen wä­ren und ihn da­durch zu ei­nem schmäh­li­chen Frie­den mit den Tür­ken ge­zwun­gen hät­ten. Von der Tür­ken­steu­er ma­che er al­les ab­hän­gig, vor­her las­se er sich auf nichts ein. Er wol­le ge­hor­sa­me Un­ter­ta­nen se­hen, dann wer­de er auch ein gnä­di­ger Kai­ser sein.

An­halt war vor Är­ger und Ent­täu­schung rot ge­wor­den; wie ein Sumpf kam ihm der Kai­ser vor, in den es ihn reiz­te mit Stei­nen zu wer­fen. Man hät­te die Tür­ken­steu­er ent­rich­tet, sag­te er, ob­wohl es man­che selt­sam ge­dünkt hät­te, die nie­mals einen Tür­ken ge­se­hen hät­ten noch je se­hen wür­den. Aber man be­wil­li­ge selbst den Bau­ern, wenn sie ihre Ab­ga­ben und Fron­den or­dent­lich leis­te­ten, das, was sie, um ihr Le­ben zu fris­ten, nö­tig hät­ten. Für die Evan­ge­li­schen je­doch sei im Rei­che kein Recht und kein Rich­ter. Wehe dem Reich, wenn die Ver­kürz­ten in ih­rer Not zum Schwer­te grif­fen und die Feh­den zwi­schen Brü­dern sich er­neu­er­ten.

Das las­se sich wie eine Dro­hung hö­ren, sag­te der Kai­ser vor­sich­tig, und An­halt be­merk­te, dass sei­ne Hand, die um den Rand des Ti­sches griff, zu zit­tern be­gann. Von Un­ge­duld und Wi­der­wil­len hin­ge­ris­sen, ant­wor­te­te er, in­dem er sich stolz auf­rich­te­te, er ste­he als ein Un­ter­tan vor sei­nem Kai­ser, aber Gott sei über ih­nen bei­den, der nach Be­lie­ben um­wen­den kön­ne, was er er­schaf­fen habe. Ru­dolf sol­le nur das Ende Cäsars be­den­ken, wel­ches Gott habe ge­sche­hen las­sen, nach­dem er ihn so hoch ge­rückt habe, dass noch heu­te die Welt­be­herr­scher nach ihm ge­nannt wür­den.

Die­se Au­di­enz hat­te einen nach­tei­li­gen Ein­fluss auf den Zu­stand des Kai­sers. Die An­spie­lung auf die Er­mor­dung Cäsars gab ihm be­stän­dig An­lass zu Be­fürch­tun­gen, die Lang eher ver­stärk­te als ent­kräf­te­te. An die­sem An­halt, sag­te er, sehe der Kai­ser nun, was die Evan­ge­li­schen im Schil­de führ­ten und wozu sie fä­hig wä­ren, er hät­te sich nie so weit mit ihm ein­las­sen sol­len.

Je mehr sich Lang des Kai­sers si­cher fühl­te, de­sto gleich­gül­ti­ger und rück­sichts­lo­ser wur­de er ge­gen sei­ne Per­son. Be­frie­dig­te er auch nach wie vor sei­ne täg­li­chen Be­dürf­nis­se, so war doch der Ton sei­ner Stim­me da­bei oft hart und be­feh­lend und lag in sei­nem We­sen eine weg­wer­fen­de Ver­ach­tung, was der Kai­ser tief spür­te, ohne es mer­ken zu las­sen. Sei­ner­seits fiel es Lang nicht auf, dass der Kai­ser ihn sel­te­ner zu sich rief, viel­mehr oft ab­sicht­lich fern­hielt; denn er war froh, des läs­ti­gen Diens­tes ein­mal über­ho­ben zu sein. Mehr und mehr las­te­te das Be­wusst­sein auf dem Kai­ser, dass er sein Ver­trau­en die­sem Man­ne, der ihn nicht lie­be, ge­schenkt habe; es war ihm, als hät­te er ein Stück von sei­ner See­le in Langs Hand ge­ge­ben und müs­se sie um je­den Preis wie­der­ha­ben.

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Der Dreißigjährige Krieg

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