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32.

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Um die Ge­sin­nung des Kur­fürs­ten von Sach­sen we­gen der böh­mi­schen Thron­fol­ge zu er­for­schen, be­gab sich Graf Joa­chim An­dre­as Schlick, der ein Ju­gend­ge­spie­le Jo­hann Ge­orgs ge­we­sen war, nach Dres­den und er­lang­te auch nach ei­ni­gen Wei­te­run­gen eine Au­di­enz. Der Kur­fürst dach­te zwar nicht im Ernst dar­an, die Kro­ne an­zu­neh­men, woll­te sie aber auch nicht ge­ra­de­zu ab­leh­nen, ei­ner­seits, weil sei­ne Stän­de größ­ten­teils böh­misch ge­sinnt wa­ren, so­dann, um sich dem Kai­ser kost­bar zu ma­chen, der in die­sem Strei­te je­den­falls sei­ner Hil­fe be­durf­te. Er emp­fing des­halb den Gra­fen nicht all­zu freund­lich, und als die­ser sich drei­mal bis auf den Bo­den ver­neig­te und dar­auf Gott an­fleh­te, einen so groß­mü­ti­gen Herrn wie den Kur­fürs­ten der Welt, dem Reich und der lu­the­ri­schen Kir­che zu er­hal­ten, nick­te er nur bei­läu­fig, ohne den Blick von sei­ner Be­schäf­ti­gung weg­zu­wen­den. Auf ei­nem vor ihm ste­hen­den Tisch­lein näm­lich lag ein Hau­fen sau­ber ge­putz­ter Gän­se­kno­chen, wel­che er aus­ein­an­der­las, ans Licht hielt und be­tas­te­te. Nach ei­ner Wei­le sag­te er zu dem be­schei­den war­ten­den Gra­fen, er gehe da­mit um, die Gän­se­kno­chen zu ver­wer­ten, denn bei ei­nem fürst­li­chen Haus­halt, an dem so vie­le Mäu­ler zehr­ten, müs­se Spar­sam­keit herr­schen, da­von hän­ge das Ge­mein­wohl ab; dar­an däch­ten frei­lich die ad­li­gen Her­ren nicht, die nur da­her­kämen, um zu fres­sen und zu sau­fen, und nicht frag­ten, wo­her es kom­me; ein ge­wis­ses Knöch­lein, näm­lich das Steiß­bein, wer­de ver­pul­vert und kom­me dann in die Apo­the­ke sei­ner Frau als ein vor­züg­li­ches schweiß­trei­ben­des Mit­tel, für die an­de­ren habe er noch kei­ne Ver­wen­dung, aber es wer­de ihm schon et­was ein­fal­len.

Nach­dem er die lan­des­vä­ter­li­che Für­sor­ge des Kur­fürs­ten ge­prie­sen hat­te, sag­te Graf Schlick, er habe als Bube auf dem Gän­se­brust­kno­chen bla­sen kön­nen, und wenn es der Kur­fürst ge­stat­te, wol­le er ihm das Stück­lein vor­ma­chen. »Ei der Tau­send«, rief Jo­hann Ge­org, als Schlick aus­ge­pfif­fen hat­te, in­dem er einen er­staun­ten Blick auf ihn warf, »ich hät­te nicht ge­dacht, dass du ein sol­cher Teu­fels­kerl wä­rest«, hieß ihn sich an sei­ne Sei­te set­zen und ihm das Ex­pe­ri­ment noch ein­mal gründ­lich zei­gen. Schlick ent­schul­dig­te sich er­rö­tend, dass er dem Kur­fürs­ten mit ei­ner be­schei­de­nen Kunst aus der Bu­ben­zeit zu die­nen sich un­ter­ste­he, es wür­de gar nichts dar­an sein, wenn der Kur­fürst nicht so gnä­dig und groß­mü­tig zu­zu­hö­ren ge­ru­he. »Ach was, Schlick«, sag­te Jo­hann Ge­org, »eine blin­de Hen­ne darf auch ein­mal ein Körn­lein fin­den, dar­um bleibt der Go­ckel doch Go­ckel«, und lach­te über die­sen Spaß, dass ihm die Trä­nen aus den Au­gen lie­fen.

Nach­dem so­mit ein ver­trau­li­cher Ton an­ge­schla­gen war, brach­te Schlick das Ge­spräch auf die Po­li­tik, er­zähl­te von den Kriegs­vor­fäl­len, was ver­fehlt und wie es hät­te bes­ser ge­macht wer­den kön­nen, und dass die Kal­vi­ner mit ih­rem tol­len Drein­fah­ren den Kar­ren nur im­mer tiefer in den Dreck zö­gen. So er­laub­ten sie jetzt ih­ren Bau­ern, ja er­mun­ter­ten sie noch dazu, das Fest des Hus zu fei­ern, ob­wohl es der Kai­ser streng un­ter­sagt habe, und mit Recht, da es ein of­fen­kun­di­ger Hei­li­gen­dienst sei. Er selbst habe den Bu­do­wec sa­gen hö­ren, Hus sei ein Hei­li­ger, weil er sie vom päpst­li­chen Aber­glau­ben be­freit habe, au­ßer­dem sei es für die Bau­ern gleich, ob sie die­sen oder je­nen Göt­zen an­be­te­ten, wenn sie nur ge­horch­ten; den wah­ren Gott, der Chris­ten und Hei­den mit­ein­an­der er­schaf­fen habe, könn­ten sie doch nicht er­ken­nen. Bei die­sen Leu­ten hät­te es oft den An­schein, als ob Dok­tor Luther gar nicht oder um­sonst ge­lebt habe.

Der Kur­fürst schüt­tel­te miss­trau­isch den Kopf und frag­te, was es denn mit dem Hus ei­gent­lich für eine Be­wandt­nis habe. Nach­dem er von Kai­ser und Papst öf­fent­lich ver­brannt wor­den sei, schi­cke es sich nicht für einen treu­en Reichs­stand, einen sol­chen Ma­le­fi­kan­ten zu ver­eh­ren. Ja, sag­te Schlick seuf­zend, es sei eben die Ei­gen­art der Böh­men, im­mer wi­der den Sta­chel zu lö­cken; wenn der präch­tigs­te Hut vor ih­nen läge, näh­men sie ihn nicht an, um lie­ber mit ih­rer ei­ge­nen Nar­ren­kap­pe zu schell­klin­geln. Aber, setz­te er hin­zu, sie fühl­ten jetzt wohl, dass sie sich nicht selbst aus dem Sump­fe rei­ßen könn­ten, und wenn ein wei­ser Fürst an ihre Spit­ze tre­ten woll­te, wür­den sie es ihm kni­end dan­ken.

Der Kur­fürst über­hör­te die­se An­spie­lung, war aber wäh­rend der Ta­fel, zu wel­cher Schlick ge­la­den war, sehr auf­ge­räumt, er­zähl­te von dem Mu­sik­in­stru­ment, das er er­fun­den habe, und warf dem Hof­nar­ren, der hin­ter ihm am Bo­den kau­er­te, einen Gän­se­brust­kno­chen zu, in­dem er sag­te, wenn er ihn rein ab­na­ge, sol­le er noch einen Flü­gel dazu be­kom­men. »Und wenn ich ihn aus Ver­se­hen auf­fres­se?« frag­te der Narr. »So be­kommst du zwan­zig Stock­prü­gel und wirst einen Tag lang zu den Hun­den an die Ket­te ge­legt, weil du Kno­chen frisst wie ein Kö­ter!« rief der Kur­fürst un­ter dem Ge­läch­ter der Gäs­te. Als das Gän­se­bein blank war, schwenk­te der Kur­fürst es ge­gen Schütz, der die Ta­fel­mu­sik lei­te­te, und rief ihm über den Tisch zu, er habe ein Blas­in­stru­ment er­dacht, wel­ches bes­ser töne als die Flö­te, die sein al­ter Hei­den­prinz Apol­lo ge­bla­sen habe; Schütz sol­le ein­mal her­an­kom­men und ihn, den Kur­fürs­ten, die No­ten­schrift leh­ren, so wol­le er ihm je­des be­lie­bi­ge Stück­lein bla­sen, dass Schütz sich ver­wun­dern sol­le. Schütz trat in be­schei­de­ner Hal­tung an den Stuhl des Kur­fürs­ten und sag­te, die No­ten sei­en zu har­te Nüs­se, als dass man sie so eins, zwei, drei zum Nach­tisch knacken könn­te; aber er sei über­zeugt, der Kur­fürst kön­ne sich auch ohne No­ten auf dem Gän­se­kno­chen recht hübsch hö­ren las­sen. Jo­hann Ge­org wuss­te nicht recht, ob er die­se Wor­te als Schmei­che­lei oder als Krän­kung auf­fas­sen soll­te, hieß Schlick spie­len und sag­te zu Schütz in ver­drieß­li­chem und spöt­ti­schem Tone, die Mu­si­kan­ten und die Apo­the­ker blie­sen sich gern auf, als ob sie eine ge­hei­me Kunst ver­stän­den; aber man wis­se wohl, dass Mist und Dreck die bes­te Me­di­zin wäre und dass Frösche und Vö­gel schon zu Adams Zei­ten Kon­zer­te ge­ge­ben hät­ten. Dann er­zähl­te er, was ihn die Ka­pel­le kos­te, was für lie­der­li­che Ker­le die Sän­ger wä­ren, dass sie ge­schmiert wer­den woll­ten wie krei­schen­de Wa­gen­rä­der, und wie über­haupt die Hof­hal­tung täg­lich kost­ba­rer wer­de. Er las­se sich die Mühe nicht ver­drie­ßen, täg­lich selbst den Kü­chen­zet­tel nach­zu­se­hen, dies und das zu strei­chen und dar­auf zu ach­ten, dass die Über­bleib­sel gut ver­wen­det wür­den. Auf die­se Wei­se hät­te sein Groß­va­ter, der wei­se Kur­fürst Au­gust, Sach­sen mäch­tig und an­sehn­lich ge­macht, und die­ser Tage sei es noch not­wen­di­ger, auf­zu­pas­sen, wo das neu­mo­di­sche fran­zö­si­sche We­sen ein­zu­rei­ßen an­fan­ge. Da kämen schon sei­ne klei­nen Söh­ne, woll­ten sei­de­ne St­rümp­fe und wohl­rie­chen­de Hand­schu­he und wohl gar fran­zö­si­sche Hof­meis­ter ha­ben und wür­den Schutz und För­de­rung bei ih­rer Mut­ter fin­den, wenn er nicht al­len mit­ein­an­der dann und wann auf die Fin­ger klopf­te.

Graf Schlick, der dem Kur­fürs­ten häu­fig mit dem Be­cher Be­scheid tun muss­te, brach­te sei­ne Ge­sund­heit aus und rief laut, er for­de­re je­den vor sein Schwert, der be­haup­ten wol­le, es gebe einen wei­se­ren, ed­le­ren und tap­fe­re­ren Fürs­ten als Jo­hann Ge­org und ein glück­se­li­ge­res Land als das Kur­fürs­ten­tum Sach­sen, wo­bei ihm die Trä­nen über die Ba­cken lie­fen.

Ge­gen das Ende des Gast­mahls saß Schlick, den Kopf in bei­de Hän­de ge­stützt, und wein­te ge­ra­de­her­aus. Ein sol­cher Fürst, schluchz­te er, sei wie ein Leucht­turm am Mee­re; wenn es braus­te und wü­te­te, las­se er be­stän­di­ges Licht aus und wei­se den Schiff­brü­chi­gen das ret­ten­de Ufer. Wenn nur sei­nem Va­ter­lan­de in die­sen bö­sen Zei­ten ein sol­ches fürst­li­ches Licht er­strahl­te, so brauch­ten sie nicht län­ger wie Wai­sen­kin­der rat­los von den wil­den Was­sern ver­schla­gen zu wer­den.

Auch dem Kur­fürs­ten fin­gen die Au­gen an über­zu­lau­fen, und er brüll­te, wer von ihm sage, dass er sei­ne Glau­bens­ge­nos­sen ver­las­se, der sei ein Hunds­fott, sei­nem Ju­gend­ge­spie­len Schlick kön­ne er nichts ver­sa­gen, er habe ein Herz für alle sei­ne Un­ter­ta­nen, nur die Kal­vi­ner wol­le er aus­rot­ten, denn sie sei­en Schel­me und vom Teu­fel ge­sä­tes Un­kraut.

Nach­dem Graf Schlick noch eine Denk­schrift ein­ge­reicht hat­te, in wel­cher dem Kur­fürs­ten, für den Fall, dass er die böh­mi­sche Kro­ne an­näh­me, der Be­sitz der be­nach­bar­ten Lau­sitz an­ge­prie­sen wur­de, auf wel­che er längst ein Auge ge­wor­fen hat­te, be­gab er sich wie­der nach Prag, um vom Er­fol­ge sei­ner Rei­se Be­richt zu er­stat­ten. Im Hau­se des Gra­fen Wil­helm von Lob­ko­witz fand er auch den Gra­fen Thurn, der vom Kriegs­schau­platz her­ein­ge­kom­men war, um Geld zur Be­zah­lung der un­zu­frie­de­nen Söld­ner auf­zu­trei­ben. Lob­ko­witz blät­ter­te mit nie­der­ge­schla­ge­ner Mie­ne in dem neu­en Ka­len­der für das Jahr 1620, wel­cher kürz­lich aus­ge­ge­ben wor­den war und in wel­chem eine böse Aus­sicht für die nächs­te Zu­kunft er­öff­net wur­de. Was ihn an­be­lan­ge, sag­te Schlick, so brin­ge er güns­ti­gen Be­richt. Er sei vom Kur­fürs­ten in lan­ger Au­di­enz emp­fan­gen wor­den und habe gute Ver­trös­tung von ihm er­hal­ten. Ein be­stimm­tes Ver­spre­chen habe der Kur­fürst zwar nicht von sich ge­ben wol­len, habe aber fest zu­ge­sagt, dass er sei­ne Glau­bens­ge­nos­sen nicht im Sti­che las­sen wer­de, des­glei­chen hät­ten ihm vie­le Stan­des­per­so­nen und gute Freun­de ver­si­chert, sie hiel­ten es mit den Luthe­ri­schen und nicht mit den Päpst­li­chen.

Ob es denn nicht an dem sei, frag­te Thurn, dass der Hof­pre­di­ger Hoë eine gol­de­ne Gna­den­ket­te vom Kai­ser er­hal­ten habe und dass der ers­te Rat Kas­par von Schön­berg im ver­trau­li­chen Ge­spräch ge­sagt habe, der Kai­ser kön­ne we­gen des Kur­fürs­ten un­be­sorgt sein, ihm schme­cke ein Täub­lein, das der Kai­ser ihm ver­eh­re, bes­ser als ein Huhn, das er ihm aus dem Stall ge­stoh­len habe.

Das sei nur ein Ge­schwätz, sag­te Schlick, sie möch­ten es wohl mit dem Kai­ser nicht ver­der­ben, aber sie hät­ten es ihm ge­gen­über an freund­li­chen Be­zei­gun­gen nicht feh­len las­sen.

Lob­ko­witz schüt­tel­te den Kopf und sag­te, das möch­te wohl gut sein, wenn nur der Ka­len­der nicht wäre. Es wäre für Böh­men großes Blut­ver­gie­ßen ge­weis­sagt, so­wohl der Her­ren wie der Un­ter­ta­nen, weil man sich die War­nung Got­tes durch den Ko­me­ten nicht zu Ge­müt ge­zo­gen habe, son­dern in den al­ten Sün­den da­hin­ge­fah­ren sei.

Der Ko­met habe doch nicht über Böh­men al­lein ge­stan­den, sag­te Thurn, die Schul­tern zu­ckend; in den säch­si­schen und ös­ter­rei­chi­schen Län­dern habe man ihn auch ge­se­hen, so viel er wis­se. Wenn Gott ih­ren Un­ter­gang be­schlos­sen habe, so sei da­ge­gen nichts aus­zu­rich­ten; einst­wei­len hal­te er es aber für das bes­te, sich zu weh­ren und sich durch böse Zei­chen nur de­sto mehr an­spor­nen zu las­sen.

Man kön­ne doch aber auch in sich ge­hen und sich be­den­ken, mein­te Lob­ko­witz. Vi­el­leicht sei ihre Re­bel­li­on doch Sün­de ge­we­sen, und es sei ja noch Zeit, um­zu­keh­ren.

Wie? rief Thurn aus, um­keh­ren? Den Ma­je­stäts­brief und den Glau­ben und alle teu­er er­kauf­ten Frei­hei­ten preis­ge­ben? Blut sei ein­mal ge­flos­sen, jetzt gel­te es zu sie­gen, er für sein Teil wol­le sich lie­ber in die Schlacht wa­gen als in die Hän­de der rach­süch­ti­gen Je­sui­ten fal­len.

Auch Schlick war der Mei­nung, man sei zu weit ge­gan­gen, um noch zu­rück zu kön­nen, und wenn sie nur erst ein rich­ti­ges Haupt hät­ten, be­son­ders wenn es der Kur­fürst von Sach­sen wäre, kön­ne noch al­les gut wer­den. Das große Blut­ver­gie­ßen an­ge­hend, kön­ne ja auch das Blut ih­rer Fein­de da­mit ge­meint sein, und ob­wohl er für sei­ne Per­son nicht blut­dürs­tig sei, müs­se man doch Gott schal­ten las­sen und ihm Bei­fall ge­ben.

Die­se Aus­sicht er­mun­ter­te Wil­helm von Lob­ko­witz wie­der, und die Ver­hand­lun­gen nah­men ih­ren Fort­gang, wo­bei frei­lich die Aus­sicht, den Kur­fürs­ten von Sach­sen zu ge­win­nen, bald schwand; denn da der Kai­ser ihm für sei­nen Bei­stand, eben­so wie die Böh­men, den Be­sitz der Lau­sitz ver­sprach, fiel auch die­se noch in die Waag­scha­le der alt­be­währ­ten Po­li­tik, und über ei­ni­ge von sei­ner Frau an­ge­reg­te Ge­wis­sens­be­den­ken half ihm der Hof­pre­di­ger Hoë hin­weg, in­dem er ihm er­klär­te, ein gu­ter alt­deut­scher pa­trio­ti­scher Reichs­fürst müs­se selbst die­se zu­wei­len dem Reichsober­haupt zum Op­fer brin­gen.

Der Dreißigjährige Krieg

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