Читать книгу Invasion der Außerirdischen in Berlin-Mitte - Richard Loewe - Страница 9
ОглавлениеDie halbe Wahrheit
Berlin Friedrichshain, 13:12 Uhr – Tag 3 nach der Invasion
Solange Strom aus der Steckdose kam, ließen sie das Fernsehgerät mit abgeschaltetem Ton ununterbrochen laufen, obwohl immer nur das Testbild des SFB oder die Katastrophendurchsage gezeigt wurden. Als ohne Vorwarnung plötzlich ein alter Schwarz-Weiß-Film über den Bildschirm flimmerte, saßen die drei Freunde wie gebannt davor und versuchten, dem Streifen irgendwelche geheimen Botschaften zu entnehmen. Max hatte den Vormittag damit verbracht, die Fenster im Schlafzimmer mit Folie zu verkleben, und sie teilten sich zwei Packungen Miracoli zum Mittagessen.
Er kannte die Musik und Nina fiel der Name des Filmes ein: Alexis Sorba, ein alter Tanzfilm, der in Griechenland spielte. Ein eigener Tanz war damals dafür erfunden worden, der Sirtaki, den es zuvor nicht gegeben hatte – schon gar nicht in Griechenland! Jetzt gehörte er in gewisser Weise zum nationalen Kulturgut des Landes. Nachdem Max’ Freundin diese Fakten wieder eingefallen waren, rätselten die Freunde, warum die Leute vom Fernsehen ausgerechnet diesen Streifen zeigten. Wo blieben die Nachrichten über den Krieg und was auch immer sonst in der Welt los war? Nach einigen Diskussionen kamen sie zu dem Schluss, dass der Film mehr oder weniger zufällig ausgewählt worden war und keine verschlüsselten, geheimen Botschaften enthielt, wie Tobi mit seiner lebhaften Fantasie anfangs angenommen hatte. So nüchtern er sein mochte, solange es um theoretische Physik oder Religion ging, desto mehr ließ er sich bei anderen Themen von Spekulationen überwältigen, und Max pflegte ihn auch nicht gerade davon abzuhalten. Kryptografie und Steganografie gehörten zu des Physikers Steckenpferden und er kannte sich auch mit Verschwörungstheorien bestens aus. Aber in diesem Fall musste auch er eingestehen, dass der Techniker wohl rein zufällig eine Kopie des Filmes im passenden Format zur Hand gehabt hatte. Sie wussten nicht einmal, ob das Bild in Farbe gesendet wurde – der alte Streifen war in Schwarz-Weiß gedreht. Das Ganze musste improvisiert sein, ein Notbehelf oder ein technischer Test, denn sonst hätten sie längst Nachrichten gebracht. Die übrigen Kanäle strahlten entweder genau die gleiche Sendung aus oder zeigten nichts als weißes Rauschen.
Etwa zur Hälfte des Filmes, der angesichts der Umstände eher langweilte und ziemlich fehl am Platz wirkte, belohnte sie ein Lauftext für ihre Mühe, der über den Bildschirm wanderte und besagte: »Alles ist unter Kontrolle und das Schlimmste überstanden. Bewahren sie Ruhe! Um 15:00 Uhr MEZ folgt eine Ansprache des Bundeskanzlers zur Lage der Nation.«
Selbst unter stärkstem Drogeneinfluss hatte Max die Zeit selten so langsam ablaufen sehen. Um so erfreulicher war es, dass der Film noch vor seinem Ende abgebrochen wurde. An seiner Stelle erschien das Innere eines Fernsehstudios, in dessen Mitte ein hölzerner Schreibtisch stand. Mitarbeiter huschten durchs Bild, jemand stellte eine Vase mit Blumen vor die Kamera, was ihn aus Gründen, die ihm selbst nicht ganz klar waren, köstlich amüsierte, und der Lauftext änderte sich: »Wir bitten, die Unterbrechung zu entschuldigen. Aus gegebenen Anlass spricht der Bundeskanzler um 15:00 Uhr MEZ zur Lage der Nation. Der Spielfilm ›Alexis Sorbas‹ wird nach der Ansprache fortgesetzt. Vielen Dank für ihr Verständnis.«
»Wie beknackt ist das denn!«, rief der Rastamann. »Was bin ich froh, dass ich jahrelang meine GEZ-Gebühren nicht gezahlt habe!«
»Ohne die könntest du jetzt die Ansage nicht hören«, erwiderte Nina, die allerdings selbst nur für ein Radio geblecht hatte, solange Betrug noch möglich gewesen war. Inzwischen kassierten sie ja längst bei jedem ab, wie es ihnen passte.
»Erst mal sehen, was sie uns zu sagen haben ...«
Max’ Skepsis sollte sich bald als berechtigt herausstellen, als nämlich die Kamera wegschwenkte und eine Tafel gezeigt wurde, auf der in neutralen, schwarzen Buchstaben stand: »Es spricht: Bundeskanzler Prof. Dr. Bernhard Strucke zur Lage der Nation«
»Bernhard Strucke?«, riefen sie alle drei fast gleichzeitig. Max war trotz seines aktivistischen Erscheinungsbildes im Grunde genommen ein ausgesprochen unpolitischer Mensch, aber er war sich ganz sicher, dass noch vor wenigen Tagen der Bundeskanzler einen anderen Namen getragen hatte. Prompt blinzelte ihnen Bernhard Strucke mit ernster Mine aus dem Fernseher zu, und begann seine ›historische‹ Ansprache:
»Liebe Freunde, liebe Mitbürger, Männer und Frauen in diesem unseren Land, der Bundesrepublik Deutschland! Ich spreche zu ihnen in dieser schweren, ja vielleicht schwersten Stunde, die wir je gesehen haben. Durch großes Glück und Gottes schützende Hand habe ich die Wirrungen der letzten Tage überstanden. Als einziges überlebendes Mitglied der Bundesregierung bin ich trotz der schwierigen Umstände –«
»Was für Umstände denn genau?«, rief Max dazwischen. »Das soll er uns erklären!«
»Pst!«, fuhr ihn Nina an, die kein Wort verpassen wollte.
»... meiner demokratischen Verantwortung nachgekommen und habe mich zur Wahl gestellt. Heute um 11:30 Uhr bin ich von den 17 verbleibenden Mitgliedern des Gemeinsamen Ausschusses, der gemäß Grundgesetz Artikel 20, Absatz 4 bereits gestern tätig geworden ist, zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. In dieser Funktion möchte ich ihnen, meinen lieben Freunden und Mitbürgern, nun die tragischen Geschehnisse der vergangenen beiden Tage schildern.
Nach einem groß angelegten Angriff auf unsere Informationssysteme haben gegen 8:30 Uhr gestern Morgen verschiedene Teile von Bundeswehr, Zivilschutz und weiterer Behörden unabhängig voneinander nach Artikel 115a, Absatz 4 des Grundgesetzes den Verteidigungsfall festgestellt. Gemeinsam haben die Bundeswehr und die zuständigen Stellen des Bundes und der Länder den unbekannten Angreifern allen nur erdenklichen Widerstand entgegengesetzt. Trotz heldenhafter Einsätze und zahlreicher tragischer Verluste ist es ihnen jedoch letztlich nicht gelungen, den Angriff abzuwehren. Unzählige Opfer hat der kurze, doch heftige Kampf um unsere Freiheit gekostet. Mit unvorstellbarem Bedauern, mit Wut und großer Trauer, teile ich ihnen mit, dass wir nunmehr wissen, dass seit gestern Abend auch die meisten Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates gefallen sind.
Angesichts der überwältigenden Übermacht unserer Gegner habe ich mich schweren Herzens entschlossen, als erste Amtshandlung nach meiner Wahl zum Bundeskanzler um 11:45 Uhr des heutigen Tages die bedingungslose Kapitulation anzubieten, um weiteres sinnloses Blutvergießen zu verhindern und die Einheit und Integrität der Bundesrepublik Deutschland zu wahren. Ich möchte betonen, dass diese Entscheidung mit dem uneingeschränkten Einverständnis sämtlicher Mitglieder der Gemeinsamen Ausschusses gefallen ist. Es ist uns gelungen, in Kontakt mit den Aggressoren zu treten, die das Angebot angenommen haben. Die Kampfhandlungen sind abgeschlossen. Es gilt jedoch weiterhin der Verteidigungsnotstand, bis sich die Lage normalisiert hat.
Ich fordere hiermit Kraft meines Amtes alle noch aktiven Kampfverbände von Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und anderen Bundes- und Landesbehörden, sowie auch alle Zivilisten, die in Kämpfe verwickelt sind, eindrücklich auf, die Waffen niederzulegen! Weiteres Blutvergießen wäre zu diesem Zeitpunkt sinnlos und kontraproduktiv.
Trotz der tragischen Ereignisse, die uns alle so entsetzt haben, trotz der vielen Opfer, die wir in den letzten Tagen erbracht haben, können und müssen wir unsere Lage auch als eine historische Chance verstehen. Was manche von ihnen sicher schon vermutet haben, ist nun zur Gewissheit geworden: Die Menschheit ist im Weltall nicht alleine! Eine außerirdische Zivilisation namens ›Okosch Illut‹ hat uns angegriffen, doch bitte ich sie inständig, nicht zu voreiligen Schlussfolgerungen zu kommen. Wir müssen jetzt, in dieser tragischen Stunde, nach vorne sehen und uns mit unserer neuen Stellung im Universum auseinandersetzen! Wir müssen aus der Besatzung durch die Okosch – und um nichts anderes handelt es sich hier, da will ich nicht drum herumreden – das Beste machen, wenn wir uns auch unsere gegenwärtige Lage nicht ausgesucht haben.
Noch einmal: Ich bitte sie, ihren Vorurteilen keinen freien Lauf zu lassen, sondern mit Ruhe und Besonnenheit die Chancen und Möglichkeiten zu erwägen, und realistisch zu bleiben, statt sich dem Sturm der Gefühle hinzugeben. Wir sind im Weltall nicht alleine. Wir sind zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit auf eine außerirdische Zivilisation gestoßen. Nach einem schweren und tragischen Beginn haben wir einen brüchigen Frieden geschlossen. Jetzt gilt es, nach vorne zu sehen und die einmalige Chance, die sich uns bietet, nicht durch unüberlegte Aktionen zu gefährden! Wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir gemeinsam die Schäden wieder beheben, die in den letzten Tagen entstanden sind. Die tiefen Wunden hingegen, welche die zahlreichen Opfer in unsere Gesellschaft gerissen haben, werden niemals verheilen. Bitte schweigen sie mit mir zwei Minuten lang im Gedenken an die Toten.«
»Welche Toten?«, flüsterte Tobi. Er war kreidebleich. »Wieso erklärt er uns nicht, was eigentlich genau passiert ist?«
»‹Okosch Illut‹ – was ist das denn für ein beknackter Name«, meinte Max kopfschüttelnd. »Wenn sie wirklich Außerirdische sind, müsste ihre Sprache dann nicht ganz anders als unsere sein?«
»Pst!«, brachte Nina ihn weiteres Mal zum Schweigen, obwohl der Einwand mehr als berechtigt war. In der Tat warf die Rede mehr Fragen auf, als sie beantwortet hatte.
Gebannt starrten die drei Freunde auf den Bildschirm, der einen schweigenden Bernhard Strucke zeigte, wie er mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen am blumengeschmückten Schreibtisch saß.
»Hey, das waren keine zwei Minuten!«, protestierte Tobi, als nach gut einer Minute das Bild zu einer Nachrichtensprecherin überblendete, die fürs Fernsehen ungewöhnlich übernächtigt wirkte. Ein Assistent huschte vor der Kamera vorbei und reichte ihr einen Stapel Papiere. »Wir sind auf Sendung«, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund, und die Sprecherin, deren Gesicht Max aus diversen Nachrichtensendungen der ARD kannte, begann sehr professionell vorzulesen. Das Ganze klang in etwa wie die Verkehrsmeldungen im Radio:
»Es folgen dienstliche Weisungen der Übergangsregierung unter Bundeskanzler Strucke und des Gemeinsamen Ausschusses. Der Verteidigungsfall bleibt weiterhin in Kraft gemäß Grundgesetz Artikel 35, Absatz 2, Artikel 87a Absatz 4, und Artikel 91 Absatz 2.«
»Was ist das denn für kryptisches Gefasel?«, wunderte sich Max.
»Notstandsgesetze«, kommentierte Nina, die wohl als Einzige unter ihnen schon einmal eine Kopie des Grundgesetzes in der Hand gehalten hatte. »Das bedeutet, dass die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden darf und unsere Grundrechte teilweise außer Kraft gesetzt sind.«
»Aber ich dachte, es wäre wieder Frieden?«, wunderte sich ihr Freund, während die Sprecherin im Fernsehen eine Reihe von Anweisungen herunterleierte, die an die Staumeldungen zu Beginn der Ferienzeit erinnerten. Sie lauschten den Durchsagen, aus denen allerdings höchstens Experten und fanatische Militärfans schlau werden durften.
»Heer: die 10 Panzerdivision untersteht ab sofort Generalmajor Jochen Vermert, Division spezielle Operationen. Stabskompanie Luftlandebrigade 26, Saarlouis, untersteht ab sofort dem Stab der Luftlandebrigade 31, Oldenburg, unter Leitung von Brigadegeneral Zurop. Generalmajor Carsten Jacobson ist mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Die 1. Panzerdivision führt weiterhin Generalleutnant Robert Kämmerer, Kommando Heer. Panzergrenadierbrigade 37, Sachsen: Aufklärungsbataillon 13 und Panzerpionierbattaillion 701 der 13. Panzergrenadierdivision sind dienstlich angewiesen, ihre Einsätze unverzüglich abzubrechen. Oberstleutnant Muschke und Oberstleutnant Frödl sind mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Allen Einsatzkräften der 13. Panzergrenadierdivision wird befohlen, in ihre Kasernen zurückzukehren und weitere dienstliche Weisungen abzuwarten. Das Logistikbataillon 131 wird nach Berlin verlegt. Setzen sie sich für Einsatzbefehle mit dem Stab in Frankenberg in Verbindung.
Luftwaffe: Die Operationszentrale Luftwaffe in Kalkar ist nicht einsatzfähig. Wiederhole: Die Operationszentrale Luftwaffe in Kalkar ist nicht einsatzfähig. Die Leitung sämtlicher Operationen übernimmt Generalmajor Robert Katz, Kommando Luftwaffe Köln-Wahn. Es herrscht bis auf weiteres im gesamten Bundesgebiet vollständiges Flugverbot für zivile Luftfahrzeuge sowie für die Bundeswehr mit Ausnahme der Flugbereitschaft des BMVG.
Marine: Alle Einsatzkräfte der Marine werden aufgefordert, an ihre Heimatstandorte zurückzukehren. Das Marinekommando Rostock ist vollständig einsatzfähig.
Die Polizeibehörden: Die Bundespolizeidirektion Koblenz soll sich bitte schnellstmöglich mit dem Leiter der Panzerlehrbrigade 9, Munster, Brigadegeneral Thorsten Wagner in Verbindung setzen. Die übrigen Bundespolizeibehörden, sowie alle Außenstellen des Bundeskriminalamtes, unterstehen ab sofort der Bundespolizeidirektion Berlin. Bitte setzen sie sich mit der Bundespolizeidirektion Berlin in Verbindung, sobald Telefon- und Funkverbindungen wieder hergestellt sind. Einsatzbefehle an die Einsatzhundertschaften der Landespolizeidirektionen: 1., 3., und 5. Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei Niedersachsen, sowie die 1. BPH Mecklenburg-Vorpommern werden unverzüglich nach Berlin-Brandenburg verlegt. Melden sie sich bei der Bundespolizeidirektion Berlin.
Zusätzliche Meldungen ans Heer: Panzerbataillon 413 und Logistikbataillon 142 der Panzergrenadierbrigade 41, Vorpommern, melden sich unverzüglich beim zuständigen Kommandeur in Torgelow oder einer übergeordneten Dienststelle. Aufklärungsbataillon 6, Oberstleutnant Friedrich-Wilhelm Prinzl, wird nach Straußberg –«
Max drehte den Ton ab. Ganz offensichtlich gingen sie diese Durchsagen nichts an. Er bewunderte die Nachrichtensprecherin, die bis auf ein paar kleinere Schnitzer ihre Arbeit erledigte, als gäbe sie den Seewetterbericht durch. Ihm wäre schon nach drei Sätzen die Luft weggeblieben.
»Krass«, meinte er nach einer Weile, um das allgemeine Schweigen zu unterbrechen, das sich breitgemacht hatte. »Ausgerechnet Strucke.«
Nina schien das aufzuregen. Sie strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht und erwiderte zornig: »Ist das alles, was dir dazu einfällt? Wir sind von Außerirdischen erobert und besetzt worden, fast die ganze Regierung ist verschwunden, und du sagst einfach nur ›krass‹?«
»Und was soll ich sonst sagen?«, verteidigte er sich. »Oder findest du das nicht krass?«
Wenn sie sich über diese Durchsage schon aufregte, dann war er wirklich froh, ihr nichts von den Neuigkeiten verraten zu haben, die er mit Tobi aus den Überresten des Internets gefischt hatte. Dabei war er eigentlich nicht der Typ, der vor seiner Freundin Geheimnisse hatte – bis auf die genauen Mengen an Gras, die er mitunter in der Wohnung deponierte und die ganz gewiss nicht mehr zum Eigenkonsum deklariert werden konnten. Nina schmollte, er kannte diesen trotzigen Ausdruck auf ihren Lippen nur allzu gut, als sie erwiderte: »Du hättest vielleicht etwas sagen können, was irgendwie angemessener ist.«
»So wie Strucke?«, konterte er, und verzog das Gesicht zu einer Grimasse aus gespielter Trauer. »In all dieser Tragödie müssen wir unsere Chance begreifen, eine –«
»Zieh nicht immer alles in Lächerliche!«, fiel sie ihm ins Wort. »Das ist verdammt ernst! Ich bin mir nicht mal sicher, ob er das darf.«
»Was meinst du damit?«
Sie schüttelte den Kopf und versuchte, sich die passenden Artikel aus dem Grundgesetz ins Gedächtnis zu rufen. Immerhin studierte sie Politikwissenschaft. Um so mehr ärgerte sie sich über die Gedächtnislücke.
»Die Sprecherin hat zum Beispiel Befehle an die Landespolizei durchgegeben, die sie dem Bund unterstellen, aber ich glaube, dass er das gar nicht bestimmen kann. Und ich habe Zweifel, ob der Gemeinsame Ausschuss so schnell einen neuen Bundeskanzler wählen darf.«
Max hob die Augenbrauen und witterte eine Chance zur Versöhnung. »Ich weiß nicht mal, was der ›Gemeinsame Ausschuss‹ ist«, gestand er ein.
Sie knuffte ihn auf den Oberarm. Das Manöver war gelungen; er war dem Zorn seiner Prinzessin entgangen. »Hätte mich auch gewundert. Der GA besteht aus Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat, die im Verteidigungsfall die Regierungsgeschäfte übernehmen. Aber die Macht des GA ist eingeschränkt, er darf das Grundgesetz nicht ändern.«
»Leute«, unterbrach sie Tobi, »wir sollten erst mal versuchen, aus den Durchsagen schlau zu werden.«
Mit einem Grinsen witzelte Max: »Lass mich raten, du bist heimlicher Bundeswehr-Fan, hast dir alle Mitteilungen gemerkt, und wirst uns jetzt erklären, was das alles bedeutet?«
Tobi ging auf den Scherz nicht ein. »Man muss kein Experte sein, um zwischen den Zeilen zu lesen. Aus der Durchsage folgt zum Beispiel ziemlich eindeutig, dass nicht alle auf den neuen Kanzler hören und das Funknetz der Bundeswehr immer noch nicht funktioniert. Warum würden sie sonst im Fernsehen verraten, dass irgendwelche Generäle vom Dienst suspendiert sind?«
Da hatte er recht, und der Gedanke war Max selbst schon gekommen. Die Situation musste ziemlich verworren sein, wahrscheinlich herrschte überall im Land Chaos und sie befanden sich rein zufällig im Auge des Sturmes.
»Es gibt also Menschen, die gegen die Außerirdischen kämpfen«, murmelte er.
Sein Freund nickte. »Aber leider muss ich noch was feststellen. Sie haben ein Flugverbot erlassen und die Sprecherin hat gesagt, dass irgend so ein Einsatzzentrum der Luftwaffe nicht mehr ›einsatzfähig‹ ist.«
»Und was schließt du daraus?«, erkundigte sich Nina ein wenig geistesabwesend. Sie grübelte weiter über das Grundgesetz nach und nahm sich vor, die passenden Artikel möglichst bald nachzulesen. Krieg hin oder her, diese allzu plötzliche Wahl eines Kanzlers gefiel ihr nicht, und Strucke hatte sie nie leiden können.
Der Physiker verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich schließe daraus, dass die Luftwaffe praktisch ausgeschaltet worden ist, was ja auch gar nicht anders zu erwarten war. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass es nur aus einem Grund noch so viele Truppen auf dem Boden geben kann.« Er machte eine theatralische Pause, während der ihm seine Freunde fragende Blicke schenkten.
»Jetzt spann uns nicht so auf die Folter!«, drängelte Nina.
»Ich glaube, diese Panzerverbände und den übrigen Kram von der Bundeswehr gibt es noch, weil sie aus Sicht der Außerirdischen keine Gefahr darstellen.«
»Dachte ich mir immer, dass diese Leopard 2 im Zweifelsfall im Schlamm stecken bleiben«, pflichtete ihm Max bei, während er die Zutaten für einen Joint zusammenkramte. Zugegebenermaßen war er nicht auf dem neuesten Stand. Fast sein gesamtes Wissen über Panzer stammte aus den populären Wiedergaben von Hitlers Ardennen-Offensive in Computerspielen.