Читать книгу Invasion der Außerirdischen in Berlin-Mitte - Richard Loewe - Страница 11
Die ›Gruppe 69‹
ОглавлениеBerlin Friedrichshain, 14:00 Uhr – zwei Wochen nach der Invasion
Der Außerirdische war gerade mal ein paar Sekunden zu sehen, trug einen dezenten schwarzen Anzug mit Krawatte und schüttelte Kanzler Strucke nur kurz die Hand. Trotzdem fiel die Reaktion überall gleich aus: Jeder lachte zuerst, woraufhin die Belustigung einer unbestimmten Angst wich. Ein ›Experte‹ erklärte den Zuschauern nachher sofort, warum ein Okosch zwangsweise eine gewisse Furcht erzeugen musste und dass dieses Gefühl vollkommen irrational war. Es handele sich um ureigene Überlebensinstinkte, die in der freien Natur durchaus von Vorteil sein mochten, in einer modernen Gesellschaft hingegen größtenteils fehl am Platz seien. Dem Wissenschaftler hatte man wohl vorgeschrieben, was er zu sagen hatte, denn mit keinem Wort erwähnte er den Grund dafür, dass die Okosch so einen lächerlichen Eindruck machten. Ihre Münder glichen großen Arschrosetten, weshalb sich im Volksmund für sie auch sofort der Name ›Arschköpfe‹ etablierte. Ihr Lächeln, das eine halbe Sekunde lang in der Szene mit Strucke zu sehen war, offenbarte eine Reihe nadelspitzer, scharfer Zähne, die in einem nahezu perfekten Ring angeordnet waren. Ihre Haut war grau und wirkte lederartig, wobei sich Einzelheiten auf Max’ billigen kleinen Flachbildschirm nicht erkennen ließen. An derselben Stelle, an der beim Homo sapiens die Nase saß, öffneten sich im Gesicht eines Okosch drei Nasenlöcher oder Nüstern. Seine weißen Augäpfel waren deutlich größer als die eines Menschen und schienen aus dem Kopf hervorzuquellen. Haare besaßen sie keine, und auf ihrer Glatze prangten unzähliger dunkler, fast schwarzer Flecke, die zumindest im Licht der Kamera an Warzen erinnerten. Auch ihre Hände überwucherten sie, als litten die Geschöpfe an einer Krankheit. Der Rest des Körpers war nicht zu sehen, weil der Okosch im Fernsehen einen ganz gewöhnlichen, menschlichen Geschäftsanzug trug.
So fremdartig sie wirkten, wenn es sich bei dem Okosch, der kurz eingeblendet wurde, um ein typisches Exemplar handelte, dann schienen sie sich von Menschen der Größe und dem Körperbau nach nur wenig zu unterscheiden.
»Schau dir das an!«, rief Tobi aufgeregt, als sich die beiden Hände schüttelnd einen Schritt auf die Kamera zubewegten. »Sie laufen anders!«
Der Körper des Okosch wippte beim Gehen nicht auf und ab, was den Eindruck erzeugte, er schwebe über den Boden. Zu gerne hätte Max einen Blick auf die Füße geworfen, er konnte sich nicht vorstellen, dass der Außerirdische menschliche Schuhe trug, aber leider hielt der Kameramann die beiden in der Halbtotale. Neben seinem unförmigen Kopf schwebte eine silberne Kugel von der Größe einer Wassermelone, die dem Aussehen nach an den Sputnik-Satelliten erinnerte. Auch wenn es nur halb im Bild war, gab es keine Zweifel daran, dass sich dieses Gebilde tatsächlich aus eigener Kraft in der Luft hielt. Fasziniert studierte Tobi das Fluggerät, das leider nach wenigen Sekunden weggeschaltet und von einem Moderator ersetzt wurde, der die vorgefertigte Expertenmeinung einholte.
»Verdammt noch mal!«, fluchte der Physikstudent. »Warum zeigen sie den Typen nicht länger!«
»Sie wollen uns wahrscheinlich erst allmählich an den Anblick gewöhnen«, folgerte Nina und hatte damit wohl recht.
»Sehen wir riesige Ärsche aus«, fand Max wie tausende Bürger der Stadt, und erfand wie viele andere zur gleichen Zeit, ihren Spitznamen: »Wie Arschköpfe.«
»Creeps«, pflichtete ihm Tobi bei und prägte dadurch, ohne sich dessen bewusst zu sein einen zweiten Ausdruck für ihre außerirdischen Besatzer, der bald in aller Leute Munde sein würde.
Nina schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sich die beiden nach allem, was geschehen ist, die Hände schütteln. Dabei haben wir noch nicht einmal erfahren, was im Süden eigentlich vor sich geht! Ganz zu Schweigen vom Rest der Welt ...«
Max paffte nachdenklich an einer dicken Marihuana-Zigarre. Obwohl er sich vorgenommen hatte, sein Material einzuteilen, war er seit einigen Tagen in die uralte Gewohnheit zurückgefallen, aus drei normalen Zigarettenpapieren klassische Joints zu bauen. So spannend sie waren, stressten ihn die Ereignisse wohl doch mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Er fläzte sich in sein bequemes Fernsehpolster und meinte: »Ich finde, dass er ein Verräter ist.«
Nina warf ihm einen anerkennenden Blick zu. Vielleicht hatte sie so viel politisches Engagement von ihm nicht erwartet. Da würde sie sich noch wundern, dachte er sich.
»Das glaube ich auch«, pflichtete sie ihm bei. »Er hat einen Pakt geschlossen und die Verfassung gebrochen.«
Max horchte auf. »Wie meinst du das?«
Nina erklärte ihnen, dass der Gemeinsame Ausschuss, der angeblich die Regierungsgeschäfte führte, an Notstandsgesetze gebunden war, die Bundestag und Bundesrat für solche Fälle geplant hatten. Er hatte aber nicht das Recht, Ämter und Behörden umzustrukturieren und müsste außerdem dafür sorgen, dass möglichst bald eine Übergangsregierung gewählt wurde. Stattdessen hörten sie selbst täglich Durchsagen im Fernsehen, aus denen ganz ohne Zweifel hervorging, dass sie alles umkrempelten, Bundes- und Landesbehörden zusammenführten und anscheinend sogar Teile der Polizei der Bundeswehr unterstellten. Abgesehen davon konnte es nicht erlaubt sein, von Frieden zu sprechen und gleichzeitig den Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten, erklärte sie entrüstet.
»Bist du dir sicher?«, hakte Max nach, dem ihre Argumentation in diesem Fall ein bisschen übertrieben legalistisch vorkam. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass Recht und Gesetz sowieso nichts mehr zu sagen hatten.
»Mit Bestimmtheit weiß das wahrscheinlich keiner«, gestand sie ein, »die Umstände sind ja etwas ungewöhnlich und bin ich keine Verfassungsexpertin. Das ist alles Auslegungssache. Aber wenn ich mich nicht täusche, dann hätten wir sogar das Recht, uns dagegen zu wehren – dafür ist ins Grundgesetz eigens ein Artikel eingebaut worden.«
»Interessant«, meinte ihr Freund und paffte gemütlich an seinem Joint. Diese Einschätzung kam ihm angesichts seines Planes gelegen. Obwohl er nicht der Meinung war, eine juristische Rechtfertigung zu benötigen, konnte es nicht schaden, sich im Notfall darauf berufen zu können. Jedenfalls würde er seiner Freundin beweisen, dass er auch ein Mann der Tat war. Wenn er wollte.
Tobi hingegen interessierte das Grundgesetz herzlich wenig. Ihn faszinierte die schwebende Kugel, die neben dem Okosch zu sehen gewesen war. Wie er ihnen auf die ihm übliche etwas trockene Art darlegte, bestätigte dieses Ding einen Verdacht, der ihm schon bei der spektakulären Bombardierung des Bundestages gekommen war. Allem Anschein nach verfügten ihre neuen außerirdischen ›Freunde‹ über Antigravitation, eine Technik, die es nach menschlichem Wissensstand gar nicht geben konnte. Ausführlich erklärte er ihnen anhand von Schätzungen über die Größe des Raumschiffes, das sie gesehen hatten, dass sich eine solche Masse nicht einfach am Himmel halten ließ, ohne eine Menge Lärm und Hitze zu erzeugen. Es sei denn, man war in der Lage, die Schwerkraft der Erde zu kontrollieren.
»Und was bedeutet das?«, erkundigte sich Nina gelangweilt. Immer lenkten die beiden vom Thema ab, wenn sie auch mal was zu sagen hatte.
Der Physiker verzog unglücklich das Gesicht, als leide er unter Schmerzen, was in gewisser Weise der Wahrheit entsprach. »Das bedeutet, dass ich mir meine Promotion sparen kann. Diese Okosch wissen so viel mehr über Physik als wir, dass es witzlos wäre, im Institut an String-Theorien zu arbeiten, die sowieso nicht stimmen können.«
»Sorry«, meinte Max solidarisch und klopfte ihm auf die Schulter, ohne dass ihm bewusst wurde, dass die Geste eher ironisch wirkte. Als er ihm noch den gut gemeinten Ratschlag gab, sich doch ein anderes Thema zu suchen, rollte Tobi mit den Augen. Wirklich übel nehmen konnte er ihm den Fehltritt trotzdem nicht. Besonders schätzte er an Max nämlich die Tatsache, dass er sich mit ihm im Gegensatz zu seinen Kollegen am Institut fast nie über seine Arbeit unterhielt, die er sowieso nicht verstand. »Leider folgt daraus noch etwas«, fuhr er fort. »Wie ich mir schon gedacht habe, sind wir diesen Außerirdischen hoffnungslos unterlegen. Wer die Gravitation im Griff hat, dem dürften unsere Panzer herzlich egal sein. Da können wir gleich Steinschleudern verwenden.«
»Ach, du übertreibst, mein alter Freund!«, erklärte Max zuversichtlich und schnippte genüsslich die Asche vom Joint. »Kriege gewinnt man nicht durch Gewalt, sondern letztlich durch die Macht des Wortes!«
»So ein Quatsch! Keine Kultur kann sich gegen so überlegene Eroberer behaupten. Wie viel ist vom Reich der Inkas übrig geblieben? Oder wie, glaubst du, ist es den Indianern in Nordamerika gegangen? Schon Hawking hat davor gewarnt, dass wir den Kontakt mit Außerirdischen nicht überstehen würden, die uns technisch weit voraus sind – nicht einmal, wenn sie es gut mit uns meinen!«
»Es gibt noch Indianer-Reservate«, wandte Max ein, bevor ihm klar wurde, was das auf ihre gegenwärtige Lage übertragen bedeutete.