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Die Invasion[Fußnote 1]

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Berlin-Friedrichshain, 11:37 Uhr – Tag der Invasion

Max legte eine neue Scheibe auf. Er liebte das Geräusch, wenn sich die Nadel auf das Vinyl senkte und in die Platte kratzte. Seine Freunde mochten ihn für noch so antiquiert halten, aber keine kalte CD und kein blasses MP3 aus seiner Sammlung machten ihm ebenso viel Freude wie sein guter, alter Thorens-Plattenspieler. Er ließ sich in einen Sessel fallen, schob sich die Dreadlocks aus dem Gesicht, und lauschte einige Minuten den vertrauten Klängen. Dann, fand er, war es an der Zeit für einen Joint, den er sich aus purem Gras wie eine normale Zigarette drehte. Tausendmal schon hatte Nina ihm zu erklären versucht, dass Marihuana genauso gefährlich wie Tabak war, wenn man es inhalierte. Sie hatte ja keine Ahnung, was für giftiges Zeugs in handelsüblichen Tabakwaren zu finden war! Nicht, dass er selbst wirklich in der Lage gewesen wäre, die Inhaltsstoffe aufzuzählen. Wie dem auch sein mochte, jedenfalls hatte er vor langer Zeit beschlossen, aus gesundheitlichen Gründen beim altbewährten, biologisch-dynamisch in Holland großgezogenen Gras zu bleiben. Schließlich lebte man ja nur einmal – falls man nicht gerade wie Nina an Reinkarnation glaubte.

Er wandte sich seinem Computer zu. Es galt, etwas Sinnvolles zu tun und sich endlich an diesen verflixten Aufsatz zu Flussläufen in Papua Neuguinea machen. Er warf den Browser an, aber das blöde Ding zeigte einen Fehler ›404 - Page not found‹ an. Dann wohl doch keine Hausarbeit! Wenn er ehrlich sein sollte, verdiente er als DJ ausreichend Kohle, um über die Runden zu kommen, und schien zur Wissenschaft sowieso nicht allzu viel zu taugen. Übermäßig Arbeit und vor allem schrecklich viel Mathematik. Selbst mit Tobis Hilfe war er nur mit Mühe durch einige Prüfungen gekommen, dabei stand er erst am Anfang seines Geografiestudiums. Wer hätte gedacht, dass man sich in diesem Fach mit Projektionsmethoden und Physik beschäftigen musste? ›Wahrscheinlich jeder, der sich vorm Einschreiben mal informiert hätte‹, beantwortete er die Frage selbst und kicherte in sich hinein. Egal, das Internet funktionierte sowieso nicht. Eigentlich eine Sauerei, schließlich zahlte er dafür. Er griff zum Telefon. Man durfte ja wohl erwarten, dass eine teure 24/7 Flatrate auch vierundzwanzig Stunden am Tag lief! Statt bei seinem Provider anzurufen, wo man ihn in eine endlose Warteschleife gesteckt hätte, wählte er jedoch ganz automatisch Tobis Nummer. Wäre doch gelacht, wenn sich der alte Stubenhocker nicht zu einem kleinen Team-Deathmatch in ihrem Lieblingsshooter herausfordern ließe, oder, was noch besser wäre, sie könnten sich zu einem gemeinsamen Bierchen treffen. Immer schwerer wurde es, den Physikus zu überreden, mal von der Doktorarbeit abzulassen und an was Alltägliches zu denken. Von den vielen Zahlen und Formeln musste ihm ja schon der Kopf schwirren!

Max wählte und nichts geschah. Er prüfte den Akku und den Netzwerkindikator, aber beide Anzeigen standen auf voll. Da bemerkte er auf dem Display die Nachricht ›Netzwerk überlastet‹. Er runzelte die Stirn. Was zum Geier konnte an einem Werktag um elf Uhr morgens so wichtig sein, dass alle gleichzeitig telefonieren wollten? War die Love-Parade wieder nach Berlin gekommen? Gab es die Love-Parade überhaupt noch? Er glaubte, sich vage zu erinnern, dass sie schon vor unendlich langer Zeit abgeschafft worden war. Fand heute etwa ein Berlinmarathon statt? Karneval der Kulturen? Christopher Street Day? Er hatte keine Ahnung und wischte die mühseligen Spekulationen beiseite. Dann rief er seinen Freund eben später an, zumal sich dadurch die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöhte, dass er den erfolgreichen Doktoranden tatsächlich zu einem Bierchen oder Pfeifchen überreden konnte. Tobi war immer so unglaublich um sein Hirn besorgt, dabei würde ihm ein bisschen mehr Dummheit gar nicht schaden.

Eine Welle von Hunger erfasste Max mit einem Mal. Kein Wunder, er hatte noch nicht gefrühstückt. Aus unerfindlichen Gründen bekam er Lust auf ein Glas Orangensaft und eine Salamipizza. Angesichts der Tatsache, dass in seinem Kühlschrank gähnende Leere herrschte, beschloss er kurzerhand, im Laden um die Ecke eben diese Waren käuflich zu erwerben. Der Spätkauf war ziemlich teuer und es war auch ganz und gar nicht spät, aber er unterstützte den örtlichen Einzelhandel – vor allem, wenn er wirklich gleich eine Straße weiter zu finden war und man gelegentlich anschreiben lassen konnte.

Wie fast jeden Tag im gefürchteten Berliner Winter bedeckte eine undurchdringliche Schicht Wolken den Himmel, als habe jemand eine große, ungewaschene, heftig beschlagene und grau angeschimmelte Käseglocke über die Stadt gestülpt. Max konnte dieses Wetter nicht ausstehen, weshalb er in dieser unwirtlichen Jahreszeit oft lange verreiste. Unter dem Vorwand eines Geografiestudiums ließen sich selbst ausgedehnte Exkursionen nach Indonesien oder Neuseeland rechtfertigen. Diesmal hatten seine bescheidenen Geldreserven zu seinem Leidwesen allerdings nur zu einer Art Skiurlaub in Kroatien gereicht und waren nun vollständig erschöpft. Er würde wochenlang in Klubs auflegen müssen, bevor er sich wieder aus dem Staub machen konnte. Eine zweite Reise nach Indien stand ganz oben auf der Liste, aber leider hatte es sich Nina in den Kopf gesetzt, unbedingt Neukaledonien zu besuchen, was sein Budget entschieden überschreiten dürfte.

Auf dem Weg zum Spätkauf schlenderte ihm Tobi entgegen, der zu ihm den geradezu perfekten Kontrapunkt setzte, seit er mit seiner Doktorarbeit begonnen hatte. Max trug eine dreckige Jeans, Turnschuhe, eine grüne Parka mit dem aufgenähten Wappen von Jamaika und einer Piratenflagge als Schulterabzeichen und darunter ein für diese Jahreszeit viel zu leichtes weißes T-Shirt mit der Aufschrift ›Fuck that shit‹. Tobi hingegen bevorzugte neuerdings gepflegte schwarz lackierte Halbschuhe, dunkle Bundfaltenhosen, ein dezent rot-grün kariertes Hemd und darüber einen dunkelgrünen Pollunder. Ein spießiger, halblanger Wintermantel rundete das Bild ab. Max fielen die langen, dunkelblonden Rastalocken weit über die Schultern, während Tobis kurze schwarze Haare allmählich einer Stirnglatze wichen. Trotz der äußerlichen Gegensätze waren sie beste Freunde, und überhaupt kleidete sich Tobi erst seit einiger Zeit auf solche Weise. Er hielt Tutorien und wollte nach der Promotion eine Postdocstelle ergattern, da war es seinen Erklärungen zufolge nicht mehr angebracht mit T-Shirts herumzulaufen, auf denen die Namen von Computerspielen oder Sprüche wie ›Fuck that shit‹ zu lesen waren. Ein gewisses Verständnis hatte Max dafür, wenn er auch fand, dass sein Freund es übertrieb.

»Yeah, Mann, ich hab versucht dich anzurufen, aber das Telefon hat nicht funktioniert«, begrüßte er ihn und hob dabei lässig den Arm. ›Eigentlich ziemlich genau der ungenaue Hitlergruß, wie ihn Hitler selber gemacht hatte‹, fuhr ihm mit einer gewissen Belustigung durch den Kopf.

»Lebst du hinterm Mond?«, rief ihm Tobi entgegen. »Nichts geht mehr!«

»Jep, Internet ist auch kaputt. Hör zu, ich will gerade zum Spätkauf –«

»Es ist noch nicht mal zwölf«, unterbrach ihn sein Freund, der immer alles schrecklich genau nahm.

»Dann eben zum Frühkauf. Ich will frühstücken.«

»Ja, Mann, du bist nicht der Einzige, der einkaufen ist«, merkte der Physiker mit der ihm üblichen Ironie in der Stimme an, und tatsächlich hatte er mal wieder recht: Vor dem Laden an der Ecke hatte sich eine lange Schlange gebildet.

»Ist heute Christopher Street Day? Karneval der Kulturen? Oder gibt es bei Knolle irgendwas gratis?«

»Schau dich mal um, sieht das so aus? Kommt dir nichts merkwürdig vor?«

Max’ Blick schweifte über die Menschentrauben auf den Straßen und er sah sich gezwungen, seinem Freund schon wieder recht geben. Jetzt, da Tobi seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung gelenkt hatte, nahmen seine vom Marihuana geschärften Sinne unzweifelhaft wahr, dass im Viertel Eigenartiges vor sich ging. Menschen standen auf den Gehsteigen und unterhielten sich, manche flüsterten verhalten, andere stritten sich lautstark, und eine Reihe alteingesessener Berliner Familien packten hastig allen möglichen Krempel, Koffer und große Plastiktüten, in ihre Autos. Familienväter schleppten Kanister mit Wasser und schwere Einkäufen nach Hause. Ein etwa fünfzig Jahre alter Mann hatte eine Schubkarre vollgepackt, die an jedem Bordstein umzukippen drohte. Ehepaare zankten miteinander vor ihren Kindern, und alle schienen sie es irgendwie eilig zu haben. Auch die Straßen waren ungewöhnlich voll, normalerweise waren die meisten zu dieser Stunde längst auf Arbeit, heute hingegen herrschten Stau und Chaos, als hätten die Einwohner der Stadt in stillschweigender Übereinkunft beschlossen, gleichzeitig an- und abzureisen.

»Die Schulferien?«, murmelte Max unsicher. Eigentlich sah das Ganze eher aus, als erwarteten seine Nachbarn die Sintflut, und es stieg in ihm das Gefühl hoch, mal wieder ein spannendes Großereignis verpasst zu haben.

»Quatsch Ferienbeginn!«, mokierte sich Tobi. »Es sind keine Ferien.«

Max zuckte mit den Schultern und reihte sich in die Schlange zu Knolles Geschäft ein. »Du weißt doch irgendwas, also spann mich nicht auf die Folter! Was ist los?«

»Ich weiß nicht mehr, als jeder andere. Es stimmt was nicht. Fernsehen, Radio, Internet, und Telefon sind ausgefallen – alle gleichzeitig.«

»Hm, Stromausfall?«, tippte Max auf gut Glück.

»Der Strom funktioniert doch! Keiner hat eine Ahnung, was passiert ist, aber die Menschen glauben, dass es was Schlimmes sein muss.«

Kaum hatte der Physiker den Satz beendet, sprang Max vom Randstein aus ein älterer Mann mit weißen Haaren an die Kehle, packte den Kragen seiner Parka, und schüttelte ihn. »Das ist die Apokalypse! Der Untergang ist nahe!«

»Für dich vielleicht«, erwiderte der Rastamann, wandte sich geschickt aus dem Griff, was er bei Demonstrationen gelernt hatte, und stieß ihn von sich. Bei einem gemütlichen Bier oder einem Joint zugequatscht zu werden störte ihn nicht, aber er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihn von der Seite anfiel. Schon gar nicht, wenn er bekifft war.

Ein Polizeiauto schlich an ihnen vorbei. Es passte gerade zwischen die Kolonne von Autos und den Bürgersteig und fuhr in dem berufstypischen Schritttempo. Wer Gutes im Schilde führte, kroch doch nicht im Schneckentempo durch die Straßen! Außerdem war es seiner Meinung nach unmöglich, ohne Änderungen am Getriebe so langsam zu fahren. Die Sirene des Blaulichtfahrzeuges heulte laut auf und eine unverständliche Lautsprecherdurchsage folgte, die wohl ›Der rote Toyota da vorne in die Spur zurückscheren‹ bedeuten sollte, aber wirklich nur als ›Da Rotentoita davon Indie-Spurz scheren‹ aus dem Lautsprecher kam.

»Können die keine Musik auflegen, um die Menschen zu beruhigen? Man könnte meinen, das sei das Ende der Welt. Dabei ist doch bloß das Internet ausgefallen!«

»Das ist für mich das Gleiche«, erklärte Tobi und spielte damit auf seine ausgeprägte Netz-Sucht an, die ihn anscheinend nicht davon abhielt, nebenbei noch eine Doktorarbeit in theoretischer Physik zu schreiben.

Keiner hatte eine Ahnung, wie Knolle eigentlich hieß. Sie nannten ihn einfach nur so wegen seiner Nase, die Erinnerungen an alte französische Filme mit Jean Gabin weckte. Der Mann war ein Urgestein aus dem Osten, nicht zugezogen wie fast alle anderen im Bezirk, und stand zu jeder Tages- und Nachtzeit im Laden hinter dem Tresen, als gehöre er zum unverrückbaren Inventar. Er schien niemals zu schlafen. Dazu fehlte ihm wohl die Zeit, erfüllte er im Viertel doch viele lebenswichtige Funktionen: Nicht nur versorgte er sämtliche Alkoholiker von Friedrichshain mit Stoff, er war auch für die Ernährung unzähliger Einwohner zuständig, die entweder nicht in der Lage oder wie Max nicht gewillt waren, bis zum nächsten Supermarkt zu laufen.

»Was darf’s denn sein?«, erkundigte er sich mit einem immer gleichen, leicht spöttischen Unterton in der Stimme, der neben der Nase ebenfalls zu seinen Markenzeichen gehörte. Max schob eine Tiefkühlpizza und eine Tüte Saft über den Tresen. »Wollt ihr nicht noch ein bisschen Wasser kaufen?«, fragte Knolle nach. »Wird bald alle sein.«

»Vielleicht sollten wir tatsächlich –«, setzte Tobi an, doch sein Freund unterbrach ihn: »Brauchen wir nicht. Haben Sie ne Ahnung, was los ist?«

»Atomkrieg«, erklärte der Geschäftsmann beiläufig, als sprächen sie übers Wetter. Mit seinen rot geränderten, wässrigen Augen erinnerte er ihn immer an einen Grottenolm. Ob er jemals die Gegend außerhalb seines Geschäftes bei Tageslicht gesehen hatte? Er kam so nahe, dass Max seinen Atem spürte, und flüsterte: »Deshalb hamstern die Leute so viel. Werd den Laden bald dicht machen. Letzte Chance, noch Wasser und Batterien zu kaufen.«

Max schob einen Zehneuroschein über die Theke. »Atomkrieg? So ein Schwachsinn!«

»Oder ein Terrorattentat«, ergänzte Knolle. »Jedenfalls was Schlimmes, sagen die Leute.«

Sie verließen das Geschäft mit zwei Sechserpacken Bier, das sich Max zufolge bestens als Ersatz für Wasser eignen würde, und einigen eingeschweißten Batterien, auf die Tobi bestanden hatte. Keiner von ihnen glaubte den Gerüchten, aber man wusste ja nie. Vielleicht gab es irgendwo in der Nähe eine Havarie in irgendwelchen Verteilerstationen, ein Brand etwa, und da mochte bei den Aufräumarbeiten durchaus auch noch der Strom ausfallen.

Die Sirene eines Polizeiautos schreckte sie auf, als sie den Laden verließen. Auf breitem Berlinerisch ertönte wieder eine Lautsprecherdurchsage: »Bleiben sie zu Hause in ihren Wohnungen, die Straßen sin’ dicht. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung und wir wissen och nüscht mehr.«

»Was für ein Schwachsinn!«, regte sich Tobi auf, der schon immer ein Faible für scheinbare Nebensächlichkeiten gehabt hatte. »Wie können die sagen, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, wenn sie selbst keine Ahnung haben, was los ist?«

Im Hausflur erwartete sie Nina. Die zierliche blonde Studentin sprang auf, als die beiden eintraten, und fiel Max in die Arme, als habe er sie gerade aus einer Burg befreit. Diese Stimmung mochte er an ihr am liebsten. Leider war sie in letzter Zeit häufiger in einer Laune, die er im Stillen für sich als ›Nervmeckerei‹ bezeichnete.

»Max, was bin ich froh, dass du da bist!«, keuchte sie, als sei er ohne sie für ein paar Monate in den Urlaub gefahren. Dabei konnten die Einkäufe nicht länger als zehn Minuten gedauert haben. »Meine Nachbarn behaupten, dass die Chinesen in Süddeutschland einmarschiert sind!«

»Unwahrscheinlich.«

»Genau, so ein Quatsch!«, bestätigte sie mit heftigem Kopfnicken. »Aber irgendwas muss passiert sein!«

»Vielleicht geht’s Fernsehen wieder.«

Er schob die Pizza in den Ofen und sie machten es sich gemeinsam in dem geräumigen Zimmer bequem. Für eine lächerliche Miete von 412 Euro kalt war seine Dachgeschosswohnung der pure Luxus. Sie bestand aus einer kleinen, stets unaufgeräumten Küche und zwei hellen Räumen mit abgeschliffenen Holzdielen, die ein breiter Durchgang miteinander verband, aus dem er die Tür herausgenommen hatte. Mit dem Schwingschleifer hatte er sie eigenhändig bearbeitet und lackiert, und verwandte sie seither als riesigen Schreibtisch, an dem allerdings nicht allzu viel geschrieben wurde. Kartons und ein großer Aschenbecher, sowie eine offene Tüte mit Gras, und ein paar Bücher über die Regenwälder Papua Neuguineas befanden sich darauf, die er längst wieder in die Staatsbibliothek hätte bringen müssen. Ihm schauderte vor den Mahngebühren. Aber wie sollte er sie zurückbringen, wenn man ihn dort mittlerweile zur Persona non grata erklärt hatte? Bei seinen Gästen beliebter war ohnehin die Sitzecke, die aus einigen alten Polstern und einem mit Sand gefüllten Fernsehkissen bestand. Eine Yuccapalme, eine falsch gestimmte Sitar aus Indien, und eine afrikanische Bongo-Trommel, auf der zufälligerweise auch genau ein Teller mit Pizza Platz fand, sorgten zusammen mit einem Ikearegal der Marke ›Ivar‹, in dem sich Bücher und Kisten mit Dias ohne jedes Sortiersystem stapelten, für eine behagliche Wohnatmosphäre. Besonders ins Auge fiel Besuchern die Plattensammlung, die sich über zwei Reihen an der Wand entlang bis in das kleinere Schlafzimmer erstreckte. Die geliebten Scheiben waren verdammt schwer und ruhten daher auf massiven Brettern, deren Metallhalterungen Max persönlich verdübelt hatte. Die meisten käuflichen Regale wären unter der Last zusammengebrochen.

Nina und Tobi lümmelten bereits erwartungsvoll auf den Polstern wie bei einem DVD-Abend, als er den Fernseher anschaltete und ein altertümliches Testbild erschien. Darunter lief der Text ›technische Störung – wir bitten um Geduld‹ und es erklang ein klassisches Pausenfüllerlied, das Max als DJ sofort erkannte.[Fußnote 2]

»Bei der Musik bekomme ich auch langsam Angst«, kommentierte Tobi die Musikauswahl.

Sie teilten sich die Pizza, Max stellte den Ton leise und legte stattdessen eine seiner Lieblingsscheiben auf,[Fußnote 3] und dazu gab es einen kräftigen Joint. Dann sahen sie sich auf seinem PC einen Kinofilm an, den er schon Wochen zuvor aus dem Internet gezogen hatte,[Fußnote 4] und schliefen, vom starken Marihuana ermattet, auf den bequemen Polstern ein.

Als Max erwachte, war der Bildschirm schwarz, obwohl er eigentlich das Ende des Films hätte anzeigen sollen. Er prüfte den Strom, aber das grüne Licht des Monitors leuchtete. ›Der Bildschirmschoner‹, dachte er sich und rüttelte an der Maus herum. Nichts tat sich. Also weckte er Tobi, der sich schläfrig die Augen rieb.

»Mann, das Zeug war stark«, murmelte der Physiker. »Ich kann mich kaum an den Film erinnern. Hätte nicht mitrauchen sollen.«

»Du verträgst nichts mehr, weil du zu viel vor deinen Gleichungen hockst«, konterte Max und wies auf den dunklen Bildschirm. »Der Monitor hat seinen Geist aufgegeben. Kannst du dir den mal anschauen?«

Abgesehen davon, dass er ihn zu seinen besten Freunden zählte, war Tobi nebenbei noch sein unersetzlicher Techniker, der einfach alles und jedes Gerät reparieren konnte. Zu Hause bei sich lötete er sogar Bauteile aus den Platinen aus und setzte neue wieder ein, was heutzutage fast niemand mehr beherrschte. Ihm zufolge lag das daran, dass er zuerst Elektrotechnik studiert hatte und später in die Experimentalphysik und von dort in die theoretische ›geraten‹ war. Max fand, das konnte nur einen kleinen Teil der Erklärung ausmachen. Da musste auch etwas wie Magie im Spiel sein. Diesmal jedoch gab der Student ungewöhnlicherweise schon nach kurzer Zeit auf.

»Komisch, die Graka[Fußnote 5] kann’s nicht sein«, murmelte er. »Der Monitor funktioniert, aber sogar das BIOS kommt nicht mehr hoch. Sieht nach Hardware-Versagen aus.«

»Scheiße, ich habe meine ganzen Sachen drauf und muss bald eine Hausarbeit abgeben.«

Der Physiker bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Ohne Sicherheitskopie?«

Max schob sich eine Dreadlock aus dem Gesicht, dachte angestrengt nach und schüttelte den Kopf. Vor ein paar Monaten hatte er einmal ein Back-up gezogen – nicht viel hatte sich seitdem getan, aber das Wenige, das er geschrieben hatte, fand sich nicht auf der DVD. Tobi versprach ihm, sich den Rechner mit einigen Geräten aus seinem Hobby-Labor noch mal anzusehen, die er von Zuhause holen wollte. Sie verabredeten sich für später und er machte sich auf den Weg. Auf ihn war stets Verlass! Um die Zeit zu überbücken, drehte sich Max einen neuen Joint und gesellte sich dann zu seiner munter schnarchenden Freundin aufs Polster.

Invasion der Außerirdischen in Berlin-Mitte

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