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8. Kapitel

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Seit einer Woche nun teilte Peter mit Paul beim Rößlwirt eine schmale Kammer. An das Schnarchen seines Freundes hatte er sich leidlich gewöhnt, nicht so ans Alleinsein, denn Paul konnte ihm bei aller Nähe und Freundschaft den Verlust von Agnes nicht ersetzen, weder ihr Säuseln noch Schelten, nicht ihren warmen, fordernden Leib und schon gar nicht … Ach, was! wischte er zum hundertsten Mal das Gespenst des Trübsinns beiseite. Irgendwie hatte er doch immer gewußt, daß es so kommen würde, und wahrscheinlich war es gut so. Ja, ganz sicher sogar!

Seit einer Woche nahm auch er nicht mehr den Weg durchs Tal zur Lände, sondern folgte Paul zum Angertor hinaus und ging mit ihm durch die sumpfigen Wiesen der Isarau, um eine Begegnung mit Agnes zu meiden. Paul freilich schlug den Weg ein, weil er jedesmal nach einem erneuten Zusammentreffen mit Sophia gierte, sah sich dabei die Augen aus und hatte auch schon mehrfach Glück damit. Anfangs hatte Peter ihn diesbezüglich aufgezogen, insbesondere, nachdem seine grundsätzlichen Bedenken nichts gefruchtet hatten. Danach spielte er für ein paar Tage den Beleidigten und nahm es inzwischen ergeben hin. Gegen Liebeswahn war eben kein Kraut gewachsen, aber die eigene Einsamkeit schmerzte um so mehr.

Als sie an diesem Morgen die Herberge verließen, faßte Peter sich abrupt ein Herz: »Geh schon mal voraus! Ich hab’ noch etwas zu erledigen.«

Paul stutzte, dann grinste er wissend. »Sei folgsam, und laß dich auf kein Rätsel ein. Soll ich nicht doch besser …«

»Verschwinde!« raunzte Peter errötend, wartete, bis sich der Spötter ums Gasseneck getrollt hatte, und bestieg dann mit pochender Brust den Steg über den Angerbach. Vor der Werkstatt streifte er die feuchten Hände am Kittel ab, klopfte zaghaft und trat ein.

»Ihr seid’s«, bemerkte die Hafnerin eher verwundert, und Peter erschien es einen Augenblick so, als habe sie jemand anderen erwartet. Aber sie lächelte auch sogleich, hob entschuldigend die lehmbeschmierten Hände und machte Anstalten, ihren Platz hinter der Drehscheibe zu verlassen.

»Nein, nein, bitte«, wehrte Peter ab, »laßt Euch nicht stören. Ich wollte nur … ich meine, wir sind ja jetzt gewissermaßen Nachbarn, und da wollte ich eben mal sehen, wie es Euch so geht.« Er nickte einen Gruß und blieb linkisch an der Türe stehen.

»Setzt Euch doch!« lud Wiltrud ein. »Dort drüben steht ein Schemel. Seid Ihr schon wieder wohlauf?« In ihren Augen blitzte der Schalk. »Hab’ schon befürchtet, daß Euch der Tanz mit mir an die Gesundheit ging.«

Peter erinnerte sich gut an den wilden Reigen zu Kirchweih, bei dem sie die Bewegung vorgegeben hatte. Aber nicht Hüpfen und Drehen waren ihm in die Knochen gefahren, sondern ihr ungebärdiges, dröhnendes Lachen. Daran würde er sich gewöhnen müssen. »So leicht nicht«, gab er lachend zurück. »Und Ihr wolltet mir weismachen, daß Euch am Tanzen nichts liegt.«

»Erst nicht«, sagte sie hintergründig. Sollte er sich selbst seinen Reim darauf machen. Sie befeuchtete ihre Hände, schlug einen neuen, faustgroßen Tonklotz auf die rotierende Scheibe und ließ ihn eine Weile zwischen den Händen gleiten. Dann brach sie den Klumpen auf, indem sie mit den Zeigefingern von oben eine Öffnung in den Ton drückte, und wie von Geisterhand gezogen stieg die Wandung fast von selbst in die Höhe. Sie glättete die Oberfläche mit einem Schwamm, hob danach mit einer scharfen Klinge den Rand ab und brach mit feuchtem Finger die Kante. Zuletzt schnitt sie mit einem dünnen Draht ihr Werk von der Scheibe, stellte es auf die Bank neben sich, tauchte die Hände ins Wasser und griff sich den nächsten Batzen Ton.

Peter betrachtete eine Weile ihr geschicktes Werken und dann unverwandt sie, wozu er erstmals ausgiebig Gelegenheit hatte. Der Kanon des höfischen Schönheitsideals fiel ihm ein, und er stellte fest, daß sie nur wenige der erhabenen Merkmale aufwies: Schön nämlich – so hieß es – sind Brüste, die ein klein wenig hervorragen und maßvoll schwellen, gleichsam zurückgedrängt, aber nicht niedergedrückt.

Ihre Brüste hingegen waren voll, ihre Taille nicht gertenschlank, die nackten Füße konnten kaum als zierlich gelten. Ihre Stirn war weder hoch noch weiß wie Milch, die Brauen nicht wie mit dem Pinsel gezogen, und der Hals hatte nicht die durchscheinende Blässe von Alabaster, aber Peter starrte fasziniert auf diese kräftigen Hände, die den Ton sowohl zu streicheln als gleichzeitig auch mit sanftem Druck zu dirigieren schienen. Das perlfarbene Weiß ihrer nackten Arme betörte ihn und entfachte Begehren. Er war hingerissen von ihrer erdigen Sinnlichkeit.

Auf Burg Beigarten nahe der Isar, wo er kurzzeitig im Gesinde gedient hatte, da hatten Fahrende gelegentlich in schmachtenden Versen von blühenden Rosen und edlen Fräulein gesungen, die ihm jetzt, angesichts dieser lebensprühenden Hafnerin, wie künstliche Puppen erschienen, und er konnte sich kaum daran satt sehen, wie ihre schmiegsamen und geschickten Finger dem plumpen Ton eine Form entlockten.

Schon zur Schulzeit hatte er Zorn empfunden über den anmaßenden Hochmut derer, die in endlosen trockenen Disputationen über das Wesen von Begriffen stritten und in ihren Summen fragile Theoriegebäude errichteten, während sie die artes mechanicae, die aus dem Leben schöpften und der Freude und Erbauung dienten, als mindere Künste schmähten.

Wenn er noch lange so dasitzt, sorgte sich Wiltrud unterdessen, wird die Werkstatt von Bechern überschwemmt.

»Tja«, unterbrach Peter schließlich sein geistreiches Schweigen, »ich sollte selber an die Arbeit gehen.« Im Aufstehen sah er das Gießgefäß auf dem Trockenregal. »Was ist das?« fragte er neugierig. »Ein … ein Löwe?«

»Es ist das, was Ihr darin sehen wollt«, erklärte die Hafnerin selbstsicher.

Bevor Peter seine Betrachtung des gelungenen Werks fortsetzen konnte, platzte Wiltruds Ahn in die Werkstatt: »Komm schnell, dein Vater, du mußt mir helfen!«

Wiltrud tauchte die lehmigen Hände in den Wasserbottich. »Ihr müßt jetzt gehen«, forderte sie Peter nervös auf.

»Kann ich nicht etwas für Euch tun?«

Sie schob ihn unsanft mit nassen Fingern Richtung Türe. »Nein! Habt Dank! Auf bald!«

Unschlüssig stand Peter noch eine Weile auf der Gasse herum, ehe er sich betreten auf den Weg zur Lände machte.

Noch immer lachend kehrte Paul von seinem abendlichen Bummel über den Marktplatz zurück. »Das hättest du hören müssen«, entfachte er Peters Neugier, »dieser Siegfried ist ein echter Schelm.«

Peters Interesse schien deutlich zu schwinden, aber Paul ließ sich dadurch nicht bremsen. »Erst hat er, von Dutzenden umringt, eine verrückte Geschichte von einem Abt in Morimont zum besten gegeben und sich dann lauthals über den kopflosen Gesellpriester belustigt. Das Publikum hat getobt, und stell dir vor, etliche haben’s sogar geglaubt.«

Peters Augen verengten sich. Ungläubig schob er den Kopf vor.

»Ah, doch neugierig! Also, gib acht! Der Abt studierte als Jüngling zu Paris, hatte aber einen harten Schädel, der wenig begriff und noch weniger behielt. Er wurde von allen verspottet und grämte sich mörderisch. Da drückte ihm eines Tages der Teufel einen Stein in die Hand und lockte: ›Solange du diesen in der Hand behältst, wirst du alles wissen.‹ Der Bursche wurde ein Muster an Gelehrsamkeit, bis er auf den Tod erkrankte. Und bevor er starb, warf er entsetzt den Stein von sich. Dämonen ergriffen nun seine Seele, zerrten sie in ein grausiges, schwefeliges Tal und spielten dort mit ihren Krallenhänden Ball mit ihr, bis sich der Herr erbarmte und die arme Seele in den Körper zurückkehren ließ. Der Jüngling ging zu den Zisterziensern, kasteite sich streng, wurde geheiligter Abt und hat fortan nie mehr gelacht. Was schaust du so mißtrauisch?«

Peter rümpfte die Nase und winkte verächtlich ab.

»Die Geschichte ist wahr, du Miesepeter! Hör weiter!« Paul fing schon wieder zu schmunzeln an. »Der Sänger behauptete nun, daß auch der Gesellpriester so schlaue Reden nur führen konnte, weil er mit dem Teufel paktierte. Aber da er beim Reden immer wild mit den Händen fuchtelte, hat ihm der Teufel den Stein gleich ins Herz gepflanzt. Doch nach dem ergreifenden Spiel der Gaukler an Kirchweih hat ihn der Graus über sich selbst gepackt, und er wollt’ dem Teufel entwischen. Der war nun gewitzter, hat sich sofort den Kopf gesichert, in den er zuvor soviel teuflisches Wissen gesteckt hat und hat ihn gleich wieder einem anderen unzufriedenen Kleriker angedreht. So kommt’s, daß die boshafte Gattung geifernder Klugscheißer nie ausstirbt.«

Paul prustete und klopfte sich auf die Schenkel, während sein Zuhörer säuerlich mäkelte: »Und das findest du lustig? Ich hätte dich für klüger gehalten.«

Paul würgte seine Fröhlichkeit ab, wischte sich das Wasser aus den Augen und fragte streitlustig: »Was ist? Was paßt dir schon wieder nicht?«

»Die Mär von dem Abt lass’ ich mir ja noch eingehen …«

»Wie großzügig von dem Herrn Besserwisser!« giftete Paul. »Sie stammt von einem gewissen Caesarius von Heisterbach, und der war hochgelehrter Zisterzienser, daß du’s nur weißt!«

»Meinetwegen«, tat Peter unbeeindruckt, »aber die Mär des Sängers ist gefährlicher Unsinn.«

»So! Ich finde sie großartig, und die Leute auf dem Markt haben sich gekrümmt vor Lachen. Sie ist treffend und erklärt den Kern der Sache!«

»Sie lenkt ab und verschleiert und setzt dem Pöbel nur neue Flausen ins Hirn. Denk doch mal nach! Es ist wie der Tanz auf dem Seil, immer haarscharf am Abgrund. Erst haben sie gebrüllt, die Gaukler zu hängen, jetzt jubeln sie ihnen schon wieder zu. Aber Konrad Diener hat noch immer keinen Schuldigen, und die Entrüstung unter den geschockten Kirchgängern hat sich noch lange nicht gelegt. Er hat sie doch nur laufen lassen, weil die Torwächter beschworen haben, daß die Truppe vor Dunkelheit die Stadt verließ, so daß ihnen das Schurkenstück nur durch Magie geglückt wäre, und davon will der Richter nichts mehr wissen. Danke Gott, daß nicht Ostern ist, sonst würden sie wegen des Blutes jetzt Juden hetzen, und dank ihm auch dafür, daß der Pfaff’ ein Mannsbild war, sonst würden sie alte Weiber wegen Kinderfett und derlei Greueln anschuldigen! Der Sänger, zum Teufel, sollte sein Maul nicht so voll nehmen!«

Peter hatte sich zuletzt so ereifert, daß er mehrmals auf den Tisch schlug, was Paul nun veranlaßte, den Kopf schief zu legen und ihn aus Augenschlitzen zu fixieren: »Du magst ihn nicht? Nagt da wohl der Wurm der …«

»Ach!« fauchte Peter, stieß wütend den Hocker um und rannte hinaus.

»Klugscheißer!« maulte ihm Paul hinterher.

Das Labor des Alchemisten

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