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13.
ОглавлениеJohannes Kepler bewohnte auf der Kleinen Seite, nicht weit vom Schlosse, ein Haus, in dessen dunklen Räumen seine Frau sich heimisch zu fühlen niemals gelernt hatte: ihr fehlte die frische, heitere Luft der Steiermark, aus der sie stammte, der harmlose Frohsinn ihrer Landsleute, die Familie und das sorglose Wirtschaften, an das sie in ihrem Elternhause gewöhnt gewesen war. Da ihr Mann das Gehalt, auf das er Anspruch hatte, fast niemals erhielt, fehlte es immer an Geld, und es kam vor, dass sie die Wäsche und die Gewänder, die sie für sich und die Kinder brauchte, nicht anschaffen konnte. In den ersten Jahren hatte sie ihren Mann gedrängt, beim Kaiser auf der richtigen Auszahlung des Gehaltes zu bestehen, obwohl sie sah, dass ihm das schwer wurde, und merkte, dass es nicht nützte; später jedoch tat sie es nicht mehr, hörte überhaupt auf, irgendetwas ändern zu wollen, sondern wurde untätig und starrte oft stundenlang in schwermütigen Gedanken vor sich nieder. Ihr einst liebliches Gesicht fing an abgezehrt und ältlich auszusehen, und ihre schönen Augen hatten oft einen verstörten Ausdruck und wichen dem Blick anderer scheu aus. Gegen die Mitte des Februar erkrankte ein Kind, ein zierliches braunes Mädchen mit geheimnisvollen Augen und wunderlichen, fantastischen Einfällen, das Kepler besonders liebte. Es war Nachmittag und dämmerte schon im Wohnzimmer, als die Frau, die im Schatten saß, plötzlich aufschrie, weil es stark an die Haustür geklopft habe; die Gerüchte von dem Herannahen der Passauer Truppen machten sie reizbar und ängstlich. Kepler, der das kranke Kind im Arme hatte, trat an das Fenster und blickte auf die Gasse; drunten sei alles still, sagte er beruhigend zu seiner Frau, sie müsse sich getäuscht haben. Indessen war es der Leibarzt des Kaisers, Doktor Altmanstetter, der als ein Freund des Hauses sich nach dem Befinden der Kranken umsehen wollte und gleich darauf in das Wohnzimmer trat. Wie es auf der Burg stehe? fragte Kepler; ob sich der Kaiser bequemt habe, die Passauer aufzuhalten?
Es sehe böse oben aus, sagte Altmanstetter. Der Kaiser habe zuletzt wohl oder übel nachgeben und Befehl ausgehen lassen müssen, dass die Passauer aus Böhmen gingen; aber sie rückten gleichwohl an, da sie den Befehl für erzwungen hielten und des Kaisers eigentliche Meinung besser kennten. Selbst der Lobkowitz habe den Kaiser gewarnt, nur der Martinitz und der Slawata hätten ihm beigestanden und bliesen in das Kriegshorn; der spanische Gesandte solle so entrüstet über den Bischof von Passau, nämlich den Erzherzog Leopold, sein, dass er gesagt habe, da er nicht ruhig sitzen könne, solle man ihn laufen oder hängen lassen.
Die Frau jammerte, was aus ihnen werden solle, wenn das Kriegsvolk in Prag einfiele? Die Evangelischen würde es gewiss nicht am Leben lassen. Altmanstetter tröstete sie, es gelte den Ständen, sie sollten gezwungen werden, den Majestätsbrief wieder herauszugeben, und mit den Häuptern, als Thurn, Budowa und Kinsky, hätte man auch vielleicht etwas Blutiges vor. Kepler aber gehöre dem kaiserlichen Hofstaat an und habe nichts zu besorgen. Sie sollten nur für die Nacht das Haus gut verschließen. Das fiebernde Kind, das still zugehört hatte, hob jetzt den Kopf und sagte, es fürchte sich nicht vor den Soldaten, denn wenn sie sie umbrächten, kämen sie in den Himmel, mit Ausnahme des Doktors, der könne nicht mit hinein. Dieser lachte, setzte sich zu dem Kinde, das ihn schalkhaft anlächelte, und wollte wissen, warum er nicht in den Himmel kommen könne. Es stehe geschrieben, sagte es endlich, die Pforte zum Himmel sei eng, da werde der Doktor wohl nicht hindurchkommen. Hierüber lachte er laut und herzlich, dass sein umfangreicher Leib schütterte, und noch während er die Treppe hinunterging, hörte man sein Gelächter. Kepler herzte sein Kind und trug es in sein Bett zu den Geschwistern, worauf er wieder zu seiner Frau zurückkehrte. Er wollte noch in die Dachkammer gehen, um die Sterne zu beobachten, sagte er, weil die Nacht so klar sei; sie solle unterdessen die Magd hereinrufen, damit ihr die Weile nicht lang werde. Ob er denn durchaus hinaufgehen müsse? sagte sie schüchtern. Er möge ihr nur zuvor sagen, ob die Stelle aus der Offenbarung auf die Passauer zu deuten sei: ›Und die Zahl des reisigen Zeuges war vieltausendmal tausend; und ich hörete ihre Zahl. Und also sah ich die Rosse im Gesicht, und die darauf saßen, dass sie hatten feurige und gelbe und schwefelichte Panzer, und die Häupter der Rosse wie die Häupter der Löwen, und aus ihrem Munde ging Feuer und Rauch und Schwefel.‹
Nicht doch, sagte Kepler ungeduldig, das beziehe sich auf längstvergangene Zeiten; aber Rosse mit Löwenköpfen hätte es nach seiner Meinung selbst damals nicht gegeben, das werde wohl ein Symbol oder ein Geflunker sein. Sie solle sich doch mit dem vielen Bibellesen die Gedanken nicht schwer machen.
»Was sollte ich wohl sonst tun?« sagte sie traurig, indem sie ihn aus ihren dunklen Augen ansah. Ein peinliches Gefühl zog sein Herz zusammen; sie solle jetzt ein wenig mit der Magd plaudern, sagte er, er komme bald wieder und bleibe dann bei ihr. Damit ging er schnell aus der Tür und stieg die schmale Treppe zu dem Dachstübchen hinauf, wo er zu arbeiten pflegte und wo ein Schemel an dem niedrigen Fenster stand. Da das Haus hoch lag, konnte er die Alte und die Neue Stadt jenseit der Moldau überblicken: wie eine geängstete, in die Hürde zusammengedrängte Herde schienen die Häuser sich eins am anderen verbergen zu wollen. Dicht über dem Horizonte, der Erde zugehörig, hing der abnehmende Mond, eine trübe Laterne am Stabe eines armen Hirten; aber hoch oben begannen die Sterne aus schwarzen Schluchten an ihre Stelle zu treten. Wie Kepler den Blick hinaufrichtete und die vertrauten Erscheinungen aufsuchte, fielen die Sorgen, die ihn noch eben bedrückt hatten, von ihm ab; er ging denselben Weg und trank dieselbe Luft wie die Dämonen des Himmels, vernahm nichts mehr als die labyrinthische Fuge ihrer diamantenen Bahn. Ja, von allen Sterblichen war er es, der ihre unberührbaren Spuren gefunden, ihre geheimnisvollen Verschlingungen entwirrt hatte. Wie hätte er das vermocht, wenn nicht von dem schaffenden Geist eine Feuerflocke seine Seele entzündet hätte, dass sie, götterhaft beflügelt, sich über die Erde aufschwingen konnte! Er hatte den Todessprung in den Raum gewagt, und anstatt dass er an der Feste zerschmetterte, rissen geschmiedete Ketten und öffneten sich verschlossene Pforten, durch die die Unendlichkeit wie Frühling hereinquoll und ihn trug. Ihn, das dürftige Tier der Erde, hatte die Welt als ihren Bürger empfangen, da er sie durchdacht und entdeckt hatte. Er stand auf, öffnete das Fenster, durch das die kalte Winterluft eindrang, und beugte sich hinaus; eine mächtige Trunkenheit schien ihn in den mit Göttlichkeit erfüllten Abgrund hinabzuschleudern, dem er sich gleich fühlte, er, auch bodenlos und von göttlichen Gedanken überfließend. Wie er sich um Welten schwang, durchströmten ihn Welten; an dem winzigen Fenster eines zerbrechlichen Hauses stand er und lenkte sie an dem unentrinnbaren Bande seines Geistes.
Aus diesem Taumel schreckte ihn plötzlich verworrener Lärm, der, wie er glaubte, aus der Richtung des Südtores herkam. Er horchte einen Augenblick hinaus, schloss das Fenster und lief die Treppe so hastig hinunter, dass er stolperte. Als er in das Wohnzimmer trat, warf sich seine Frau an seinen Hals; die Magd lief betend und jammernd hierhin und dorthin. »Siehst du«, sagte die Frau, »es kommt doch so, wie es von den Reisigen geschrieben steht: ›und von diesen ward ertötet das dritte Teil der Menschen‹.« Kepler sagte beruhigend, so groß sei die Gefahr nicht, die Stände hätten auch Truppen und würden die Stadt wohl verteidigen. Sie könnten auch auf die Burg flüchten, dort wären sie ganz sicher, der Kaiser würde ihnen ein Obdach nicht versagen. Vom Kaiser, rief sie entsetzt, gehe ja das Morden aus, er werde sie so wenig sparen, wie Karl IX. seinen Admiral Coligny geschont hätte. Lieber wolle sie ihre Kinder von den Soldaten aufgespießt sehen, als sie dem alten Satan auf der Burg ausliefern. Indem sie so sprach, öffnete sich leise die Tür, und das kleine Mädchen trippelte auf bloßen Füßen im langen Nachtkittel herein und sagte mit heller Stimme, die Eltern sollten dableiben, damit sie miteinander in den Himmel gingen. »Ist Herr Altmanstetter nicht da?« fragte es, indem es neugierig um sich blickte; »ich möchte ihn gern zur Hölle fahren sehen.« Kepler raffte das kleine Mädchen an sich und wickelte es in ein Tuch; um die anderen Kinder nicht zu wecken und dadurch die Unruhe zu vermehren, trug er es nicht in die Schlafkammer zurück.
Indessen war der Lärm nähergekommen, man hörte Geschrei und das Krachen von Schüssen. Während die Magd betete, flüsterte Keplers Frau, angstvoll in einen Winkel stierend: »Ich höre das Blut durch die Gasse rinnen, ich höre es von den Dächern tropfen, ich höre es über die Stiege hinunterfließen«, und wieder von vorne und weiter. Plötzlich erdröhnten Fußtritte dicht unter den Fenstern, und gleich darauf krachte eine Tür, wie wenn mit Keulen dagegen geschlagen würde. Es sei im Nachbarhause, sagte Kepler, der, das Kind auf dem Arme, am Fenster stand, hatte aber noch nicht ausgesprochen, als gellendes Geschrei ertönte, ausgestoßen von auf der Straße oder im Nebenhause Überfallenen. Im gleichen Augenblick schrie auch die Magd auf, die bis dahin laut gebetet hatte, und wie Kepler sich umdrehte, sah er seine Frau mit den Armen in die Luft greifen und dann in einem Krampfe bewusstlos zu Boden stürzen.
Während Kepler sich um Frau und Kind bemühte, wälzte sich die Schar der Söldner weiter, angeführt vom Erzherzog Leopold und bekämpft von den ständischen Truppen, deren jedoch zu wenige waren, um sie zurückzuwerfen. Einer kleinen Abteilung gelang es, über die Moldaubrücke in die Altstadt zu dringen, dort aber wurden sie bis auf wenige getötet; denn die Bürgerschaft hatte Zeit gehabt, sich zu bewaffnen, und wehrte sich ingrimmig. Nachdem die Eindringlinge überwältigt waren, warf sich die entfesselte Kampflust auf die in der Stadt befindlichen Gegner, Klöster von Jesuiten und Kapuzinern, die, von niemandem verteidigt, gräuelvoll ausgemordet wurden. In der Kleinseite quartierten sich die Passauer ein und wirtschafteten gewalttätig; aus Angst vor Marter und Mord verließen viele Bewohner ihre Häuser und irrten auf der Straße umher, bis die Sorge um ihre Habseligkeiten sie wieder zurücktrieb.
Einen wichtigen Fang hatten die Söldner mit den Personen der Grafen Thurn, Wenzel, Kinsky und Fels von Colonna getan, die, zum Teil verwundet, vom Erzherzoge gefangengehalten wurden. Ramée redete ihm zu, sie ohne weiteres zu töten, er selbst erbiete sich zur Exekution; Graf Sulz hingegen beschwor den Unschlüssigen, sich nicht durch Mord zu beflecken. Solange sie lebten, stifteten sie Schaden, sagte Ramée, man brauche nicht so viel Aufheben von ein paar ketzerischen Schuften zu machen. – Der Kaiser könne sie vor ein Gericht stellen, sagte Sulz, vielleicht könne man sich auch mit ihnen vertragen, indem man ihnen Geld oder hohe Ämter anbiete. »Es ist genug«, sagte er zu Leopold, »dass das Volk Euch mitten unter Banditen gesehen hat, die rauben und morden, als ob dies ihr Geschäft sei. Ihr habt die Kirche in Eurer Person bloßgestellt. Hätte ich gewusst, dass es dahin kommen könnte!«
Das hätte er freilich wissen können, sagte Ramée höhnisch. Ob er gedacht hätte, sie sollten bescheiden wie Bettler anklopfen und demütig um den Sieg flehen als um ein Almosen? Wo Sulz bisher Krieg geführt hätte, und ob die Söldner da einen Bettelsack trügen anstatt Schwerter und Lanzen?
Inzwischen war der Kaiser gehobener Stimmung und ließ niemanden von denen vor, die ihn anflehen wollten, durch einen entschiedenen Befehl den Gräueln und Leiden Unschuldiger Einhalt zu tun. Anstatt dessen unterhielt er sich mit dem Maler Bloemart, der aus Rom zurückgekehrt war und ihm ein Bild des deutschen Malers Adam Elsheimer beschrieb, das er gesehen hatte und das die Zerstörung Trojas darstellte. Keiner habe zuvor vermocht, erzählte er, auf ein Bild zu malen, was ohne Umriss mit dem Raum selbst zusammenflösse: stürmische Finsternis, glühende Nacht. Auf dieser Tafel habe der wunderbare, in gedankenvolle Schwermut versunkene Mann gleichsam sich selbst zur Erscheinung gebracht: seinen erlöschenden Geist bewundere man in der Flammenpracht der zusammenstürzenden Burg und dem Untergang des herrlichen Volkes. Begierig hörte der Kaiser zu und wünschte das Bild zu besitzen, es koste, was es wolle; wenn Elsheimer nach Prag kommen und in seinen Dienst treten möchte, so solle es ihm an nichts fehlen, kürzlich sei der alte Spranger gestorben, er könne dessen Witwe heiraten und sich gleich in ein gepolstertes Nest setzen.
Am zweiten Abend nach dem Einfall der Passauer gelang es doch Hannewald und dem Grafen Sulz, zum Kaiser vorzudringen, der mit Rhutsky beim Brettspiel saß und die Herren zum Mitspielen einlud. Ach Gott, sagte Graf Sulz, hätte der Kaiser den Jammer gesehen, der unten in der Stadt herrsche, möchte es ihm das Spiel verleiden. Er wäre eben auf dem Wege zur Burg einer Frau begegnet, die hätte den blutüberströmten Leichnam eines kleinen Kindes auf dem Arm getragen und singend hin und her gewiegt; unter den Fenstern der Burg ständen Verzweifelte und heulten zum Kaiser hinauf um Hilfe; ob er es nicht höre? Es sei, als hätte die Hölle einen Spalt aufgetan und ihre Gräuel herausgelassen.
Die Leute hätten es nicht anders haben wollen, sagte der Kaiser gleichgültig, die Stadt hätte es mit den Rebellen gehalten, nun dürfe man die Soldaten in ihrem Geschäft nicht stören. Sie sollten sich keine Mühe geben, ihn zu erweichen, er wolle fest bleiben.
Was denn aber werden solle? fragte Sulz, die Hände ringend. Es sei dem Erzherzoge nicht gelungen, die Altstadt zu erobern, auch auf der Kleinen Seite fasse sich die Bürgerschaft jetzt zum Widerstand zusammen. Matthias sei im Anrücken, die Stadt werde sich mit ihm verbünden, dann sei der Kaiser verloren. Ramée denke nur an Raub und wie er seine Beute vor der Ankunft des Matthias in Sicherheit bringen könne. Hätte man sich doch nie mit dem Wüterich eingelassen! Jetzt kam aber auch Leopold und flehte den Kaiser an, sich nicht abwendig machen zu lassen. Würde der Kaiser nur fest zu ihm halten, so sei noch nichts verloren. Er hätte Verbindungen in der Altstadt und könne Feuer anlegen lassen, wenn der Kaiser ihn dazu ermächtige; es sei besser, dass Prag in Flammen aufgehe, als dass es dem Feind in die Hände falle und der Kaiser zugleich. Während die übrigen Leopold wegen eines solchen Vorschlags tadelten, trat der Kaiser an das Fenster und stellte sich vor, wie wohl es ihm täte, wenn er die treulose Stadt in Feuersnot zu seinen Füßen sich winden, den Rauch über die Vernichtung sich hinwälzen sähe. Er ärgerte sich über seinen Neffen, der auf seinen Befehl zu der Brandstiftung wartete; auch er hatte nicht Mut zu handeln, sondern wollte die Verantwortung für die Tat auf ihn wälzen, solcher Diener bedurfte er nicht, sondern kluger und entschlossener, die seinen Willen erkannten und ausführten, bevor er noch selbst es wusste. Dazwischen kam die Furcht vor Matthias, der mit jedem Augenblick an der Spitze eines Heeres näherkam. War es nicht besser, wie Hannewald riet, Leopold und seine Genossen zu verleugnen und Frieden mit den Ständen und der Stadt zu machen, sodass Matthias vor verschlossene Türen käme und wieder abziehen müsste?
Noch bevor er sich für irgendetwas entschieden hatte, war Ramée, in der Einsicht, dass er sich zwischen zwei Feinden nicht würde halten können, mit den Söldnern abgezogen. Mehrere mit Säcken voll geraubter Schätze beladene Wagen hatte er unter Bedeckung vorangeschickt. Über die Kranken und Verwundeten, die zu schwach waren, um mitzugehen, fielen die erbitterten Bürger her, bei denen sie im Quartier lagen, und schlugen, würgten oder marterten sie zu Tode.
Bald nach dem Abzuge der Passauer erschien Matthias vor Prag, von der Bevölkerung, die sich von Rudolf verraten fühlte, freudig als Retter begrüßt. Rudolf blieb nichts übrig, als auf die böhmische Krone zu verzichten; denn alle huldigten dem neuen Herrn und schienen sich kaum seiner Anwesenheit zu erinnern. Er zog sich in dasjenige seiner Gemächer zurück, wohin am wenigsten Geräusch von außen drang, und versuchte sich anzustellen, als gingen die Ereignisse in der Stadt ihn nichts an. Doch erfuhr er, dass zwei Deutsche, die in seinem Auftrage Zauberei gegen Matthias getrieben haben sollten, gefangen und gefoltert wurden, und musste dies und anderes ohnmächtig geschehen lassen. Was ihn tröstete, war, sich auszudenken, durch was für Machinationen er Matthias den Triumph wieder entreißen könne, und dazu konnten ihm jetzt nur noch die Protestanten im Reiche verhelfen. Dass Anhalt ihm nicht mehr traute, fühlte er und hätte auch den Verwegenen nicht mehr sehen mögen; aber es fehlte nicht an anderen Fürsten und Unterhändlern, die jeden Augenblick bereit waren, mit dem Kaiser anzuknüpfen.
Von Leopold war nichts mehr zu erwarten, denn er war nach dem kläglichen Misserfolg seines Unternehmens so niedergedrückt und beschämt, wurde von jedermann mit so sichtbarer Kälte und Verachtung behandelt, dass er einstweilen nur darauf bedacht war, sich zurückzuziehen und den Menschen auszuweichen. Auch seinen Hoffnungen auf die Heirat mit der bayrischen Prinzessin musste er entsagen und sich mit dem so leichtfertig abgeworfenen Bischofskleide wieder begnügen.
Magdalena hatte lange an ihrer Liebe zu Leopold festgehalten, bis es dem weitberühmten Pater Lorenz von Brindisi, den der alte Herzog eigens dazu kommen ließ, gelang, sie zum Verzicht zu bewegen, indem er ihr Leopolds Priesterstand, ihre Pflicht gegen Gott, Vater und Bruder und die Strafen im Jenseits vorstellte, die ertrotzten irdischen Freuden folgen könnten. Es war umso bitterer für sie, als Matthias sich inzwischen mit seiner Nichte Anna, der Tochter seines Bruders Ferdinand von Tirol, verheiratet hatte, und dass noch ein anderer Bewerber sieb einstellen könnte, wie ihr Vater tröstete, wollte sie nicht glauben. Eines Tages begab es sich jedoch, dass Maximilian einen Verwandten als Gast zur Tafel lud, nämlich den jungen Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, auf welchen er Magdalena bedeutungsvoll als auf einen zukunftsreichen Fürsten aufmerksam machte, der sich in Hinsicht auf den Glauben möglicherweise eines Besseren belehren lassen würde, besonders wenn sie, als eine verständige und vorsichtige Person, sich dies Gott wohlgefällige Werk angelegen sein ließe. Ihrem Vater verhehlte Magdalena nicht, dass sie den Vetter schön und liebenswürdig finde; aber außer einigen Scherzworten, die sie erröten machten, und etwa einem besonders nachdrücklichen Händedruck waren ihm keine Annäherungsversuche nachzuweisen. Immerhin betrachtete es Maximilian als einen Erfolg, dass Wolfgang Wilhelm sich von ihm hatte bereden lassen, einer Messe beizuwohnen, und die Zeremonie mit augenscheinlichem Respekt beobachtet hatte.