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11.

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Auf der Stra­ße, die durch die Ber­ge der Ei­fel nach Dü­ren führ­te, über­hol­te ein Trupp Mans­fel­di­scher Rei­ter ei­ni­ge Land­leu­te, die eine Hoch­zeit zu voll­zie­hen sich in das nächs­te Kirch­dorf be­ga­ben. Es wa­ren das Braut­paar, des­sen El­tern und die Ver­wandt­schaft mit ih­ren Kin­dern, alle sau­ber ge­klei­det, die Braut mit Bän­dern und ei­ner tur­mar­ti­gen Kro­ne ge­schmückt, un­ter der ihr jun­ger Kopf sich ernst und scham­haft beug­te. Beim An­blick der Rei­ter er­schra­ken die Leu­te, be­ru­hig­ten sich aber, als ei­ner der­sel­ben, ih­ren Dia­lekt ko­misch nach­ah­mend, sie freund­lich an­sprach, nach dem Wege frag­te und ver­si­cher­te, dass sie nichts Feind­li­ches im Sin­ne hät­ten, viel­mehr selbst der Hil­fe be­dürf­tig wä­ren. Die vom Schreck be­frei­ten Bau­ern ga­ben Be­scheid, wor­auf die Rei­ter sich ih­nen an­schlos­sen und un­ter dem müh­se­lig ge­führ­ten Ge­spräch zur Hoch­zeit ein­lu­den, da sie noch nichts im Lei­be hät­ten, auch Ge­nüg­sam­keit ge­lob­ten, als die Leu­te auf das ge­rin­ge Maß der im Dor­fe vor­han­de­nen Vor­rä­te hin­wie­sen. Es war An­fang Ja­nu­ar, und nach lan­gen Re­gen­ta­gen setz­te schar­fe Käl­te ein; ein bei­ßen­der Nord­wind pfiff durch das lee­re Gins­ter­ge­strüpp, das hie und da die Hü­gel be­wuchs, und die erst durch­weich­ten, nun ge­fro­re­nen Wege wa­ren für die bar­fuß lau­fen­den Kin­der schwer zu be­ge­hen. Eine Vier­tel­stun­de von dem Dor­fe ka­men den Hoch­zei­tern Be­freun­de­te ent­ge­gen, de­nen Spi­el­leu­te vor­an­gin­gen, und wie­der­um zer­streu­te die gute Lau­ne der Rei­ter die Be­sorg­nis, die ihr un­er­war­te­tes Er­schei­nen ein­flö­ßte. Da sich zeig­te, dass sie gute Ka­tho­li­ken wa­ren, die Knie beug­ten und be­te­ten wie die an­de­ren, war die Ein­woh­ner­schaft vollends zu gast­li­cher Auf­nah­me wil­lig, und das Hoch­zeits­mahl wur­de durch her­zu­ge­tra­ge­nes Brot, Fleisch und Dünn­bier, so gut es ge­hen woll­te, er­wei­tert. Beim Tan­ze, der sich an das Es­sen an­schloss, ent­spann sich ein Streit, in­dem ein be­trun­ke­ner Rei­ter die Braut um die sil­ber­nen Be­schlä­ge an­sprach, die ihr Mie­der zier­ten und die sei­ne Hab­gier reiz­ten. Der Bräu­ti­gam lief zu ih­rem Schut­ze her­bei, der Rei­ter wur­de hit­zig, zog die Braut an sich und stach ihr, als sie sich ihm schrei­end ent­win­den woll­te, ein kur­z­es Schwert, das ihm an der Sei­te hing, ins Herz. Daraus ent­wi­ckel­te sich ein all­ge­mei­nes wil­des Kämp­fen, das durch die plötz­li­che An­kunft Mans­felds, des Re­gi­ment­s­obers­ten, un­ter­bro­chen wur­de. Er sprang so­fort vom Pfer­de, trat un­ter die Wü­ten­den und hieß einen der Sei­ni­gen spre­chen, der die Schuld des Ge­sche­he­nen auf die Bau­ern zu schie­ben such­te, als hät­ten sie einen lis­ti­gen Über­fall vor­be­rei­tet, des­sen sie, die Sol­da­ten, sich ge­walt­sam hät­ten er­weh­ren müs­sen. Mans­feld stell­te sich an, als ob er ihm Glau­ben schenk­te, be­fahl sei­nen Leu­ten, al­les her­aus­zu­ge­ben, was sie sich etwa den Bau­ern Ge­hö­ri­ges an­ge­eig­net hät­ten, ließ sie auf­sit­zen und spreng­te mit der gan­zen, nun ver­ei­nig­ten Trup­pe so schnell wie mög­lich da­von, ohne dass die Bau­ern der be­waff­ne­ten Über­macht ge­gen­über Wi­der­stand zu leis­ten hät­ten wa­gen kön­nen.

Schon lag das frü­he Dun­kel auf den Hü­geln, über die die Rei­ter hin­jag­ten. Mans­feld war ver­stimmt und sag­te un­ge­hal­ten zu dem Leut­nant, der die Schul­di­gen an­ge­führt hat­te, er durch­schaue den wah­ren Sach­ver­halt wohl und wür­de eine blu­ti­ge Stra­fe ver­hängt ha­ben, wenn er nicht hof­fen kön­ne, dass die Tat in die­sem ver­las­se­nen Win­kel be­gra­ben blei­be. Als der Leut­nant sich da­mit ent­schul­di­gen woll­te, dass nach lan­gem Fas­ten ih­nen Es­sen und Trin­ken zu Kop­fe ge­stie­gen sei, hieß ihn Mans­feld schwei­gen; er müs­se für ihre Zü­gel­lo­sig­keit bü­ßen, ihm häng­ten sie den Na­men ei­nes Mord­bren­ners an, der die Ka­tho­li­ken so we­nig ver­scho­ne wie die Evan­ge­li­schen. An ei­ner Weg­schei­de ließ er Halt ma­chen, sprach sein Miss­fal­len und die Hoff­nung aus, die Übel­tä­ter wür­den sich be­ei­fern, ihr Schel­men­stück durch eine sol­da­ten­mä­ßi­ge Hel­den­tat wie­der gutz­u­ma­chen. Ei­ni­ge Mei­len ent­fernt lie­ge das Städt­chen Schley­den, das in Fein­des­hand, aber un­ge­nü­gend be­setzt sei und leicht über­rum­pelt wer­den kön­ne. Dort wol­le er sich fest­set­zen, um mit si­che­rem Rück­halt Streif­zü­ge zu wa­gen und wei­ter um sich zu grei­fen. Die­ser Über­fall ge­lang; aber schon am fol­gen­den Tage er­schi­en eine star­ke Ab­tei­lung bran­den­bur­gi­scher Sol­da­ten un­ter dem Gra­fen Fried­rich Solms, de­nen ge­gen­über Mans­feld den schwach be­fes­tig­ten Ort nicht hal­ten konn­te. Nach tap­fe­rer Ge­gen­wehr muss­te er sich mit den über­le­ben­den Sol­da­ten ge­fan­gen ge­ben, wur­de nach Dü­ren ge­bracht und war­te­te dort un­ge­dul­dig auf das Lö­se­geld, das sein Kriegs­herr, Erz­her­zog Leo­pold, für ihn zu er­le­gen auf­ge­for­dert wur­de.

Wäh­rend der er­zwun­ge­nen Un­tä­tig­keit, die ihn von Tag zu Tag un­leid­li­cher drück­te, lief an Mans­felds Geis­te sein ver­gan­ge­nes Le­ben, aus Kampf, Ent­täu­schung und Bit­ter­keit be­ste­hend, vor­über. In sei­nem zehn­ten Le­bens­jah­re hat­te es sich be­ge­ben, dass er in die Bü­cher, die ihm ge­hör­ten, ein paar fran­zö­si­sche An­dachts­bre­vie­re, eine Be­fes­ti­gungs­leh­re und einen la­tei­ni­schen Plut­arch, ne­ben sei­nen Na­men Pe­ter Ernst Mans­feld den Wahl­spruch sei­nes Va­ters ge­schrie­ben hat­te, der ihm über­aus wohl­ge­fiel: For­ce m’est trop. Dies hat­te der Hof­meis­ter der Pa­gen, mit de­nen er er­zo­gen wur­de, ge­se­hen und ihn auf Be­fehl sei­nes Va­ters mit Schlä­gen so ge­züch­tigt, dass Blut ge­flos­sen war. Es wur­de ihm da­bei ge­sagt, dass er der Ge­walt sich zu fü­gen ler­nen müs­se, dass das stör­ri­sche, un­bän­di­ge We­sen ihm aus­ge­trie­ben wer­den sol­le, und als er sich zor­nig be­klag­te, ein Fürs­ten­sohn dür­fe nicht wie ein Knecht be­han­delt wer­den, wur­de ihm ent­geg­net, er sei ein Ba­stard, sol­le nach dem Wil­len sei­nes Va­ters nicht an­ders be­han­delt wer­den als die Pa­gen, die im Schlos­se dienten, und habe kein Recht, sei­nes Wap­pens und Wahl­spruchs sich zu be­die­nen. Wenn ihn seit­dem ein Geg­ner mit dem Na­men Ba­stard ge­höhnt hat­te, über­lief ihn je­des Mal das­sel­be Ge­fühl von Scham und ohn­mäch­ti­ger Wut, das da­mals sei­ne kind­li­che Brust fast er­drückt hat­te. Hass und un­er­sätt­li­che Ra­che ge­gen den Va­ter durch­dran­gen ihn, des­sen ge­sun­des Al­ter kalt, zu­frie­den und wür­de­voll in sei­nen Sch­lös­sern thron­te und der sei­nen Sohn na­men­los, ohne Hei­mat, Erbe und Ehre zu­rück­ließ. Oft sehn­te er sich da­nach, den hoch­mü­ti­gen Greis, dem man sich nur voll Ehr­furcht und un­ter Bück­lin­gen ge­nä­hert hat­te, aus der Erde her­aus­zu­wüh­len und öf­fent­lich ver­letz­ter Va­ter­pflicht und un­na­tür­li­cher Grau­sam­keit an­zu­kla­gen. Fluch über ihn, der sei­nen Sohn wie Is­ma­el in die Wüs­te ge­sto­ßen hat­te. Noch jetzt muss­te er oft rüh­men hö­ren, wie treu sein Va­ter als Gou­ver­neur von Lu­xem­burg dem Hau­se Habs­burg ge­dient und ih­nen so­gar alle sei­ne Gü­ter hin­ter­las­sen habe; ihm schi­en es nicht rüh­mens­wert, dass er den über­mü­ti­gen Her­ren sei­nen Über­fluss ver­mach­te und sei­nen Sohn ih­rer Gna­de zu emp­feh­len sich be­gnüg­te. Er hat­te es nicht an­ders ge­wusst, als dass er im Diens­te des Hau­ses Ös­ter­reich das Schwert füh­ren müs­se, und hat­te es ge­tan, so gut er es ver­stand, tap­fer und ohne sein Le­ben zu scho­nen; sie da­ge­gen hat­ten ihn we­gen ei­nes fehl­ge­schla­ge­nen Kriegs­un­ter­neh­mens, wor­an er sich un­schul­dig glaub­te, kas­siert. Zu­rück­set­zun­gen und Krän­kun­gen al­ler Art wa­ren ihm zu­teil ge­wor­den, so­dass er sich end­lich klar­ge­macht hat­te, er als be­rech­tig­ter Er­ban­spre­cher der vä­ter­li­chen Hin­ter­las­sen­schaft sei ih­nen im Wege. Wa­rum ließ er sich tre­ten von de­nen, die ihn aus­ge­plün­dert hat­ten? Er konn­te leicht an­ders­wo sein Glück fin­den, ja es wa­ren ihm schon An­trä­ge von evan­ge­li­scher Sei­te ge­macht wor­den; dann konn­te er viel­leicht den Geg­nern mit Ge­walt neh­men, was sie dem ge­dul­di­gen Die­ner vor­ent­hiel­ten. Im­mer, wenn er die Mög­lich­keit er­wog, zur Uni­on über­zu­ge­hen, stör­te ihn die Vor­stel­lung, dass er sich gleich­sam als ein Flücht­ling und Ver­schmäh­ter de­nen an­schloss, auf die er als auf Ket­zer und Re­bel­len her­ab­zu­se­hen ge­wohnt war; da­ge­gen sag­te er sich, dass er der Mann sei, ih­nen sei­nen Wert zu er­wei­sen. Das Er­geb­nis lan­ger Kämp­fe war, dass er den Gra­fen Solms bat, ihn ge­gen Ehren­wort zu ent­las­sen, da­mit er den Erz­her­zog Leo­pold per­sön­lich auf­for­dern kön­ne, ihn aus­zu­lö­sen, wid­ri­gen­falls er zur Uni­on über­ge­hen wol­le; wei­ge­re sich Leo­pold, so sei er ent­schlos­sen, die Dro­hung aus­zu­füh­ren. Graf Solms zö­ger­te mit der Ant­wort; denn er hat­te die Mei­nung, dass das Ehren­wort ei­nes Ba­stards nicht gel­te, und war nahe dar­an, ihm dies zu ver­ste­hen zu ge­ben. In­dem er aber Mans­feld in das klu­ge, reiz­ba­re Ge­sicht sah, das sich rö­te­te und arg­wöh­nisch lei­dend ver­zog, weil er des Un­schlüs­si­gen Zwei­fel rich­tig deu­te­te, be­sann er sich plötz­lich ei­nes an­de­ren, reich­te dem Bit­ten­den die Hand und sag­te: »Ich habe Euch kämp­fen se­hen wie einen Edel­mann, und als ei­nem sol­chen gebe ich Euch die Frei­heit«, wor­auf Mans­feld dank­te und da­von­ritt.

Von Erz­her­zog Leo­pold, der sein er­träum­tes Reich von Jü­lich aus zer­flie­ßen sah, ohne Geld, weil er selbst keins habe, und mit den spöt­ti­schen Wor­ten ent­las­sen, er sol­le un­ter Freun­den und Ver­wand­ten für sich sam­meln las­sen, kehr­te er grol­len­den Her­zens nach Dü­ren zu­rück. Nicht nur re­de­ten ihm Ans­bach, An­halt und Solms zu, sich nun­mehr der Uni­on an­zu­schlie­ßen, son­dern Solms schenk­te ihm auch die Frei­heit, groß­mü­tig auf das Lö­se­geld ver­zich­tend; al­lein das be­stärk­te Mans­feld in dem Vor­satz, nur an der Spit­ze ei­nes Re­gi­ments, nicht als Bett­ler zu den bis­he­ri­gen Fein­den zu kom­men. Ei­ni­ge Mo­na­te ver­gin­gen, die er im Bel­gi­schen und Lu­xem­bur­gi­schen, wer­bend und strei­fend im Diens­te des Erz­her­zogs, zu­brach­te, im­mer noch ein Zei­chen er­war­tend, das ihm An­lass gäbe, bei der al­ten Fah­ne zu blei­ben. An­statt des­sen ge­riet er in einen Wort­wech­sel mit Leo­pold, weil die­ser sich wei­ger­te, den Söld­nern, die Mans­feld für ihn ge­wor­ben hat­te, den Sold aus­zu­zah­len. Im Ver­trau­en auf sei­ne, des Erz­her­zogs, Ehre habe er den Söld­nern sein Wort ver­pfän­det, warf ihm Mans­feld vor, wor­auf der Erz­her­zog spot­te­te, er sei ja dem Gra­fen Solms das Lö­se­geld schul­dig ge­blie­ben, und der­sel­be habe das Recht, Mans­felds Na­men auf den Schand­pfahl zu schla­gen. Des Lö­se­gelds sol­le er ewig ein­ge­denk sein, ant­wor­te­te Mans­feld kurz, dreh­te sich um und ver­ließ Leo­pold, ent­schlos­sen, nun ein Ende zu ma­chen. Un­ter dem Vor­wan­de, einen Fut­ter­trans­port es­kor­tie­ren zu müs­sen, ver­ließ er mit sei­nem Re­gi­ment das El­saß, wo­hin er sich zu­rück­ge­zo­gen hat­te, und führ­te es dem eins­ti­gen Fein­de zu. Auf ei­nem frei­en Fel­de hielt er eine An­spra­che, in der er die Grün­de, die ihn be­weg­ten, aus­ein­an­der­setz­te. Er sprach von dem Geiz und der Un­dank­bar­keit des Hau­ses Habs­burg und wie lan­ge er die Ty­ran­nei des­sel­ben er­tra­gen habe in der Mei­nung, es müs­se so sein, dass ei­ni­ge Hun­ger und Durst, Frost und Hit­ze, Ent­beh­rung und Man­gel lit­ten, wäh­rend an­de­re in Über­fluss, Gü­tern und Ti­teln schwelg­ten. Es sei nicht so; das Evan­ge­li­um der Frei­heit sei längst aus­ge­gan­gen in die Welt, man hät­te es ih­nen aber vor­ent­hal­ten. Zur evan­ge­li­schen Frei­heit wol­le er von nun an sich hal­ten. Er sei als Fürst ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen so gut wie ein Erz­her­zog, das Haus Habs­burg habe ihn sei­nes Lan­des und sei­ner Rech­te, so wie sie ih­res Sol­des, be­raubt. Er sei jetzt, ob­wohl ein Fürst, arm, habe aber ein Schwert, mit dem er sich die Welt er­kämp­fen kön­ne. Dem Schwert und der Frei­heit wol­le er ver­trau­en; wie er sie nicht ver­lie­ße, soll­ten sie ihm treu blei­ben.

Die­se und ähn­li­che Wor­te sprach er vom Pfer­de her­un­ter, den Hut in der Hand, zu den Sol­da­ten, die ihm als ei­nem ver­we­ge­nen und groß­mü­ti­gen, wenn auch mit­un­ter maß­los hef­ti­gen Füh­rer im gan­zen zu­ge­tan wa­ren. Die meis­ten ju­bel­ten ihm zu, umso mehr, als sie größ­ten­teils Pro­tes­tan­ten wa­ren; an­de­re gin­gen einst­wei­len mit, um sich ge­le­gent­lich zu ver­lie­ren, wenn ih­nen der Wech­sel nicht zu­sa­gen soll­te; nur we­ni­ge kehr­ten aus An­häng­lich­keit an die ein­mal er­grif­fe­ne Sa­che oder aus Miss­trau­en ge­gen die neue zu­rück.

Der Dreißigjährige Krieg

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