Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch - Страница 15
6.
ОглавлениеEiner von den Söhnen Kaiser Rudolfs, Don Giulio d’Austria, war durch die Ordnungslosigkeit seiner Lebensführung so anstößig geworden, dass der Vater ihn nach der Herrschaft Krumau entfernt hatte, wo er weniger bemerkt wurde und wo die Einwohnerschaft sehen musste, mit ihm auszukommen. Das zügellose Benehmen des jungen Bastards erschöpfte jedoch endlich ihre Geduld; er verfolgte Mädchen und Frauen auf der Straße und bis in die Häuser und behandelte die Männer, die es ihm wehren wollten, als rebellischen Pöbel, den er zu strafen wissen werde. Daraufhin wurde er vom Kaiser wohl einmal zur Ordnung gewiesen, ohne dass jedoch etwas Wesentliches geändert wurde. Nun lernte Don Giulio bei einem Tanz, wo er sich eingedrängt hatte, die Tochter eines Barbiers kennen, ein scheues, mehr liebreizendes als schönes Mädchen, in die er sich verliebte und die er so an sich zu ziehen wusste, dass sie ihre Eltern verließ, um als seine Geliebte bei ihm zu wohnen. Seine nicht unedle Erscheinung, sein leidenschaftliches und zugleich hochfahrendes Wesen machten sie so sehr zu seiner Sklavin, dass sie sich selig pries, den Staub von seinen Füßen küssen zu dürfen, und dass eine Liebkosung von seiner Hand ihr fast die Besinnung raubte. Alle Versuche der Eltern, ihr Kind zurückzuholen, waren vergeblich; er jagte sie fort mit dem Bedeuten, es sei ihr freier Wille, ihm in seinem Hause als Magd zu dienen.
In einer Nacht jedoch kam das Mädchen schwerverwundet vor die Tür ihres Elternhauses und ließ sich jammernd in ihr verlassenes Bett tragen; den Prinzen hatte, als sie in seinen Armen lag, plötzlich eine Raserei ergriffen, sodass er sie würgte, sie in die Brust biss und sie ermordet hätte, wenn auf ihr Schreien nicht ein Diener gekommen wäre und ihr die Flucht ermöglicht hätte. Wider Erwarten genas das Mädchen unter der Pflege der Eltern, die es nun ängstlich im Hause hüteten. Trotzdem gelang es Don Giulio, ihr Briefe zuzustecken und auch selbst einzudringen; allein der Vater warf ihn hinaus und rief, um sein Kind vor ferneren Nachstellungen zu sichern, den Schutz des Statthalters von Krumau an. Dieser verwünschte im Herzen den unbequemen Bastard, gab aber doch seinem herrischen Drängen und Drohen nach und ließ es zu, dass der Barbier, weil er den Sohn des Kaisers angegriffen hätte, ins Gefängnis geworfen wurde. Nun erreichte Don Giulio seinen Willen; denn die furchtsame Mutter glaubte durch Nachgiebigkeit Gnade für ihren Mann erkaufen zu müssen, und das Mädchen vermochte, wiewohl es sich entsetzte und verloren gab, keinen Widerstand zu leisten. Durch Demut und Zärtlichkeit suchte sie einen neuen Ausbruch seiner seltsamen Wut zu beschwören, indes er sie misstrauisch beobachtete, weil es ihm schien, als sei sie traurig und verlange nach Hause. So waren mehrere Wochen vergangen, als er eines Abends, nachdem er mehr Wein als gewöhnlich getrunken hatte, sie aufforderte, sich zu ihm zu setzen und mit ihm zu trinken. Ihre Weigerung reizte ihn, und es kam ein Blick in seine Augen, der ihr eine schreckliche Erinnerung einflößte und ihre Glieder lähmte. Als er ihre Angst sah, verriegelte er Tür und Fenster, warf sie auf das Bett und ließ nicht von ihr ab, bis sie tot war; ihren empfindungslosen Körper zerriss und zerhackte er, worauf ihn plötzlich die Kräfte verließen.
Das geschehene Unglück suchte man nach Möglichkeit zu vertuschen. Der Barbier, der im Gefängnis schwer erkrankt war, wurde zunächst darin gelassen, damit sein Geschrei das Übel nicht vermehre; später dachte man, wenn es noch nötig sei, ihn durch Geld abzufinden. Freilich sah der Statthalter ein, dass ernstliche Maßnahmen getroffen werden müssten, um den Unhold an der Ausübung weiterer und vielleicht empfindlicherer Abscheulichkeiten zu verhindern.
Philipp Lang unternahm es, den Kaiser von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, machte aber durchaus nicht den Eindruck damit, den man gefürchtet hatte. Das Mädchen hätte sich vorsehen sollen, meinte der Kaiser, man könne nicht für jede Hure in der Welt aufkommen. Das sei wohl wahr, sagte Lang; aber es sei doch wohl an dem, dass der junge Herr ein wenig hauptkrank sei, wie die Ärzte wissen wollten, und man tue daher vielleicht am besten, wenn man ihn der Bewachung eines geschickten Arztes sowie eines Geistlichen anvertraue, die wechselweise mit Purganzen und Bußpredigten, wie es sich eben schicke, ihren Vorteil an ihm wahrnehmen könnten. »Meinetwegen«, sagte der Kaiser; man solle nur gründlich mit ihm abfahren, ihm sei alles gleich. Seine Söhne taugten nichts, frönten auf seine Kosten einem üppigen Leben, ohne es ihm zu danken. Er ziehe jetzt die Hand von Don Giulio ab, und es dürfe bei seiner Ungnade künftig nicht mehr von ihm geredet werden.
In der habsburgischen Familie wurde diese Geschichte Don Giulios mit Schadenfreude und Entrüstung besprochen und bestärkte sie in der Meinung, mit Rudolf gehe es abwärts, und sie müssten sich zusammenschließen, damit er nicht das ganze Haus in den Abgrund ziehe. Schon im Jahre 1606 hatten sie unter sorgfältigen Vorkehrungen zur Geheimhaltung ihres Unterfangens einen Vertrag abgeschlossen, nach welchem Matthias, als der Älteste, zu ihrem Haupt angenommen werden und befugt sein sollte, im Falle der Not etwas Entscheidendes vorzunehmen.
Rudolf hatte sich, nachdem er seines treuen Feldherrn beraubt war, dazu bewegen lassen, dass er Matthias in dem noch immer fortdauernden Türkenkriege den Oberbefehl übertrug, und unter dessen Leitung war es zu einem nicht gerade ungünstigen Friedensvertrage gekommen. Als nun aber der Vertrag dem Kaiser vorgelegt wurde, weigerte er sich zu unterschreiben, weil darin schimpfliche Verluste für ihn vorgesehen wären; der Krieg, sagte er, solle bis zur vollständigen Unterwerfung des Feindes fortgesetzt werden. Dagegen war zu erwidern, dass es zur Fortführung des Krieges an Geld fehle, dass die Ungarn sich mit den Türken verbinden würden und dass es dem doppelten Angriff zu widerstehen noch weniger möglich sein würde; aber Rudolf entgegnete, er wisse recht gut, dass Matthias durch den Frieden das Heer frei bekommen wolle, um es nach Prag zu führen und ihm, seinem Bruder, die Krone zu entreißen; dahin wolle er es nicht kommen lassen.
Diesen Verdacht galt es dem Kaiser auszutreiben, und da Matthias sein Gewissen nicht rein fühlte, auch die Abneigung des Bruders gegen seine Person sich nicht zu überwinden getraute, machte sich Khlesl nach Prag auf, um den Kaiser von seines Schützlings Unschuld und Ergebenheit zu überzeugen. Bei dem Hasse Rudolfs gegen Matthias war diese Reise nicht ohne Gefahr für den Bischof, und viele warnten ihn, er solle seinen Kopf nicht mutwillig in des Löwen Rachen stecken; aber Khlesl ließ sich nie durch Befürchtungen für seine Person von einem Unternehmen abhalten, auch weil er sich als Werkzeug Gottes noch zu vielen Taten und Ehren vorbehalten glaubte. Freilich konnte er sich in Prag neuer, unbehaglicher Gefühle nicht immer erwehren. An das kleine, bürgerliche Wien gewöhnt, wo ihn jedermann kannte und ehrfürchtig grüßte, schien er sich fast in einen anderen Erdteil und unter barbarische Fremdlinge versetzt, deren Blick teils gleichgültig, teils mit feindseliger Drohung auf ihm ruhten. Wenn sie hier ein Bubenstücklein an dir verüben wollten, ging es ihm zuweilen durch den Sinn, so möchte es wohl lange währen, bis ein Hahn danach krähte; aber er ließ das nicht aufkommen, sondern beruhigte sich damit, dass Gott den Khlesl schon nicht werde sinken lassen.
Eine Audienz erwirkte Philipp Lang, gemäß seinem Grundsatze, es mit Matthias nicht ganz zu verderben, der früher oder später doch den neuen Kaiser abgeben würde; freilich musste Khlesl geloben, nichts, was dem Kaiser empfindlich sein könnte, vorzubringen. Während er durch lange Gänge und über dunkle Treppen zu dem kaiserlichen Vorgemach geführt wurde, kamen ihm die seltsamen Gerüchte über des Kaisers schwarzblütige Einfälle zu Sinne nebst den beklemmenden Anwandlungen, denen er sonst nicht unterworfen war. Er erinnerte sich, wie manches Mal er den Kaiser in vertraulichen Gesprächen einen Bärenhäuter, Lügenvater und Schmutzfinken genannt, ja dass er ihm Schwachgläubigkeit und mangelnden katholischen Eifer vorgeworfen hatte, und er dachte, wie leicht er hier oben in einem plötzlich sich öffnenden Verlies für immer verschwinden könnte. Vorwärts, Khlesl, raunte er sich zu, die Furcht kommt vom Teufel! und sie wich denn auch mit einem Schlage von ihm, als er dem Kaiser gegenüberstand, dessen Blick sich in die Augenhöhlen zurückzuziehen schien und der ihm mit vornehmer Liebenswürdigkeit die Hand reichte. Leise und langsam sprach er dabei sein Vergnügen aus, den berühmten Bischof kennenzulernen, der so viel für die Wiederherstellung der Kirche getan habe, und zeigte sich über diese Verhältnisse gut unterrichtet. Unwillkürlich duckte sich Khlesl zusammen, als wisse er mit seiner großen, mageren, starkknochigen Person dem sanften, verborgenen Manne vor ihm nicht beizukommen, und begann von seiner Anhänglichkeit an die Majestät zu sprechen, woran er die Bitte knüpfte, der Kaiser möge doch etwaigen Verleumdungen keinen Glauben schenken, sondern ihn als den ergebensten seiner Diener betrachten. Er hatte jedoch den Satz kaum vollendet, als er sich durch ein gelindes Kopfnicken und freundliches Handwinken des Kaisers aus dem Zimmer geschoben fühlte und sich nach wenigen Minuten zwar unbeschädigt, aber ohne irgendein Ergebnis errungen zu haben wieder vor die Burg versetzt sah.
An eine zweite Audienz war nicht zu denken, ohnehin bedurfte der Kaiser mehrere Tage, um sich von der Anstrengung dieses Empfanges zu erholen. Von der Falschheit und Raublust des Matthias nur desto mehr überzeugt, blickte er angstvoll nach jemandem aus, der ihn vor seinen Feinden schützte. Durch die Donauwörther Sache verpflichtete er sich den Herzog von Bayern, bereute es aber, sowie es geschehen war, und hätte es gern rückgängig gemacht. Wie hatte er auf Kosten der Reichsstädte, deren stets gefüllte Kasse ihm in so manchen Verlegenheiten ausgeholfen hatte, den ehrgeizigen, heimtückischen, nur allzu mächtigen Fürsten bereichern können? Hätte er es nicht lieber mit den Evangelischen halten sollen, von denen er in seiner Umgebung so oft hörte, dass sie ihm ergebener wären als seine Glaubensgenossen und dass sie nicht, wie die Jesuiten, den Königsmord für eine erlaubte Sache hielten?
Die bedrängte Lage des Kaisers, die an den Höfen im Reiche wohlbekannt war, brachte den unternehmendsten unter den deutschen Fürsten, Christian von Anhalt, auf den Gedanken, dass die Protestanten sie benützen müssten, um ihre Stellung durch Anschluss an das Reichsoberhaupt zu befestigen. Dieser Prinz, dessen munteren, tapferen Geist die Sorge für sein kleines Land nicht ausfüllte, hatte eine Statthalterschaft im pfälzischen Dienst angenommen, die ihn in lebhafteren Zusammenhang mit den Welthändeln brachte. Reisen und Briefwechsel vermittelten ihm die Kenntnis von allem, was vorfiel, und lieferten ihm dadurch den Stoff zu stets neuen Anschlägen im Interesse seiner Glaubenspartei. Auch in Prag war er schon einmal gewesen, hatte dort Beziehungen zum böhmischen Adel angeknüpft und war sogar vom Kaiser empfangen und mit Auszeichnung behandelt worden. Mit der Überzeugung, dass es seiner Kühnheit und Schlauheit nicht fehlen könne, trat er die Reise an. Von den protestantischen Herren in Prag wurde er gut aufgenommen, und ihre Gastfreundschaft entzückte ihn; fast verwunderlich kam es ihm vor, dass sie so viel Wert auf den Beistand der Union legten, da doch die deutschen Fürsten, an ihrem Reichtum gemessen, arme Schelme waren. Die reformierten Herren Wenzel von Budowa, Ruppa und Erasmus von Tschernembl, der bedeutendste Standesherr von Österreich, hatten ungemeine theologische Kenntnisse und waren in der Politik aller Länder bewandert. Sie trauten alle dem Kaiser durchaus nicht, man könnte ihn allenfalls zwingen, Versprechungen zu geben, nicht aber, sie zu halten, er sei ein Reptil, das überall durchschlüpfe. Mit Matthias sei vielleicht eher etwas auszurichten, er könne die Hilfe der Protestanten durchaus nicht entbehren, und wenn man nur den Khlesl abschaffte, so werde er leicht zu regieren sein.
Tschernembl sagte, die Habsburger hätten alle Prätensionen,1 die wären ihnen nicht auszutreiben, am besten würde man ganz ohne sie auskommen. Ja, sagte Ruppa, ein bescheidener und vernünftiger Fürst, der ihnen von vornherein ihre uralten Rechte verbürgte und ohne das nicht zugelassen würde, schickte sich besser für sie. Sie könnten dann Sorge tragen, dass er nicht um sich griffe und sich breit machte. Wozu man sich überhaupt damit belüde, meinte Tschernembl. Wenn sich die Stände von Österreich, Böhmen, Mähren und Schlesien verbündeten, so wären sie doch stark genug, selbst ihre Interessen wahrzunehmen. Auf Venedig, Schweiz, Holland und die Union könnten sie immer rechnen. Die Republiken hätten doch viele Feinde, meinte Graf Thurn kopfschüttelnd, und in diesen kriegerischen Zeiten wäre man ohne ein fürstliches Haupt übel versorgt, gleichsam als trüge man die Hosen ohne Gurt. Tschernembl verwies auf das Beispiel der Holländer; wachsam und einmütig müsse man sein, davon hänge alles ab. Man sähe zur Genüge an den griechischen und römischen Staaten, wie sie in der Freiheit geblüht hätten. Es sei leichter, sich äußerer als einheimischer Tyrannen zu erwehren; wie schwer wäre es, die Habsburger abzuwerfen, da sie einem einmal im Genick säßen.
Christian von Anhalt hörte solchen Gesprächen, wo die Fürsten wie Würfel hin und her gespielt wurden, verwundert und mit heimlicher Missbilligung zu, ließ sich aber nichts merken, auch weil er dachte, dass es damit noch gute Weile habe. Das üppige Wesen mit den Weibern, das in Prag im Schwange war, missfiel ihm gleicherweise, und er hielt sich einigermaßen davon zurück. Er pflegte sich stets einen Raum in seinem Geiste wie eine Kapelle vorzubehalten, wohin Lärm, Schmutz und Ungeziefer der Weltgeschäfte nicht drang, wo der klare Hauch des reinen Gottesglaubens und hoher Menschlichkeit wehte und wo das Bildnis einer Frau thronte, die er inbrünstig liebte und die ihm angehörte, seiner Gemahlin, einer Gräfin Bentheim, mit der er nun seit etwa zehn Jahren verheiratet war. Was ihn umgab und was er tat, mochte hie und da einmal übel schmecken, das Bewusstsein, dass seine Seele, wann er wollte, sich in einem Paradiese läutern konnte, verlieh seinem Wesen einen anmutigen und stolzen Schwung.
Hoffnung beschwingte seinen Schritt, als er den Weg zum Kaiser antrat, und blies wie ein frischer Flügelschlag mit ihm in das Gemach des Monarchen; er erwiderte Anhalts ehrfurchtsvollen Gruß freundlich, erinnerte ihn an ihre frühere Begegnung und ermunterte ihn, sich zutraulich zu äußern. Zunächst, sagte Anhalt, könne er nur Dank äußern, dass der Kaiser ihm das Glück seiner Gegenwart gewähre, Dank, dass er in diesem Augenblick nicht nur als der Untertan zu seinem Herrscher, sondern dass er als ein Fürst und ein Mann zu dem sprechen dürfe, von dem die Geschicke der Welt abhingen.
»Sollte es Euer Liebden allein unbekannt sein«, sagte Rudolf wehmütig, »dass kaum ein Herr auf seinem Gute so verlassen und ohnmächtig ist wie der Kaiser?«
»Der Kaiser winke nur«, sagte Christian lebhaft, »und das Reich ist gerüstet, seinem Befehl zu gehorchen.« Der Kaiser kenne ja nur einen kleinen Teil des Reiches, er solle doch einmal nordwärts reisen, da werde ihm alles zu Füßen liegen. Er solle doch denen nicht Glauben schenken, die aus Unkenntnis oder Gehässigkeit ihm die Protestanten wie Heiden und Reichsfeinde abschilderten; sie selbst nennten sich Katholiken, denn sie hätten ja den alten Glauben nicht abgeschafft, sondern in seiner ursprünglichen Reinheit wiederhergestellt. Könnte er nur die Herzen der evangelischen Untertanen aus ihrer Brust nehmen und aufmachen wie einen Schrein, so würde er das Bild des Kaisers als ein Heiligtum darin verschlossen finden. Möchte er nur zwischen den Parteien ein gerechter Schiedsrichter sein und den Beschwerden der Evangelischen abhelfen, so würde der Frieden im Reiche wieder aufblühen. Könnten sie nur zu der Quelle gelangen, wo das Recht unverfälscht und unverstopft fließe, so würden die evangelischen Fürsten des Kaisers treue Ritter und Erzengel sein. Warum sollte die alte Eintracht zwischen den Parteien sich nicht wieder begründen lassen? Hätten sie doch den gleichen Feind, den Türken, der über ihrem Streiten ausgelassen und mächtig geworden sei.
Der Kaiser hatte Anhalt von Zeit zu Zeit durch einen Blick oder eine Handbewegung ermuntert, fortzufahren. Sein Auge ruhte mit Wohlwollen auf der ebenmäßig kräftigen Gestalt des Fürsten, aus dessen hübschem Gesicht Offenheit und Scharfsinn strahlten und von dessen Wesen eine Wärme ausging, die es ihm leicht machte, seinen Worten zu folgen. Nicht nur währte die Audienz außergewöhnlich lange, sondern der Kaiser beendete sie auch mit der Aussicht auf eine zweite und mit Andeutung, dass eine engere Abmachung die Folge sein könne.
Noch im Laufe desselben Tages wurde der Kaiser an dem günstigen Eindruck, den er empfangen hatte, wieder irre. Er hatte sich, so schien es ihm nun, einem lustigen Feuer genähert, um sich daran zu wärmen, und würde sich schließlich daran verbrennen. Durch seine Keckheit, seinen Witz und seinen Schein von Offenheit hatte dieser Mensch ihn zu umgarnen gesucht, dem es doch zuletzt nur auf den Vorteil und Nutzen seiner Partei ankam. War Anhalt nicht ein berüchtigter Aufwiegler, der im Dienste Heinrichs IV. von Frankreich gestanden hatte und der es ohne Zweifel auch mit den holländischen Staaten, den Türken des Nordens, hielt? Ja, wenn er in den lästigen und leidigen Streitfragen, mit denen man ihn seit Jahren belästigte, zugunsten der Evangelischen entschiede, so würden sie ihn hilflos seinen Feinden ausliefern. Aufmerksam rief er sich alles zurück, was Anhalt gesagt hatte, ob ein Versprechen darin versteckt gewesen wäre, die Union würde ihm gegen Matthias zu Hilfe kommen. Gegen diesen listigen Fürsten galt es die Waffe umzukehren und ihn so zu bearbeiten, dass er ihm, dem Kaiser, die Dienste der Union zur Verfügung stellte und eine nach Belieben zu zahlende Rechnung dafür ausschriebe.
Bei der zweiten Audienz spürte Anhalt sofort, dass mit dem Kaiser eine Veränderung vorgegangen war; er schien eine fremde Maske vorgebunden zu haben, der gegenüber der verwirrte Gast das herzliche Gespräch vom vorigen Male nicht wieder anzuknüpfen wusste. Er wisse wohl, sagte Rudolf, dass sein Bruder Matthias sich Hoffnung auf den Beistand der Evangelischen mache, auch sein Bruder Maximilian hätte mit diesen zu tun gehabt, er durchschaue alles, man solle im Reich nicht denken, dass ein Blinder oder ein Kranker auf dem Hradschin sitze. Dann plötzlich beklagte er sich, dass die Stände nachlässig im Zahlen der Türkensteuer gewesen wären und ihn dadurch zu einem schmählichen Frieden mit den Türken gezwungen hätten. Von der Türkensteuer mache er alles abhängig, vorher lasse er sich auf nichts ein. Er wolle gehorsame Untertanen sehen, dann werde er auch ein gnädiger Kaiser sein.
Anhalt war vor Ärger und Enttäuschung rot geworden; wie ein Sumpf kam ihm der Kaiser vor, in den es ihn reizte mit Steinen zu werfen. Man hätte die Türkensteuer entrichtet, sagte er, obwohl es manche seltsam gedünkt hätte, die niemals einen Türken gesehen hätten noch je sehen würden. Aber man bewillige selbst den Bauern, wenn sie ihre Abgaben und Fronden ordentlich leisteten, das, was sie, um ihr Leben zu fristen, nötig hätten. Für die Evangelischen jedoch sei im Reiche kein Recht und kein Richter. Wehe dem Reich, wenn die Verkürzten in ihrer Not zum Schwerte griffen und die Fehden zwischen Brüdern sich erneuerten.
Das lasse sich wie eine Drohung hören, sagte der Kaiser vorsichtig, und Anhalt bemerkte, dass seine Hand, die um den Rand des Tisches griff, zu zittern begann. Von Ungeduld und Widerwillen hingerissen, antwortete er, indem er sich stolz aufrichtete, er stehe als ein Untertan vor seinem Kaiser, aber Gott sei über ihnen beiden, der nach Belieben umwenden könne, was er erschaffen habe. Rudolf solle nur das Ende Cäsars bedenken, welches Gott habe geschehen lassen, nachdem er ihn so hoch gerückt habe, dass noch heute die Weltbeherrscher nach ihm genannt würden.
Diese Audienz hatte einen nachteiligen Einfluss auf den Zustand des Kaisers. Die Anspielung auf die Ermordung Cäsars gab ihm beständig Anlass zu Befürchtungen, die Lang eher verstärkte als entkräftete. An diesem Anhalt, sagte er, sehe der Kaiser nun, was die Evangelischen im Schilde führten und wozu sie fähig wären, er hätte sich nie so weit mit ihm einlassen sollen.
Je mehr sich Lang des Kaisers sicher fühlte, desto gleichgültiger und rücksichtsloser wurde er gegen seine Person. Befriedigte er auch nach wie vor seine täglichen Bedürfnisse, so war doch der Ton seiner Stimme dabei oft hart und befehlend und lag in seinem Wesen eine wegwerfende Verachtung, was der Kaiser tief spürte, ohne es merken zu lassen. Seinerseits fiel es Lang nicht auf, dass der Kaiser ihn seltener zu sich rief, vielmehr oft absichtlich fernhielt; denn er war froh, des lästigen Dienstes einmal überhoben zu sein. Mehr und mehr lastete das Bewusstsein auf dem Kaiser, dass er sein Vertrauen diesem Manne, der ihn nicht liebe, geschenkt habe; es war ihm, als hätte er ein Stück von seiner Seele in Langs Hand gegeben und müsse sie um jeden Preis wiederhaben.
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