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Wäh­rend der jun­ge Erz­her­zog Fer­di­nand von Stei­er­mark zu In­gol­stadt stu­dier­te, be­gab es sich an ei­nem Fest­ta­ge, dass er spä­ter als ge­wöhn­lich zur Mes­se in die Kir­che kam und den vor­de­ren Stuhl, den er sonst in­ne­hat­te, von sei­nem Vet­ter Ma­xi­mi­li­an, dem Soh­ne des Her­zogs von Bay­ern, be­setzt fand. In­dem er die­sen mit freund­li­chem An­la­chen be­grüß­te, blieb er war­tend vor ihm ste­hen, und da Ma­xi­mi­li­an nicht Mie­ne mach­te, ihm den Platz zu über­las­sen, for­der­te er ihn leich­ten To­nes dazu auf. Er wis­se nicht, dass das Fer­di­n­ands Stuhl sei, ant­wor­te­te Ma­xi­mi­li­an zö­gernd und kühl; dass er ihn bis­her ge­habt hät­te, hin­de­re nicht, dass heu­te er, Ma­xi­mi­li­an, ihn be­hal­te, da er ihm ein­mal zu­vor­ge­kom­men sei. »Mein Platz ist es«, ent­geg­ne­te Fer­di­nand, »weil er als der vor­de­re mei­nem Ran­ge ge­bührt, und lege ich auch als Freund und Vet­ter kei­nen Wert dar­auf, so bin ich es doch seit dem Tode mei­nes Va­ters mei­ner Wür­de schul­dig, dar­auf zu be­ste­hen.«

Hät­te er ge­wusst, sag­te Ma­xi­mi­li­an, dass Fer­di­nand es so auf­fass­te, wür­de er ihm den Stuhl vor­her nicht im­mer über­las­sen ha­ben, was nur aus dem Grun­de ge­sche­hen sei, weil er sich an der bay­ri­schen Lan­des­u­ni­ver­si­tät dem stei­er­mär­ki­schen Vet­ter ge­gen­über als Wirt ge­fühlt habe; nun wer­de ihm sei­ne Höf­lich­keit als Un­ter­wür­fig­keit aus­ge­legt. Ein Her­zog von Bay­ern sei so viel wie ein Erz­her­zog von Stei­er­mark, vor­züg­lich auf bay­ri­schem Ge­biet, wo kei­nem Erz­her­zo­ge auch nur so viel wie eine Scheu­ne oder ein Heu­stock ge­hö­re.

Das kön­ne man nicht wis­sen, ent­geg­ne­te Fer­di­nand und lä­chel­te; er ge­hö­re zur kai­ser­li­chen Fa­mi­lie und kön­ne noch ein­mal Kai­ser wer­den, wenn es Gott ge­fäl­lig sei.

Der äl­te­re Vet­ter, der, ge­ra­de ge­wach­sen und sich steif hal­tend, auf den vor ihm ste­hen­den, ein we­nig schlot­te­ri­gen Stei­er­mär­ker her­ab­zu­se­hen schi­en, er­rö­te­te vor Är­ger, blieb aber kalt und sag­te: »Ich etwa nicht? Es gibt kein Ge­setz in der Gül­de­nen Bul­le, dass nicht auch ein Bayer zum Kai­ser könn­te er­wählt wer­den.«

Die bei­den Hof­meis­ter, die bis­her ver­geb­lich dem Wort­wech­sel zu steu­ern ver­sucht hat­ten, dran­gen nun­mehr durch, der bay­ri­sche, in­dem er Ma­xi­mi­li­an flüs­ternd an den Be­fehl sei­nes Va­ters er­in­ner­te, stets höf­lich ge­gen Fer­di­nand zu sein und auf alle Fäl­le in gu­tem Ver­neh­men mit ihm zu blei­ben, wäh­rend der stei­er­mär­ki­sche Fer­di­nand mit dem Zorn sei­ner Mut­ter schreck­te, die ihm streng be­foh­len hat­te, dem Her­zog von Bay­ern, ih­rem Bru­der, wie ei­nem Va­ter zu ge­hor­chen und Ma­xi­mi­li­an wie einen äl­te­ren Bru­der zu re­spek­tie­ren. Der Ge­dan­ke dar­an, dass sei­ne Mut­ter schon mehr­mals ge­droht hat­te, ihn von In­gol­stadt fort­zu­neh­men, wie es der Kai­ser und des­sen Brü­der, Fer­di­n­ands Ohei­me, wünsch­ten, schlug sei­nen Hoch­mut nie­der, und er ver­stand sich dazu, Ma­xi­mi­li­an zu bit­ten, er möge ihm den Stuhl, ab­ge­se­hen von der Rang­fra­ge, aus vet­ter­li­cher Freund­schaft über­las­sen, weil er sich an ihn ge­wöhnt habe. Ma­xi­mi­li­an gab mit küh­ler Herab­las­sung, aber im Grun­de nicht un­gern nach; denn in­zwi­schen wa­ren ihm Zwei­fel auf­ge­stie­gen, ob er nicht doch ei­nem Habs­bur­ger ge­gen­über, der des Kai­sers Nef­fe war, ein we­nig zu weit ge­gan­gen sei. Wäh­rend der kirch­li­chen Ze­re­mo­nie gab sich Fer­di­nand aus­ge­las­se­nen Spä­ßen über einen der Geist­li­chen hin, der au­gen­schein­lich den Schnup­fen hat­te und sei­ne rot­ge­schwol­le­ne Nase mit dem reich­ge­stick­ten Un­ter­är­mel sei­nes Ge­wan­des putz­te; aber wie der Hof­meis­ter sei­ne Lus­tig­keit nicht zu dämp­fen ver­moch­te, so ge­lang es ihm nicht, Ma­xi­mi­li­an zum La­chen zu brin­gen.

An die­sen Vor­fall knüpf­te sich ein lan­ger, nicht un­be­schwer­li­cher Brief­wech­sel zwi­schen Ma­xi­mi­lians Va­ter, Her­zog Wil­helm von Bay­ern, und des­sen Schwes­ter, der Erz­her­zo­gin Ma­ria von Stei­er­mark, Fer­di­n­ands Mut­ter, die sich herz­lich lieb­ten, ob­wohl die Hef­tig­keit der jün­ge­ren Erz­her­zo­gin ih­rem fried­fer­ti­gen Bru­der man­che Nach­gie­big­keit zu­mu­te­te. Ma­ria hielt ihre bay­ri­sche Fa­mi­lie für weit tüch­ti­ger und ver­dienst­li­cher als die ih­res Man­nes, die sie im Stil­len herz­lich ver­ach­te­te; al­lein da ihre Kin­der nun ein­mal Habs­bur­ger wa­ren, trotz­te sie auf de­ren Ti­tel und Rech­te und ge­bär­de­te sich so­gar dem Her­zog ge­gen­über zu­wei­len als die Hö­he­re, de­ren An­sprü­chen ein je­der zu wei­chen habe. Da von ih­ren fünf­zehn Kin­dern die meis­ten kränk­lich und un­be­gabt wa­ren, mach­te ihr die Er­zie­hung viel zu schaf­fen, umso mehr, als sie bei ih­rem Man­ne we­nig Un­ter­stüt­zung fand, im Ge­gen­teil sei­ne Träg­heit, Gleich­gül­tig­keit und Leicht­fer­tig­keit be­stän­dig durch ih­ren Ernst und ihre Tat­kraft er­set­zen muss­te. Wenn sie be­dach­te, wie sie ihn stets hat­te sto­ßen und trei­ben müs­sen, da­mit er den An­ma­ßun­gen sei­nes Adels stand­hielt, wie sie hat­te weh­ren müs­sen, wo er nach­ge­ben woll­te, wie sie mit Dro­hen, Kei­fen, Pre­di­gen und Int­ri­gie­ren al­lem Ge­gen­wir­ken der Stän­de zum Trotz Je­sui­ten und Ka­pu­zi­ner ins Land ge­bracht hat­te, dass sie nun­mehr al­lent­hal­ben das wah­re ka­tho­li­sche Le­ben sprie­ßen und um sich grei­fen sah, so moch­te sie sich füg­lich von ih­rer Wich­tig­keit und Macht­fül­le durch­drun­gen füh­len. Auch hät­te kei­nes von ih­ren Kin­dern ge­wagt, ihr den Ge­hor­sam zu wei­gern; aber das konn­te sie doch nicht hin­dern, dass et­was habs­bur­gi­sches Un­kraut selbst in ih­res Fer­di­n­ands gute An­la­gen, die er von bay­ri­scher Sei­te mit­be­kom­men hat­te, hin­ein­wil­der­te.

Als er das ers­te Mal nach dem Tode des Va­ters von In­gol­stadt nach Hau­se kam, hoff­te sie ihn et­was ge­reif­ter und männ­li­cher zu fin­den; in­des­sen muss­te sie ihm schon beim Ein­tritt sei­ne Lus­tig­keit und Scher­ze mit der Die­ner­schaft als dem Trau­er­hau­se un­ziem­lich ver­wei­sen. Sie über­rasch­te ihn mit ei­nem Ge­schenk aus dem Nach­las­se des Va­ters, ei­ner reich mit Perl­mut­ter und El­fen­bein ein­ge­leg­ten Büch­se, die der Nürn­ber­ger Künst­ler Jam­nit­zer ver­fer­tigt hat­te; denn er soll­te sie künf­tig an Stel­le des Va­ters zur Jagd be­glei­ten. Der sechs­jäh­ri­ge Leo­pold, der auch zur Jagd zu ge­hen ver­lang­te, wur­de im Hin­blick auf sei­ne Be­stim­mung zum geist­li­chen Stan­de mit ei­nem Ro­sen­kranz aus böh­mi­schen Gra­na­ten ge­trös­tet, der ne­ben dem Bet­te des ver­stor­be­nen Va­ters ge­han­gen hat­te. Dies gab An­lass zu ei­ner Rau­fe­rei, da Fer­di­nand den Klei­nen aus­lach­te und ne­ckend sag­te: »Ler­ne du nur flei­ßig be­ten, du kannst nicht zur Jagd ge­hen, denn du wirst Wei­ber­rö­cke tra­gen und müss­test als ein Weib auf dem Sat­tel sit­zen«, eine von den An­spie­lun­gen, mit de­nen die Ge­schwis­ter den wil­den Bu­ben zu rei­zen lieb­ten. In laut­lo­ser Wut stürz­te sich Leo­pold auf den großen Bru­der, warf ihn mit dem ers­ten An­lauf zu Bo­den und schlug den jäm­mer­lich Schrei­en­den mit der Faust auf den Kopf, in­dem er schrie: »Ich will dir auf dei­nen dre­cki­gen Grind be­ten!«, bis Ma­ri­as fes­te Hand den Knäu­el aus­ein­an­der­riss. Sie gab Leo­pold zwei Ohr­fei­gen, die eine we­gen sei­ner Ver­sün­di­gung am hei­li­gen Ge­bet, die an­de­re, weil er sei­nen äl­te­ren Bru­der, dem er Ge­hor­sam schul­dig sei, ver­prü­gelt habe; dann sich plötz­lich zu Fer­di­nand wen­dend, der bei der Be­stra­fung sei­nes Bru­ders zu weh­kla­gen auf­ge­hört und la­chend zu­ge­se­hen hat­te, ver­setz­te sie auch ihm eine, denn er sei nicht min­der schul­dig als Leo­pold, in­so­fern er mit un­ziem­li­chen Ne­cke­rei­en den An­fang ge­macht habe, wo er doch viel­mehr den künf­ti­gen Pries­ter in sei­nem Bru­der eh­ren soll­te. Dann wisch­te sie Leo­pold die Trä­nen ab, der un­ter dem Schluch­zen wü­ten­de Bli­cke auf sei­nen Bru­der schoss, reich­te ihm einen Ap­fel und führ­te ihn in ein an­de­res Zim­mer, wo ihn die Schwes­tern mit neu­gie­ri­gen Bli­cken und Fra­gen emp­fin­gen. Von der Zu­rück­keh­ren­den bat sich Fer­di­nand, halb dreist, halb ängst­lich, auch einen Ap­fel aus; Leo­pold wer­de von ihr ver­hät­schelt, und das sei der Grund, warum er ihm nicht ge­hor­che, er wis­se wohl, dass die Mut­ter ihm al­les hin­ge­hen las­se, die Ohr­fei­gen habe sie ihm ja auch gleich ver­gü­tet.

Es ver­hal­te sich ganz an­ders, sag­te Ma­ria streng; ei­gent­lich hät­te sie ihn, Fer­di­nand, al­lein stra­fen sol­len, denn nicht nur, dass er als der Äl­te­re der Ver­stän­di­ge­re sein und ein gu­tes Bei­spiel ge­ben soll­te, hät­te er, der Gro­ße, sich von dem tap­fe­ren Klei­nen wie ein Feig­ling zu Bo­den schla­gen und ver­prü­geln las­sen, dazu noch Ze­ter ge­schri­en. Fröm­mig­keit sei zwar für einen christ­li­chen Re­gen­ten die Haupt­sa­che, und auch die ka­tho­li­schen Wis­sen­schaf­ten und die His­to­rie sei­en ihm nütz­lich, aber die rit­ter­li­chen Übun­gen und eine statt­li­che, krie­ge­ri­sche Hal­tung dür­fe er nicht ver­nach­läs­si­gen. Die Ver­wand­ten mach­ten ihr Vor­wür­fe, dass sie ihn zu lan­ge auf der Uni­ver­si­tät las­se, wo er nichts als ge­lehr­tes Sil­ben­ste­chen und Dis­pu­tie­ren ler­ne.

Fer­di­nand sag­te mau­lend, er neh­me Reit- und Fecht­stun­den und habe schon große Fort­schrit­te ge­macht. Der päpst­li­che Nun­ti­us, der kürz­lich durch In­gol­stadt ge­kom­men sei und ihn in der Fecht­schu­le ge­se­hen habe, habe ihn mit dem blit­ze­schleu­dern­den Apol­lo ver­gli­chen. Was hät­ten sich auch sei­ne Ohei­me, die Erz­her­zö­ge, ein­zu­mi­schen? Sie, die Mut­ter, hät­te al­lein zu be­stim­men und al­len­falls ihr Bru­der, der alte Her­zog von Bay­ern, ih­nen bei­den wol­le er gern ge­hor­chen.

Ganz be­sänf­tigt, hieß Ma­ria ih­ren Sohn sich zu ihr set­zen und sprach ihm ver­trau­lich von ih­ren Sor­gen und Plä­nen. Ei­nen er­bit­ter­ten Kampf habe sie füh­ren müs­sen, bis man sie mit ih­ren Kin­dern im Schlos­se zu Graz ge­las­sen habe; man hät­te sie am liebs­ten auf die Sei­te ge­stellt, nicht weil man an ih­rer Kraft zwei­fel­te, die Re­gent­schaft zu füh­ren, im Ge­gen­teil, weil man ihre Ent­schlos­sen­heit fürch­te. Der Kai­ser und sei­ne Brü­der sei­en zwar gut ka­tho­lisch, das wol­le sie ih­nen nicht ab­strei­ten, aber es feh­le ih­nen der Mut, den al­lein das rei­ne Ge­wis­sen ver­lei­hen kön­ne. Das sei ein be­stän­di­ges Pak­tie­ren und Feil­schen mit den Ket­zern! Da­durch, dass man sie fürch­te­te, wür­den sie fürch­ter­lich. Jetzt frei­lich bläh­ten sie sich auf und spritz­ten ihr Gift da­hin und dort­hin.

Aus ei­nem Schub­fach ih­res Schreib­ti­sches hol­te sie Brie­fe, die sie von ih­rer Toch­ter Anna, der Ge­mah­lin des Po­len­kö­nigs Si­gis­mund, er­hal­ten hat­te. Si­gis­mund sei ein gu­ter, from­mer Mann, sag­te sie, und ihr als Ei­dam wert, aber all­zu sanft­mü­tig und den bos­haf­ten Schwe­den nicht ge­wach­sen, wie er denn ein fei­er­li­ches Ver­spre­chen ge­ge­ben habe, die lu­the­ri­sche Re­li­gi­on in Schwe­den zu er­hal­ten und zu schüt­zen; denn sonst hät­ten ihm die un­bot­mä­ßi­gen Stän­de nicht hul­di­gen wol­len. Da­hin­ter ste­cke nie­mand an­ders als Karl, sein Oheim, der, als ein ech­ter Ab­kömm­ling der bö­sen, wöl­fi­schen Wa­sa­brut, selbst auf den Thron spe­ku­lie­re. Nach­dem nun Si­gis­mund das lei­di­ge Ver­spre­chen ein­mal ge­ge­ben habe, sol­le er sich we­nigs­tens nicht dar­an ge­bun­den hal­ten; denn den Un­ter­ta­nen ste­he kei­ner­lei Recht zu, den ih­nen von Gott ge­setz­ten Her­ren Eide und Bünd­nis­se ab­zu­neh­men, son­dern als gott­lo­se Räu­ber sol­le er sie ein­fach zu Paa­ren trei­ben. Auch sei Anna sehr trau­rig dar­über, dass es so ge­kom­men sei und dass sie sich von den lu­the­ri­schen Af­fen hät­te müs­sen krö­nen und sal­ben las­sen, wel­ches doch nicht mehr zu be­deu­ten habe, als wenn man von ei­nem Ba­der we­gen ei­nes Aus­sat­zes oder an­de­ren Scha­dens ge­schmiert wer­de. Könn­te sie nur al­len ih­ren Mut und ihre Über­zeu­gung ein­flö­ßen, so wür­den die Un­ru­hen und Em­pö­run­gen, das Ge­schrei der toll­köp­fi­gen Bau­ern um freie Re­li­gi­ons­übung und das Lär­men der Prä­di­kan­ten auf den Kan­zeln ein­mal auf­hö­ren. Die Bau­ern ge­hör­ten an den Pflug, die Bür­ger in ihre Werk­statt und die Prä­di­kan­ten an den Gal­gen; hiel­te man sich dar­an, so wür­de der lie­be Frie­de und die alte Ord­nung bald wie­der her­ge­stellt sein. Frei­lich müs­se zu­erst der über­mü­ti­ge Adel ge­beugt wer­den, da­mit das ket­ze­ri­sche Volk kei­nen Rück­halt mehr an ihm fin­den kön­ne.

Er wol­le schon Ord­nung schaf­fen, sag­te Fer­di­nand, der sich be­müht hat­te, auf­merk­sam zu­zu­hö­ren; wenn er drei Jah­re re­giert hät­te, sol­le kei­ner mehr im Lan­de sein, der nicht das Knie beug­te, wenn die Pro­zes­si­on vor­über­ge­he. Er wol­le den großen Prahl­han­sen schon ein Ge­biss ins Maul klem­men, die stör­ri­schen Ket­ze­re­sel soll­ten ihm Sä­cke in sei­ne Müh­le tra­gen.

Ma­ria zähl­te ei­ni­ge Her­ren vom Adel auf, die ihr am meis­ten zu schaf­fen mach­ten, die Rä­knitz, die Pra­un­falk und die Win­disch­grätz. Be­reits hät­ten sie sich beim Al­ten, näm­lich beim Kai­ser, be­klagt, dass sie sie Un­ter­ta­nen ge­hei­ßen hät­te; und doch müss­ten sie wohl Un­ter­ta­nen sein, wenn der Fürst der Herr sei. Sie steck­ten mit al­len Ket­zern und Auf­rüh­rern in Ös­ter­reich, Schle­si­en und Mäh­ren, ja auch in Böh­men und Un­garn zu­sam­men, wo es an der­glei­chen nie ge­fehlt habe, und möch­ten etwa gar freie Schwei­zer oder Hol­län­der sein. Ein hüb­scher Staat ohne gött­li­ches und ir­di­sches Haupt, eine schö­ne Ord­nung, wo die Un­ter­ta­nen mit ih­rem kur­z­en Ver­stan­de Gott und die hei­li­ge Kir­che läs­tern dürf­ten, ohne dass ei­ner sie beim Schop­fe neh­me. Sie wis­se auch im Reich drau­ßen manch einen, der da­bei sein möch­te.

»Sie wer­den schon zu Kreu­ze krie­chen, wenn der Fer­di­nand die Zü­gel führt«, sag­te die­ser la­chend.

Wenn sie nur er­rei­chen könn­te, mein­te Ma­ria, dass er ein paar Jah­re frü­her mün­dig er­klärt wer­de; die habs­bur­gi­sche Vor­mund­schaft sei doch nur eine Miss­wirt­schaft. Es kom­me dar­auf an, dass er sich sei­nem Oheim, dem Kai­ser Ru­dolf, per­sön­lich vor­stel­len kön­ne; der Rat Rumpf, der al­les beim Al­ten ver­mö­ge, sei ein gu­ter Freund von ihr und habe sich be­reit er­klärt, einen sol­chen Be­such zu ver­mit­teln. In­zwi­schen müs­se Fer­di­nand sich in kör­per­li­chen Übun­gen ver­voll­komm­nen, da­mit er eine an­stän­di­ge Hal­tung be­kom­me, nicht wie ein Ham­pel­mann ein­her­ge­he, müs­se sich ein erns­tes, auf­rich­ti­ges, be­schei­de­nes Be­tra­gen an­ge­wöh­nen, um auf Ru­dolf einen güns­ti­gen Ein­druck zu ma­chen, denn da­von hän­ge nun ein­mal al­les ab.

»Ich bin gut ge­nug für den al­ten Un­flat!« sag­te Fer­di­nand, in­dem er die lan­ge Un­ter­lip­pe hän­gen ließ, un­ter­brach sich aber so­gleich, von der Mut­ter derb am Arme ge­schüt­telt. Er hät­te eine Maul­schel­le ver­dient, rief sie zor­nig; wie er so frech von der kai­ser­li­chen Ma­je­stät re­den dür­fe! Wenn das sei­ne jün­ge­ren Ge­schwis­ter ge­hört hät­ten!

Sie hät­ten es oft ge­nug von ihr ge­hört, brumm­te Fer­di­nand, wie er es auch nicht aus sich sel­ber habe. Sie habe ge­sagt, dass er sich Hu­ren hal­te und mit ge­mei­nen Leu­ten und Ket­zern sau­fe und schänd­li­che Küns­te trei­be.

»Dir ziemt nicht, al­les zu sa­gen, was mir ziemt«, sag­te sie un­wirsch, »denn du kannst nicht un­ter­schei­den, wo und wann du den Mund auf­tun sollst.« Sie sei Ru­dolfs Freun­din nie ge­we­sen, aber er sei nun ein­mal der Kai­ser und habe ihr Schick­sal in sei­nen Hän­den, dar­um müs­se Fer­di­nand sich Mühe ge­ben, ihm zu ge­fal­len.

Schließ­lich er­öff­ne­te Ma­ria ih­rem Soh­ne einen Aus­blick in die Zu­kunft: Bis jetzt hät­ten we­der der Kai­ser noch sei­ne le­ben­den Brü­der einen Er­ben; er so­wie Matt­hi­as, Ernst und Al­brecht wä­ren un­ver­mählt, Ma­xi­mi­li­an dür­fe als Deutschor­dens­meis­ter nicht hei­ra­ten, der Sohn Fer­di­n­ands von Ti­rol sei als Kind der Wel­se­rin un­eben­bür­tig, nur der jüngs­te Bru­der, Karl, sein ver­stor­be­ner Va­ter, habe Söh­ne in der Ehe er­zeugt. Er­sicht­lich ste­he das Haus un­ter der Ma­le­dik­ti­on Got­tes, die es sich durch Lau­heit im Glau­ben zu­ge­zo­gen habe, und so wäre es nicht un­mög­lich, dass noch ein­mal alle habs­bur­gi­schen Län­der auf ihn kämen. Wenn Gott es so füge, sei da­bei je­den­falls sei­ne Ab­sicht, einen from­men Glau­bens­hel­den an die Herr­schaft zu brin­gen, der die ka­tho­li­sche Kir­che wie­der­her­stel­len wer­de, und ob­schon er na­tür­li­cher­wei­se sei­nen Ohei­men nichts Übles wün­schen dür­fe, viel­mehr fort­fah­ren sol­le, für ihre Ge­sund­heit und Fort­pflan­zung zu be­ten, so müs­se er sich doch im Stil­len auf sein großes Amt vor­be­rei­ten, falls Gott im Schil­de füh­re, ihn da­hin zu er­hö­hen.

Fer­di­nand war ein we­nig rot ge­wor­den; aber er sag­te leicht­hin, warum soll­te denn der Kai­ser nicht noch hei­ra­ten und Nach­kom­men­schaft er­zie­len, da er doch Hu­ren­kin­der habe. Auch Matt­hi­as, Ernst und Al­brecht wä­ren noch in den Jah­ren, sich zu ver­mäh­len; mit so wei­taus­se­hen­den Sa­chen wol­le er sich nicht ernst­lich ab­ge­ben.

Dank den An­wei­sun­gen, die sein Be­schüt­zer, Mi­nis­ter Rumpf, dem Kna­ben gab, wie auch durch sei­ne na­tür­li­che Un­be­fan­gen­heit und Schlau­heit fiel Fer­di­n­ands Be­such am Kaiser­ho­fe gut aus; über­haupt hat­te der Kai­ser an jun­gen Leu­ten, die sich ihm mit be­schei­de­ner Be­wun­de­rung und Ehr­er­bie­tung nä­her­ten, Wohl­ge­fal­len und lieb­te es, Spä­ße mit ih­nen zu ma­chen, bei de­nen er eine an­mu­tig über­le­ge­ne Freund­lich­keit ent­fal­ten konn­te. Fer­di­nand kehr­te nicht we­nig ge­ho­ben nach Graz zu­rück und muss­te sich man­che Ne­cke­rei von Sei­ten der Ge­schwis­ter ge­fal­len las­sen, die das pomp­haf­te We­sen an dem Dä­mel, wie sie Fer­di­nand nann­ten, der beim Spiel der Al­b­erns­te war, nicht lei­den konn­ten.

Es schi­en in der Tat, als wol­le Gott das Haus der Erz­her­zo­gin Ma­ria er­hö­hen; denn nach vie­len Wei­te­run­gen, die die Lau­nen­haf­tig­keit des grei­sen Kö­nigs von Spa­ni­en, Phil­ipps II., ver­ur­sach­te, kam end­lich die Ver­lo­bung zwi­schen sei­nem Soh­ne Phil­ipp, dem Thron­fol­ger, und ih­rer Toch­ter, der klei­nen blon­den Mar­ga­re­ta, zu­stan­de. Ma­ria, die das Rei­sen au­ßer­or­dent­lich lieb­te, ge­lei­te­te sie selbst nach Ma­drid und hat­te große Mühe, das kin­di­sche We­sen der Toch­ter vor den so an­ders ge­ar­te­ten Spa­ni­ern zu ver­ber­gen. Als die ers­te spa­ni­sche Ge­sandt­schaft die Rei­sen­den un­ter­wegs an­traf und der Prin­zes­sin ein auf El­fen­bein ge­mal­tes Mi­nia­tur­bild ih­res Bräu­ti­gams über­reich­te, hielt sie den Aus­bruch ih­rer Lus­tig­keit un­ter dem stren­gen Blick der Mut­ter not­dürf­tig zu­rück; so­wie sie aber al­lein wa­ren, warf sie sich auf einen Stuhl und rief un­mä­ßig la­chend: »So also sieht der Lip­per­li aus! Und dies soll mein Mann sein! Er gleicht ei­ner Quar­krü­be! Ich wer­de ihm ein Lätz­lein mit­brin­gen, denn er kann ge­wiss noch nicht sau­ber es­sen.«

Dass sie selbst noch in die Kin­der­stu­be ge­hö­re, sag­te Ma­ria stra­fend, be­wei­se ihr Be­neh­men. Dann be­trach­te­te sie das Bild­chen, stell­te ei­ni­ge Fa­mi­li­en­ähn­lich­keit fest und mein­te, es sei über­haupt frag­lich, ob der Prinz selbst dazu ge­ses­sen habe; denn der alte Kö­nig habe sei­ne Kin­der nicht mehr kon­ter­fei­en las­sen, seit ihm meh­re­re bald nach dem Ab­ma­len ge­stor­ben sei­en.

Ob denn etwa die Ma­ler in Spa­ni­en als Zau­be­rer ver­brannt wür­den? frag­te die Klei­ne neu­gie­rig. Es gehe eben selt­sam zu in Spa­ni­en, sag­te Ma­ria, der alte Kö­nig habe zu­letzt voll Bos­heit und Narr­heit ge­steckt, es kom­me ihr wohl, dass er noch ge­ra­de ge­stor­ben sei. Die spa­ni­schen Ver­wand­ten sei­en alle ein we­nig ver­stockt und ver­dreht, man hei­ße das die spa­ni­sche Krank­heit, und sie kön­ne es sich gut vor­stel­len, wenn sie die wi­der­wär­ti­gen Spa­nier sähe, in de­ren Ge­sell­schaft es ei­nem eng ums Herz wer­de. Zwi­schen die­ser gel­ben, lang­na­si­gen, ran­zi­gen Na­ti­on und den Ju­den sei kaum ein Un­ter­schied.

Vi­el­leicht be­kom­me sie die­se Krank­heit auch, wenn sie erst in Spa­ni­en sei, sag­te Mar­ga­re­ta, so wol­le sie sich bis da­hin noch recht lus­tig ma­chen. Da­mit war auch Ma­ria ein­ver­stan­den. Die vie­len Ge­schen­ke, die den ho­hen Rei­sen­den un­ter­wegs von Fürs­ten und Städ­ten über­reicht wur­den, die Kost­bar­kei­ten und Hei­lig­tü­mer, die die Erz­her­zo­gin ein­kauf­te, wur­den abends beim Glücks­topf ver­spielt in der Art, dass für die da­heim zu­rück­ge­las­se­nen Kin­der mit ge­setzt wur­de. In Mai­land ge­fiel der Klei­nen nächst den vie­len Kir­chen und Klös­tern ein Floh­thea­ter am bes­ten, und sie lag der Mut­ter mit drin­gen­den Bit­ten an, es ihr zu kau­fen. In­des­sen schlug es ihr Ma­ria ab, weil die lei­di­gen Spa­nier, wenn sie da­hin­ter­kämen, es ihr übel aus­le­gen könn­ten, ob­wohl sie selbst ge­wiss mehr Flö­he, Läu­se und Wan­zen hät­ten als ein Bau­ern­kind auf dem Mis­te.

Gro­ßen Trost fand Ma­ria in der Beglei­tung des Hans Ul­rich von Eg­gen­berg, der, aus ei­ner lu­the­ri­schen, durch Geld­ge­schäf­te reich ge­wor­de­nen Fa­mi­lie stam­mend, sich, seit er er­wach­sen war, zur ka­tho­li­schen Kir­che ge­hal­ten hat­te, kürz­lich vom Kai­ser in den Frei­herrn­stand er­ho­ben und bei der Erz­her­zo­gin und ih­rer gan­zen Fa­mi­lie sehr be­liebt war. Sei­ne of­fe­nen blau­en Au­gen und sein ge­müt­li­ches We­sen ver­sinn­bild­lich­ten ihr un­ter den Frem­den die deut­sche Hei­mat. Wenn sie eine Wei­le mit ihm ge­schwatzt habe, sag­te sie zu ihm, sei ihr zu­mut, als sei sie da­heim im Wal­de spa­ziert und habe Ei­chen und Bu­chen rau­schen hö­ren, und hät­te sie nicht von Zeit zu Zeit eine sol­che Er­qui­ckung, möch­te sie es nicht so lan­ge zwi­schen den stin­ken­den spa­ni­schen Zwie­bel­fel­dern aus­hal­ten. Auch die klei­ne Mar­ga­re­ta sag­te, sie wür­de lie­ber nach Ma­drid rei­sen, wenn Eg­gen­berg noch kein Weib hät­te und Kö­nig von Spa­ni­en wäre; wor­auf Eg­gen­berg er­wi­der­te, er wür­de ihr dann ge­wiss auch so vie­le Flö­he fan­gen, dass die Hof­da­men sich ih­ren Be­darf aus Aran­juez müss­ten kom­men las­sen.

Gleich­zei­tig fand eine an­de­re habs­bur­gi­sche Ver­mäh­lung statt, durch wel­che Fer­di­n­ands Aus­sich­ten einen un­er­war­te­ten Nie­der­schlag er­lit­ten; sein Oheim Al­brecht näm­lich hei­ra­te­te die Prin­zes­sin Isa­bel­la von Spa­ni­en, die ein­zi­ge, we­gen ih­res Ver­stan­des und ih­rer Tüch­tig­keit be­rühm­te Toch­ter Phil­ipps II., die seit so vie­len Jah­ren mit ih­rem Vet­ter Ru­dolf, dem Kai­ser, ver­lobt ge­we­sen war, dass man sich ge­wöhnt hat­te, dies als einen dau­ern­den Zu­stand zu be­trach­ten. Die Ge­schwis­ter ki­cher­ten und war­fen lis­ti­ge Bli­cke auf Fer­di­nand, Leo­pold streck­te ihm hin­ter dem Rücken der Mut­ter die Zun­ge aus. Da er sei­ne Wut an dem jün­ge­ren Bru­der nicht selbst aus­las­sen konn­te, der eine brei­te Brust und star­ke Mus­keln be­kom­men hat­te, mach­te Fer­di­nand die Mut­ter auf­merk­sam, die dann auch mit der Stra­fe nicht zö­ger­te. Ei­nen sol­chen Rü­pel kön­ne sie den Pas­sau­ern nicht als Bi­schof an­bie­ten, fuhr sie Leo­pold an; sie müs­se so von ih­rer ei­ge­nen Fa­mi­lie ge­nug dar­über hö­ren, dass sie alle geist­li­chen Wür­den für ih­ren un­mün­di­gen Bu­ben wol­le. »Ich speie Euch auf den Pas­sau­er Bi­schofs­hut!« sag­te Leo­pold trot­zig, wor­auf er mit ei­nem Ge­bet­bu­che ein­ge­sperrt wur­de, kei­nen an­de­ren Be­such als den des Beicht­va­ters emp­fan­gen durf­te und durch mehr­tä­gi­ges Fas­ten auf die sei­nem Stan­de ge­zie­men­de Sanft­mut her­un­ter­ge­bracht wur­de.

Merk­li­che­re Auf­re­gung und Ver­än­de­rung rief die Nach­richt von der Ver­lo­bung am Hofe zu Prag her­vor. Ru­dolf näm­lich hat­te sich nie ent­schlie­ßen kön­nen, die spa­ni­sche Braut zu hei­ra­ten, aus Scheu vor je­der Fes­sel so­wohl, wie weil ihr fes­ter und ge­bie­ten­der Cha­rak­ter ihm ein un­be­stimm­tes Ge­fühl von al­ler­lei zu neh­men­den Rück­sich­ten ein­flö­ßte, dann auch, weil er das ge­wohn­te Zu­sam­men­le­ben mit ei­ner Frau aus ge­rin­ge­rem Stan­de, die ihm meh­re­re Kin­der ge­bo­ren hat­te und die jede sei­ner Lau­nen und Be­gier­den ge­hen ließ, durch­aus nicht hät­te auf­ge­ben mö­gen. An­de­rer­seits war ihm das Be­wusst­sein wert, die Prin­zes­sin je­den Au­gen­blick heim­füh­ren zu kön­nen, und es schi­en ihm nicht an­ders, als hät­te sie eine fre­vel­haf­te Treu­lo­sig­keit be­gan­gen, sein Bru­der aber sich ein Stück von sei­nem Be­sitz­tum an­ge­eig­net. Der Schmerz wur­de da­durch ver­bit­tert, dass Ru­dolf durch sei­nen Kam­mer­die­ner Mat­kow­sky ei­ni­ge Ein­zel­hei­ten der vom Mi­nis­ter Rumpf ge­führ­ten di­plo­ma­ti­schen Ver­hand­lun­gen er­fuhr, die der Ver­mäh­lung vor­an­ge­gan­gen wa­ren. Rumpf, von wel­chem man wuss­te, dass er das gan­ze Ver­trau­en des Kai­sers be­saß und das Trei­ben am Hofe durch und durch kann­te, hat­te dem spa­ni­schen Ge­sand­ten mit­ge­teilt, von ei­ner Hei­rat mit dem Kai­ser müs­se die Prin­zes­sin gänz­lich ab­se­hen, er kön­ne kei­nen Ent­schluss fas­sen, las­se al­les ge­hen, wie es wol­le, küm­me­re sich nur um sein leib­li­ches Wohl­er­ge­hen und et­li­che Lieb­ha­be­rei­en und sei über­haupt zum Re­gie­ren un­fä­hi­ger als ein ab­ge­rich­te­ter Pu­del.

Ru­dolfs Er­stau­nen über die­se Be­lei­di­gung sei­ner Ma­je­stät ging in einen Zorn über, den er an­fäng­lich nur im Blu­te des Schul­di­gen küh­len zu kön­nen glaub­te, in­des­sen be­schwor ihn Mat­kow­sky selbst, von ei­nem Hoch­ver­ratspro­zess ab­zu­se­hen, der die ver­klei­nern­de Äu­ße­rung des Mi­nis­ters wei­ter­ver­brei­ten wür­de. Dem­nach be­gnüg­te sich Ru­dolf da­mit, den Nichts­ah­nen­den mit al­len Zei­chen der Un­gna­de zu ent­las­sen, so­dass er sich vor Un­ter­gang der schei­nen­den Son­ne aus Prag zu ent­fer­nen habe. Die­se nach­drück­li­che Jus­tiz, die sich nie­mand zu er­klä­ren wuss­te, ver­brei­te­te Schre­cken und un­be­stimm­te Er­war­tung; aber es folg­te zu­nächst nichts als eine große Stil­le. Da für den ge­stürz­ten Mi­nis­ter, durch des­sen Hand alle Ge­schäf­te ge­gan­gen wa­ren, nicht so­gleich ein Er­satz zur Stel­le war, blieb al­les lie­gen; der Kai­ser er­teil­te we­der Au­di­en­zen noch un­ter­zeich­ne­te er Er­las­se und Hand­schrei­ben, und man hät­te glau­ben kön­nen, er sei ge­stor­ben, wenn sich nicht hie und da sein blas­ses Ge­sicht an ei­nem Fens­ter des Schlos­ses ge­zeigt hät­te. Der Böh­me Mat­kow­sky war der ein­zi­ge, den er je­der­zeit gern um sich hat­te, und ihm er­zähl­te er un­ter Trä­nen, wie er seit sei­nen Jüng­lings­jah­ren die Prin­zes­sin Isa­bel­la ge­liebt habe, wie aber ihr Va­ter, Phil­ipp II., sich ge­wei­gert hät­te, ihm das Her­zog­tum Mai­land als Mit­gift zu ge­ben, wor­auf er als Kai­ser und Meh­rer des Reichs hät­te be­ste­hen müs­sen.

Mat­kow­skys wil­li­ges Zu­hö­ren und herz­li­che Rüh­rung ta­ten ihm wohl, so­dass er sei­ner­seits des­sen Be­rich­te gern an­nahm, der, als Böh­mi­scher Bru­der ein ge­wis­sen­haf­ter Be­ken­ner der evan­ge­li­schen Re­li­gi­on, be­teu­er­te, sei­ne Glau­bens­ge­nos­sen blick­ten auf den Kai­ser wie auf ih­ren Hei­land und trü­gen sei­ne Un­gna­de er­ge­ben, wäh­rend er für die Ka­tho­li­ken nur ein Mit­tel wäre, des­sen sie sich be­dien­ten, um zu herr­schen, und des­sen sie sich zu ent­le­di­gen ver­su­chen wür­den, wenn er ih­nen nicht in al­lem zu Wil­len wäre.

Ei­nes Abends be­gab sich der Kai­ser in ein ge­wis­ses Turm­stüb­chen, wo sei­ne Gold­ma­cher und Künst­ler ar­bei­te­ten, un­ter de­nen er sich mit Vor­lie­be auf­zu­hal­ten pfleg­te. Er saß mit halb­ge­schlos­se­nen Au­gen in ei­nem Lehn­stuhl, wäh­rend die Män­ner un­ter sich fort­plau­der­ten, weil sie wuss­ten, dass ihm das an­ge­nehm war. Der Glas­schnei­der Leh­mann und sein Schü­ler Ge­org Schwan­hard wa­ren da­mit be­schäf­tigt, eine An­sicht der Stadt Nürn­berg in einen Po­kal zu schnei­den, ob­wohl die fei­ne Ar­beit beim Ker­zen­lich­te für ihre Au­gen an­stren­gend sein moch­te, ei­ner kne­te­te und misch­te Wachs an ei­ner Flam­me, und ein an­de­rer sor­tier­te einen Hau­fen Edel­stei­ne. Eine Toch­ter des Kai­sers, ein üp­pi­ges blon­des Mäd­chen, saß auf ei­nem Sche­mel ne­ben dem Ofen des Gold­ma­chers und starr­te ver­träumt in die Pfan­ne, wo sein blan­kes Ge­men­ge bro­del­te. Durch ein of­fe­nes Fens­ter ström­ten die Düf­te des Som­mers und der un­end­li­che Ge­sang ei­ner in den di­cken Ge­bü­schen des Burg­gra­bens ver­bor­ge­nen Nach­ti­gall. Meis­ter Via­nen, der dem Fens­ter zu­nächst saß, er­zähl­te halb­laut, dass er sich lan­ge be­müht habe, eine künst­li­che Nach­ti­gall her­zu­stel­len, dass das Vög­lein aus Sil­ber und Schmelz ihm auch nett ge­lun­gen sei, dass aber die Flö­te, die er hin­ein­ge­setzt habe, dem süß­schmet­tern­den Ton des wirk­li­chen Tie­res nicht gleich­ge­kom­men sei, was ihm jetzt be­son­ders auf­fal­le, da er es höre. »Du wä­rest der Herr­gott«, sag­te Kas­par Leh­mann, »wenn du eine le­ben­di­ge Stim­me ma­chen könn­test, die aus ei­nem le­ben­di­gen Her­zen kommt.« Gera­de jetzt wur­de der wohl­lau­ten­de Ge­sang durch ein schril­les Glo­cken­zei­chen un­ter­bro­chen, das den Kai­ser zu­sam­men­fah­ren mach­te; Mat­kow­sky er­klär­te, es kom­me aus dem Ka­pu­zi­ner­klos­ter, das un­ter­halb des Schlos­ses neu er­rich­tet wor­den sei. Zu vie­le Maul­wurfs­hü­gel scha­de­ten dem Fel­de, sag­te Leh­mann lei­se la­chend; aber wenn die Ka­pu­zi­ner auch Bett­ler und Mü­ßig­gän­ger wä­ren, so gin­gen sie doch we­nigs­tens nicht mit Gift und Dolch um wie die Je­sui­ten.

So un­ge­fähr­lich wä­ren die Ka­pu­zi­ner auch nicht, sag­te Mat­kow­sky, er habe von sei­nem Va­ter gräu­li­che Ge­schich­ten dar­über er­zäh­len hö­ren. Zu der Zeit, als in Znaim ein Ka­pu­zi­ner­klos­ter ge­grün­det wor­den sei, habe es sich be­ge­ben, dass der Sohn ei­nes evan­ge­li­schen Rats­herrn, der die­se Grün­dung be­kämpft ge­habt habe, von ei­ner son­der­ba­ren Krank­heit be­fal­len wor­den sei, ge­gen die kein Arzt et­was habe aus­rich­ten kön­nen. All­mäh­lich sei es al­len auf­ge­fal­len, dass der Kran­ke im­mer zu der Zeit von den Krämp­fen heim­ge­sucht wor­den sei, wenn der Chor­ge­sang im neu­en Ka­pu­zi­ner­klos­ter be­gon­nen habe, das dem Hau­se des Rats­herrn be­nach­bart ge­we­sen sei. Die­ser, ein be­herz­ter Mann, habe sich denn ein­mal zur Nacht­zeit in das Klos­ter ge­schli­chen und sei un­ge­se­hen durch den dunklen Kreuz­gang bis an das Chor der Kir­che ge­kom­men. Da wä­ren die Mön­che beim trü­ben Licht ei­nes Lämp­chens un­ter dem Al­tar um ein Wachs­bild ge­hockt und hät­ten mit hoh­ler Stim­me Be­schwö­run­gen ge­sun­gen, und bei ge­wis­sen Stel­len hät­ten sich alle er­ho­ben und mit lan­gen Na­deln in die Fi­gur hin­ein­ge­sto­chen. Nach und nach hät­ten sich die Au­gen des Rats­herrn an die Dun­kel­heit ge­wöhnt, und da hät­te er er­kannt, dass das wäch­ser­ne Bild ihn selbst dar­stel­le, wor­auf ihn an­fäng­lich das Ent­set­zen so ge­lähmt hät­te, dass er sich nicht von der Stel­le hät­te be­we­gen kön­nen, ob­wohl ihm von der An­stren­gung der Schweiß in Bä­chen über die Stir­ne ge­ron­nen sei. End­lich habe ihn ein Stoß­ge­bet frei­ge­macht, so­dass er sich habe ret­ten kön­nen, aber im Lau­fen habe er die höl­li­schen Ka­pu­zi­ner hin­ter sich her klap­pern hö­ren, und zu Hau­se an­ge­kom­men, sei er in Krämp­fe ver­fal­len und stracks ge­stor­ben, nach­dem er noch habe er­zäh­len kön­nen, was ihm be­geg­net sei.

Wäh­rend des Ge­sprächs, das die Er­zäh­lung an­ge­regt hat­te, stand der Kai­ser plötz­lich auf und streck­te mit angst­vol­ler Ge­bär­de den Arm nach dem Fens­ter aus, wor­auf Mat­kow­sky zu ihm eil­te und ihn dicht an das Fens­ter zog in der Mei­nung, Ru­dolf füh­le sich eng­brüs­tig und be­dür­fe fri­scher Luft. Der Kai­ser je­doch wand­te sich voll Schre­cken fort und be­fahl Mat­kow­sky, er sol­le ihn in den so­ge­nann­ten Kai­ser­saal hin­un­ter­füh­ren, der im un­te­ren Ge­schoss lag und wo sei­ne Samm­lung von Kunst­ge­gen­stän­den und Ku­rio­si­tä­ten auf­ge­stellt war. Die Toch­ter, für die der präch­ti­ge Saal, der sich ihr nur sel­ten auf­tat, et­was be­son­ders An­zie­hen­des hat­te, sprang auf und woll­te, sich an den Kai­ser drän­gend, mit­ge­nom­men wer­den; aber er stieß sie von sich und be­fahl ihr, heim­zu­ge­hen und sich zu Bet­te zu le­gen. »Wa­rum ist sie hier?« frag­te er böse. »Ich habe ge­sagt, dass ich das Hu­ren­volk nicht um mich se­hen will.« Un­ten im Saa­le wühl­te er, wäh­rend Mat­kow­sky mit ei­ner Fa­ckel leuch­te­te, un­ter ei­nem Hau­fen von Koral­len, Erz­stücken, Wur­zeln und an­de­ren Selt­sam­kei­ten. Er su­che die Meer­nuss, sag­te er, die der Do­ria ihm kürz­lich zu­ge­schickt habe und die den, der sie bei sich tra­ge, ge­gen Zau­be­rei be­schüt­ze. Mat­kow­sky, der ängst­li­che Bli­cke auf die Schat­ten warf, die von ih­ren Ge­stal­ten auf die wei­ße Wand fie­len, mur­mel­te in­des­sen Ge­be­te und fleh­te den Kai­ser an, ein­zu­stim­men, denn das sei das wirk­sams­te Mit­tel.

End­lich ge­lang es ihm, den Er­schöpf­ten zu Bet­te zu brin­gen; aber am fol­gen­den Abend be­gann die Un­ru­he von Neu­em und so hef­tig, dass er selbst nach ei­nem sei­ner Lei­bärz­te ver­lang­te. Dok­tor Altman­s­tet­ter ver­ord­ne­te dem Kai­ser ohne Be­sin­nen einen star­ken Schlaf­trunk, denn Schlaf sei das ein­zi­ge, was ihm feh­le. Ru­dolf sah ihn er­schreckt an und sag­te: Trin­ken? Er kön­ne ja nicht trin­ken, da ihm der Bauch nach vor­ne und die Brust nach hin­ten ste­he. Ob er es nicht be­merkt habe? Die Ka­pu­zi­ner hät­ten ihn so ver­dreht. »Die Sa­che wol­len wir un­ver­weilt ins rei­ne brin­gen!« sag­te Dok­tor Altman­s­tet­ter la­chend, nahm den Kai­ser um den Leib, dreh­te und roll­te ihn mehr­mals hin und her und stell­te ihn dann fest auf die Bei­ne, in­dem er tri­um­phie­rend aus­rief: »Nun fehlt kein Haar­breit mehr an der recht­mä­ßi­gen Fi­gu­ra­ti­on!« Dann ließ er eine Kan­ne Bier kom­men und trank dem Kai­ser zu, der ihm Be­scheid gab, lus­tig und ge­sprä­chig wur­de und nach kur­z­er Zeit in tie­fen Schlaf fiel. Aber der­sel­be währ­te nicht lan­ge, und am fol­gen­den Abend zeig­ten sich ähn­li­che Er­schei­nun­gen. Zu­wei­len wur­de der Kai­ser zor­nig, weil ohne sein Vor­wis­sen Klös­ter ge­grün­det wür­den, woll­te wis­sen, wer dar­an schuld sei, und droh­te mit Stra­fen, da­mit man er­füh­re, dass er der Herr sei. Dann wie­der zog er Mat­kow­sky in einen Win­kel und frag­te ihn aus, ob die Ka­pu­zi­ner wohl um Geld je­man­den tot­be­ten wür­den oder ob sie sei­nem Bru­der Al­brecht die Man­nes­kraft ab­zau­bern könn­ten, wenn es ih­nen be­foh­len wür­de.

Die Nach­richt von der selt­sa­men Krank­heit des Kai­sers ver­brei­te­te sich bald und gab in der Fa­mi­lie zu sorg­li­chen Be­trach­tun­gen An­lass. Schon längst hat­te man dort ge­wünscht, dass der kin­der­lo­se Mon­arch einen Nach­fol­ger er­nen­ne und wo­mög­lich nach dem Brauch bei Leb­zei­ten zum rö­mi­schen Kö­nig wäh­len las­se, da­mit bei sei­nem all­fäl­li­gen Tode nicht die Evan­ge­li­schen, die, wie man wuss­te, dem habs­bur­gi­schen Hau­se ab­hold wa­ren, die Zwi­schen­zeit für ihre Ab­sich­ten aus­nüt­zen könn­ten. Sie hat­ten in­des­sen doch nicht dar­auf zu drin­gen ge­wagt, weil be­kannt war, dass der Kai­ser Ein­mi­schun­gen sei­ner Brü­der nicht lieb­te, be­son­ders aber durch An­spie­lun­gen auf die Mög­lich­keit sei­nes Ster­bens ge­reizt wur­de. Jetzt je­doch wur­den alle der Mei­nung, dass län­ge­res Zu­war­ten hoch­ge­fähr­lich sei, und na­ment­lich der zu­nächst Be­trof­fe­ne, Matt­hi­as, er­klär­te nach­drück­lich, et­was un­ter­neh­men zu wol­len. In sei­ner Ju­gend war Matt­hi­as ein fröh­li­cher Herr ge­we­sen und hat­te sei­nes äl­te­ren vor­sich­ti­gen Bru­ders Miss­fal­len er­regt, weil er ein we­nig fahr­läs­sig in den Tag hin­ein­leb­te, nur be­dacht, zu Gel­de zu kom­men, um sein plan­lo­ses Da­sein zu be­strei­ten. Die An­läu­fe, die er hie und da nahm, um sei­ne Wür­de gel­tend zu ma­chen, ver­lie­fen stets im San­de und nah­men sich her­nach wie Gril­len aus, die der Be­ach­tung nicht wert wa­ren; im gan­zen war er es zu­frie­den, dem kai­ser­li­chen Bru­der aus dem Wege zu ge­hen. Seit er aber Statt­hal­ter von Ös­ter­reich ge­wor­den war und Khlesl, der Bi­schof von Wien, sich sei­ner be­mäch­tigt hat­te, fing er an die Rol­le des künf­ti­gen Kai­sers zu spie­len, wie sie Khlesl, der aus ei­nem lu­the­ri­schen Wie­ner Bäckers­sohn bei­na­he die ein­fluss­reichs­te Per­son in Ös­ter­reich ge­wor­den war, ihm ein­blies. »Ge­hen Sie nach Prag«, sag­te ihm Khlesl, »und ver­lan­gen Sie vom Kai­ser Au­di­enz. Sie dür­fen sich nicht ab­schre­cken las­sen, wenn er Sie ab­weist, am Ende muss er den Bru­der doch vor­las­sen. Tre­ten Sie dann ehr­er­bie­tig auf, aber fest, im Be­wusst­sein des Rech­tes. Der Kai­ser ist ein Schwäch­ling und hat ein bö­ses Ge­wis­sen, ein red­li­cher Fürst muss leicht mit ihm um­sprin­gen kön­nen.« Auch mit Ver­hal­tungs­maß­re­geln für den Ver­kehr mit dem evan­ge­li­schen böh­mi­schen Adel ver­sah ihn Khlesl. »Die Ket­zer wer­den Ih­nen alle zu­fal­len, denn sie sind nun ein­mal der Mei­nung, Sie gli­chen Ihrem Herrn Va­ter, dem hoch­se­li­gen Kai­ser Ma­xi­mi­li­an, und wä­ren heim­lich den Pro­tes­tan­ten hold. Benüt­zen Sie das ge­trost; denn warum soll­ten Sie aus dem Irr­tum oder der Dumm­heit re­bel­li­scher Un­ter­ta­nen nicht Vor­teil zie­hen? Nur einen schrift­li­chen Ver­trag dür­fen Sie nicht un­ter­zeich­nen und über­haupt in kei­ner Wei­se sich förm­lich bin­den, sonst aber sol­len Sie ge­gen je­der­mann leut­se­lig, kai­ser­lich, will­fäh­rig sein. Kommt es nach­her an­ders, so ist der Khlesl da, der al­les auf sich nimmt. Ich ma­che mir nichts aus ih­rem To­ben; aber ich will nicht ster­ben, be­vor ich nicht die habs­bur­gi­schen Lan­de al­le­samt un­ter das­sel­be ka­tho­li­sche Hüt­lein ge­bracht habe.«

Am liebs­ten wäre Khlesl selbst nach Prag ge­gan­gen, um al­les ein­zu­lei­ten; aber er wuss­te, dass er in dem hus­si­ti­schen Lan­de un­be­liebt war und dass er sei­ner Sa­che scha­den könn­te, wenn er zu früh in den Vor­der­grund trat. So mach­te sich denn Matt­hi­as al­lein auf und setz­te sich mit der spa­ni­schen Par­tei und dem Beicht­va­ter des Kai­sers in Ver­bin­dung. Die­ser, ein be­trieb­sa­mer Mann, der die See­len sei­ner Zög­lin­ge so gut kann­te, wie etwa ein Koch die Ei­gen­heit, Tüch­tig­keit und Ver­wend­bar­keit sei­ner Schüs­seln und Pfan­nen un­ter­schei­det, ging auf die Ab­sich­ten des Matt­hi­as umso ver­ständ­nis­vol­ler ein, als er ein Spa­nier war und Spa­ni­en eben nicht in gu­tem Ver­neh­men mit Ru­dolf stand. Bei nächs­ter Ge­le­gen­heit stell­te er dem Kai­ser sei­ne Pf­licht vor, sei­nen Bru­der Matt­hi­as wie einen Sohn zu lie­ben, was er doch als sein Nach­fol­ger auch dem Her­kom­men ge­mäß sei. Als er das in­ne­re Wi­der­stre­ben des Kai­sers spür­te, mach­te er eine ge­schick­te Wen­dung, sprach miss­bil­li­gend von dem Neid und der Herrsch­be­gier­de des Matt­hi­as und ent­lock­te ihm da­durch am Ende das Zu­ge­ständ­nis, dass er sei­nem Bru­der den Tod wün­sche. Kaum hat­te der Kai­ser die Wor­te aus­ge­spro­chen, als sein Äu­ße­res sich zu ver­än­dern be­gann; sei­ne Au­gen wank­ten ei­ni­ge Au­gen­bli­cke un­s­tet hin und her und hef­te­ten sich dann starr auf den Geist­li­chen, bis sie sich plötz­lich nach oben ver­dreh­ten, sei­ne Arme und Bei­ne durch­fuhr ein Zu­cken. Zu­erst dach­te der Beicht­va­ter, dies sei ein An­fall von Wut oder eine Ma­chi­na­ti­on, um das eben Ge­sag­te als in der Be­sin­nungs­lo­sig­keit von sich ge­ge­ben er­schei­nen zu las­sen oder um wei­te­ren Fra­gen zu ent­ge­hen; aber die ab­scheu­lich ver­zerr­ten Züge und hin und her zu­cken­den Glied­ma­ßen schie­nen doch nicht will­kür­lich her­vor­ge­ru­fen wer­den zu kön­nen, und so rief er denn Arzt und Die­ner­schaft und ver­such­te in­zwi­schen mit Be­ten ge­gen das Teu­fels­werk an­zu­kämp­fen, was da im Spie­le zu sein schi­en.

Nach Ver­lauf ei­ni­ger Wo­chen er­reich­te zwar Matt­hi­as eine Au­di­enz; aber nicht ohne dass er sich zu­vor ver­pflich­tet hat­te, ein von den Rä­ten auf­ge­setz­tes und von sei­nem kai­ser­li­chen Bru­der ge­bil­lig­tes Ge­spräch ein­zu­hal­ten, wel­ches nur die all­ge­mei­nen Fra­gen des bei­der­sei­ti­gen Wohl­er­ge­hens und der ge­gen­sei­ti­gen Ge­neigt­heit be­zie­hungs­wei­se De­vo­ti­on be­rühr­te. Da­ge­gen ver­si­cher­ten die Räte, wel­che be­trächt­li­che Sum­men von Matt­hi­as emp­fan­gen hat­ten, um die Zu­sam­men­kunft zu­we­ge zu brin­gen, sie wür­den die An­ge­le­gen­heit, de­ren hohe Wich­tig­keit of­fen­kun­dig sei, in dienst­wil­li­ge Über­le­gung zie­hen, und zwei­fel­ten nicht, dass der Kai­ser sich wil­lig fin­den las­sen wür­de, das Not­wen­di­ge zu ver­fü­gen; der Erz­her­zog wer­de mit sei­nem fürst­li­chen Ver­stan­de be­grei­fen, dass eine so wei­taus­se­hen­de Sa­che nicht von heu­te auf mor­gen kön­ne ent­schie­den wer­den, son­dern für­sorg­lich und acht­sam von al­len Sei­ten müs­se er­wo­gen wer­den.

Der Dreißigjährige Krieg

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