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5.

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Am pfäl­zi­schen Hofe war man der Mei­nung, dass die Ka­tho­li­ken zu ei­nem großen Schla­ge aus­hol­ten, um die Pro­tes­tan­ten zu ver­nich­ten; da­für spra­chen al­ler­lei be­denk­li­che Zei­chen. Schon im Jah­re 1601 war ein Rei­sen­der durch Hei­del­berg ge­kom­men, der sich Bro­car­do Baro­nio nann­te und ein Ita­lie­ner zu sein vor­gab, der zum pro­tes­tan­ti­schen Glau­ben über­ge­tre­ten sei und des­halb ver­folgt wer­de, und da er sich an­sehn­lich und wohl­re­dend zeig­te, hat­te man ihn im Schlos­se emp­fan­gen. Die­ser hat­te al­ler­lei häss­li­che Er­öff­nun­gen ge­macht, wie dass eine Ver­schwö­rung un­ter den Ka­tho­li­ken be­ste­he mit dem Papst an der Spit­ze, dass eine un­ge­heu­re eu­ro­päi­sche Bar­tho­lo­mäus­nacht vor­be­rei­tet und ein un­aus­lösch­li­cher Blutstrom sich durch alle Län­der er­gie­ßen wer­de. Die Schrift ›De au­to­no­mi­a‹, die von der Not­wen­dig­keit, die Ket­zer aus­zu­rot­ten, han­del­te, weil es nur ei­ne Wahr­heit gebe, und die­se sei bei den Ka­tho­li­ken, be­wies, wie si­cher die Fein­de sich fühl­ten. Denn wie hät­ten so un­um­wun­de­ne Ge­sin­nun­gen und Dro­hun­gen sonst ge­druckt und ver­öf­fent­licht wer­den kön­nen? Den Rä­ten, Lin­gels­heim, Lo­e­fe­ni­us, Schug, Ca­me­ra­ri­us, stieg das Blut heiß zum Kop­fe, wenn sie sich vor­stell­ten, in wel­cher Ver­fas­sung die­se Ge­fah­ren die pro­tes­tan­ti­sche Par­tei an­tra­fen. Wäh­rend das Heer der Je­sui­ten und Ka­pu­zi­ner in zahl­lo­sen Wel­len, Rinn­sa­len und Bä­chen zu­sam­men­floss und mit ei­nem Male al­les Land über­schwem­men konn­te, blie­ben die Pro­tes­tan­ten ver­ein­zelt, un­ter­ein­an­der ent­zweit, kaum auf Ver­tei­di­gung be­dacht, ge­schwei­ge denn, dass sie den An­griff wa­gen könn­ten. So­eben kam Lo­e­fe­ni­us von Stutt­gart zu­rück, wo eine Ver­mäh­lung statt­ge­fun­den hat­te, zu der der Kur­fürst ge­la­den war, was man hat­te be­nut­zen wol­len, um eine Ve­rei­ni­gung mit dem Her­zog von Würt­tem­berg zu er­zie­len und da­durch die Grund­la­ge zu ei­ner wei­te­ren Uni­on zu ge­win­nen. In Lin­gels­heims Biblio­thek be­rich­te­te er sei­nen Kol­le­gen von dem Mis­ser­folg sei­ner Sen­dung. Ihr Herr sei ent­we­der auf der Jagd oder bei Ta­fel ge­we­sen oder habe sei­nen Rausch aus­ge­schla­fen. Ein­mal habe er ihn al­lein ge­spro­chen, da habe er ge­weint, weil er we­gen der Glie­der­schmer­zen am letz­ten Tur­nier nicht habe teil­neh­men kön­nen. Es sei aus mit ihm, er kön­ne nie mehr ge­sund wer­den, er, Lo­e­fe­ni­us, sol­le ihn trin­ken las­sen, da­mit er sein Un­glück ver­gä­ße; Ge­schäf­te habe er das gan­ze Jahr, die­se we­ni­gen Tage soll­te Lo­e­fe­ni­us ihm nicht ver­gäl­len.

»Die schwers­te al­ler Las­ten ist ein leich­ter Kopf«, sag­te Lin­gels­heim in la­tei­ni­scher Spra­che, »das gilt für den ein­zel­nen wie für den Staat.« Ob denn Lo­e­fe­ni­us nichts mit den Rä­ten des Her­zogs habe aus­rich­ten kön­nen? Au­ßer dem Ens­lin, sag­te Lo­e­fe­ni­us, sei kei­ner, der ein kla­res Wort zu re­den sich ge­traue, und Ens­lin sei ihm ab­sicht­lich aus­ge­wi­chen. Er habe ge­hört, dass Ens­lin dar­an ar­bei­te, die Le­hens­rech­te, die Ös­ter­reich über Würt­tem­berg habe, ab­zu­lö­sen, und dass er sich des­halb den Kai­ser ge­neigt er­hal­ten woll­te. Bis das er­le­digt sei, wer­de Würt­tem­berg dem Kai­ser in al­len Din­gen nach­ge­ben und sich auf nichts Ver­däch­ti­ges ein­las­sen. Jam­mer­voll sei es, wie am Hofe ge­haust wer­de, in ei­nem Freu­den­hau­se kön­ne es nicht är­ger zu­ge­hen. Mehr als fünf­hun­dert Per­so­nen zäh­le der Hof­staat, und die Ta­fel sei im­mer voll ge­deckt. Der Her­zog wol­le durch­aus eine statt­li­che Hof­hal­tung füh­ren, ob­wohl doch we­nig Adel im Würt­tem­ber­gi­schen vor­han­den sei und das Land ge­dei­hen könn­te, wenn es nicht ab­sicht­lich ver­derbt wür­de. Geld flie­ße wie Was­ser, und um es sich zu ver­schaf­fen, lie­ße der Her­zog Gold­ma­cher kom­men und ste­cke ih­nen Tau­sen­de von Ta­lern in die Ta­sche, be­vor eine Erb­se groß Gold aus ih­rem Tie­gel kom­me. Schlau ge­nug sei der Her­zog, aber er küm­me­re sich nur noch dar­um, et­was ins Bett und in den Beu­tel zu be­kom­men, und der Ens­lin kön­ne und wol­le nicht über Würt­tem­berg hin­aus­den­ken.

In­des­sen hat­te der Groß­hof­meis­ter, Graf Solms, sei­ne Not mit dem Kur­fürs­ten, der, übel­lau­nig von der Rei­se zu­rück­keh­rend, auf sei­ne Ge­mah­lin schimpf­te, weil sie ihm nicht ent­ge­gen­ge­kom­men sei, und in ihre Ge­mä­cher drin­gen woll­te, um sie zur Rede zu stel­len. Er sei eben nicht in dem Zu­stan­de, der ho­hen Frau auf­zu­war­ten, sag­te Graf Solms ernst; er habe ge­trun­ken und sei nicht Meis­ter über sei­ne Zun­ge. »De­sto mehr über mei­ne Faust«, stam­mel­te der Kur­fürst und roll­te die Au­gen.

Wenn er ihn ver­hin­dern kön­ne, sei­ne edle Ge­mah­lin zu be­lei­di­gen, so wol­le er Leib und Le­ben dar­an­set­zen, so­wohl ih­ret­we­gen wie sei­net­we­gen.

»Wa­rum ver­birgt sie sich denn wie ein Weib, das sei­nem Ehe­herrn übel­ge­sinnt ist?« schrie der Kur­fürst. »Hät­te sie mich ge­liebt, wie es sich ge­bührt, so hät­te sie einen gu­ten Mann an mir ge­fun­den. Willst du leug­nen, dass ich ein gut­her­zi­ger, nach­gie­bi­ger Mensch bin? Ich will doch se­hen, ob ich ih­ren Stolz und Trotz nicht beu­gen kann! ob sie mit ih­rem La­tein und Fran­zö­sisch einen Aus­weg vor mei­nen Fäus­ten fin­det!«

Der Graf stemm­te sich ge­gen die Tür und sag­te ru­hig: »Der Leib Eu­res Die­ners ist Euer Schild, er schützt Euch ge­gen Tod und ge­gen Schan­de.« Die­se Wor­te und der vor­wurfs­vol­le Blick des Gra­fen wen­de­ten Fried­richs Sinn au­gen­blick­lich; er warf sich, in Trä­nen aus­bre­chend, an sei­ne Brust und rief: »O mein Herz, mein treues­ter Jo­han­nes, ich tö­te­te ja mich selbst in dir! Ver­lass mich nicht! Denn was wäre ich ohne dich! Was habe ich dir ge­tan, dass du mir die kalt­her­zi­ge, un­ge­hor­sa­me Frau vor­ziehst und mich um ih­ret­wil­len dei­ner Lie­be be­raubst?«

»Weil ich Euch lie­be«, sag­te Solms trau­rig, »will ich nicht, dass Ihr eine hohe Dame be­lei­digt, die Ihr viel­mehr be­schüt­zen soll­tet«, und fuhr fort, ihm in die­ser Wei­se zu­zu­spre­chen, wor­über er schläf­rig wur­de und zu Bett ge­bracht wer­den konn­te.

Bei wie­der­er­lang­ter Nüch­tern­heit pfleg­te der Pfalz­graf An­wand­lun­gen von Reue über die ver­üb­ten Ex­zes­se zu ha­ben, be­son­ders seit er dem vom Land­gra­fen Mo­ritz bei Ge­le­gen­heit ei­nes Fa­mi­li­en­fes­tes in Hei­del­berg ge­grün­de­ten Mä­ßig­keits­or­den bei­ge­tre­ten war. Mo­ritz hat­te es da­mals är­ger­lich emp­fun­den, dass der Stumpf­sinn der Be­trun­ke­nen nicht die Art der Un­ter­hal­tung auf­kom­men ließ, die er lieb­te, und hat­te den Vor­schlag ge­macht, man sol­le sich eine ge­wis­se Be­schrän­kung im Es­sen und Trin­ken auf­er­le­gen und zu die­sem Zweck einen Ve­rein stif­ten. Der Mensch sei zum Eben­bil­de Got­tes, nicht zum Eben­bil­de von Af­fen und Schwei­nen ge­schaf­fen, de­nen er im Rausch ähn­lich wer­de.

Es sei gar zu an­stren­gend, Mensch zu sein, sag­te der Her­zog von Würt­tem­berg, man müs­se sich von Zeit zu Zeit in der Säue­rei da­von er­ho­len. – So? sag­te Mo­ritz höh­nisch, das sei je nach­dem: ein Vier­füß­ler kön­ne nicht lan­ge auf­recht ge­hen, ihm wür­de es Mühe ma­chen, auf al­len vie­ren zu lau­fen. Gott habe den Men­schen ja ein Bad der Er­qui­ckung ge­rich­tet in der Be­trach­tung sei­ner Voll­kom­men­heit und in der Er­for­schung der Welt­wun­der. Da der Mensch aus Got­tes Geist ge­schaf­fen sei, kön­ne ihm auch nur durch den Geist Le­ben zu­flie­ßen. Frei­lich müs­se man es­sen und trin­ken, um den Kör­per zu er­hal­ten, mit dem der Geist ver­bun­den sei; aber wenn man zu viel Holz in den Ofen schie­be, so er­sti­cke das Feu­er, um des­sent­wil­len doch nur ge­heizt wer­de. Die Fürs­ten soll­ten des­sen vor al­len Din­gen ein­ge­denk sein, die ih­ren Un­ter­ta­nen ein Vor­bild auf­stel­len soll­ten. Sie als christ­li­che Fürs­ten möch­ten auch nicht einen Baal oder Mo­loch an­be­ten, der im ei­ser­nen Bauch Kin­der ver­bren­ne und sich mit Op­fer­blut be­gie­ßen las­se; so könn­ten sie auch christ­li­chen Völ­kern nicht zu­mu­ten, Her­ren zu die­nen, die im Sumpf der Völ­le­rei hei­misch wä­ren. Wenn sie ih­ren Un­ter­ta­nen nicht das Bei­spiel ei­nes ed­le­ren Le­bens ge­ben könn­ten, wozu wä­ren sie dann da? Hät­te Gott sie ein­ge­setzt, da­mit sie sich de­sto bes­ser be­sau­fen könn­ten? Ein Fürst ste­he auf be­leuch­te­ter Höhe, und sein Wan­del müs­se so sein, dass je­der ihn mit Lust be­trach­ten und sich da­nach bil­den kön­ne.

Von sol­chen und ähn­li­chen Re­den des Land­gra­fen Mo­ritz wur­de der Pfalz­graf end­lich so er­schüt­tert, dass er zu wei­nen an­fing, dem Land­gra­fen um den Hals fiel und ihm sag­te, er habe sein Ge­wis­sen ge­weckt, es sei al­les wahr und rich­tig, er, der Pfalz­graf, wol­le nun vom Sau­fen las­sen und ein fürst­li­ches Le­ben füh­ren, da­mit die evan­ge­li­sche Wahr­heit durch ihn of­fen­bar wer­de. Es wur­de dem­nach zur Ein­rich­tung des Or­dens ge­schrit­ten, wo­nach nie­mand bei ei­ner Mahl­zeit mehr als sie­ben Be­cher Wein trin­ken durf­te; zu ei­nem klei­ne­ren Maße woll­te der Her­zog von Würt­tem­berg, der aber her­nach wie­der aus­trat, sich nicht ver­ste­hen, da er mein­te, Gott kön­ne es nicht dar­auf ab­ge­se­hen ha­ben, die Fürs­ten und Her­ren ver­schmach­ten zu las­sen. Au­ßer dem Land­gra­fen Mo­ritz und dem Pfalz­gra­fen tra­ten dem Or­den bei der Land­graf Lud­wig von Hes­sen-Darm­stadt, Mo­rit­zens Vet­ter, der Mark­graf von Jä­gern­dorf und ei­ni­ge Gra­fen von Nassau, Solms, Er­bach und Lei­nin­gen.

Als Er­folg und Zu­wachs wur­de es in Hei­del­berg be­grüßt, dass Land­graf Mo­ritz von Hes­sen im Jah­re 1603 den re­for­mier­ten Glau­ben an­nahm. Auf ei­ner Rei­se durch die Schweiz und Frank­reich hat­te er die Ein­rich­tun­gen der re­for­mier­ten Kir­che durch ei­ge­ne An­schau­ung und ihre Lei­ter per­sön­lich ken­nen­ge­lernt und einen Ein­druck da­von ge­won­nen, der sei­ne schon be­ste­hen­de Nei­gung ver­stärk­te. In Ba­sel, Zü­rich und Genf fand er Fried­fer­tig­keit, Ord­nung und Tüch­tig­keit, sah er alle Kräf­te des Ge­mein­we­sens ge­sam­melt, um eine har­mo­ni­sche Er­schei­nung her­vor­zu­brin­gen. Die Geist­li­chen, mit de­nen er sich un­ter­hielt, schwärm­ten nicht in Ge­heim­nis­sen, die sie al­lein be­sit­zen woll­ten, viel­mehr such­ten sie die gött­li­che Ver­nunft al­len zu ent­schlei­ern. Es schi­en ihm, als hät­ten die Men­schen dort kla­re­re und fes­te­re Ge­dan­ken, ge­sun­de­re, re­gel­mä­ßi­ger schla­gen­de Her­zen, und Un­ge­duld er­griff ihn, einen ähn­li­chen Zu­stand nach Deutsch­land, we­nigs­tens nach dem ihm un­ter­ge­be­nen Hes­sen zu ver­pflan­zen. Den Kö­nig von Frank­reich, Hein­rich IV., be­trach­te­te er als noch der re­for­mier­ten Re­li­gi­on zu­ge­hö­rig, so­weit er ihn be­wun­der­te; sei­ne Feh­ler, die Aus­schwei­fun­gen, die Lie­der­lich­keit sei­nes Ehe­le­bens und al­ler­lei Zwei­deu­tig­kei­ten und Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten schrieb er sei­nem Zu­sam­men­hange mit der ka­tho­li­schen Kir­che zu. Er war über­zeugt, dass Hein­rich IV. sich im Her­zen mit den Be­ken­nern sei­nes al­ten Glau­bens ei­nig fühl­te, die auf der Sei­te sei­nes gu­ten Ge­ni­us stän­den, und sie in et­wai­gen Kämp­fen und Nö­ten un­ter­stüt­zen wür­de. Dazu kam, dass sei­ne zwei­te Frau – denn die zar­te Ag­nes war nach neun­jäh­ri­ger Ehe ge­stor­ben –, die sech­zehn­jäh­ri­ge, klu­ge Ju­lia­ne, eine Ora­nie­rin war, re­for­mier­ten Glau­bens, eine Ver­tre­te­rin des Ge­schlech­tes, des­sen Na­men ein Meer­hauch von Kraft und Frei­heit um­wit­ter­te.

Mit ei­ni­gen er­ge­be­nen Geist­li­chen ar­bei­te­te Mo­ritz selbst die neue Ver­ord­nung aus, nach wel­cher vor­nehm­lich die Än­de­rung statt­fand, dass alle Bil­der aus der Kir­che ent­fernt und beim Abend­mahl das Brot zum Ge­dächt­nis Jesu ge­bro­chen und an die Ge­mein­de aus­ge­teilt wer­den soll­te. Ei­nes Sonn­tags trug ein Pre­di­ger in der Kas­se­ler Hof­kir­che in ei­ner größ­ten­teils von Mo­ritz selbst ver­fer­tig­ten Rede alle Grün­de vor, die den Land­gra­fen zu der neu­en Ord­nung ge­führt hät­ten, for­der­te das Volk auf, sich da­mit be­kannt zu ma­chen, sie zu prü­fen und et­wai­ge Zwei­fel dem Lan­des­herrn selbst vor­zu­tra­gen, der be­reit sei, je­dem sei­ner Un­ter­ta­nen Ant­wort zu ge­ben. Mo­ritz war mit sei­ner Fa­mi­lie an­we­send und folg­te dem Vor­tra­ge auf­merk­sam und et­was un­ge­dul­dig; er hät­te selbst zur Ge­mein­de ge­spro­chen, wenn er es nicht für ziem­lich ge­hal­ten hät­te, an dem dem Got­tes­dienst ge­weih­ten Orte hin­ter dem dazu be­stell­ten Geist­li­chen zu­rück­zu­ste­hen. Sei­ne hohe, elas­tisch auf­recht ge­hal­te­ne Ge­stalt und sein Blick voll geis­ti­gen Feu­ers be­herrsch­te die Zu­hö­rer, so­dass er den Ein­druck ge­win­nen konn­te, die Aus­füh­run­gen sei­nes Pas­tors hät­ten je­der­mann über­zeugt.

Vor der Kir­che blieb er im Ge­spräch mit sei­ner Frau und sei­ner äl­tes­ten Toch­ter aus ers­ter Ehe ste­hen und sah freund­lich in die Run­de, um die­je­ni­gen zu er­mu­ti­gen, die etwa eine Fra­ge stel­len möch­ten. Als er ei­ni­ge be­merk­te, die sich nä­hern zu wol­len schie­nen, wink­te er mit der Hand und for­der­te den nächs­ten auf, sich ohne Scheu zu er­klä­ren. Der Mann, ein Buch­dru­cker, sag­te un­ter vie­len Bück­lin­gen, dass er be­lehrt zu wer­den wün­sche, warum es denn sträf­lich sei, sich an Bil­dern zu er­bau­en, wo­fern man sie nicht an­be­te, was ein evan­ge­li­scher Christ doch oh­ne­hin nicht tue. Of­fen­bar er­freut, dass er Ge­le­gen­heit be­kam, sei­ne An­sich­ten zu er­ör­tern, sag­te Mo­ritz leb­haft und mit lau­ter Stim­me: »Möge sich ein je­der an Bil­dern er­freu­en, wenn sie gut ge­malt sind und et­was Gu­tes dar­stel­len; aber nicht in der Kir­che und beim Got­tes­diens­te, denn ein an­de­res ist die Kunst und ein an­de­res die Re­li­gi­on. Wir sind schwa­che Men­schen und wi­der un­ser Wis­sen und Wol­len ge­neigt, das Bild für das We­sen zu hal­ten. Es steht ge­schrie­ben: ›Gott ist Geist, und die ihn an­be­ten, sol­len ihn im Geist und in der Wahr­heit an­be­ten.‹ Das ist wohl zu be­grei­fen, aber schwer ist es, da­nach zu le­ben. Wer möch­te nicht vor bun­ten Bil­dern träu­men und Ge­be­te lal­len? Wir sol­len aber das Herz rein hal­ten, die Ge­dan­ken hoch rich­ten und nach Got­tes Ge­bo­ten tun.«

Der Mann wag­te die­sen ent­schie­den ge­spro­che­nen Wor­ten keins ent­ge­gen­zu­set­zen; auch blick­te der Land­graf schon auf einen an­de­ren, einen al­ten Mann bäue­ri­schen An­se­hens, der, auf­ge­for­dert zu spre­chen, mit ver­le­ge­nem Lä­cheln sag­te: »Der Herr Land­graf wird al­les am bes­ten wis­sen; aber un­ser Herr Pfar­rer hat ge­sagt, wie der Luther das Abend­mahl ein­ge­setzt habe, so sei es gut, und da­bei sol­le es sein Ver­blei­ben ha­ben.«

Die­se Wor­te schie­nen den Land­gra­fen zu är­gern, aber er zwang sich, ge­las­sen zu blei­ben, und er­wi­der­te: »Nun, mein Sohn, so ver­nimm mei­ne Mei­nung ge­gen die dei­nes Pfar­rers. Got­tes All­macht kann Wun­der tun, wenn er will, und ein Wun­der ist es, dass ein im Flei­sche Ge­bo­re­ner ohne Sün­de war; aber Brot, das wir als Brot ge­ba­cken ha­ben, bleibt Brot, denn Gott treibt kei­nen Scha­ber­nack mit uns. Glaubst du, er wür­de den himm­li­schen Leib sei­nes Soh­nes durch dei­nen schmut­zi­gen Bauch ge­hen las­sen? Wir sol­len die Wor­te Got­tes nicht nach un­se­rer lo­cke­ren, schel­mi­schen Fan­ta­sie aus­le­gen, son­dern sie so an­neh­men, wie er sie vor un­se­ren Sin­nen und un­se­rem den­ken­den Geis­te aus­ge­brei­tet hat.«

Da­mit ließ er den Bau­ern, der fort­fuhr, dreist oder ver­le­gen zu lä­cheln, ste­hen und ent­fern­te sich mit so schnel­len Schrit­ten, dass ihm Frau und Kin­der kaum fol­gen konn­ten. Der An­blick ei­nes Ele­fan­ten, den ein fremd­ar­tig ori­en­ta­lisch ge­klei­de­ter Mann, die Trom­mel schla­gend, eben auf den frei­en Platz vor dem Schlos­se führ­te, stell­te sei­ne Lau­ne so­fort völ­lig wie­der her. Er ließ den Mann durch einen Die­ner in den Schloss­hof ho­len und rief selbst sei­ne Toch­ter, sei­ne äl­tes­ten Söh­ne und de­ren Hof­meis­ter, den Zü­ri­cher Grob, her­bei, um ih­nen das fa­bel­haf­te Tier zu zei­gen. Die Mit­tags­son­ne über­strahl­te den stein­grau­en Ko­loß, auf des­sen ge­wölb­tem Rücken ein klei­ner Affe saß und an ei­nem Ap­fel knab­ber­te. Zu­erst ließ sich der Land­graf von sei­nen Kin­dern die deut­schen und la­tei­ni­schen Na­men so­wie die Hei­mat der Tie­re sa­gen, und nach­dem er be­frie­di­gen­de Ant­wort er­hal­ten hat­te, for­der­te er Grob auf, sie nach sei­nem Wis­sen wei­ter über den Ele­fan­ten zu be­leh­ren, wor­auf die­ser ei­ni­ge Bei­spie­le von sei­ner Klug­heit gab und über Nut­zen und Ver­wend­bar­keit des El­fen­beins be­rich­te­te. In Nürn­berg al­lein wür­den jähr­lich vie­le tau­send Pfund durch ge­schick­te Kam­ma­cher, Drechs­ler und Bild­hau­er ver­ar­bei­tet. Auch das Äff­lein, füg­te er schmun­zelnd hin­zu, sei nicht durch­aus zu ver­schmä­hen, we­nigs­tens be­haup­te­ten ei­ni­ge Rei­sen­de und Ku­rio­si­tä­ten­samm­ler, dass sich in sei­nem Lei­be zu­wei­len ein köst­li­cher Stein, der Be­zoar si­mi­a­rum oder Af­fen­stein, fin­de, den die Apo­the­ker teu­er ver­kauf­ten. Wie der Ele­fant auf ein Zei­chen sei­nes Herrn die Knie bog, gleich­sam als ob er eine Re­ve­renz vor dem Land­gra­fen ma­che, sag­te die­ser leb­haft, nun sehe man, wie un­wahr es sei, was vie­le be­haup­te­ten, dass der Ele­fant kei­ne Ge­len­ke in den Bei­nen habe; er hof­fe, es wer­de sich ein Ge­lehr­ter in Gie­ßen oder Mar­burg fin­den, der et­was Gründ­li­ches dar­über schrei­be, da­mit nicht Mär­chen statt Na­tur­wis­sen­schaft ver­brei­tet wür­den. Gleich­zei­tig wink­te er meh­re­ren jun­gen Leu­ten von Adel, die auf dem Schloss­ho­fe spiel­ten, und frag­te, als sie miss­trau­isch nä­her ka­men, den einen von ih­nen, ob er wis­se, wie dies Tier hei­ße und wo­her es kom­me. Der Jun­ge schüt­tel­te ver­dros­sen den Kopf, und auch die üb­ri­gen, die hin­ter ihm stan­den, schwie­gen. Ob er wis­se, wo­durch sich der Mensch vom Tier un­ter­schei­de? Ob er wis­se, zu wel­chem Zweck man die Na­tur und ihre Ei­gen­schaf­fen stu­die­re? Ob er wis­se, wozu man über­haupt et­was ler­ne? frag­te der Land­graf schnell hin­ter­ein­an­der, wo­bei er spöt­tisch lach­te, so­dass sei­ne lan­gen, gel­ben, et­was schief ste­hen­den Zäh­ne sicht­bar wur­den. An­statt al­ler Ant­wort warf der jun­ge Mensch einen feind­se­lig tücki­schen Blick auf Mo­ritz, der eben den Füh­rer durch Zei­chen auf­for­der­te, er möch­te den Ele­fan­ten kni­en las­sen, da­mit sie auf­sit­zen könn­ten. Ober er nicht Lust hät­te, einen Ritt zu tun? frag­te er dann den Jun­gen; er wis­se ja gut mit Pfer­den um­zu­ge­hen, so sol­le er we­nigs­tens die­se ein­zi­ge Kunst, de­ren er mäch­tig sei, zei­gen. Die­ser er­schrak und mach­te Mie­ne da­von­zu­lau­fen, als plötz­lich der Affe mit sei­nem an­ge­fres­se­nen Ap­fel nach ihm ziel­te und ihn ge­ra­de auf die Ba­cke traf. Wäh­rend der Land­graf und der Hof­meis­ter in hel­les Ge­läch­ter aus­bra­chen, heul­te der Ge­trof­fe­ne, das sei der Teu­fel, der Teu­fel habe ihm den Hals um­ge­dreht, er wol­le es sei­nem Va­ter sa­gen, er sei ver­lo­ren, und mehr der­glei­chen. Wie­der ernst wer­dend, ge­bot ihm der Land­graf Schwei­gen und hielt eine An­spra­che über die Un­wis­sen­heit und ihre Fol­gen, Aber­glau­ben und Furcht­sam­keit und dass ge­ra­de der ade­li­ge Stand, der über die an­de­ren zu herr­schen sich an­ma­ße, die­sen Vor­zug durch Bil­dung zu ver­die­nen su­chen müs­se. Es sei jetzt meis­tens so, dass ein ge­mei­ner Bür­ger­kna­be die Söh­ne der Ad­li­gen be­leh­ren kön­ne, das müs­se an­ders wer­den, an­ge­bo­re­ne Wür­de tau­ge nur, wenn sie durch Tu­gend und Wis­sen be­sie­gelt wer­de.

Nach­dem er ge­en­det hat­te, wand­te er sich wie­der an sei­ne Kin­der und for­der­te sie auf, den Ele­fan­ten­füh­rer aus ih­rem Ta­schen­geld zu be­schen­ken, ta­del­te den Erst­ge­bo­re­nen, Otto, der das sei­ni­ge be­reits für sei­de­ne St­rümp­fe aus­ge­ge­ben hat­te, und um­arm­te die zar­te Eli­sa­beth, die reich­lich ge­ben konn­te. Der Mann wur­de samt sei­nen Tie­ren aus der fürst­li­chen Kü­che gut be­wir­tet und dem Ge­sin­de ge­stat­tet, die Fremd­lin­ge in Au­gen­schein zu neh­men.

Am nächs­ten Sonn­tag zeig­te es sich, dass eine grö­ße­re Ab­nei­gung ge­gen die re­for­mier­te Ord­nung be­stand, als der Land­graf ge­meint hat­te; denn wäh­rend er auf ei­ner klei­nen Rei­se ab­we­send war, brach in der Hof­kir­che beim Got­tes­dienst ein Tu­mult aus, dem bei­na­he die am­tie­ren­den Geist­li­chen zum Op­fer ge­fal­len wä­ren. Dies war für Mo­ritz umso pein­li­cher, als er es grund­sätz­lich miss­bil­lig­te, in An­ge­le­gen­hei­ten des Glau­bens die Un­ter­ta­nen zu zwin­gen, und doch im Diens­te der Wahr­heit und Ord­nung vor­wärts­kom­men woll­te. Vor­züg­lich er­bit­ter­te ihn der all­ge­mei­ne Wi­der­stand der Rit­ter­schaft, von der er am ehe­s­ten er­war­tet hat­te, sie wür­de ohne Wei­te­run­gen sei­nem Bei­spiel fol­gen als die dem Thro­ne am nächs­ten Ste­hen­den und ihm am meis­ten Ver­pflich­te­ten.

In­des­sen ent­mu­tig­ten ihn sol­che Er­fah­run­gen nicht, son­dern reg­ten ihn an, sei­ne Tä­tig­keit zu ver­dop­peln. Stets sah man den un­er­müd­li­chen Mann be­schäf­tigt: in der von ihm ge­grün­de­ten Rit­ter­schu­le, wo er die Auf­sät­ze der Schü­ler ver­bes­ser­te und be­sprach, im Ge­spräch oder Brief­wech­sel mit Ge­lehr­ten al­ler Art, auf der Rei­se in den ver­schie­de­nen Tei­len sei­nes Lan­des oder an den Hö­fen glau­bens­ver­wand­ter Fürs­ten, um sie zur Wach­sam­keit an­zu­spor­nen. Die Auf­merk­sam­keit auf das nahe Jü­lich ge­rich­tet, mahn­te er die An­spre­cher, wel­che haupt­säch­lich in Be­tracht ka­men, sich über das schö­ne Erbe nicht zu ver­fein­den, son­dern sich zu ge­mein­sa­mer Be­sitz­er­grei­fung zu ver­bin­den, da­mit nicht ein Drit­ter zum Scha­den des evan­ge­li­schen Glau­bens es an sich rei­ße. Einst­wei­len ver­pflich­te­ten er und Kur­pfalz sich, Bran­den­burgs ge­rech­ten An­spruch zu un­ter­stüt­zen; schwie­ri­ger war es, mit dem al­ten Her­zog von Pfalz-Neu­burg ins rei­ne zu kom­men.

In dem statt­li­chen Schlos­se zu Neu­burg an der Do­nau wal­te­te die­ser lu­the­ri­sche Fürst ehr­bar und be­däch­tig, den Welt­hän­deln im gan­zen ab­ge­neigt und der rei­chen Erb­schaft, die ihm durch sei­ne Jü­lich-Cle­ve­sche Ge­mah­lin zu­fal­len soll­te, mit eben­so viel Miss­trau­en wie Be­gehr­lich­keit ent­ge­gen­se­hend. Da sein Länd­chen ihm nur eine ge­rin­ge Sum­me an jähr­li­chen Ein­künf­ten ab­warf, hät­te er die rhei­ni­schen Lan­de mit ih­ren ge­werb­flei­ßi­gen Städ­ten gut ge­brau­chen kön­nen; doch be­ängs­tig­ten ihn die Ver­wick­lun­gen, die der Be­sitz­er­grei­fung ver­mut­lich vor­aus­ge­hen muss­ten und die aus­zu­fech­ten sei­ne Macht al­lein nicht aus­reich­te. Von sei­nen drei Söh­nen war der äl­tes­te ihm am meis­ten un­gleich, ein hüb­scher jun­ger Mann, der den Frau­en ge­fiel, so­wohl durch sei­ne Be­red­sam­keit wie durch das ver­hal­te­ne Selbst­be­wusst­sein, das sei­ne Er­schei­nung kö­nig­lich um­gab. Des­sen Mei­nung war, dass man gut­tue, sich bei­zei­ten nach wirk­sa­mer Hil­fe in Be­zug auf Jü­lich um­zu­se­hen und sich des­halb mit Bran­den­burg und Kur­pfalz in Ver­hand­lun­gen ein­zu­las­sen, wäh­rend Her­zog Phil­ipp, sein Va­ter, mit den Re­for­mier­ten nichts zu tun ha­ben woll­te. Er nann­te sie Ab­trün­ni­ge, de­ren Selb­st­über­he­bung und Un­ab­hän­gig­keits­ge­lüs­te et­was Teuf­li­sches wä­ren und die man eben­so be­kämp­fen müs­se wie den Gräu­el des Pa­pis­mus.

Sein Va­ter habe zwar recht, sag­te da­ge­gen Wolf­gang Wil­helm, doch müs­se man die Po­li­tik vom Kirch­li­chen ab­tren­nen. Sei Jü­lich erst ein­mal in sei­nen Hän­den, wer­de er na­tür­lich das Luther­tum dort ein­füh­ren. Was scha­de es, wenn Re­for­mier­te zu die­sem Zweck bei­trü­gen? Hef­tig und ent­schie­den auf sei­nem Wil­len zu be­ste­hen, war in­des­sen sei­ne Art nicht, nur ge­le­gent­lich ließ er El­tern und Brü­der et­was von sei­nen Wün­schen und Plä­nen mer­ken. Die Brü­der wa­ren zu be­schei­de­ner Un­ter­ord­nung un­ter den äl­tes­ten er­zo­gen; doch er­tapp­te sich der zwei­te, Au­gust, zu­wei­len auf ei­nem Ge­fühl des Miss­trau­ens, ja der Ab­nei­gung ge­gen ihn, das er im Be­wusst­sein sei­ner Sün­dig­keit zu be­kämp­fen such­te. Jo­hann Fried­rich da­ge­gen, der viel jün­ger war, sah in Wolf­gang Wil­helm die Ver­kör­pe­rung des Ed­len, der Schön­heit und Lie­be, und er dach­te nicht ohne se­li­ges Be­ben an den Au­gen­blick, wo es ihm ge­lun­gen war, sei­ne wohl­ge­form­te wei­ße Hand zu küs­sen, als sie sich ge­ra­de schön ge­bo­gen auf ei­ner kar­min­ro­ten Da­mast­de­cke aus­brei­te­te.

Meis­tens be­schäf­tig­ten sich Wolf­gang Wil­helms Träu­me mit sei­nem künf­ti­gen Reich am Rhei­ne; denn Neu­burg hielt er für et­was Un­ge­nü­gen­des und Vor­läu­fi­ges. Es wurm­te ihn, dass er die Erb­schaft mit Bran­den­burg tei­len soll­te, und da es ihm schwer mög­lich schi­en, den mäch­ti­ge­ren Fürs­ten ganz zu ver­drän­gen, mal­te er sich aus, wie er sich durch Hei­rat mit ei­ner bran­den­bur­gi­schen Prin­zes­sin zum Herrn des Gan­zen ma­chen kön­ne. Um sei­nen Va­ter mit der Hei­rat aus­zu­söh­nen, wür­de er sie zu sei­nem Glau­ben be­keh­ren, was er so­wie­so für not­wen­dig zum ehe­li­chen Glücke hielt. Er be­schloss, sich ihr Bild zu ver­schaf­fen, und such­te eine Ge­le­gen­heit, sie zu se­hen; denn ohne Lie­be woll­te er nun ein­mal kei­ne Ehe ein­ge­hen. Für alle Fäl­le schi­en es ihm gut, sich auch an­de­re Fürs­ten warm zu hal­ten, und da kam un­ter den Ver­wand­ten der Her­zog Ma­xi­mi­li­an von Bay­ern in Be­tracht als der­je­ni­ge, des­sen Freund­schaft am meis­ten nüt­zen, wie sei­ne Feind­schaft am meis­ten scha­den konn­te. Die­ser Ein­sicht ver­schloss sich Her­zog Phil­ipp Lud­wig nicht; doch schi­en ihm in dem Ver­kehr sei­nes Soh­nes mit dem erz­ka­tho­li­schen Vet­ter et­was Hoch­be­denk­li­ches zu lie­gen. Er hat­te dar­über mit sei­nem Ver­trau­ten, dem Hof­pre­di­ger Heil­brun­ner, eine lan­ge Un­ter­re­dung, in der er sag­te, sie hät­ten nun gott­lob in sei­nem Lan­de den Irr­glau­ben voll­stän­dig aus­ge­rot­tet, die Saat des Luthe­ri­schen Wor­tes sei herr­lich auf­ge­gan­gen, so­dass Got­tes­furcht und gute Sit­te bei den Un­ter­ta­nen herr­sche, so­weit es die mensch­li­che Schwach­heit zu­las­se. Ob er nicht ein ge­fähr­li­ches Bei­spiel gebe, wenn er sei­nem äl­tes­ten Sohn er­lau­be, sich da, wo des Teu­fels Un­kraut am üp­pigs­ten wu­che­re, ver­trau­lich um­zu­trei­ben, das Gift, das die alte Hure von sich gebe, ein­zuat­men, wohl gar aber­gläu­bi­schen und got­tes­schän­de­ri­schen Ge­bräu­chen schein­bar bei­fäl­lig bei­zu­woh­nen? Ob er das vor sei­nem Gott ver­ant­wor­ten dür­fe?

Das sei al­les nur zu wahr, ant­wor­te­te sor­gen­voll der Pre­di­ger; doch müs­se der Her­zog auch be­den­ken, zu wel­cher Glau­bens­fes­tig­keit sein Sohn er­zo­gen sei und wie man nicht zu fürch­ten brau­che, dass der An­ti­christ et­was über ihn ge­win­ne, wie er viel­mehr auf die Ver­stockt­heit der Glau­bens­fein­de wir­ken kön­ne, und dass der Mensch den fein­ge­spon­ne­nen Plä­nen des Herrn nicht vor­grei­fen sol­le. Frei­lich dür­fe es nicht so weit ge­hen, dass der jun­ge Herr in Per­son dem Baals­dienst bei­woh­ne, wo­vor er aber durch die Keusch­heit sei­nes Ge­wis­sens oder durch eine vä­ter­li­che Ver­ord­nung be­wahrt wer­den kön­ne.

Mit dement­spre­chen­den Er­mah­nun­gen ver­se­hen, trat Wolf­gang Wil­helm die Rei­se nach Mün­chen an, wo er mit dem Her­zog Ma­xi­mi­li­an gut aus­kam, ob­wohl die­ser bald mer­ken ließ, dass er sich die Be­keh­rung des jün­ge­ren Vet­ters zum Ziel ge­setzt hat­te. Wolf­gang Wil­helm wi­der­sprach ihm nicht mit hit­zi­gem Ei­fer, wie die Luthe­ra­ner zu tun pfleg­ten, son­dern hör­te ach­tungs­voll an, was Ma­xi­mi­li­an in Glau­bens­sa­chen vor­brach­te, ohne von sei­nem Stand­punk­te ab­zu­wei­chen, und nö­tig­te den Geg­ner da­durch, mit sei­nem Gas­te auch sei­ner­seits vor­sich­tig und rück­sichts­voll um­zu­ge­hen.

Am liebs­ten hielt sich der alte Phil­ipp Lud­wig zum Her­zog von Würt­tem­berg, von dem ihn kei­ne gleich­ar­ti­gen An­sprü­che trenn­ten, wäh­rend das ge­mein­sa­me Be­kennt­nis des Luther­tums sie ver­knüpf­te; aber es war schwer, dem Her­zog Fried­rich bei­zu­kom­men, der von be­son­de­ren Grund­sät­zen be­herrscht war, die Phil­ipp Au­gust nicht durch­schau­en konn­te. Um we­gen der Ab­lö­sung der ös­ter­rei­chi­schen Le­hens­rech­te sich die Gunst des Kai­sers zu er­hal­ten, hielt er sich bei­sei­te, wenn die Glau­bens­ge­nos­sen et­was un­ter­neh­men woll­ten, um ihre Rech­te zu wah­ren, woll­te es aber doch nicht mit ih­nen ver­der­ben und ver­wi­ckel­te sich da­durch oft in Wi­der­sprü­che. Ein­mal brach­ten es die Um­stän­de da­hin, dass der Mark­graf von Ba­den ihm ge­wis­se Ge­biets­tei­le ab­zu­tre­ten ver­sprach, wenn er einen Ver­trag mit Neu­burg ab­sch­lös­se, wor­auf je­ner, Her­zog Fried­rich von Würt­tem­berg, ohne Be­sin­nen ein­ging, um sich die bil­li­ge Er­wei­te­rung nicht ent­ge­hen zu las­sen. Auch wäre ihm das Neu­bur­ger Bünd­nis recht ge­we­sen, wenn nicht Neu­burgs Ver­fein­dung mit Kur­pfalz da­zwi­schen­ge­stan­den hät­te, dem Würt­tem­berg schon durch Ver­trä­ge ver­pflich­tet war. Wie nun die neu­bur­gi­schen Ge­sand­ten nach Stutt­gart ge­reist ka­men, um den Ver­trag ab­zu­schlie­ßen, an wel­chem Phil­ipp Au­gust viel ge­le­gen war, ent­wich Her­zog Fried­rich rasch auf sein Schloss Tü­bin­gen, und als sie ihm da­hin folg­ten, auf ein an­de­res, und so fort, bis sie es auf­ga­ben und un­ver­rich­te­ter Sa­che und sehr er­staunt nach Neu­burg zu­rück­kehr­ten.

Mit der Feind­schaft zwi­schen Pfalz-Neu­burg und Kur­pfalz hat­te es fol­gen­de Be­wandt­nis: Bei der zu­neh­men­den Hin­fäl­lig­keit des Kur­fürs­ten Fried­rich muss­te man, da sein Sohn und Nach­fol­ger noch im kind­li­chen Al­ter stand, bei­zei­ten in Hei­del­berg an die Vor­mund­schaft den­ken, die nach al­ten Ver­trä­gen dem neu­bur­gi­schen Vet­ter zu­stand. Die Pfäl­zer hiel­ten es aber für be­denk­lich, da­durch dem Luther­tum eine Pfor­te zu öff­nen, und wand­ten sie dem re­for­mier­ten Her­zog von Zwei­brücken zu, mit dem Kur­pfalz oh­ne­hin im engs­ten Ein­ver­neh­men stand. Eine so ge­walt­sa­me Ver­kür­zung sei­ner Rech­te kränk­te den Her­zog von Neu­burg umso mehr, als er sich in der Tat Rech­nung dar­auf ge­macht hat­te, die­se Ge­le­gen­heit zur Aus­brei­tung des lu­the­ri­schen Be­kennt­nis­ses zu be­nut­zen.

Au­ßer der Jagd und den Trink­fes­ten nah­men Lie­bes­sa­chen die Zeit Her­zog Fried­richs von Würt­tem­berg in An­spruch. Er hat­te meh­re­re Jah­re mit ei­nem ehe­ma­li­gen Hoffräu­lein sei­ner Frau ge­lebt, die ihm be­reits lang­wei­lig zu wer­den an­fing, als er die fünf­zehn­jäh­ri­ge Toch­ter ei­nes Sän­gers aus sei­ner Ka­pel­le sah, de­ren sprö­de Ju­gend ihn ent­zück­te und die zu vol­ler Blü­te an­zu­fa­chen er sich so­fort un­wi­der­steh­lich ge­trie­ben fühl­te. Mit der Ent­las­sung der bis­he­ri­gen Ge­lieb­ten wur­de der Hof­pre­di­ger be­traut, der sich denn auch seuf­zend an­schick­te, die Frau in Kennt­nis zu set­zen. Sie sol­le sich, riet er ihr, zu ih­rer Fa­mi­lie be­ge­ben oder sonst einen ent­le­ge­nen Ort wäh­len, wo sie in der Stil­le wei­len kön­ne; denn in der Nähe des Her­zogs sei ih­res Blei­bens nicht län­ger, ihre Ge­gen­wart sei ihm un­leid­lich, weil sie ihn an be­gan­ge­nes Un­recht er­in­ne­re. Es blei­be ihr so­mit nichts an­de­res üb­rig, als den Wil­len des Her­zogs zu re­spek­tie­ren und sich zu bes­sern.

Die fas­sungs­lo­se Dame war den Ratschlä­gen und Vor­stel­lun­gen des Pre­di­gers nicht zu­gäng­lich und wuss­te sich den Zu­tritt zum Her­zog zu er­zwin­gen. Die­ser fing an mit kur­z­en, schnel­len Schrit­ten im Zim­mer auf und ab zu ge­hen und laut über ihr un­ge­hor­sa­mes, wi­der­spens­ti­ges, un­ar­ti­ges We­sen zu kla­gen. Un­mög­lich sei es, mit ei­nem sol­chen Wei­be zu le­ben, zu lan­ge schon habe er es er­tra­gen, an­statt ihm dank­bar zu sein, habe sie ihn un­glück­lich ge­macht; wenn er nicht schleu­nig von ihr be­freit wer­de, müs­se er zu­grun­de ge­hen. In­dem sie sich auf den Bo­den warf und sei­ne Füße um­schlang, er­in­ner­te sie ihn un­ter Trä­nen an sei­ne Lie­bes­schwü­re, ver­gan­ge­nes Glück und der­glei­chen, wie er an ei­nem lieb­li­chen Früh­lings­abend un­ter ei­nem blü­hen­den Birn­baum sie, die Ver­zag­te, an sich ge­zo­gen und sich ver­schwo­ren habe: die Zun­ge sol­le ihm ver­fau­len, wenn er je ein un­hol­des Wort zu ihr spre­che!

»Ja«, schrie der Her­zog wü­tend, »da­mals lieb­te ich dich, und jetzt hast du mei­ne Lie­be ver­scherzt, das ist ein Un­ter­schied!« Wenn sie sich jetzt in an­stän­di­ger Ver­bor­gen­heit hal­ten und ihre Zun­ge hü­ten wol­le, fuhr er ru­hi­ger fort, wol­le er et­was für sie tun; füh­re sie aber fort, ihn zu er­zür­nen, so wer­de er sie ein­sper­ren und ge­büh­rend be­stra­fen.

Nach­dem die­se Per­son be­sei­tigt war, er­hielt der Hof­pre­di­ger den Auf­trag, die Her­zo­gin da­von in Kennt­nis zu set­zen, was ihn ver­an­lass­te, den Her­zog mit vor­sich­ti­gem Au­gen­blin­zeln zu fra­gen, ob er etwa das neue Dirn­lein auch an­wei­sen müs­se. Der Her­zog zog zu­erst die Brau­en zu­sam­men, schlug dann aber ein lau­tes Ge­läch­ter auf und sag­te, nein, dar­auf ver­ste­he er sich bes­ser.

Die Her­zo­gin, eine Prin­zes­sin von An­halt, sah ih­ren Ge­mahl nur noch sel­ten. Sie be­schäf­tig­te sich da­mit, in der Bi­bel zu le­sen und Stücke dar­aus, die sie be­son­ders lieb­te, in fran­zö­si­sche Spra­che zu über­tra­gen. Bei­nah täg­lich emp­fing sie den Be­such des Hof­pre­di­gers, mit dem sie sich über theo­lo­gi­sche Fra­gen un­ter­hielt und von dem sie über die Vor­gän­ge am Hof und im Lan­de un­ter­rich­tet wur­de. Als er ihr von der Ver­ab­schie­dung der letz­ten Ge­lieb­ten ih­res Man­nes Mit­tei­lung mach­te und zu­gleich ihre Mild­tä­tig­keit für die Ver­sto­ße­ne in An­spruch nahm, be­merk­te er, dass das blas­se Ge­sicht der Her­zo­gin sich rö­te­te und den Aus­druck hof­fen­der Er­war­tung kaum zu­rück­hal­ten konn­te. Er be­trach­te­te sie ver­wun­dert und schwieg eine Wei­le in großer Ver­le­gen­heit, wäh­rend er sich mit ei­nem Tüch­lein den Schweiß von der Stirn wisch­te. Dann er­wähn­te er be­hut­sam das klei­ne Mäd­chen, das die Auf­merk­sam­keit des Her­zogs er­regt habe und für des­sen Zu­kunft er vä­ter­lich sor­gen wol­le, wes­we­gen es in der Nähe des Schlos­ses ein­quar­tiert sei. Die Au­gen der Her­zo­gin er­lo­schen wie­der, und sie sag­te, sich auf ihr ehe­ma­li­ges Hoffräu­lein be­zie­hend, sie wol­le sie gern nach ih­rem ge­rin­gen Ver­mö­gen un­ter­stüt­zen, wenn ihre El­tern es nicht tä­ten. »Ich habe es ihr vor­aus­ge­sagt«, fuhr sie fort, »dass es so kom­men wür­de, denn ich kann­te mei­nen Herrn. Sie stand ein we­nig be­schämt vor mir, aber doch sah ich, wie glück­lich und wie stolz und ei­gen­sin­nig sie war, und konn­te von ih­rem Ge­sicht, das wie Ap­fel­blü­ten leuch­te­te, ab­le­sen, was sie dach­te: ›Du kennst ihn nicht, du Arm­se­li­ge! Du frei­lich ver­magst ihn nicht zu fes­seln! Kei­ne ver­möch­te es! Aber ich, ich! Mich, die Al­ler­lieb­lichs­te, wird er nie­mals ver­las­sen!‹ – Es ist nur Gott«, setz­te die Her­zo­gin ge­dan­ken­voll hin­zu, »der uns nie­mals ent­täuscht, weil er die Voll­kom­men­heit ist. Aber un­se­re See­le, die der nied­ri­gen Erde ver­wach­sen ist, er­reicht den Him­mel nicht im­mer.«

»Das Ge­bet, das lie­be Ge­bet trägt uns hin­auf«, sag­te der Pfar­rer und fing an, al­ler­lei ku­rio­se Ge­schich­ten von der Wun­der­wir­kung des Ge­be­tes zu er­zäh­len, wo­mit er die Her­zo­gin schließ­lich so­gar zum La­chen brach­te.

Ei­nes Vor­mit­tags trat in die Apo­the­ke ein in Pelz­werk und einen bun­ten Kaftan wun­der­lich ge­klei­de­ter Mann, der An­ti­mon, Mer­kur und Flos fer­ri zu kau­fen ver­lang­te und um Er­laub­nis bat, in ir­gend­ei­nem Ne­ben­raum der Apo­the­ke ei­ni­ge Ver­su­che da­mit ma­chen zu dür­fen. Er be­dien­te sich da­bei der la­tei­ni­schen Spra­che, die er mit deut­schen, fremd­ar­tig aus­ge­spro­che­nen Wör­tern ver­meng­te. Der Apo­the­ker, der in dem Man­ne so­fort einen Adep­ten er­kann­te, ant­wor­te­te zö­gernd, das Gold­ma­chen, wor­auf er au­gen­schein­lich aus­ge­he, sei im Würt­tem­ber­gi­schen eine wei­taus­se­hen­de, ge­fähr­li­che Sa­che, die al­ler­lei Un­ver­mu­te­tes nach sich zu zie­hen pfle­ge. Er selbst sei auch in der Wis­sen­schaft nicht un­er­fah­ren, hiel­te aber die Hän­de da­von und rie­te auch dem Frem­den, sei­ne Kennt­nis­se als ein vor­sich­ti­ger Mann ge­heim­zu­hal­ten. Es wa­ren un­ter­des­sen mehr Leu­te in den La­den ge­tre­ten, de­ren Neu­gier durch die auf­fal­len­de Er­schei­nung des Rei­sen­den, sei­nen ho­hen Pelz­hut, die große sil­ber­ne, mit far­bi­gen Stei­nen be­setz­te Schnal­le, die den schar­lach­rot ge­füt­ter­ten Kaftan zu­sam­men­hielt, er­regt wur­de. Ob­wohl der Apo­the­ker war­nend den Fin­ger auf den Mund leg­te, ließ der Frem­de sich nicht bit­ten, son­dern schwatz­te be­reit­wil­lig von sei­ner Kunst und zeig­te ein in ei­nem glä­ser­nen Büchs­chen ver­schlos­se­nes pfir­sich­blü­ten­far­be­nes Pul­ver, mit des­sen Hil­fe er sich rühm­te, ganz Stutt­gart mit pu­rem Gol­de über­zie­hen zu kön­nen. Als er wie­der­um mit dem Apo­the­ker al­lein war, mahn­te ihn die­ser ernst­lich, nun­mehr flugs die Stadt zu ver­las­sen, be­vor sei­ne An­we­sen­heit dem Her­zog hin­ter­bracht sei; denn die­ser sei nun ein­mal auf das Gold­ma­chen er­picht und wür­de ihn nicht eher los­las­sen, als bis er sei­nen Durst nach die­sem Me­tall voll­kom­men ge­stillt habe. Vor ei­ni­gen Jah­ren sei auch ei­ner ge­kom­men, den habe der Her­zog wie einen Hei­land emp­fan­gen, ihn zum Feld­mar­schall und Ober­jä­ger­meis­ter er­nannt, ihn bei Ti­sche ne­ben sich sit­zen las­sen und ihm selbst das Fleisch vor­ge­schnit­ten und den Wein ein­ge­schenkt. Näch­te­lang habe der Her­zog ihm zu­ge­se­hen, wie er im La­bo­ra­to­ri­um ge­mischt und ge­kocht habe, ja ei­ni­ge be­haup­te­ten so­gar, er habe ihn um­armt und Herz­bru­der ge­nannt. Wie aber die Ta­ler und das Gold hau­fen­wei­se in den Ta­schen des Adep­ten ver­schwun­den sei­en, in sei­ner Pfan­ne aber nichts ge­ra­ten sei, habe ihn der Her­zog in bil­li­ger Ent­rüs­tung am Gal­gen auf­hän­gen las­sen.

Das habe der Be­trü­ger denn wohl auch ver­dient, sag­te der Frem­de mit ei­nem über­le­ge­nen Lä­cheln; ihm kön­ne es so nicht ge­hen, denn er sei im Be­sit­ze des wah­ren Ar­kan­ums, er füh­re den ech­ten Bräu­ti­gam in die Kam­mer, der die Braut nicht un­ge­seg­net aus dem Feu­er­bett las­sen wer­de.

Ach, sag­te der Apo­the­ker, das wer­de ihm auch nicht hel­fen, an ei­nem Bröck­lein oder Häuf­lein Gold wer­de sich der Her­zog nie­mals ge­nü­gen las­sen; so viel, wie der ha­ben wol­le, kön­ne ein ar­mer Adept ge­mei­nig­lich doch nicht pro­du­zie­ren, da müs­se er schon mit dem Teu­fel im Bun­de ste­hen. Er hat­te kaum aus­ge­spro­chen, als ei­ner vom Hof­staat des Her­zogs in die Apo­the­ke trat, ein höf­li­ches Ge­spräch mit dem Frem­den an­knüpf­te und ihn auf­for­der­te, ei­ni­ge Ex­pe­ri­men­te im Schlos­se zu ma­chen; der Her­zog habe ein vor­treff­li­ches La­bo­ra­to­ri­um und wol­le sich gern von ei­nem er­prob­ten Künst­ler un­ter­wei­sen las­sen. Es hat­te näm­lich ei­ner von den Be­diens­te­ten der Hof­kü­che, der ge­ra­de Ein­käu­fe an Ge­wür­zen und Le­cke­rei­en in der Apo­the­ke mach­te, die Neu­ig­keit von der An­we­sen­heit des Wun­der­man­nes in das Schloss ge­tra­gen, wor­auf Her­zog Fried­rich Be­fehl ge­ge­ben hat­te, ihn ein­zu­la­den und, kos­te es, was es wol­le, zu ihm zu füh­ren. Der Frem­de er­schrak ein we­nig, woll­te es aber nicht mer­ken las­sen und be­stell­te, sich ge­wal­tig auf­bla­send, noch al­ler­lei Tink­tu­ren und Mi­ne­ra­li­en bei dem Apo­the­ker, der ihm, wäh­rend er al­les zu­sam­men­trug, kläg­lich zu­zwin­ker­te.

Bil­lig­ten die Theo­lo­gen das Trei­ben ih­res Herrn auch nicht, so dank­ten sie es ihm doch, dass er sie un­ge­stört in ih­rem Krei­se wal­ten ließ und nicht etwa wie an­de­re Fürs­ten kal­vi­nis­ti­sche Um­sturz­ge­lüs­te hat­te. Die Luthe­ra­ner hat­ten nach ih­rer Mei­nung eine fel­sen­si­che­re Stüt­ze in der Augs­bur­gi­schen Kon­fes­si­on, als die von Kai­ser und Reich ver­bürgt sei, und glaub­ten, es kön­ne nur über die Kal­vi­ner her­ge­hen, die kein Recht und kei­ne Si­cher­heit er­wor­ben und auf nichts Schrift­li­ches po­chen könn­ten.

Da fiel ein Er­eig­nis vor, wel­ches die Evan­ge­li­schen in wei­tem Um­kreis auf­schreck­te und auch den Be­que­me­ren zu den­ken gab. Zu­nächst hat­te es nicht viel zu be­deu­ten, dass in der evan­ge­li­schen Reichs­stadt Do­nau­wörth, wo sich ein ka­tho­li­sches Klos­ter be­fand, eine Pro­zes­si­on wi­der das Her­kom­men au­ßer­halb der Kir­che mit flie­gen­den Fah­nen um­zog und von an­griffs­lus­ti­gem Stra­ßen­vol­ke be­läs­tigt wur­de; aber un­ver­se­hens nahm die Sa­che ein erns­te­res Aus­se­hen, da die Ka­tho­li­schen sich kla­gend an den Kai­ser wand­ten, der Stadt­rat aber, von der trot­zi­gen Bür­ger­schaft ge­drängt, nicht nach­ge­ben woll­te. Hin und wi­der wur­de ver­mit­telt und be­ra­ten, aber kei­ne Ver­stän­di­gung er­zielt, wor­auf der Kai­ser end­lich über die hart­nä­cki­ge Stadt die Acht ver­häng­te und den Her­zog von Bay­ern zum Voll­stre­cker der­sel­ben er­klär­te. Die­ser ei­gen­mäch­ti­ge Akt rief all­ge­mei­ne Ent­rüs­tung un­ter den Evan­ge­li­schen her­vor, und auch die Ka­tho­li­schen bil­lig­ten ihn nicht alle, teils aus Ei­fer­sucht auf Bay­ern, teils weil die Be­rech­ti­gung dazu au­gen­schein­lich be­streit­bar war. Am meis­ten reg­te sich der alte Her­zog von Neu­burg als der Nach­bar von Do­nau­wörth und Bay­ern auf; denn er zwei­fel­te nicht dar­an, dass Ma­xi­mi­li­an bei die­ser Ge­le­gen­heit sein Ge­biet über­zie­hen und über­haupt ge­gen alle Ket­zer auf ein­mal aus­ho­len wür­de. Er schick­te Bo­ten nach al­len Sei­ten: nach Do­nau­wörth, um ihm Hil­fe zu ver­spre­chen und es zum Aus­har­ren zu er­mun­tern, nach der Stadt Ulm und nach Würt­tem­berg, um auf freund­nach­bar­li­che und glau­bens­ver­wand­te Un­ter­stüt­zung zu drin­gen, ja so­gar nach Kur­pfalz, um an­zu­klop­fen, wes­sen man sich in der Not von dort zu ge­wär­ti­gen habe.

Auch dem Her­zog von Bay­ern war nicht durch­aus wohl zu­mu­te. Er hat­te längst ein Auge auf die Stadt Do­nau­wörth ge­wor­fen, an wel­che er alte Rech­te ha­ben woll­te, und hat­te des­halb die Ge­le­gen­heit, sich ein­zu­drän­gen, gern er­grif­fen; aber er ver­hehl­te sich nicht, dass er da­mit das Pfand noch nicht im ei­ge­nen Sa­cke hat­te, und wenn er nach voll­zo­ge­ner Acht wie­der ab­zie­hen muss­te, so hat­te er um­sonst vie­le Kos­ten auf­ge­wendet, die ihm we­der die klei­ne Reichs­stadt noch der in Schul­den fast er­trin­ken­de Kai­ser er­set­zen wür­de.

Jo­cher, sein klügs­ter und flei­ßigs­ter Rat, muss­te den Fall vom recht­li­chen Ge­sichts­punkt un­ter­su­chen und kam zu dem Schlus­se, dass kein Rechts­ti­tel vor­han­den sei, un­ter dem der Her­zog An­spruch auf die Reichs­stadt er­he­ben kön­ne; in­des­sen lie­ßen sich, wenn der Her­zog wol­le, schon Um­we­ge zum Zie­le fin­den, und einen sol­chen bie­te eben die Geld­fra­ge. Er müs­se näm­lich die Rech­nung über die auf­ge­wende­ten Kos­ten von vorn­her­ein so groß ma­chen, dass der Kai­ser in ab­seh­ba­rer Zeit nicht dar­an den­ken könn­te, sie zu be­zah­len, und also die Sa­che still­schwei­gend ver­al­ten und ver­jäh­ren las­sen müs­se.

Nun blieb frei­lich im­mer noch zu fürch­ten, dass die Stadt sich klüg­lich der Gna­de des Kai­sers un­ter­wür­fe, was bei­den, der Stadt und dem Kai­ser, das liebs­te ge­we­sen wäre; aber dies un­ter­blieb auf das Drän­gen ei­ni­ger Heiß­spor­ne, die das Volk mit dem ver­hei­ße­nen Bei­stand der Glau­bens­ge­nos­sen ver­trös­te­ten. Der Her­zog von Neu­burg woll­te sich her­vor­wa­gen, wenn die Stadt Ulm den An­fang mach­te; da sich die­se aber auf Würt­tem­berg ver­ließ, wel­ches nicht ge­neigt war, sich ein­zu­mi­schen, so rühr­te sich kei­ner, und es blieb der ver­las­se­nen, vor der her­an­rücken­den Macht des Her­zogs hef­tig er­schro­cke­nen Stadt nichts üb­rig, als sich dem ge­stren­gen Herrn zu un­ter­wer­fen. In sei­nem Ge­fol­ge wa­ren meh­re­re Je­sui­ten, die den Auf­trag hat­ten, die Bür­ger­schaft in der Wei­se zum ka­tho­li­schen Glau­ben zu be­keh­ren, dass das ge­ge­be­ne Wort des Her­zogs, ge­walt­sa­me Mit­tel soll­ten dazu nicht an­ge­wandt wer­den, da­bei be­ste­hen kön­ne.

Die evan­ge­li­schen Fürs­ten är­ger­ten sich nicht we­nig, dass die glau­ben­streue Stadt so lie­der­lich ver­lo­ren­ge­gan­gen war und dass der hoch­mü­ti­ge und hab­gie­ri­ge Bay­ern­her­zog eine so ge­schwin­de und bil­li­ge Beu­te hat­te ge­win­nen kön­nen, und der Drang, das Ge­sche­he­ne in et­was gutz­u­ma­chen und ähn­li­che Ver­stö­ße in Zu­kunft zu ver­hin­dern, be­feu­er­te sie zu ei­ner ge­wis­sen Ein­mü­tig­keit und Tat­kraft. Von dem herz­haf­ten Chris­ti­an von An­halt zu­sam­men­ge­hal­ten und an­ge­spornt, brach­ten sie ein Bünd­nis zu­we­ge, das sie Uni­on nann­ten und das sei­nen ei­gent­li­chen Rück­halt, da sich im Rei­che ge­nü­gen­de Kraft nun ein­mal nicht auf­brin­gen ließ, in ei­nem heim­li­chen Freun­de, dem Kö­ni­ge von Frank­reich, Hein­rich IV., fin­den soll­te. Hes­sen-Kas­sel und Kur­bran­den­burg wur­den im fol­gen­den Jah­re für die Uni­on ge­won­nen, Kur­sach­sen hin­ge­gen, ob­wohl die ei­gent­li­che Vor­macht der Evan­ge­li­schen, eben­so Her­zog Hein­rich Ju­li­us von Braun­schweig-Wol­fen­büt­tel blie­ben miss­bil­li­gend ab­seits.

Der Dreißigjährige Krieg

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