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Der Tag danach

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Friedrichshain, Berlin, 9:42 Uhr – ein Tag nach der Invasion

Eine merkwürdige Musik weckte Max aus dem Schlummer, die fast jeder schon einmal gehört hatte, aber nicht viele auf Anhieb benennen konnten.[Fußnote 8] Ihm war das Lied bestens bekannt, denn er hatte es früher oft aufgelegt, um die letzten Gäste von einer Party zu vertreiben. Der Wecker zeigte kurz vor zehn Uhr an, was ihm gerade mal sechs Stunden Schlaf gebracht hatte. Mit den Händen über den Ohren lief er ins Nebenzimmer, wo Nina in seinen Bademantel gehüllt neben Tobi auf dem Polster lungerte. Gebannt starrten die beiden auf den Fernseher, obwohl nur ein Standbild zu sehen war.

»Du hast in unserem Trinkwasser gebadet?«, brummelte Max. Er war ein ausgesprochener Morgenmuffel – ganz besonders natürlich, wenn er nicht genug geschlafen hatte. Sie winkte ab, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen. »Sei still! Da kommt gleich eine Durchsage ...«

In der Tat hatte sich mehr als die Musik geändert. Der Bildschirm zeigte eine weiße Tafel mit der Aufschrift ›SFB – Sender Freies Berlin‹ und dem dazugehörigen Logo, das eine stilisierte Antenne darstellte und definitiv aus den Fünfzigerjahren stammen musste. Darunter stand in schwarzer Schrift in geschwungenen Buchstaben, die an die Reklame einer Eisdiele erinnerten: »Es folgt eine wichtige Durchsage – bitte bleiben sie am Apparat!«

»Wir könnten in einen Zeitstrudel geraten sein«, mutmaßte Max.

»Pst!«, zischte seine Freundin, als ob in der Musik geheimen Botschaften versteckt seien, auf die sie achten sollten. Ihm kam der Gedanke, dass die Idee vielleicht gar nicht so abwegig war, doch ein plötzliches Hungergefühl lenkte ihn ab. Voller Müdigkeit schlurfte er in die Küche. »Will jemand von euch Rührei?«

»Ja!«, antworteten seine Gäste wie aus der Pistole geschossen und er ärgerte sich, gefragt zu haben. Hätte er am Vortag bei Knolle ein paar zusätzliche Vorräte eingekauft, dann gäbe es jetzt nicht bloß drei Eier mit einem Rest von Speck zum Frühstück. Als die Musik mit einem Mal aufhörte, hastete er mitsamt der Pfanne ins große Zimmer und starrte gebannt auf den flimmernden Schirm. Er zeigte weiterhin nichts als das alte Logo des SFB, den es eigentlich gar nicht mehr gab. Ein eigenartiges Glockenspiel ertönte und kurz darauf eine Ansage, die von einem professionellen Sprecher in geradezu belustigtem Tonfall verlesen wurde:

»Sender Freies Berlin – bitte schalten sie nicht ab! Sie hören eine Durchsage des Katastrophenschutzes. Sender Freies Berlin – bitte schalten sie nicht ab! Sie hören eine Durchsage des Katastrophenschutzes. Sender Freies Berlin –«

Max griff zur Fernsteuerung und schaltete auf den Kanal um, auf dem normalerweise RTL zu sehen war: Nichts als weißes Rauschen. Er drückte die Taste 1 für ARD und wieder erklang die Schleife: »... des Katastrophenschutzes.«

Da plötzlich ertönte eine Reihe von Pieptönen. »Ein Kilohertz«, erklärte er wie aus der Pistole geschossen. Nicht, dass die Information besonders wichtig gewesen wäre. Wozu überhaupt solche Töne gesendet wurden, war ihm ein Rätsel. Um im Ernstfall Instrumente zu stimmen? Dann folgte die eigentliche Durchsage, die von einem Mann und einer Frau abwechselnd vorgelesen wurde. Der zugehörige Text wurde gleichzeitig auf Tafeln angezeigt, die sich auf altertümliche Weise ineinander überblendeten, als stammten sie aus einem Schwarz-Weiß-Film:

»Mann: Dies ist eine Informationssendung des Katastrophenschutzes. Bitte schalten sie nicht ab und beachten sie die folgenden Hinweise!

Frau: Bewahren sie Ruhe! Die Behörden arbeiten im Katastrophenfall zusammen, um den reibungslosen Ablauf der Hilfsaktionen zu gewährleisten. Folgen sie den Anweisungen von Polizei und Ordnungskräften!

Mann: Bleiben sie in der Wohnung! Halten sie Fernseh- und Radiogeräte betriebsbereit! Zusätzliche Hinweise folgen demnächst. Wenn sie Zivilschutz, Feuerwehr, den Polizeibehörden, Rettungsdiensten oder der Bundeswehr angehören, setzen sie sich bitte umgehend mit Ihren Vorgesetzten beziehungsweise dem diensthabenden Offizier in Verbindung!

Frau: Halten sie Fenster und Türen verschlossen! Füllen sie Behälter wie beispielsweise Badewannen, Eimer und Tupperware mit frischem Trinkwasser nur dann, wenn es klar und geruchslos ist. Meiden sie verunreinigtes Wasser und Lebensmittel! Tauschen sie schmutzige Kleidung durch neue aus, sobald sie geschlossene Räume betreten! Falls sie in ihrer Küche über einen Stadt- oder Erdgasanschluss verfügen, drehen sie bitte vorsorglich den Hauptahn der Gasleitung zu! Achten sie auch auf Geruchsbildung und Rauch, die auf Schwelbrände hindeuten könnten! Informieren sie im Brandfall umgehend Polizei und Feuerwehr!

Mann: Hamsterkäufe gefährden Ihre eigene Sicherheit und die Sicherheit Ihrer Mitbürger. Die Behörden gewährleisten eine angemessene Grundversorgung; es besteht daher kein Grund, Vorräte zu horten. Polizei und Ordnungskräfte haben im Notfall die Befugnis, den freien Handel einzuschränken, sowie Ausgangsverbote und Platzverweise zu erteilen. Diese Maßnahmen dienen Ihrer eigenen Sicherheit. Folgen sie den Anweisungen von Polizei und Ordnungskräften!

Frau: Bitte achten sie auf Ihre Mitbürger! Helfen sie Kindern, Alten und Verletzten zuerst, jedoch nur dann, wenn für sie selbst keine unmittelbare Gefahr besteht! Bewahren sie Ruhe und Besonnenheit! Warten sie in Ihren Wohnungen ab, bis sie weitere Anweisungen erhalten!

Mann: Halten sie Radio und Fernsehgeräte betriebsbereit! Zusätzliche Hinweise folgen auf diesem Kanal, auf Deutschlandradio UKW 110.30 MHz, über Deutschlandfunk auf Mittelwelle 1269 kHz und 756 kHz, auf Langwelle 153 kHz und 207 kHz sowie über die Frequenzen der Küstenwache und des Seenotrettungsdienstes.«

Das Bild blieb einige Minuten stehen, und dann erklang wieder die SFB-Schleife: »Sender Freies Berlin - Bitte schalten sie nicht ab! Sie hören eine Durchsage des –«

Wortlos schaltete Max den Ton ab und stellte endlich auch die Pfanne zur Seite. Tobi unterbrach als Erster das Schweigen: »Junge, das war creepy.«

»Ist jetzt Krieg oder nicht? Was bedeutet das alles?«, murmelte Nina.

Max zuckte mit den Schultern. »Ich vermute, dass sie uns damit vermitteln wollen, dass wir den Anweisungen von Polizei und Ordnungskräften folgen sollen. Will jemand Rührei?«

»Ich habe keinen Appetit mehr«, erklärte seine Freundin. Sie wirkte noch blasser als sonst, und er fand, dass die dunklen Ringe um ihre Augen sie ausgesprochen schmückten.

»Gut«, erwiderte er hastig und stopfte sich vorsorglich schon mal eine Gabel in den Mund, bevor sie es sich anders überlegte. Um die Stimmung aufzumuntern, legte er etwas Heiteres auf, bis Nina entnervt die Nadel von der Platte riss.[Fußnote 9]

»Wie kannst du einfach nur so dasitzen und dein Frühstück in dich reinmampfen, während draußen das Militär durch die Straßen fährt und weiß Gott was passiert sein könnte?«, erboste sie sich.

»Jo«, erwiderte er einsilbig. Gleichzeitig arbeiteten seine Gehirnzellen auf Hochtouren an einer besseren Antwort. Das Ergebnis blieb dürftig, reichte jedoch für den Augenblick aus: »Wir müssen was tun ...«

»Wir brauchen Vorräte«, pflichtete sie ihm bei.

»Ich könnte zum Supermarkt radeln und was einkaufen«, schlug er vor, und sie gab sich damit zufrieden. Er kannte ihre Launen, wusste aber auch, wie sie sich wieder beruhigen ließ. Auf keinen Fall durfte man sich mit ihr auf Diskussionen einlassen. Viel besser war es, ihr immer sofort zuzustimmen, selbst wenn ihre Forderungen vollkommen undurchführbar sein mochten. Meistens vergaß sie später sowieso, was sie besprochen hatten, und im Zweifelsfall würde sie ihm ohnehin die Worte im Mund umdrehen. Außerdem hatte sie recht. Ein paar Lebensmittel zu erstehen, konnte in dieser Lage nicht schaden. Von den zwölf Bier im Kühlschrank ließ sich vermutlich nicht lange leben.

»Ich muss ins Institut«, erklärte Tobi plötzlich, der ebenfalls einen Beschluss gefasst zu haben schien.

»Nach Adlershof? Das ist ein weiter Weg.«

»Nein, nein, an die TU, Hardenbergstraße. Ich kenne da Leute, kein Problem. Ich will ein paar Sachen besorgen. Dann komme ich hierher zurück und wir testen diese Internet-Idee, die ich hatte. Einverstanden?«

»Abgemacht.«

»Und was mach ich so lange?«, beschwerte sich Nina.

»Du hältst hier die Stellung«, erwiderte Max mit einem militärischen Salut.

»Sehr witzig.«

Dabei war sein Vorschlag gar nicht so dumm, dachte er sich, denn die nächste Durchsage sollten sie lieber nicht verpassen. Er brannte darauf, zu erfahren, was eigentlich vor sich ging. Wie man es drehen und wenden mochte, ihm fiel einfach keine Geschichte ein, die den gleichzeitigen Zusammenbruch von Funk, Fernsehen, und Internet erklärte, obwohl Strom und Wasser weiterliefen. In einem Krieg wären ja wohl alle Ressourcen auf einmal betroffen. Konnte ein Computervirus, wenn auch nach Tobis Meinung ein ziemlich gewiefter, so drastische Folgen haben?

Invasion der Außerirdischen in Berlin-Mitte

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