Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch - Страница 33
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ОглавлениеDas Jahr 1618 begann mit einem Triumphe für Khlesl, indem der vollzogene Friede mit Venedig, der sein Werk war, feierlich in Wien begangen werden konnte. Der Kardinal liebte Feste und Umzüge und bekümmerte sich eingehend darum, dass ein in die Augen fallender Prunk dabei entfaltet wurde. In langem Zuge wallten die Hofbeamten, die Kloster- und Weltgeistlichen und die in Zünfte verteilten Bürger um den Stephansdom, jede Körperschaft eine mit Symbolen bemalte Fahne in ihrer Mitte tragend: ein in Flammen aufwärtslaufender Salamander, der heilige Martin, der mit dem Schwerte den Mantel zerschneidet, um ihn mit dem Bettler zu teilen, ein mit Lorbeerzweigen umwundenes Schwert und dergleichen. Nach seiner eigenen Anweisung waren auf vier Fahnen die vier Elemente, alle in Purpur, dargestellt: die Luft durch die purpurne Morgenröte, das Wasser durch das von der Flut zurückgespiegelte Abendrot, die Erde durch purpurne Blumen, das Feuer durch die purpurne Flamme. Lustig prangend und frohlockend bewegte sich die flatternde Prozession durch die klare Winterluft, bis ein Bild nach dem anderen in der tiefen, duftenden Dämmerung des Domes sich sacht zusammenlegte und erblich.
Erzherzog Maximilian hatte den Friedensabschluss nicht verhindern können; aber nun sehe man, sagte er zu Ferdinand, dass es mit Khlesl zu Ende kommen müsse. Er sei zweifelsohne von Venedig bestochen worden, des Kaisers Verstandesblödigkeit nehme täglich zu, Khlesl sei der wahre Kaiser und Matthias sein Hampelmann. Bei seiner Kopfschwäche könne Matthias für sich nicht sorgen, sie müssten ihn befreien und ihm und sich selber Recht verschaffen. Auf dem gewöhnlichen Wege wäre der Zweck nicht zu erreichen, sie müssten gleichsam sich selbst für das Tribunal ansehen und den Schuldigen justifizieren, und nach seiner Ansicht geschähe das am schicklichsten, indem sie den gelben Teufel durch ein heimliches Gift, das durch einen vertrauten Arzt wohl zu beschaffen sein werde, auf die Seite schafften. Dieser Vorschlag kam Ferdinand befremdend vor, obwohl er zugleich nicht umhin konnte, die Entschlossenheit seines Oheims zu bewundern. Nachdem er sich mehrere Tage bedacht hatte, antwortete er Maximilian, das Mittel scheine ihm zu scharf, abgesehen davon, dass Khlesls Hochverrat vielleicht nicht ganz zu erweisen sei. Es lasse sich wohl noch ein anderer Weg finden, um zum Ziele zu kommen, er stimme für gelindere Mittel, vorzüglich da es eine geistliche Person, einen Kardinal betreffe, dessen sich schließlich noch der Papst annehmen werde.
Erfuhr Khlesl von diesen geheimen Plänen auch nichts, so empfand er doch die zunehmende Ungunst der beiden Erzherzöge und dass sie sich mit starken Entschlüssen trugen. Sein rüstiger Körper wurde um diese Zeit zum ersten Male von einem Unwohlsein befallen, und die Tage, die er untätig im Bette liegen musste, brachten ihm schwarze Gedanken, was ihm bevorstünde, wenn etwa der Kaiser mit Tode abginge. Doch raffte er sich seiner Gewohnheit nach gewaltsam auf, fürchtete auch, es möchte in seiner Abwesenheit jemand das Steuer an sich reißen, und fühlte sich unentbehrlich, was er für den Kaiser und die Kaiserin in der Tat war. »Lieber Khlesl«, pflegte ihm die Kaiserin zu sagen, »mein Herr bekommt gleich die Melancholie, wenn Ihr ihn nicht täglich ein wenig zusammenschimpft und aufmuntert.«
»Melancholie kommt von Langerweile«, sagte Khlesl zu Matthias, »und die Langeweile kommt Ihnen, weil Sie nichts Rechtes vornehmen, und es gibt doch übergenug zu tun.« Khlesl habe gut reden, da er gesund sei, verteidigte sich Matthias kläglich; ihm aber sei niemals wohl, er könne die Gedanken nicht beisammen halten, das Essen schmecke ihm nicht, gehen könne er auch nicht, es sei nicht anders, als wenn er verzaubert sei. Das wollte Khlesl nicht gelten lassen: gehen müsse er ja nicht, er sei der höchste Herr der Christenheit und könne fahren; wenn er keine Lust zu essen habe, könne er es bleiben lassen, zuwenig sei besser als zu viel, ihm fehle nichts, die Ärzte fänden nichts an ihm. »Nehmen Sie sich der Geschäfte an«, sagte er, »das ermuntert Ihre Diener und ist auch Ihre Pflicht. Vom müßigen Hinsitzen kommt dickes Blut und Verderbnis der Säfte. Ich will gern für Sie arbeiten und den Hass, der daraus kommt, auf mich nehmen; aber ich könnte Ihnen auch durch Krankheit oder Eifersucht der Feinde abhanden kommen. Was soll dann aus Ihnen werden, wenn Sie die Geschäfte nicht verstehen?«
In den Erbländern, namentlich in Böhmen, verfolgte Khlesl nicht dieselbe versöhnliche Politik wie im Reiche, vielmehr wurde wie zu Rudolfs Zeiten in allen streitigen Fällen meistens zugunsten der Katholiken entschieden. Dies wurde von den protestantischen Ständen namentlich dem Einfluss des Ferdinand zugeschrieben, der als ein Schüler und Anhänger der Jesuiten übel berufen war, und einige, namentlich Graf Thurn, machten darauf aufmerksam, dass er keinesfalls als König dürfe zugelassen werden; aber diese fanden, als der Augenblick zu handeln da war, nicht genügenden Anhang. Jetzt gelte es zu zeigen, sagte Thurn, dass Böhmen ein Wahlreich sei, wie sie ja auch Rudolf abgesetzt und Matthias auf den Thron gehoben hätten, gegenüber der Ansicht der Katholischen, als hätten die Habsburger ein Anrecht auf die Krone; dränge Ferdinand jetzt durch, so behielten sie gewissermaßen recht, und man könne ihn hernach nicht mehr loswerden. Die anderen stimmten ihm wohl zu, meinten aber, Ferdinand mache persönlich einen guten Eindruck, gehe vertraulich und liebenswürdig mit dem Adel um, sei nicht hochmütig wie Rudolf und Matthias, man werde schon mit ihm auskommen, weise er sich später anders aus, so sei man doch immer noch Herr im Hause und werde sich des Hausrechts zu gebrauchen wissen.
Es währte nicht lange, so gab es hier und dort Anlass zur Unzufriedenheit: namentlich der Befehl an Stadt und Universität, sich an der Fronleichnamsprozession zu beteiligen, während das Fest der heiligen Hus und Hieronymus verboten wurde, empörte das ganze Volk; die Herren begannen einander vorzuwerfen, dass sie sich dem neuen Herrscher bequemt hätten, und nahmen sich vor, den begangenen Fehler wieder gutzumachen. In zwei Städten wurde der Bau von protestantischen Kirchen untersagt mit Berufung darauf, dass im Majestätsbrief nur dem Adel und den freien Städten freie Religionsausübung zugestanden wäre, die fraglichen Städte aber nicht frei wären. Die Defensoren, welche eingesetzt waren, um die im Majestätsbrief bewilligten Rechte zu wahren, bestritten das, was sie insofern auch wohl konnten, da die betreffende Stelle im Dokument nicht genau genug gefasst war, um nicht verschiedene Auffassungen aufkommen zu lassen. Wie nun ein scharfer Brief des Kaisers eintraf, der zum Gehorsam ermahnte und widrigenfalls mit Strafen drohte, ergriffen die Stände die Gelegenheit, auf ihrem Recht zu bestehen. Thurn, der, weil er rechtzeitig gewarnt hatte, mehr als früher gehört wurde, drängte, jetzt müsse das Versäumte nachgeholt und die Regierung endlich so eingerichtet werden, dass die Rechte des Adels nicht mehr verkürzt würden; andere dachten, sie wollten es darauf ankommen lassen, wie der Kaiser und der König sich zu ihren Forderungen stellte, und mit etwaiger Nachgiebigkeit sich zufrieden geben. Den Kaiser glaubte man an der ganzen Sache weniger beteiligt als Ferdinand, die Hauptschuld aber maß man den katholischen Kronbeamten bei, Popel von Lobkowitz, der den Majestätsbrief nicht mit unterschrieben hatte, ferner Martinitz und Slawata, die von jeher Gegner der evangelischen Stände gewesen waren und die über alle Vorfälle an den Hof berichteten, wie es ihnen beliebte.
An einem warmen Maimorgen versammelten sich die Stände bei Wilhelm von Lobkowitz, um sich nach gemeinschaftlich eingenommenem Frühtrunk auf das Schloss zu begeben und die Vertreter der Krone zur Rede zu stellen. Jetzt wollten sie sich vor Kompromissen hüten, sagte Kolonna von Fels unter dem Trinken, einmal müsse gründlich aufgeräumt werden mit den Habsburgern, sonst würden sie nie zur Ruhe kommen. Ja, sagte Kinsky, einmal müsse man Mut zum Handeln finden, ein einmaliger starker Bluterguss sei nicht so gefährlich wie das stete Tröpfeln aus einer offenen Wunde.
Das sei nicht gesagt, meinte Wilhelm von Lobkowitz kopfschüttelnd, bei einem starken Bluterguss fahre oft die Seele zugleich heraus. Unvorbereitet loszuschlagen sei sinnlos, man müsse gerüstet sein, wenn es auf einen Krieg auslaufen sollte.
Das sei gewiss, sagte Thurn, dass der Zeitpunkt bei der Wahl Ferdinands geeigneter gewesen wäre. Es sei doch ein anderes, wenn man sich im Rechte wisse. Jetzt hätte man gewissermaßen zugegeben, dass Böhmen ein habsburgisches Erbland sei.
Was? rief Kinsky, wodurch sie das zugegeben hätten? Sie hätten Ferdinand aus Recht und Freiheit, nicht pflichtschuldig gewählt. Übrigens würde geschriebenes Recht doch nicht geachtet, die Faust gäbe den Ausschlag. Verträge wären nichts anderes als der Schafspelz wölfischer Fürsten, töricht, wer sich dadurch blenden ließe. Und ob sie etwa damals kriegsgerüstet gewesen wären? Wer es ehrlich meine, verschanze sich nicht hinter Ausflüchten.
Auf diese Worte fielen heftige Entgegnungen, mehrere sprangen von den Sitzen, und es wurde laut durcheinandergeschrien. Nachdem sich der Lärm gelegt und die Streitenden sich beruhigt hatten, sagte Thurn, sie wären ja darin einig, dass sie mit dem Hause Österreich nicht weiter wirtschaften wollten. Es wäre voll Lug und Trug, dabei lendenlahm, faul und blöde, ließe übermütige Diener schalten. Alle stimmten zu: Matthias wisse wohl kaum etwas von dem scharfen Schreiben, das in seinem Namen an sie abgelassen wäre, Martinitz und Slawata hätten es verfasst, es wäre wohl niemals aus Prag herausgekommen. Den Prahlhansen müsse einmal gründlich das Maul gestopft werden. Einzelne Stimmen wurden laut, man müsse sie defenestrieren, sie hätten es vollauf verdient, Langmut mache sie nur dreister.
Erhitzt und in wilder Laune stiegen die Herren zu Pferde und ritten den Weg zum Schloss hinan; Goldregen, Rotdorn und Schneeball quollen in dicken Gebüschen über die Mauern der Gärten, und die Luft war von süßen Gerüchen durchkreuzt, als würfen sich spielende Frühlingsgötter mit Haufen von Fliederduft.
Die Vertreter der Krone, die bereits im Schlosse versammelt waren, nahmen die ungestümen Fragen der Stände, sie wollten wissen, wer den kaiserlichen Drohbrief verfasst habe, mit anscheinend hochmütiger Gelassenheit und ein wenig hämischer Höflichkeit entgegen; aber sie konnten ihre Unsicherheit und Ängstlichkeit nicht ganz verbergen, die durch das umgehende Gerücht von der Wut und dem gefährlichen Vorhaben der Evangelischen über sie gekommen war. In den feindlichen Blicken, die unter den Fragen und Antworten auf sie gerichtet waren, bemerkten Martinitz und Slawata plötzlich eine böse Lust, die ihnen Entsetzen einflößte. Martinitz wurde bleich, stotterte etwas von der Gerechtigkeit des Kaisers und dass er nicht vom Majestätsbrief abweichen würde, und wich dabei zurück, um durch ein anstoßendes Gemach zu entfliehen; aber schon wurde er umringt, von mehreren Fäusten gepackt und an das offenstehende breite Fenster geschleppt, vor welchem der goldene Mai sich ausbreitete. Unter Sträuben und Zappeln hörte er lautes Brüllen: »Fahre zur Hölle, Teufelsbraten!«, worauf ihm, bevor er noch an der steilen Mauer hinuntersauste, die Sinne vergingen. Inzwischen hatten schon verschiedene Fäuste den erschrocken zur Flucht sich wendenden Slawata ergriffen und schleuderten den kläglich um Gnade Flehenden dem ersten nach; die beiden Schelme gehören zusammen! hieß es unter höhnischem Gelächter. Den Schreiber der beiden, namens Fabritius, der dem geschwinden Vorgang schlotternd zugesehen hatte, warfen sie nachträglich hinterher, damit er, wie sie ihm lachend zuriefen, sich des fatalen Briefschreibens nicht mehr unterstehen könne.
Der Ausgang dieser raschen Tat war überraschend, indem die drei aus einer Höhe von vierzig Ellen herabgestürzten Männer, durch einen Misthaufen weich aufgefangen, keine Verletzungen erlitten, sondern sich vor der Wut ihrer Feinde, die ihnen noch einige Schüsse nachknallten, in das nahegelegene Haus des Popel von Lobkowitz flüchten konnten. Während die Geretteten sich des Beistandes der wundertätigen Mutter Gottes rühmten, erließen die Direktoren eine umständliche Rechtfertigung: sie hätten verräterische Leute, die sie zu Rebellen gegen des Kaisers Majestät hätten machen wollen, nach alter Weise durch die Defenestration justifiziert und hofften, der Kaiser, dessen treue Untertanen sie wären und auch bleiben wollten, werde künftig ihre Anliegen gnädig erhören und die Ungerechtigkeiten abstellen, wodurch der liebe Frieden wieder hergestellt werden könne.