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Von Gra­dis­ca aus fuhr Wal­len­stein ei­nes Ta­ges über die fri­au­li­sche Ebe­ne nach Ve­ne­dig und Pa­dua, um den al­ten Pro­fes­sor Ar­go­li zu be­su­chen, von dem er sich als Jüng­ling in der Astro­lo­gie hat­te un­ter­rich­ten las­sen. In ei­nem von au­ßen düs­ter aus­se­hen­den Hau­se be­wohn­te Ar­go­li hohe, luf­ti­ge Ge­mä­cher, von de­nen aus man auf einen von Bäu­men ein­ge­fass­ten Platz und jen­seit des­sel­ben auf die aus Ge­bü­schen an­schwel­len­de ge­kup­pel­te Mas­se des Do­mes von San An­to­nio sah. Auf dem Plat­ze war stets ein leb­haf­ter Ver­kehr, sei es, dass an Markt­ta­gen die Land­leu­te hier zu­sam­men­ka­men oder dass, im Win­ter, die rei­chen Ve­ne­zia­ner, die in Pa­dua Pa­läs­te be­sa­ßen, in Ka­ros­sen oder Sänf­ten oder auch zu Pfer­de hier spa­zier­ten. Ar­go­li brach­te einen großen Teil des Ta­ges da­mit zu, den Leu­ten zu­zu­se­hen und sich über sie zu be­lus­ti­gen, in­dem er sie mit dem Ge­wim­mel von Ma­den auf ei­nem fau­len Käse ver­glich, die über­ein­ge­kom­men wä­ren, sich und ih­ren Wohn­ort für et­was Wich­ti­ges und Dau­er­haf­tes aus­zu­ge­ben.

Aus Wal­len­steins statt­li­chem Auf­zu­ge reim­te er sich so­fort sei­ne ver­än­der­ten Glücks­um­stän­de zu­sam­men, ließ aber da­von nichts mer­ken, son­dern plau­der­te von die­sem und je­nem und führ­te dem Gas­te sei­nen Hund und sei­ne Kat­ze vor, die zwei be­quem aus­ge­füt­ter­te Kör­be in sei­nem Ar­beits­zim­mer be­wohn­ten. Er er­zähl­te, dass die Kat­ze, die ein Jun­ges hat­te, mit dem Hun­de in ei­ner Art von Ehe leb­te, in­so­fern sie ihn als Va­ter des Kin­des an­ge­nom­men habe und er sich als sol­cher rück­sichts­voll und für­sorg­lich be­tra­ge; er nen­ne die drei des­halb die Hei­li­ge Fa­mi­lie, den Hund San Gi­u­sep­pe, die Kat­ze Ma­don­na und das neu­ge­bo­re­ne Kätz­lein sei das Bam­bi­no.1 Wal­len­stein lä­chel­te über den spaß­haf­ten Ein­fall; aber an Tie­ren fand er kei­nen Ge­schmack und konn­te sich nicht über­win­den, ih­nen Auf­merk­sam­keit zu wid­men. Dann zeig­te Ar­go­li ihm sein Thea­ter, näm­lich das große Ron­dell un­ter dem Fens­ter, wo eben ein ge­räusch­vol­ler Zu­sam­men­lauf war, weil eine Ka­ros­se vor der an­de­ren den Vor­tritt ver­lang­te, den jene wei­ger­te. »Die­se ar­men Würm­lein«, sag­te Ar­go­li, »eine dün­ne Schicht Schim­mel auf ei­nem Knäu­el von Ver­we­sung, bei­ßen sich bis aufs Blut, weil ei­ner et­was schnel­ler krie­chen kann als der an­de­re oder ein Pfund Kot mehr im Lei­be hat als der an­de­re«, und lach­te da­bei so, dass ihm Trä­nen in die Au­gen tra­ten. Wal­len­stein be­trach­te­te ihn ein we­nig be­frem­det, wor­auf er ab­brach und von der Astro­lo­gie zu spre­chen an­fing und al­ler­lei Er­fol­gen, die er ge­habt habe; wie er er­zähl­te, dass er den Tod des Kai­sers Ru­dolf rich­tig pro­phe­zeit habe und dass es ihm her­nach von Nei­dern ab­ge­strit­ten sei, er­ei­fer­te er sich mehr und mehr, und sei­ne klei­nen Au­gen fun­kel­ten böse. Er habe Glau­ben an ihn, sag­te Wal­len­stein, denn sei­ne ihn be­tref­fen­den Pro­phe­zei­un­gen sei­en ein­ge­trof­fen: er habe sich ver­mählt und sei reich, auch ei­ni­gen Kriegs­ruhm habe er schon er­wor­ben. Das sei nur der An­fang, rief Ar­go­li leb­haft aus, er habe ja noch bei Wei­tem das grö­ße­re Stück We­ges zu durch­lau­fen. Es sei jetzt ge­ra­de sie­ben Jah­re her, dass er ihm das Ho­ro­skop ge­stellt habe, jetzt sei der rech­te Zeit­punkt, die Ster­ne wie­der zu be­ob­ach­ten. Wal­len­stein bat ihn, es bald zu tun, da er des Krie­ges we­gen nicht lan­ge von sei­nem Re­gi­ment ab­we­send sein kön­ne; der Pro­fes­sor kön­ne dar­auf rech­nen, dass er, Wal­len­stein, sich er­kennt­lich zei­gen wer­de. Das wis­se er, sag­te Ar­go­li, dass der Herr groß­mü­tig sei. Er wol­le noch in die­ser Nacht ein Bild des Him­mels auf­neh­men, die Näch­te sei­en oh­ne­hin jetzt klar und wie­sen be­deu­ten­de Kon­stel­la­tio­nen auf. Auch da­bei zu sein, er­laub­te er Wal­len­stein auf sei­nen Wunsch und emp­fing ihn am Abend auf der Zin­ne des Hau­ses, wo er ein fei­nes Es­sen hat­te auf­ti­schen las­sen. Wäh­rend des­sel­ben plau­der­ten sie über die Po­li­tik des Paps­tes und Ve­ne­digs, und Ar­go­li sag­te, die päpst­li­che Herr­schaft sei im Au­gen­blick zwar et­was wack­lig ge­wor­den, wer­de sich aber wie­der be­fes­ti­gen und einen neu­en Auf­schwung neh­men, bis sie zu­letzt den gan­zen Erd­kreis um­span­nen wer­de.

Ob nicht ein Ge­wit­ter im An­zu­ge sei? frag­te Wal­len­stein, nach dem duns­ti­gen Ho­ri­zont bli­ckend. Nein, sag­te Ar­go­li, noch acht Tage, so­lan­ge Ju­pi­ter den Him­mel be­herr­sche, wer­de die At­mo­sphä­re den ent­zünd­li­chen Stoff ein­sau­gen und ver­til­gen; her­nach, wenn sie über­la­den sei, wer­de es mit furcht­ba­rer Ge­walt aus­bre­chen. Es moch­te in ent­fern­ten Re­gio­nen ein star­ker Wind le­ben­dig sein; denn wäh­rend die Wip­fel der Pla­ta­nen um den Platz her­um un­be­weg­lich schweb­ten, eil­te dunkles Ge­wölk un­s­tet durch den blau­en Him­mel. Etwa um die zehn­te Stun­de tra­ten die Ster­ne her­vor, und bald dar­auf zeig­te Ar­go­li sei­nem Schü­ler die auf­blit­zen­de Kro­ne des Ju­pi­ter. »Seht«, sag­te er, »Wol­ken und Ster­ne du­cken sich vor dem glück­li­chen Licht, wie wenn ein Kö­nig un­ter sie ge­tre­ten wäre.« Wal­len­stein, wel­cher wuss­te, dass die­ser Pla­net sei­ne Ge­burts­stun­de be­herrscht hat­te, be­trach­te­te ihn auf­merk­sam, der mit dem Feu­er des wei­ßen Sa­phirs, wie eine Ewi­ge Lam­pe in der mar­mor­nen Rotun­de ei­nes Do­mes, den Raum durch­glänz­te. So blieb es je­doch nur kur­ze Zeit, dann sam­mel­ten sich die Wol­ken, die die Fes­tung des Lich­tes ver­geb­lich be­rannt und sich zer­streut hat­ten, in dich­teren Hau­fen und schwol­len lang­sam über den Wes­ten, das Strah­len­reich fast ganz mit Fins­ter­nis be­de­ckend. »Das Glück be­güns­tigt nur mei­nen An­fang«, sag­te Wal­len­stein; »oder ist es der Tod, der mei­ne Lauf­bahn früh ab­schnei­det?« Ar­go­li ant­wor­te­te nicht, son­dern blick­te in tie­fen Ge­dan­ken auf das ste­tig sich ver­än­dern­de Bild des be­weg­li­chen Him­mels. Sich nach Nor­den wen­dend, sah er, dass dicht über dem Ho­ri­zont eine graue Dunst­mau­er sich ge­bil­det hat­te, in der es wet­ter­leuch­te­te; es sah aus, als stie­ße eine Schlan­ge ihre lech­zen­de Zun­ge über das Ufer ei­nes Mee­res. »Ihr wer­det hoch stei­gen, hoch, hoch«, sag­te Ar­go­li sin­nend; »aber das Ende wird vor der Zeit kom­men. Es ist eine jähe Bahn. Die Kraft, die der See­le mit­ge­teilt wur­de, ver­teilt sich nicht ge­las­sen über das Da­sein, son­dern ver­dich­tet und staut sich und er­wirkt mit hit­zi­gem Re­gi­ment hit­zi­ges Wi­der­stre­ben; wie sie das Le­ben ver­schlingt, so wird das Le­ben sie ver­schlin­gen.« Er blick­te for­schend in das schma­le, gelb­lich­blas­se Ge­sicht des ihm ge­gen­über­sit­zen­den Man­nes, des­sen in schön ge­wölb­tem Hohl sich ver­ber­gen­de graue Au­gen mit vor­sich­tig zu­rück­ge­hal­te­ner Gier auf ihm ruh­ten. »Dass ich sterb­lich bin, weiß ich«, sag­te Wal­len­stein; »habt kei­ne Scheu, mir mit­zu­tei­len, was Ihr wisst, wenn der Be­scheid auch bit­ter ist.« Noch wis­se er gar nichts, ent­schul­dig­te sich Ar­go­li eif­rig, er müs­se nun Mes­sun­gen und Be­rech­nun­gen an­stel­len, aus de­nen er das Er­geb­nis zie­hen wer­de; am nächs­ten oder dar­auf­fol­gen­den Tage sei er be­reit, Wal­len­stein aus­führ­li­che Aus­kunft zu ge­ben.

Als Wal­len­stein am nächs­ten Tag um die Mit­tags­zeit sich bei Ar­go­li ein­fand, zier­te die Mit­te der Ta­fel ein aus­ge­stopf­ter Ad­ler, in des­sen of­fe­nem Schna­bel eine Zitro­ne be­fes­tigt war. Es hät­te, sag­te Ar­go­li, mit lis­ti­gem Blick lä­chelnd, eine Oran­ge sein sol­len, doch sei ja, wie Wal­len­stein wohl wis­se, die­se Frucht eben nicht zei­tig; so habe er denn die läng­li­che Zitro­ne als un­ge­nü­gen­des Sym­bol des Erd­balls be­nüt­zen müs­sen. »Das soll nicht be­deu­ten«, fuhr er fort, »dass ich Euch als Cäsar grü­ße; denn des Wor­tes ›Kai­ser‹ will ich mich nicht be­die­nen, um selbst zwi­schen uns bei­den nichts aus­zu­spre­chen, was wie ein An­griff auf die hei­li­ge Ma­je­stät klän­ge.« Aber wenn auch nicht Kai­ser, wer­de er doch dem Kai­ser gleich sein. Tri­umph blitz­te aus Wal­len­steins dunklem Ge­sicht, und er wur­de im­mer auf­ge­räum­ter, je mit­teil­sa­mer Ar­go­li un­ter dem Es­sen sich zeig­te. Vom Os­ten kom­me ihm Ruhm und Ehre, sag­te Ar­go­li un­ter an­derm, dort wer­de der Schau­platz sei­ner Sie­ge sein. Er wer­de den Thron des Sul­tans um­stür­zen und das alte Reich von By­zanz er­neu­ern. Ob er nicht be­merkt habe, wie der dün­ne Halb­mond ges­tern Nacht beim Auf­stieg des Ju­pi­ters am öst­li­chen Him­mel wie ein fa­den­schei­ni­ger Lei­nen­fet­zen ver­schwun­den sei? Mars sei ihm güns­tig, nur zu­letzt wer­de et­was kom­men, das mäch­ti­ger als der Gott der Schlach­ten sei. Die­se Ge­fahr dro­he vom Nor­den, und vor dem Nor­den sol­le er auf der Hut sein; von dort­her kom­me sein Über­win­der. Aber das schlum­me­re in fer­ner Zu­kunft; noch sei der Kelch sei­nes Glückes nicht er­blüht und wer­de blü­hend noch lan­ge pran­gen.

Tags dar­auf über­brach­ten reich­ge­klei­de­te Die­ner Wal­len­steins dem Pro­fes­sor Ge­schen­ke ih­res Herrn: einen sil­ber­nen Glo­bus, auf wel­chem in blau­em Schmelz der Ster­nen­him­mel ab­ge­bil­det war; eine Uhr, wel­che die in Erz ge­trie­be­ne Ge­stalt des Rie­sen At­las auf der Schul­ter trug, und eine sil­ber­ne, mit Halbe­del­stei­nen reich be­setz­te, kunst­reich und ge­heim­nis­voll ver­schließ­ba­re Kas­set­te, in der hun­dert Gold­du­ka­ten wa­ren.

Auf der Rück­fahrt durch die blau­grü­ne Luft, die fie­bernd über den fri­au­li­schen Sümp­fen zit­ter­te, saß Wal­len­stein in sei­nen Wa­gen zu­rück­ge­lehnt und ließ sich, die mü­den Au­gen halb schlie­ßend, vom mys­ti­schen Flim­mern der Zu­kunft um­we­ben. Er at­me­te das un­end­li­che Schwei­gen der un­be­wohn­ten Ebe­ne wie Weih­rauch der Erde ein, die sich un­ter ihm bück­te; jen­seit des Um­krei­ses, den die Ehr­furcht sei­ner Grö­ße ein­räum­te, moch­ten die zu­rück­ge­wi­che­nen Völ­ker kni­en und scheu das sen­gen­de Gestirn vor­über­rol­len se­hen.

1 klei­nes Kind <<<

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