Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch - Страница 38

29.

Оглавление

Spät an ei­nem De­zem­be­r­abend des Jah­res 1618 in Straß­burg be­gab sich der Pro­fes­sor der Ge­schich­te Matt­hi­as Ber­neg­ger mit sei­nen Schü­lern zum Müns­ter, um den seit ei­ni­ger Zeit sicht­bar ge­wor­de­nen Ko­me­ten zu be­trach­ten. Ber­neg­ger hat­te der Re­li­gi­on we­gen sei­ne ober­ös­ter­rei­chi­sche Hei­mat ver­las­sen müs­sen und an der Straß­bur­ger Aka­de­mie eine An­stel­lung ge­fun­den. In sei­nem Hau­se, das ein fröh­li­cher Sinn und tä­ti­ger Geist be­leb­te, wohn­ten stets ei­ni­ge Stu­den­ten, die lie­be­voll und dank­bar an ihm hin­gen, nicht sel­ten aber auch ihn aus­nütz­ten und be­tro­gen. Dies pfleg­te sei­ner Lie­be kei­nen Ein­trag zu tun, wie er denn im­mer mit in­ni­gem An­teil von dem Schle­si­er er­zähl­te, der la­tei­ni­sche Ver­se aus dem Steg­reif mach­te, zur Man­do­li­ne sang und, wenn er ihm Geld ab­borg­te, ihn so un­schul­dig schel­misch an­sah, als ob er ihm im Voraus zu ver­ste­hen ge­ben woll­te, dass er es nie zu­rück­ge­ben wer­de. Eben­so von je­nem Bas­ler, der durch­aus nichts lern­te, sei es, dass er es nicht konn­te oder dass er kei­ne Lust dazu hat­te, aber sei­ner Frau in der Kü­che so an­stel­lig zur Hand ging, dass sie nicht mehr ohne ihn fer­tig wer­den konn­te, der frei­lich auch einen är­ger­li­chen Han­del mit ei­ner Dienst­magd an­stell­te, so­dass Ber­neg­ger um sei­net­wil­len bit­ten­der­wei­se bei den Rats­her­ren um­her­lau­fen und bei Freun­den eine An­lei­he ma­chen muss­te, um den Scha­den ei­ni­ger­ma­ßen zu de­cken. Noch mehr Not hat­te er mit dem von Küs­sow, ei­nem jun­gen Pom­mer, aus­zu­ste­hen, der sich be­trank und nie­mals be­zahl­te und, wenn Ber­neg­ger einen Zwei­fel aus­sprach, ob er auch zu dem Sei­ni­gen kom­men wür­de, stolz ent­rüs­tet sag­te, er sei von ur­al­tem deut­schem Adel, wol­le lie­ber das Le­ben ein­bü­ßen als die Ehre und for­de­re je­den vor sein Schwert, der ihm zu nahe trä­te. Er war faul und be­griff nichts, konn­te aber gut rech­nen und lös­te, wenn er nüch­tern war, die längs­ten und schwie­rigs­ten Auf­ga­ben so ge­schwin­de, als ob sie ihm je­mand ein­blie­se.

Wäh­rend der klei­ne Trupp, von ei­nem La­ter­nen­trä­ger ge­führt, durch die ne­be­l­er­füll­ten Gas­sen schritt, er­zähl­te Ber­neg­ger von dem Ko­me­ten und sei­ner et­wai­gen Be­deu­tung. Vie­le glaub­ten, sag­te er, ein Ko­met zei­ge ins­be­son­de­re den Tod ho­her Her­ren an, und nach­dem kurz vor sei­nem Er­schei­nen der Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an, sech­zig­jäh­rig, ge­stor­ben sei, habe man ja nun auch den Tod der Kai­se­rin Anna er­fah­ren müs­sen, und von be­denk­li­cher Lei­bes­schwä­che des Kai­sers wer­de viel ge­fa­belt. An­de­re be­zö­gen die dro­hen­de Fa­ckel mehr auf Krieg und Pest, und auch das kön­ne ja nur all­zu leicht ein­tref­fen, da von ge­wis­ser Sei­te, näm­lich von den Je­sui­ten, un­ge­scheut zum all­ge­mei­nen Krie­ge auf­ge­ru­fen wer­de und der Krieg schon für sich eine Pest sei. Er wol­le ih­nen, sei­nen Schü­lern, aber nicht ver­hal­ten, dass ein­zel­ne, zum Bei­spiel der große Kep­ler, den er mit Stolz sei­nen Freund nen­ne, von sol­chen An­deu­tun­gen nicht viel hiel­ten, in­dem Kep­ler auf alle Er­schei­nun­gen der Welt die phy­si­ka­li­schen Ge­set­ze an­ge­wen­det wis­sen woll­te, wel­che wohl Got­tes Grö­ße im All­ge­mei­nen of­fen­bar­ten, nicht aber sei­nen Wil­len in Be­zug auf die mensch­li­chen Ge­schi­cke im ein­zel­nen. Er wies auf Kep­lers großes Werk von der Har­mo­nie der Welt hin, wo­nach die gan­ze Welt mit Ein­schluss der Erde in sich zu­sam­men­hän­ge und durch sich be­ste­he; frei­lich wä­ren dies al­les ge­fähr­li­che Wahr­hei­ten oder gar nur Hy­po­the­sen, de­nen vor­züg­lich die Ju­gend sich nur be­hut­sam nä­hern dür­fe.

Un­ter sol­chen Re­den ge­lang­ten sie bis dicht vor die plötz­lich aus dem duns­ti­gen Dun­kel auf­tau­chen­de Mau­er des Müns­ters, und in­dem Ber­neg­ger sei­ne Her­de über­blick­te, be­merk­te er, dass der Pom­mer fehl­te. Wo denn der von Küs­sow ge­blie­ben sei? frag­te Ber­neg­ger er­staunt die an­de­ren. Den lock­ten an­de­re Ster­ne, sag­ten die jun­gen Leu­te la­chend, er wer­de wohl in ir­gend­ein Sei­ten­gäss­chen ent­schlüpft sein. Ber­neg­ger schüt­tel­te seuf­zend den Kopf und sag­te: »Hät­te der jun­ge Bö­otier nicht auf dem Heim­we­ge da­von­lau­fen kön­nen?«

In­zwi­schen hat­te der durch ein Glo­cken­zei­chen her­bei­ge­ru­fe­ne Turm­wär­ter das Pfört­lein ge­öff­net und ver­si­cher­te wäh­rend des Auf­stiegs, dass der Him­mel klar sei; der Ne­bel lie­ge nur wie ein aus­ge­brei­te­tes La­ken über den Dä­chern. In der Tat emp­fing die aus dem en­gen Schacht auf die Platt­form Tre­ten­den der kla­re Raum, aus dem al­les Trü­be, Duns­ti­ge und Schwe­re aus­ge­schie­den und in die Tie­fe hin­ab­ge­sto­ßen zu sein schi­en; ne­ben sich sa­hen sie den schlan­ken Turm wie einen Speer in die dia­man­te­ne Luft schwe­ben. Ber­neg­ger lehn­te sich an die Mau­er und blick­te ein we­nig be­täubt in das fest­li­che Ge­wim­mel der Ster­ne. Ha­ben etwa doch die­je­ni­gen recht, dach­te er, wel­che be­haup­ten, es sei un­er­laubt, na­tür­li­che Ge­set­ze auf die gött­li­chen Ge­heim­nis­se an­zu­wen­den? Ist es nicht Fre­vel von uns Zwer­gen, das gren­zen­lo­se Kleid Got­tes aus­mes­sen zu wol­len? uns ein­zu­bil­den, Gott, der ohne An­fang und Ende ist, der aus dem Nichts schafft, tei­le mit uns kurz­le­bi­gen Wür­mern die­sel­ben Ge­set­ze? Gleich­zei­tig dach­te er mit Be­wun­de­rung des Man­nes, der mit mäch­ti­gem Fin­ger in das Flam­men­cha­os ewi­ge Li­ni­en schrieb, und es schi­en ihm, als kön­ne Gott dem wa­gen­den Geis­te, der sich sei­nen Spu­ren nach­schwang, um ihn zu er­ken­nen, nicht zür­nen.

Sich zu sei­nen Schü­lern wen­dend, frag­te er plötz­lich, was denn nach ih­rer Mei­nung den Men­schen vom Tie­re un­ter­schei­de? und er­hielt zur Ant­wort, das tue der Ge­dan­ke. »Wohl­an«, sag­te Ber­neg­ger, »miss­trau­et im­mer de­nen, die euch ab­hal­ten wol­len zu den­ken; aber ver­ge­sst nie­mals, dass das Den­ken von Gott stammt und zu Gott füh­ren muss.« Dann zeig­te er ih­nen die Pla­ne­ten, wel­che sicht­bar wa­ren, die Stern­bil­der und den Ko­me­ten, der sei­nen an­sehn­li­chen Schweif quer durch die Milch­stra­ße zog. »Gleicht er nicht«, sag­te er, »ei­nem wü­ten­den Stier, der blind in eine Her­de fromm wei­den­der Kühe hin­ein­stürmt?« Ver­hof­fent­lich wäre dies Him­mels­bild kein Vor­spiel der Zu­kunft, son­dern diente den strei­ten­den Men­schen zur War­nung, dass sie lie­ber die Ros­se vor den Pflug schirr­ten und die Erde sich zum Nut­zen pfleg­ten und schmück­ten, an­statt sie durch ihre Hufe zer­stamp­fen zu las­sen.

Er habe im­mer ge­hört, sag­te der Turm­wart ein we­nig miss­ver­gnügt, dass die Ko­me­ten die not­wen­di­ge Be­stra­fung der Men­schen an­zeig­ten und des­halb auch die Ge­stalt ei­ner Zuchtru­te hät­ten, wel­che Gott dräu­end aus­hän­ge. Auch sei er über­zeugt, dass zu kei­ner Zeit die Men­schen mehr und gründ­li­cher ein Straf­ge­richt ver­dient hät­ten durch Bos­heit, Lüge, Ab­göt­te­rei und Ruch­lo­sig­keit al­ler Art, so­dass es ihn nicht wun­der­neh­men wür­de, wenn Gott sie al­le­samt mit ei­nem Staup­be­sen wie So­dom und Go­mor­rha von der Erde fe­gen soll­te.

Es sei im Plut­arch zu le­sen, er­zähl­te Ber­neg­ger, dass vor der Ver­schüt­tung der Städ­te Her­ku­la­ne­um und Pom­pe­ji durch den Ve­suv ein rot­ge­schwänz­ter Ko­met meh­re­re Mo­na­te am Him­mel ge­stan­den habe. Auch jetzt ver­neh­me man wie­der von ei­nem Ru­mo­ren und Zi­schen im In­nern des Ve­suvs, und sei es ja­wohl mög­lich, dass die durch den Ko­me­ten in der Ster­nen­welt her­vor­ge­ru­fe­ne Un­ord­nung sich im Bau­che des Erd­pla­ne­ten spie­gle.

Ei­ner der Schü­ler be­merk­te, dass Ita­li­en der Sitz des An­ti­christ sei und die ge­weis­sag­te Ka­ta­stro­phe also füg­lich dort Platz grei­fen könn­te, viel­leicht ste­he gar der Um­sturz der päpst­li­chen Ty­ran­nei be­vor.

Ber­neg­ger schüt­tel­te den Kopf; Ve­ne­dig habe den Stuhl des Paps­tes wohl ein we­nig ins Wan­ken ge­bracht, aber nun ste­he er fes­ter als zu­vor.

Die Böh­men sei­en doch aber in Aufruhr und woll­ten einen evan­ge­li­schen Kö­nig, sag­te der Schü­ler. Wenn sich alle ös­ter­rei­chi­schen Län­der ih­nen an­sch­lös­sen, so kön­ne etwa noch von dort aus die ge­rei­nig­te Kir­che über ganz Eu­ro­pa wach­sen.

Er möch­te lie­ber wün­schen, sag­te Ber­neg­ger, das Feu­er blie­be auf Böh­men be­schränkt und man könn­te, wie man bei Wald­brän­den zu tun pfleg­te, durch Aus­ro­den rings­um eine In­sel aus dem Lan­de ma­chen, von der die Fun­ken nicht an­ders­wo­hin über­sprän­gen und zün­de­ten. Schließ­lich aber könn­ten sie auf alle Fäl­le Gott dan­ken, dass sie in der frei­en Stadt Straß­burg wie auf ei­nem glück­se­li­gen Ei­land sä­ßen, hin­ter des­sen gu­ten Mau­ern und Rech­ten man den Kriegs­schwall nur wie fer­nes Meer­brau­sen höre.

In der Stadt Straß­burg, murr­te der Turm­wart, sei es auch nicht mehr, wie es sein sol­le, wer die Au­gen of­fen hal­te, kön­ne auch hier den lei­di­gen Teu­fel durch die Gas­sen schwän­zeln se­hen, und man müs­se sich nur der Lang­mut Got­tes ver­wun­dern, mit der er die ge­büh­ren­de Stra­fe noch im­mer ver­hal­te.

Ber­neg­ger, der wuss­te, dass er als Aus­län­der und Re­for­mier­ter in der lu­the­ri­schen Stadt miss­bil­ligt wur­de, be­zog die­sen Ta­del nicht mit Un­recht auf sich und schwieg ein we­nig klein­laut, aber er fass­te sich wie­der und sag­te lä­chelnd, sie wä­ren sich wohl alle man­nig­fa­cher Un­voll­kom­men­heit und Über­tre­tung be­wusst, und so tä­ten sie al­le­samt am bes­ten, auf die Gna­de Got­tes zu hof­fen, von wel­cher der Ster­nen­bo­gen, der schon seit Jahr­tau­sen­den un­ge­trübt über der mensch­li­chen Ver­wor­ren­heit ste­he, ein trös­ten­des Bild sei.

Der Dreißigjährige Krieg

Подняться наверх