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7. Kapitel

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Wiltrud Hafner war kurz davor, das Ungetüm, das sich vor ihr aufbaute, zu zerschlagen und wieder in den Haufen Ton zu verwandeln, aus dem es hervorgekrochen war. Dabei war sie eigens dafür nochmals zur Burg gelaufen, hatte den Wächter beschwatzt und einen langen Blick auf den König der Tiere geworfen, der dort im Zwinger den Tag verschlief oder herausfordernd brüllte. Zu Hause setzte sie dann seinem Abbild eine breite Krause um den Kopf herum an und modellierte mit einem zugespitzten Hölzchen feine Haarbüschel, so daß eine prächtige Mähne entstand, die über jeden Zweifel erhaben sein sollte. »Sieht trotzdem verteufelt aus wie ein Schwein«, schimpfte sie vor sich hin.

In noblen städtischen Haushalten wurde es üblich, nach Kräften den Adel zu kopieren, und dort gehörten Aquamanilen, Gießgefäße in tierischer oder sagenhafter Gestalt, zu jeder Tafel und zum guten Ton, freilich aus Silber und Bronze. Das Vieh war als Hochzeitsgeschenk für Margret gedacht, der stets der Sinn nach äußerem Gepränge stand. Aber mit einem Schwein …

»Huhuuh, Wiltrud! Bist du zu Hause?«

Sie hatte gerade noch Zeit, ein feuchtes Tuch über ihre Mißgeburt zu werfen, als die Eignerin des hellen Stimmchens auch schon freudestrahlend in die Werkstatt schwirrte. »Er ist gottlob schon wieder frei«, jubilierte sie, »und er hat zugestimmt.«

»Wer? Dieser Pfau mit dem großen Schmecker im Gesicht? Der aufgeblasne Minnesäusler …«

»Hör auf!« lachte Margret. »Was hast du gegen ihn? Man könnt’ gerade meinen …«

»Gar nichts! Dort drüben stehen deine Sachen.« Sie wollte das leidige Thema beenden, und Margrets Interesse war augenblicklich verlagert, als sie ihren neuen Hausrat sah. Die Formen waren nicht ungewöhnlich, aber diese Oberfläche … Die Töpfe fühlten sich so glatt an und glänzten in gelbbraunen Schattierungen. Margret kannte bislang nur schlichtes Tongeschirr, das nach dem einfachen Schrühbrand rauh und porös geblieben war, allenfalls noch von einem matten Tonschlicker umhüllt. Dies hier war wundersam. Und erst der Bügelkrug und die Becher: Sie strahlten in sattem Grün.

»O Wiltrud, sie passen vortrefflich zu meinem Kleid!«

Daran hatte sie nun wirklich nicht gedacht.

»Das … das ist wie Zauberei.«

»Nein«, lachte Wiltrud, »gewiß nicht«, obwohl sie im stillen zugeben mußte, daß man denjenigen, der ihr die Technik gezeigt hatte, gut und gerne für einen Zauberer vergangener Tage halten mochte.

»Wolfhart soll dir tragen helfen«, bot Wiltrud freundlich an mit dem Hintergedanken, sie rasch loszuwerden.

»Du, ich glaube, er mag dich«, fing die Braut unter der Türe wieder an zu kichern, »jedenfalls …«

»Auf bald!« Wiltrud schob den Quälgeist energisch hinaus. Dabei rannte Margret geradewegs in einen weißhaarigen Alten, der eben in die Werkstatt wollte. Sie zog angewidert die Nase hoch und verdrehte spöttelnd die Augen. Wiltrud scheuchte sie davon.

Es war weniger der Geruch des Alters oder die säuerliche Ausdünstung seines Körpers, vielmehr ein ungewöhnlich stechender und eigentümlich mineralischer Duft nach Schwefel und anderen Stoffen, der augenblicklich den Raum erfüllte. Beim ersten Mal war ihr fast schlecht davon geworden, doch mittlerweile verband sie angenehme Gefühle damit, denn der Alte wirkte auf eine merkwürdige Weise jugendlich, jedenfalls weit frischer als ihr dahinwelkender Vater. Er schien von einer geheimnisvollen Mission beseelt und lehrte sie erstaunliche Dinge.

Vor einigen Wochen hatte ihm die Witwe nebenan für geringes Entgelt das alte Rückgebäude überlassen, und bald danach gab er einen ersten Tiegel in Auftrag, ganz offensichtlich zu dem alleinigen Zweck, ihre Fertigkeit zu prüfen. Er gab sich zwar mit der Ausführung zufrieden, bemängelte aber fehlende Glasur, ohne die ihm das Gefäß in keiner Weise nützlich sei. Davon aber hatte Wiltrud soviel Ahnung wie vom Kinderkriegen.

Er zeigte ihr daraufhin, wie man Quarze, Bleioxide und andere Substanzen in bestimmten Gewichtsteilen mischte und durch fein abgestimmte Zugabe metallischer Pulver unterschiedlichste Farben erzielte. Zum Ärger ihres Vaters experimentierte sie eifrig, baute sich sogar extra einen eigenen kleineren Ofen dafür und erzielte rasch beachtlichen Erfolg. Es erschien ihr selbst noch immer wie ein Wunder, wenn sich die unansehnliche Glasurmasse beim zweiten Brand in einen farbig glänzenden Mantel für das Tongut verwandelte.

Inzwischen gehörte der Alte zu ihren zuverlässigsten Kunden, der ihr Können vor immer neue Herausforderungen stellte. Dabei wußte sie noch nicht einmal seinen Namen. Sie hatte ihn beiläufig danach gefragt, worauf er mürrisch in den Bart genuschelt hatte: »Was tut’s zur Sache? Nur das Werk ist von Bedeutung.« Worin dies freilich bestand, darüber hüllte er sich ebenfalls in geheimnisvolles Schweigen. Gelegentlich aber ließ er merkwürdige Andeutungen fallen und benahm sich überaus seltsam.

Trotz eines tiefgründigen Wissens schien er sich Ehrfurcht vor den einfachen Dingen des Lebens bewahrt zu haben, denn einmal, da nahm er einen Batzen Ton in die Hand, knetete ihn fast andächtig und murmelte versonnen: »Ist dies etwa der glänzende Ton, aus dem der allmächtige Töpfer die Substanz schuf, die der Sonne Strahlen in sich fängt?« Warum er dann etwas von Gold flüsterte, wo es sich um schlichten Ton handelte, verstand Wiltrud nicht.

Ein andermal stellte er mehr für sich die Frage, ob wohl der Lehm, aus dem Gott den Adam schuf, die prima materia der geheimnisvollen Wandlung darstelle, da er Teil der massa confusa sein müsse, des ursprünglichen Chaos, das erst geformt wurde. Dieser erste Adam aber sei aus Vergänglichem gemacht und müsse deshalb zerfallen, der zweite nun bestehe aus reinen Elementen und somit für die Ewigkeit, wie ein gewisser Origenes gesagt habe, daß der eine aus Lehm, der andere aber nach Gottes Ebenbild geschaffen und somit unbefleckt und unsterblich sei.

In solchen Momenten empfand Wiltrud Furcht vor dem Alten, wie überhaupt ihre Beziehung zu ihm aus einer merkwürdigen Mischung von ehrfürchtiger Bewunderung und kindlichem Staunen, zeitweiliger Beklemmung und gelegentlichem Abscheu bestand.

Heute kam der sonderbare Nachbar, um ein balneum Mariae in Auftrag zu geben. Maria die Jüdin, die die Schwester des Moses gewesen sei, so sagte er, habe dieses »Bad« erfunden, womit man einem Gefäß gleichmäßige Hitze zuführen könne. Er zeichnete auf die Werkbank mit Holzkohle eine Dreifußschüssel, die mit Sand oder Öl gefüllt und von unten beheizt werden konnte. Darin ruhte ein kürbisartiges Gefäß mit dem zu erhitzenden Stoff.

»Kein Problem«, versicherte die Hafnerin zuversichtlich, aber der Magister schaute sie plötzlich an, als entdecke er erste Anzeichen der Beulenpest an ihrem Leib.

»Was ist?« fragte Wiltrud und sah prüfend an sich hinab.

»Euer Vater will Euch in die Ehe zwingen. Werdet Ihr einwilligen?«

»Nein«, erklärte sie verwundert.

»Dann werdet Ihr keusch bleiben?« Er sah sie so durchdringend an, als wolle er auf den Grund ihrer Seele blicken.

»Das … also …« Sie war verwirrt. Was geht’s Euch an, wollte sie sagen, brachte aber keinen Ton heraus.

»Seid Ihr noch … ich meine, habt Ihr Euch schon fleischlich hingegeben?«

Das ging entschieden zu weit. Was erlaubte sich dieser Mensch.

»Was als erstes in den neuen Hafen kommt, sagt Berthold, der Prediger, danach wird er immer schmecken. Ihr als Hafnerin versteht dies. Das Gefäß muß absolut rein sein.«

Sie starrte ihn offenen Mundes an. Noch ehe sie ein Wort des Protestes formulieren konnte, zauberte der Alte ein Fläschchen aus seinem löchrigen Mantel, entkorkte es, griff sich einen Becher vom Regal, kippte den Inhalt hinein und reichte ihn ihr.

»Trinkt!«

Sie taumelte. Was war los mit ihr? Sie wollte aufschreien, ihn hinausweisen, war aber kraftlos und unfähig zu einer Reaktion. Wie gebannt unter seinem Blick, streckte sie die Hand nach dem Becher aus und leerte ihn widerspruchslos in einem Zug. Erst danach schien sie aus einer Entrückung aufzuwachen, fuhr mit der Zunge in die Backen und über die Lippen. Der Trank war geschmacklos, ohne faßbare Eigenschaft, hinterließ allenfalls ein leichtes Grießeln. Er fixierte sie noch eine Weile wie die Schlange ihre Beute, dann entspannten sich seine ledrigen Gesichtszüge, und er bemerkte lächelnd: »Der Smaragd lügt nicht. Sonst hättet Ihr erbrochen.«

Er schlurfte zur Türe. Im Hinausgehen fragte er beiläufig, wie es ihrem Vater gehe und hörte zufrieden, daß sein Pulver von Nutzen sei. Der dichte Bart verbarg sein Grinsen.

Wiltrud hatte kaum Zeit, über sein merkwürdiges Verhalten nachzudenken, als es erneut an der Türe klopfte. Himmel, was ist heute nur los, fragte sie sich, und die Antwort drohte ihr den restlichen Tag zu verderben: Eine Nase von beachtlicher Größe witterte im Türspalt. Ihr folgte Siegfried in ganzer Länge, als habe er nichts zu befürchten.

»Ihr?« brachte Wiltrud in erster Verblüffung nur heraus.

Der unerwartete Besuch schnupperte weiter. »Strenges Parfüm«, bemerkte er spöttisch, »will Euch der alte Zausel mit teuflischen Künsten betören? Uns wollte er schon das Geheimnis der Enthauptung entlocken. Hat einen Batzen Geld dafür geboten. Merkwürdiger Kauz.« Er sah sich neugierig um.

»Ihr wollt Euch entschuldigen?« ging Wiltrud ihn direkt an.

»Wie?« Er schien kurz verblüfft und rückte dann grinsend zurecht: »Ich bin nur gekommen, Euch zu beruhigen, damit Ihr Euch nicht mehr um mich sorgen müßt.«

Wiltrud suchte sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen, setzte sich zu diesem Zweck an die Drehscheibe und tat geschäftig, während er sie unbekümmert anstarrte.

»Was ist? Was glotzt Ihr so?«

Er rückte ihr noch näher auf die Naht, beugte sich vor und suchte ihren Blick. »Euer Auge ist bald wieder heil. Ich sehe erstmals beide Eurer Sterne leuchten. Ihr seid schön.«

»Seid Ihr schon wieder auf Beleidigung aus?«

»Ich sagte schön und nicht vollkommen«, wehrte sich Siegfried, »wenngleich der Schlaumeier von Aquin die perfectio zur conditio erhebt. Ich bin jedoch der Meinung, daß Schönheit im Ermessen des Betrachters liegt, und meine Augen trügen nicht.«

Verlegenheit machte Wiltrud ruppig: »Was soll Euer Gesülze?«

»Es sieht so wunderbar leicht aus, wie Ihr den Ton formt«, schwärmte Siegfried unverfänglicher.

»Ist es auch«, ging sie drauf ein. »Wollt Ihr’s versuchen?«

Damit hatte der Sänger nicht gerechnet, wollte sich aber keine Blöße geben. Keck setzte er sich an den angebotenen Platz, brachte mit den Füßen die Scheibe ins Rotieren, wie er es bei der Hafnerin beobachtet hatte, tauchte die Hände ins Wasser, nahm eine Handvoll Ton und ließ ihn auf die Scheibe fallen. Himmel! Was war das? Der Klumpen fing augenblicklich zu laufen an. Siegfried versuchte ihn mit beiden Händen zurückzuhalten und brachte damit auch die Drehung zum Stillstand.

Wiltrud ließ sich nichts anmerken und täuschte achselzuckend Unwissenheit vor, während er mit einer Geste der Verlegenheit die Scheibe erneut in Bewegung setzte. Er tat es nur wieder in die falsche Richtung und versäumte es abermals, das Werkstück zu zentrieren, so daß es schon wieder auf ihn zukam. Er wischte fahrig den Schweiß von der Stirn, fegte mit der anderen Hand die Locken aus dem Gesicht, während er sich gleichzeitig mühte, die Wanderung des Tons zu unterbinden. Doch ehe er sich’s versah, flog der nasse Klumpen von der Scheibe und ihm in den Schoß. Beschämt schlug er die Hände vors Gesicht und beschmierte sich damit vollends mit lehmfarbenem Brei, worüber Wiltrud sich hemmungslos vor Lachen ausschüttete.

»Gut, gut, Ihr habt mich zum Narren gemacht«, suchte er ein wenig hilflos ihre Schadenfreude zu unterbinden.

»Ihr Euch«, verbesserte sie glucksend und reichte ihm versöhnlich ein feuchtes Tuch.

Siegfried warf den Lappen beiseite, stand auf, nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte sie.

»Mmmhmhh.« Sie versuchte ihn wegzuschieben, trommelte auf seine Brust. »Was erlaubt Ihr Euch!« protestierte sie, als sie kurz zu Atem kam, aber Siegfried zog sie nur vollends heran, versiegelte ihre Lippen mit den seinen und ließ erst nach, als die Tür zur Werkstatt knarzend aufgestoßen wurde.

Verlegen strich Wiltrud ihr Kleid zurecht, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, und es sah zu komisch aus, wie beide verschmiert und wie ertappte Sünder dastanden.

Wolfhart war überraschend zurückgekehrt, erfaßte die Situation augenblicklich und gestattete sich ein unverschämtes Grinsen, wofür er sich die schallendste Ohrfeige seiner bisherigen Lehrzeit einhandelte und umgehend wieder hinausgeschickt wurde, um die Tongrube aufzufüllen. Das konnte dauern.

Die Meisterin ließ sich auf der Bank nieder, nestelte eine Weile an ihrem Kleid herum und fragte dann ohne Vorwurf in der Stimme und ohne ihn anzuschauen: »Warum habt Ihr das getan?«

»Ist es wahr, daß Ihr ihm versprochen seid?« entgegnete Siegfried und wollte sich mit dem Rücken zum Tisch an ebender Stelle anlehnen, an der das unfertige Geschenk stand.

»Vorsicht!« schrillte sie.

Siegfried fuhr hoch, wandte sich abrupt um und lüpfte neugierig das Tuch: »Was verbergt Ihr da?«

Sie schwieg und biß sich auf die Lippe. Es war ihr peinlich.

»Aaah, ein neues Werk! Sieht aus wie … wie …«

»Sprecht es aus, und Ihr seid tot!« rief Wiltrud erbost und nahm drohend einen Becher als Wurfgeschoß in die Hand.

»Ich will doch nur sagen …« – sie holte aus –, »daß Euch der Löwe gut gelungen ist«, vollendete Siegfried den Satz und duckte sich.

Die Hafnerin hielt verblüfft inne.

»Ich bewundere«, fuhr Siegfried daraufhin mutiger fort, »daß Ihr es wagt, so frei zu gestalten.«

Was sollte das nun wieder heißen? Sie blieb auf der Hut.

»Meiner Seel’, das nenn’ ich Kunst!« fing der Sänger an zu schwelgen. »Sie besteht doch nicht nur aus Vorschriften und starren Regeln, wie noch der alte Isidor behauptet hat. Und die Scholastiker nennen’s zwar höchste Kunst, getreu der Natur zu gestalten, aber dann schmähen sie die Fertigkeit als bloß mechanisch-handwerklich und billigen ihr nichts Eigenständiges und keine schöpferische Kraft zu. Selbst Jean de Meung, den ich als Dichter wahrlich schätze, spricht der Kunst die Fähigkeit ab, echte Formen zu erschaffen, und würdigt sie zur Bittstellerin auf den Knien vor Natur herab. In seinem Rosenroman versteigt er sich, die Alchemie als höherwertig zu bezeichnen, da sie Substanzen vieler Art verwandeln und reines Gold erzeugen könne. Lächerlich! Außer Gestank und Krach hat von diesen wunderlichen Herren bislang keiner was geschaffen, und behauptet einer, er habe den Stein der Steine und das Geheimnis der Transmutation entdeckt, dann hat er mindestens so viele beschissen, wie er vorgibt, durch seine Kunst glücklich gemacht zu haben.«

Wiltrud wußte nicht recht, worauf der Sänger hinaus wollte und verstand das wenigste davon, aber sie hörte interessiert zu.

»Dieser Thomas von Aquin will Schönheit durch vollendete Darstellung sowie rechtes Maß und Klarheit definieren«, ereiferte sich Siegfried, »und ihm gilt als schön, was in der Anschauung gefällt. Gefällt Euch etwa der Teufel? Also ist er nicht schön. Und der Bettler oder Sieche muß demnach als häßlich gelten, weil seine Verkrüppeltheit nicht der integritas und perfectio genügt. Nun frage ich Euch: Ist unser Heiland in der Darstellung seines Leidens häßlich oder schön? Da ist mir ja der Mystiker noch lieber, der zwar vorgibt, in seiner Ekstase so etwas Befremdliches wie eine Schönheit des Leidens zu erfahren, aber wenigstens beteuert, daß er Schönheit nicht beschreiben kann, allenfalls als Gefühl wilder Verzückung.«

Sichtlich erschrocken hielt Wiltrud die Hand vor den Mund. War dieser Mensch etwa einer von diesen Ketzern? Hatte er nicht schon einmal so merkwürdig gesprochen, von einem Demiurgen, der die Welt erschaffen habe?

»Keine Sorge!« suchte der Sänger sie zu beruhigen. »Ich zweifle gewiß nicht am Leiden des Herrn, nur an den sogenannten Autoritäten, die zwar alles regeln wollen, deren Enzyklopädien aber so widersprüchlich sind, daß den einen der Löwe als Sinnbild des Heilands gilt, den andern als Darstellung des Teufels. Bonaventura aber sagt, daß ein Bild schön ist, wenn es gut ausgeführt und der dargestellte Gegenstand getreulich wiedergegeben, selbst wenn er für sich genommen häßlich sei. Folglich nennt er auch ein Bild des Teufels schön, wenn es nur dessen Häßlichkeit möglichst gut und in aller Scheußlichkeit darstellt.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte die Hafnerin, nun eher noch skeptischer.

»Ganz einfach«, erklärte Siegfried, »dieser Thomas da behauptete auch frech, daß dichterische Werke der Wahrheit entbehrten. Als ob es darauf ankäme. Mein Freund Dante, den ich in Italien traf, gab einmal zum besten, daß er einfach aufschreibe, was ihm die Liebe diktiere. Das aber ist es doch, was die Menschen bewegt: die Leidenschaften, die uns anrühren, die tiefen Gefühle gleich welcher Art, selbst Zerrissenheit und Qual. Nur das führt uns zum innersten Wesen, zur Seele aller Dinge.«

Er deutete auf den tönernen Löwen und lächelte Wiltrud aufmunternd an. »Ihr empfindet mit mir und habt dies zum Ausdruck gebracht, denn Ihr wolltet nicht einfach einen Löwen nach der Natur gestalten. Wie langweilig! Euch ging es vielmehr darum, das Tier in seiner zwiespältigen Bedeutung darzustellen, edel einerseits und doch zugleich das Niedere, Gemeine verkörpernd, das sich uns in der Gestalt des Schweines aufdrängt. Ein Meisterwerk, fürwahr! Und Ihr solltet Euch damit nicht begnügen. In Euch steckt mehr. Nehmt nur den Greif, oder den Drachen. Kaum einer hat sie je in natura gesehen, doch Ihr könnt sie erschaffen. Ihr tragt das Bild bereits in Euch, in Eurer Phantasie. Ruft es ins Leben!«

Wiltrud schaute den Sänger verwundert an. Sie war seltsam berührt von seinen Worten, die ihr teils unverständlich und frevelhaft, teils mitreißend erschienen und etwas in ihr ansprachen, was ihr verlockend vorkam. Es könnte ihr schon gefallen, sich neue Formen und Zierat zu erschließen und ihrer Phantasie Gestalt zu verleihen. Und was er da hinsichtlich des Schweins gesagt hatte: Sie war geneigt, es als tiefgründigen Kommentar aufzufassen, wie der Student der Heiligen Schrift die Glosse des Exegeten.

Es wunderte sie allerdings, daß dieser Mensch, den sie für einen leichtfertigen Luftikus hielt und der sie mit unverschämter Leichtigkeit in Rage bringen konnte, solch schwierige Gedanken wälzte. Hatte sie sich so sehr in ihm getäuscht? Sie bekämpfte einen Anflug von Bewunderung; so weit mußte sie nicht gleich gehen. Aber den Kuß, den wollte sie ihm verzeihen, auch wenn er zweifellos nur seinem triebhaften Überschwang entsprungen war.

Das Labor des Alchemisten

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