Читать книгу Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch - Страница 40
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ОглавлениеEs befand sich damals ein Abgesandter der holländischen Staaten in Prag, ein ruhiger, bedächtiger Mann, der, so behaglich man auch mit ihm plaudern konnte, über die politischen Fragen sich nie recht ausließ, und selbst bei Banketten, wo ein jeder sich aufknöpfte, einer Schnecke gleich, die die Fühler einzieht, vorsichtig in sich zurückkroch, wenn man ihn ausholen wollte.
»Wenn Ihr, meine Herren, betrachtet und nachahmt, was wir getan haben«, sagte er einmal, »so kann es Euch gewiss nicht fehlen. Wir haben vierzig Jahre lang wie ein Wall vor unserm Hause gestanden, und wenn einer gefallen ist, ist ein anderer in die Lücke getreten. Freunde haben wir nicht gehabt als das Meer, das wir wie einen Löwen mit Blut sättigten und das uns unsere Feinde verschlingen half. Wir führten in einer Hand das Ruder, in der anderen das Schwert, waren Kriegsleute und Handelsleute zugleich, ließen uns Bettler und Krämer schelten und sind frei und reich dabei geworden.«
Ja, sagten die böhmischen Herren, ihre Lage sei nicht so günstig, sie wären kein Meervolk, könnten auch zu keiner Eintracht kommen, weil bei der langen habsburgischen Herrschaft deutsche und böhmische Nation, katholischer und hussitischer Glaube nebeneinander aufgegangen sei. Die Städte wären selbstsüchtig und eifersüchtig, wollten für die gemeine Freiheit nichts tun und nichts geben, die Söldner wären ein habgieriges, ehrloses Volk, das sich ohne Geld nicht rührte. Man sollte zahlen und zahlen und könnte sich doch nicht selbst zugrunde richten.
Ob sie denn ihre Untertanen nicht bewaffneten? fragte der Gesandte. Ja, wer denn inzwischen ihre Güter bestellen sollte? war die Antwort. Freilich ließe hie und da einer seine Bauern zu Feld ziehen, aber im ganzen sei es nicht geraten, ihnen Waffen in die Hand zu geben, die sie leicht gegen den eigenen Herrn gebrauchen könnten. Den Bauern gehe es zu gut, darum wollten sie höher hinaus und zögen sich gern hinter den Kaiser, um unter seinem Schutze sich ihren Fronden zu entziehen. Der Kaiser drangsaliere zwar seine eigenen Bauern wie einer, bei den fremden aber spiele er den Schutzherrn; darum sei es eine bewährte Erfahrung, dass man mit den Bauern nicht gegen den Kaiser ziehen könne.
Nun, sagte der Gesandte, der den Auftrag hatte, die Böhmen auf alle Fälle bei der Kriegslust zu erhalten, die hochmögenden Herren befänden sich zwar augenblicklich im Frieden mit Spanien und könnten sich nicht geradezu gegen den Kaiser einlassen, aber das Evangelium ließen sie doch nicht im Stich, wenn es anginge, und wären gottlob imstande, die gute Sache mit Geld zu unterstützen, wenn sie guten Willen und Ausdauer sähen.
Auf diese Vertröstung des geldmächtigen Hollands taten sich die Böhmen viel zugute, doch unterließen sie nicht, sich auch nach anderer, tatkräftigerer Unterstützung umzusehen, die sie hauptsächlich in einem geeigneten König zu finden hofften. Ein König, der Geld und Kredit hätte, meinten sie, würde ihnen mehr nützen als schaden, vorausgesetzt, dass sie seine Rechte in einem der Krönung voraufgehenden Vertrage tunlichst einschränkten. Die meisten von ihnen hielten eine aristokratische Republik mit monarchischer Spitze für die beste Staatsform, da namentlich in Kriegszeiten eine einheitliche Leitung vorteilhaft sei. Welcher Fürst für das Amt in Betracht komme, darüber gingen natürlicherweise die Ansichten auseinander. Graf Thurn und Graf Schlick, welche Lutheraner und deutscher Abkunft waren, stimmten für den Kurfürsten von Sachsen, weil er einer der mächtigsten evangelischen Fürsten und ihr Nachbar sei, vor allem aber, weil er mit dem Kaiser gut stehe und derselbe sich nicht leicht mit ihm verfeinden würde. Die Kalviner dagegen, die bei Weitem in der Mehrzahl waren, wollten lieber einen König ihres Glaubens und brachten den Kurfürsten von der Pfalz in Vorschlag, der eine weit mutigere und entschlossenere Politik verfolge als der Sachse und durch seine Verwandtschaft mit England und Schweden sowie durch andere gute Verbindungen, mit den Staaten, der Union und der Schweiz, Nutzen bringen könne. Während diese beiden Fürsten zunächst noch kein Zeichen von Bereitwilligkeit verrieten, gab ein anderer große Geneigtheit zu verstehen: das war der Herzog von Savoyen, ein unruhiger, nach Vergrößerung trachtender Mann, der durch die Nachbarschaft mit Mailand oft in Streit mit Spanien geriet und als ein natürlicher Feind dieser Macht und Österreichs zu betrachten war. Er empfahl sich hauptsächlich durch fabelhaften Reichtum, der ihm zugeschrieben wurde, und wenn er auch katholisch war, so bekannte er sich doch als Feind des Papstes und behauptete, von Vorurteilen gegen Andersgläubige frei zu sein.
Die pfälzischen Räte vernahmen von der etwa möglichen Wahl ihres Herrn auf den böhmischen Thron nicht gerne, der doch ein wenig allzu unsicher und gleichsam am Rande eines Vulkanes stand. Es war einmal nicht zu leugnen, dass Ferdinand bereits erwählter böhmischer König war, und vorauszusehen, dass er nicht gutwillig einem anderen Platz machen würde. Wurde er Kaiser, so war es vollends eine heikele Sache für einen Reichsfürsten, seinem Oberhaupt im offenen Krieg entgegenzutreten, und verlor er leicht seine Bundesgenossen im Reiche. Nun hatten freilich nicht nur Pfalz, sondern auch andere ansehnliche Reichsfürsten längst beschlossen, diesmal die Kaiserkrone vom Hause Habsburg abzuwenden; allein noch hatte man sich nicht auf einen anderen Kandidaten geeinigt, geschweige denn, dass ein solcher gewonnen wäre. Da von einem evangelischen Kaiser doch abgesehen werden musste, die Kalviner sich einen lutherischen auch nicht einmal gewünscht hätten, zielte die pfälzische Politik noch immer auf den wittelsbachischen Vetter, den Herzog von Bayern, ab, und der Rat Camerarius reiste eigens nach München, um die Stimmung des verschlossenen und vorsichtigen Herrn zu erforschen. Jocher, des Herzogs erfahrenster Rat, mit dem Camerarius verhandeln musste, wusste genau, dass sein Herr auf den Antrag der Evangelischen nicht eingehen würde; seine Aufgabe bestand nur darin, ihre etwaigen geheimen Anschläge in Erfahrung zu bringen und, wenn möglich, einen Vorteil für den Herzog herauszupressen, also zwar nicht anzunehmen, sich aber den Abschlag auch nicht gleich herauswischen zu lassen.
Vertraulich erzählte Jocher, wie schon im vergangenen Jahre Ferdinand ihn um Hilfe angegangen und ihm Oberösterreich habe verpfänden wollen, das ihnen seiner Lage wegen natürlich anstehen würde. Sie hätten sich aber darüber noch nicht vernehmen lassen, denn es kaufe niemand ein Pferd, das ihm von selbst in den Stall liefe. Auch ohne das würde der Herzog sich jedenfalls gründlich bedenken, ob es rätlich für ihn sei, die Macht Österreichs zu stärken; denn er sei doch auch ein Reichsfürst, und die fürstliche Libertät, die durch Österreich und Spanien gefährdet würde, liege ihm wie jedem guten Deutschen am Herzen.
Hieran knüpfte Camerarius, zählte die Schäden auf, die der habsburgische Dominat dem Reiche gebracht habe, und mahnte, was für eine hohe Aufgabe es sei, und nur von einem klugen und mächtigen Fürsten wie Maximilian zu erfüllen, die alte Kaiserherrlichkeit wieder herzustellen.
Ja, sagte Jocher lachend, Kaiser und Reich ständen nicht gut in einem Ofen, wo eins aufgehe, schrumpfe das andere zusammen. Bei jeder neuen Wahl werde ein Stein aus der Kaiserkrone genommen und dafür ein Dorn eingesetzt, und so sei schon eine Dornenkrone daraus geworden, die einen doch nicht zum Heiligen mache, obschon sein Herr eine gewisse Anlage dazu habe. Auch Camerarius lachte und fragte, was für ein Herr der Herzog im täglichen Umgange sei? Ob er wirklich ein härenes Hemd trüge und sich geißelte, wie viele erzählten? Ob es in ganz München so streng und ehrbar zugehe wie am Hofe? Ob der Herzog wirklich nie mit Weibern zu tun hätte?
Jocher zog die Augenbrauen hoch und war augenscheinlich von Ehrfurcht durchdrungen. »Nichts dergleichen«, sagte er; »der Mann würde ganz Bayern zu einem Kloster machen, wenn er Augen und Hände allerorten hätte. Aber Gott hat den Menschen aus Fleisch gemacht, das den Keim des Verderbens und der Fäulnis in sich trägt, und darf es nicht ans Licht, so wuchert es im verborgnen.« Laster und Vergnügen seien schwer zu trennen, und es seien unter den Beamten viele, die sagten, wenn des Herzogs Vergnügen die Arbeit sei, so könne er das doch nicht von jedem voraussetzen und verlangen, besonders da es ihnen nicht zugute komme. Zuweilen führe er der Gesundheit wegen aufs Land, und bei Festlichkeiten wolle er, dass es hoch herginge, aber das Lustigsein zähle er herunter wie einen Rosenkranz oder säge es weg wie einen Klafter Holz.
Camerarius sagte, ihm gefielen die Menschen nicht, denen das Herz nicht einmal überlaufe. Für das Regiment möchte es freilich nützlich sein und besser taugen als die Natur seines jungen Herrn, der weder zur Arbeit noch zum Vergnügen die rechte Lust habe. Es sei immer, als ob er nur spiele oder noch nicht recht aufgewacht sei, und doch schliefe er bis in den hellen Tag. Übrigens sei er lieb und gut, trübe kein Wasser und nehme guten Rat an.
Jocher meinte, er sei ja auch noch jung, oft müssten die Jahre den Organismus erst ein wenig schütteln, damit alles an seinen Platz käme.
Das wäre zu wünschen, rief Camerarius; den feinen Verstand der Mutter hätte er, aber die Säfte wären träge, so wäre gewissermaßen ein gutes Mühlrad da, dem der Umschwung fehle, sodass das Korn ungemahlen bliebe. Zuweilen litte er auch an Melancholie, ließe sich aber leicht, namentlich durch das Söhnlein, zerstreuen.
Auch sein Herzog sei melancholisch, sagte Jocher, es habe aber nichts auf sich, sondern sei ihm angeboren, wie einer etwa dunkelfarbiger als andere auf die Welt komme. Eigentlich lachen könne er nicht, das gebe ihm aber gerade etwas Heroisches. Alles in allem sei er ein großer Fürst, und keiner im Reich sei ihm zu vergleichen.
Darum eben, sagte Camerarius, scheine er zum Kaiser bestimmt zu sein. Warum er denn die große Aufgabe nicht ergreifen wolle, für die Gott ihn geschaffen habe? Er sei der einzige katholische Fürst, für den die Stimmen der Evangelischen zu gewinnen sein würden. Und wie denn Jocher glaube dass er seinerseits sich zu den Evangelischen stellen würde?
Jocher zuckte die Achseln. Die Gesetze würde der Herzog respektieren, sagte er. Aber da er Gesetz und Ordnung liebe, würde er kaum das Regiment in einem Reich zwiespältigen Glaubens übernehmen. Vielfältige Erfahrung lehre, dass dabei keine Ordnung möglich sei, schon wegen der geistlichen Fürstentümer. Ob die Kirche sich jemals gutwillig ihre Einkünfte würde entziehen lassen?
Der Knoten wäre leicht zu lösen, meinte Camerarius, wenn alle protestantisch wären. Dann gäbe es keine geistlichen Fürstentümer mehr, jeder Fürst sei unabhängig vom Papste, Herr im eigenen Lande, und zwischen Fürst und Kaiser herrsche kein Misstrauen mehr.
Jocher wand sich vor Lachen in seinem Stuhle. In den katholischen Ländern, sagte er, herrsche nun einmal mehr Gehorsam, das sei erwiesen. Wo das hinaus wolle, wenn zuletzt ein jeder seine eigene Meinung hätte? Es sei viel besser und einfacher, wenn alle Evangelischen zur alten Kirche zurückkehrten, der Weg zum Stalle zurück sei immer leichter als hinaus. Ob Pfalz nicht den Anfang machen wolle?
Entrüstet sprang Camerarius auf und rief aus, da könne eher der Rhein zurück- und in den Main fließen. Wer einmal die Freiheit geschmeckt habe, begebe sich nicht freiwillig wieder in die Dienstbarkeit.
Ach, sagte Jocher, das sei eine geschwollene Rede. Es sei doch im Grunde einerlei, ob man diesen oder jenen Katechismus1 auswendig lerne. Ein gescheiter Mann denke sich dabei, was er wolle, und inzwischen werde der Pöbel im Zaum gehalten.
»So gemütlich nehmen wir es nicht«, sagte Camerarius ruhiger. »Wenn es sich tun ließe, wäre ich für meine Person es zufrieden; aber es lässt sich nicht tun. Ich fürchte nur, dass wir über diesem Streiten alle in die Servitut Spaniens geraten.«
»Wir nicht«, sagte Jocher breitspurig; sein Herzog hielte die Augen offen. Und wenn er Kaiser würde, täte er es gewiss, um Spanien einen Possen zu spielen.
Im Grunde war es den pfälzischen Räten recht, dass das Projekt an Maximilians Abneigung scheiterte, wenn auch freilich kein anderer Kandidat vorhanden war, zu dem man mehr Vertrauen haben konnte; denn die Bewerbung des Herzogs von Savoyen war vollends eine verfängliche Sache. Als deren Verfechter erschien Graf Mansfeld, vom Turiner Hofe kommend, mit einem gründlichen Memorial, in welchem ausgeführt war, dass das Haus von Savoyen von dem altdeutschen Helden und Fürsten Wittekind abstamme, pures, lauteres deutsches Blut führe und wegen dieser Stammverwandtschaft wohl zur Kaiserwürde im Deutschen Reiche berufen sei; wie er den Katholischen von Haus aus gefällig, auch den Protestanten wegen seiner Feindschaft mit den Jesuiten wert sein müsse, dass er glücklich im Kriege sei und viel Geld habe.
»Ich meine«, sagte Christian von Anhalt, nachdem das Memorial vorgetragen worden war, »wir könnten schließlich auch den Mogul von Persien zum deutschen Kaiser machen. Mir sollte es recht sein, wenn es der Religion und der Freiheit zunutze wäre.« Graf Solms sagte, ein Kaiser deutscher Nation müsse von deutschem Blute sein, und der Herzog von Savoyen sei trotz Wittekind ein Welscher, so gut wie die Habsburger Spanier wären. Camerarius sagte auf Befragen, er halte nicht dafür, dass der Herzog von Savoyen bei der Wahl durchzubringen sei. Er werde den Kurfürsten im Allgemeinen fremd und absonderlich vorkommen. Mansfeld entgegnete ärgerlich, der Herzog sei reich genug, um sich den Kurfürsten vertraut zu machen. Mit Geld, einem Schwert und festem Willen ließe sich leicht ein deutscher Kaiser machen. Freilich müsse man wollen und die Bedenklichkeit fallen lassen. Die Sache blieb aber gleich daran hängen, dass der Herzog ein Land im Reiche zu besitzen wünschte, um etwas Sicheres unter den Füßen zu haben, und dies mit äußerster Vorsicht erwogen werden musste. Man fand, es sei besser, dem Herzog zwar nicht alle Aussicht abzuschneiden, aber auch nichts Bindendes von sich zu geben, sondern ihn mit Verhandlungen hinzuhalten. Wenn man ihn dahin bringen könnte, die gute Sache nur mit Geld zu unterstützen, so wäre das vorzuziehen. Demgemäß wurde wieder eine Gesandtschaft an den Hof von Turin abgeordnet mit dem Auftrage, den Herzog bei guter Gesinnung zu erhalten, ohne aber seinem Ehrgeiz eine Brücke ins Reich zu schlagen.
1 Der Katechismus, Handbuch der Unterweisung in den Grundfragen des christlichen Glaubens. <<<