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Mans­feld lag, als Feld­herr der böh­mi­schen Stän­de, mit dem im Diens­te des Her­zogs von Sa­voy­en an­ge­wor­be­nen Hee­re vor der Stadt Pil­sen, die sich mit Be­ru­fung auf den Kai­ser ge­wei­gert hat­te, die Pra­ger Di­rek­to­ren an­zu­er­ken­nen.

Der Ok­to­ber war licht, lau­ter und über­reich an Früch­ten, es fehl­te nicht an Nah­rung im La­ger. Ein Häuf­lein Sol­da­ten la­ger­te um die Ge­schüt­ze her­um, die sie zu be­die­nen hat­ten, und ver­spot­te­te, nach der Mau­er bli­ckend, den Feind, der nicht tref­fen kön­ne. Nur der Scharf­rich­ter, hieß es, ver­feh­le nie das Ziel, wes­halb man glaub­te, dass er im Be­sit­ze von Frei­ku­geln sei. Mit die­sem hat­te Mans­feld eine ver­häng­nis­vol­le Be­geg­nung ge­habt: da er sich näm­lich ein­mal der Mau­er all­zu sehr nä­her­te, ritt ein Leut­nant dicht an ihn her­an und bat ihn, sich zu­rück­zu­zie­hen, da­mit ihn nicht der Scharf­rich­ter, der auf der Wa­che sei, aufs Korn neh­me. Mans­feld, der un­gern vor ei­ner Ge­fahr zu­rück­wich, rief zür­nend nach der Mau­er hin­über: »Seid ihr ehr­li­che Bür­ger und Bau­ern, dass ihr an ei­nes Scharf­rich­ters Sei­te schie­ßen mögt?«, wor­auf au­gen­blick­lich eine Stim­me, näm­lich die des Scharf­rich­ters, zu­rück höhn­te: »Kämpft ihr doch gar un­ter ei­nem Ba­stard!« Über die­sen Vor­fall plau­der­ten die bei den Ge­schüt­zen, als ein jun­ger Mensch na­mens Bla­si­us aus Graz prahl­te, er fürch­te den Hen­ker nicht und wol­le sich kal­ten Bluts dicht an den Fes­tungs­gra­ben stel­len und der Be­sat­zung auf der Mau­er zu­trin­ken. Die Ka­me­ra­den schüt­tel­ten zwei­felnd den Kopf, an­de­re mein­ten, er sei viel­leicht fest oder tra­ge ir­gend­ein Amu­lett bei sich, das ihn schüt­ze. Er tra­ge al­ler­dings einen Ge­or­gen­ta­ler, sag­te Bla­si­us, aber er sei be­reit, den­sel­ben vor­her ab­zu­le­gen, wenn die Ka­me­ra­den nach glück­lich voll­brach­tem Wa­g­nis drei Ta­ler dar­auf­le­gen woll­ten. Nach­dem sie über die Wet­te ei­nig ge­wor­den wa­ren, er­griff er einen vol­len Krug, ging hur­ti­gen Schrit­tes bis zum Gra­ben und schwenk­te ihn ge­gen die Mau­er, wo­bei er her­aus­for­dern­de Wor­te rief. So­fort rühr­te es sich auf dem Wall, und ei­ni­ge Schüs­se fie­len, Bla­si­us je­doch dreh­te sich ge­schickt auf den Fer­sen um, bück­te sich, raff­te eine Ku­gel auf, warf sie in die Luft und ver­beug­te sich wie nach ei­nem ge­lun­ge­nen Kunst­stück ge­gen die Stadt; dann ging er wie­der dem La­ger zu, wo­bei er Be­dacht nahm, einen ge­mes­se­nen Schritt ein­zu­hal­ten. Der Zu­fall woll­te, dass Mans­feld da­zu­kam, als die Ka­me­ra­den den jun­gen Wa­ge­hals glück­wün­schend um­ring­ten; er lä­chel­te bei­fäl­lig und reich­te ihm ein paar Du­ka­ten, in­dem er hin­zu­füg­te, er habe ge­ra­de Geld aus Tu­rin er­hal­ten und sei nicht ge­wohnt, das schwe­re Me­tall lan­ge in der Ta­sche zu be­hal­ten.

Bei den Ge­schüt­zen wur­de auf die­sen Glücks­fall hin ge­wür­felt und ge­zecht. Schon dreh­te sich die Am­pel der Ster­ne im Scho­ße der Nacht, als ein Zank un­ter den Spie­lern ent­stand, weil der Bla­si­us einen an­de­ren be­schul­dig­te, falsche Wür­fel un­ter­ge­mengt zu ha­ben. Die­ser ver­tei­dig­te sich durch die Ge­gen­be­schul­di­gung, Bla­si­us habe trotz des Ge­or­gen­ta­lers noch ir­gend­ei­nen Teu­fels­zau­ber bei sich ge­habt, und je­der von ih­nen hät­te auf die­se Wei­se den Mu­ti­gen spie­len und den Ge­winn da­von­tra­gen kön­nen. »Wenn ich einen Zau­ber hät­te«, rief Bla­si­us, »so brauch­tet ihr nicht nei­disch zu sein. Ihr könn­tet euch auch einen ver­schaf­fen, wenn ihr den Mut hät­tet.« Wie sie nun in ihn dran­gen, das Ge­heim­nis zu be­ken­nen, er sich wei­ger­te, sie ihn zwin­gen woll­ten, wur­de der Streit tol­ler, und die Rau­fen­den ka­men erst zur Be­sin­nung, als Bla­si­us er­sto­chen war.

Ge­heul und Ge­schrei zog den Pro­fo­sen her­bei, der Mie­ne mach­te, Hand an die Schul­di­gen zu le­gen, aber ein­lenk­te, als ihm ein paar von Mans­felds Gold­stücken in die Hand ge­scho­ben wur­den. Er hat­te frü­her in ei­ner Tür­ken­schlacht ein Auge ver­lo­ren und pfleg­te über die lee­re Höh­le kreuz­wei­se zwei Strei­fen schwar­zer Sei­de zu kle­ben; aus dem üb­rig­ge­blie­be­nen Auge schoss er jetzt einen schnel­len Schlan­gen­blick auf den ärgs­ten Rau­fer, wie um ihm ein Merk­mal ein­zuät­zen, und be­schloss, ihn bei der nächs­ten Ge­le­gen­heit, die nicht aus­blei­ben wür­de, zu hän­gen. Ein gleich­falls her­bei­ge­hol­ter Pfar­rer bück­te sich über den ver­schei­den­den Bla­si­us und hör­te des­sen ge­flüs­ter­te Beich­te: es habe ihm kürz­lich eine Zi­geu­ne­rin ge­weis­sagt, er wer­de nicht vor dem Fein­de, son­dern bei ei­nem Zwist mit Freun­den fal­len, das habe ihn so kühn ge­macht; ver­bo­te­ne Küns­te habe er nicht ge­trie­ben, son­dern st­er­be als ein gu­ter Christ in Er­war­tung der himm­li­schen Se­lig­keit.

Trotz mehr­mo­na­ti­ger Be­la­ge­rung war noch im­mer kei­ne Aus­sicht, Pil­sen zu neh­men. Die durch ihre Lage und vor­treff­li­che Be­fes­ti­gung oh­ne­hin für un­ein­nehm­bar gel­ten­de Stadt er­freu­te sich ei­nes tüch­ti­gen Kom­man­dan­ten, Fels von Dorn­heim, der ein gu­tes Ein­ver­ständ­nis zwi­schen Bür­ger­schaft und Be­sat­zung wahr­te, so­dass die Sol­da­ten sich ge­nü­gen­der Ver­pfle­gung er­freu­ten; das Be­la­ge­rungs­heer da­ge­gen be­gann all­mäh­lich Not zu lei­den und über Un­tä­tig­keit und aus­blei­ben­den Sold zu mur­ren. Die Di­rek­to­ren schick­ten noch im­mer kein Geld, son­dern er­mahn­ten Mans­feld von Zeit zu Zeit, sich ent­schei­den­der Ak­tio­nen, durch wel­che Pil­sen ei­ni­ger­ma­ßen in ex­tre­mis ver­setzt wür­de, zu ent­hal­ten, denn der Kai­ser möch­te eine ernst­li­che Ge­fähr­dung der ihm er­ge­be­nen Stadt als re­bel­lisch und un­re­spek­tier­lich emp­fin­den. Ein­mal er­hielt er so­gar Be­fehl, die Be­la­ge­rung auf­zu­he­ben, und zog wirk­lich ab, je­doch um zu­rück­zu­keh­ren, als bald her­nach ein Ge­gen­be­fehl ein­traf.

Fels von Dorn­heim hat­te eine ein­zi­ge Toch­ter, die mit ei­nem Obers­ten ver­hei­ra­tet war und die er herz­lich lieb­te. Die­se kam ei­nes Ta­ges zu ihm und klag­te über ih­ren Mann, dass er sie, seit sie in Pil­sen wä­ren, ver­nach­läs­si­ge und übel be­hand­le, dass er ein Lie­bes­ver­hält­nis mit ei­ner von den Klos­ter­frau­en an­ge­knüpft habe, die vor den Mans­fel­di­schen in die Stadt ge­flüch­tet wä­ren und sich hier die Zeit mit welt­li­chen Hän­deln ver­trie­ben.

Dorn­heim strei­chel­te zu­erst das lie­be Ge­sicht der Frau, die ihm glich, und trös­te­te sie ein we­nig zö­gernd da­mit, dass das nun lei­der ein­mal die Wei­se der Män­ner sei und dass er sich am ers­ten wie­der zu ihr und ih­ren Kin­dern fin­den wür­de, wenn sie ge­dul­dig zu­war­te. Das habe sie wo­chen­lang ge­tan, ent­geg­ne­te sie, ihr Lohn sei aber ge­we­sen, dass er sie ins Ge­sicht ge­schla­gen hät­te, als sie ihm zum ers­ten Mal sei­ne Un­treue in ge­lin­den Wor­ten vor­ge­hal­ten habe. Ihre schön­um­säum­ten Au­gen flamm­ten schwarz vor Zorn und Scham; lie­ber, sag­te sie, als sol­che Schmach fer­ner zu er­tra­gen, wol­le sie mit ih­ren Kin­dern an der Hand ins Elend wan­dern. Der Kom­man­dant ging mit großen Schrit­ten im Zim­mer auf und ab, wäh­rend er mehr­mals zor­nig her­vors­tieß: »Das ist zu viel! das er­lei­det kein Dorn­heim!« Dann leg­te er den dunklen Kopf der Toch­ter an sei­ne Brust und sag­te be­schwich­ti­gend, er wol­le ih­ren Mann zur Ver­nunft brin­gen, sie sol­le ihm ver­trau­en; so­lan­ge er lebe, sol­le sein Kind nicht wie ein Bau­ern­weib ge­schla­gen wer­den oder ins Elend wan­dern. Sie lä­chel­te un­ter Trä­nen zu ihm auf, und ihr Blick ver­weil­te zärt­lich auf der fes­ten, brei­ten Ge­stalt des Va­ters und auf sei­nem blü­hen­den, rot­brau­nen Ge­sicht, aus dem die Au­gen so herz­lich und si­cher her­aus­se­hen konn­ten.

Die Un­ter­re­dung mit dem Schwie­ger­sohn, die den Kom­man­dan­ten nicht we­nig be­un­ru­hig­te, ver­lief be­que­mer, als er ge­dacht hat­te, und ziem­lich zu­frie­den­stel­lend; we­nigs­tens ver­sprach er, der vor Dorn­heim viel mehr Angst hat­te, als die­ser ahn­te, Bes­se­rung in je­der Hin­sicht, das schul­di­ge Ver­hält­nis mit der Ver­füh­re­rin, an der er kein gu­tes Haar ließ, ab­zu­bre­chen und sei­ne Frau mit ge­büh­ren­der Rück­sicht zu be­han­deln. Eine Ver­söh­nung wur­de zu­we­ge ge­bracht, bei der der Mann wein­te und schluchz­te und die jun­ge Frau blass und ver­schlos­sen drein­schau­te. In sei­ner Freu­de lud Dorn­heim den Schwie­ger­sohn und ei­ni­ge an­de­re Of­fi­zie­re auf den Abend zu ei­nem Ban­kett ein und trank mehr als ge­wöhn­lich, wäh­rend er sich sonst, na­ment­lich wäh­rend der Dienst­zeit, eher durch Mä­ßig­keit aus­zeich­ne­te. Doch war er be­son­nen ge­nug, um Mit­ter­nacht die Ta­fel auf­zu­he­ben; vor dem Zu­bett­ge­hen, sag­te er, wol­le er noch eine Run­de um den Wall ma­chen; er füh­le sich wach und nüch­tern, als sei er eben auf­ge­stan­den, setz­te er fröh­lich hin­zu, in­dem er sei­ne kräf­ti­ge Ge­stalt reck­te. Von ei­ni­gen Fa­ckel­trä­gern be­glei­tet, tra­ten sie den Rund­gang an, bei dem Dorn­heim ziem­lich fes­ten Fu­ßes vor­auf­ging, wäh­rend die an­de­ren, be­rauscht und schläf­rig, ihm nach­stol­per­ten. Sie wa­ren bei dem so­ge­nann­ten Ba­de­hau­se an­ge­kom­men, das ein Haupt­ziel der Be­la­ge­rer war, als Dorn­heim still­stand, weil er ein Geräusch ge­hört zu ha­ben glaub­te; es rühr­te von ei­nem Ar­ke­bu­sier bei den Mans­fel­di­schen her, der auf dem Bau­che bis an den Stadt­gra­ben ge­kro­chen war in der Hoff­nung, etwa Ge­le­gen­heit zu ei­ner küh­nen Tat zu fin­den. In dem Au­gen­blick, wo Dorn­heim, ei­nem der be­glei­ten­den Sol­da­ten die Fa­ckel aus der Hand neh­mend, sich zum Gra­ben hin­un­ter­beug­te, leg­te der ver­steck­te Schüt­ze an und traf den feind­li­chen Kom­man­dan­ten so gut ins Herz, dass er, nur noch einen ein­zi­gen Seuf­zer aus­sto­ßend, tot vorn­über in die Tie­fe stürz­te.

Sein Schwie­ger­sohn wur­de sein Nach­fol­ger; al­lein un­ter sei­nem lau­ni­schen Re­gi­ment, denn er ließ be­que­mer Nach­sicht un­ver­mit­telt bös­ar­ti­ge Här­te fol­gen, wur­de die Manns­zucht der Be­sat­zung lo­cker, die Ein­woh­ner­schaft ih­rer über­drüs­sig, und die Ver­tei­di­gung fing an, dem Fein­de al­ler­lei Blö­ßen zu zei­gen. Da nun auch end­lich von Prag aus Mah­nun­gen an Mans­feld ka­men, er sol­le Ernst ge­brau­chen, schritt er zum Stur­me und konn­te in der Frü­he des 22. No­vem­ber als Sie­ger in die er­ober­te Stadt ein­zie­hen.

Vor Pil­sen er­krank­te ei­ner der reichs­ten böh­mi­schen Stan­des­her­ren, Al­brecht Jo­hann Smir­sitz­ky, und starb in sei­nem Hau­se in Prag, wo­hin er sich hat­te brin­gen las­sen. Er war mit der Prin­zes­sin Ama­lie von Hanau, ei­ner En­ke­lin Wil­helms I. von Ora­ni­en, ver­lobt ge­we­sen, die den Bräu­ti­gam tief be­trau­er­te und ihr Bild an ei­ner Ket­te nach Prag schick­te, da­mit es zu ihm in den Sarg ge­legt wer­de. Der jun­ge Mann, der ein wil­des und lie­der­li­ches Le­ben ge­führt hat­te, war in ih­ren Au­gen ein Glau­bens­held, da er sich bei der De­fe­ne­stra­ti­on der ka­tho­li­schen Räte als ei­ner der Eif­rigs­ten mit ei­ge­ner Hand be­tei­ligt hat­te, und sie hielt sein An­den­ken hei­lig. Noch be­vor ein Jahr ver­flos­sen war, hei­ra­te­te sie den nun­mehr äl­tes­ten Sohn des Land­gra­fen von Hes­sen-Kas­sel, Wil­helm, dem sie zwar nicht an Bil­dung, aber an Ge­sund­heit und Tat­kraft über­le­gen war und der sich ihr mit gan­zem Her­zen hin­gab.

Der Dreißigjährige Krieg

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