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4. Kapitel

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Heißer Dampf waberte durch die Badstube am Anger, gesättigt mit anzüglichen Reden der Handwerksburschen, die voller Übermut ihre Bad- und Trinkpfennige einlösten, und durchmischt mit frivolen Scherzen ansonsten ehrsamer Bürger.

Mehrere hölzerne Kufen standen dicht hintereinandergereiht, so daß sie aussahen wie ein einziger großer Bottich, in dem die Badefreudigen sich paarweise gegenübersaßen, wobei keiner darüber wachte, ob der Fleischhauer die Schneiderin zu Gesicht bekam, wie Gott sie geschaffen hatte, und die Frau Meisterin mit einem fremden Mann dasselbe Wasser teilte oder gar einem Knecht ihre fleischlichen Reize hautnah vor Augen führte.

Utz, dem Bader, war es ganz gewiß egal, wenn nur die Stube voll war, und sein Weib Klara war eher bekannt dafür, daß sie, wenngleich weniger mildtätig als geschäftstüchtig, willige Mägde an Herren jeden Standes zur Pflege notleidender Glieder vermittelte. Sie füllte gerade die Becher und legte Brot- und Fleischstücke auf das breite Brett, das mitten über alle Zuber hinweg das feuchte Schlaraffia überbrückte.

Auch Wolfhart, der Lernknecht des Hafners, tat sich gütlich. Ihn trieb nicht so sehr die bevorstehende Kirchweih oder eine Aufforderung der Meisterin ins Bad, als vielmehr die Neugier und die quälende Unruhe eine Spanne unter dem Nabel, die auf baldige Erleichterung drängte. Er stierte seit geraumer Zeit so unverhohlen auf die wippenden Brüste der leicht bekleideten Baderin, daß Niklas ihn lauthals aufzog: »He, Milchbart! Mußt nur der Läufigen Eis’ schöne Augen machen, wenn’s not tut.«

Die Bademagd und Reiberin trug die grobe Bezeichnung wie einen stolzen Kriegsnamen und erklärte schnippisch, während sie die Kopfhaut der Bäckersfrau nach Läusen absuchte, daß bei ihr nur für gute Münze ein Ablaß zu bekommen sei.

Wolfhart glühte wie ein Paradiesapfel und hätte dem frechen Schwätzer aufs Maul schlagen wollen. Er befand sich in argem Zwiespalt. Nachts plagten ihn feuchte Träume, tagsüber tyrannisierte der Lustteufel seine Gedanken und gaukelte ihm unentwegt Trugbilder weiblicher Reize vor.

Hatte er anfangs die Meisterin trotz ihrer manchmal schroffen Art nur schwärmerisch verehrt, weil sie ihn vor dem Wüten des alten Arnold in Schutz nahm, so betrachtete er sie inzwischen zunehmend begehrlich, und in seinen kühnsten Hoffnungen spintisierte er, daß sie ihn eines Tages erhören und er dann nicht nur ein fesches Weib, sondern auch den Hafnerbetrieb sein eigen nennen könnte. Doch eine Ohrfeige warf ihn jedesmal in die Wirklichkeit zurück, in der er noch nicht einmal ausgelernt und die Stellung eines Knechts erreicht hatte.

Niklas, den Sohn des Nachbarn, der neuerdings seiner Meisterin hinterherstieg, empfand er zwar als dreisten Rivalen, andererseits bewunderte er ihn: Er war einer, der sich nahm, was er wollte. Und Wolfhart war froh, daß Niklas und die anderen Burschen ihn seit einiger Zeit an ihren Streifzügen teilnehmen ließen, auch wenn er meist nur Wache halten durfte. Aber es war aufregend, und einmal hatten sie ihn sogar selbst schon rangelassen … er war nur zu ungeschickt, zu aufgeregt gewesen. Wolfhart brannte auf einen neuen Streich und bedrängte die anderen.

»Nicht hier, du Tölpel!« wies ihn der Schäfflerknecht zurecht und unkte dann zu Seibold, dem Sohn des Wollwebers, hinüber: »Bald ist es aus mit dem Herumstreunen. Dein Halfter wird schon geflochten und nicht aus Wolle.«

»Recht geschieht ihm!« urteilte der Knecht der Beutlerin.

»Bist ja nur neidig«, konterte der angehende Hochzeiter lachend, »weil du abgeblitzt bist. Und ihr alle braucht euch nicht einzubilden, daß Seibold Schafswol jetzt zum Schoßhündchen wird.«

»Recht so!« bestärkte ihn Niklas. »Mußt von Anfang an zeigen, daß der Hammer die Kunkel regiert. Und paß nur auf, daß die Rute nicht stumpf wird!«

»Wie geht’s denn selber so voran?« forschte Liebhart, der jüngste Sohn vom Ratsherrn Küchel, den Maulhelden aus.

»Sieht gut aus«, prahlte Niklas, »noch eh’ das Jahr um ist, will ich den Pflug zu Bette führen.«

»Auweh!« flachste Seibold. »Ich fürchte, der Acker ist jetzt schon gefroren.«

»Die Burschen nehmen das Maul ganz schön voll«, nörgelte Peter Barth, der sich immer noch ärgerte, daß Paul ihn hierher geschleppt hatte, wo es genügend andere Bäder in ihrer Nähe gab.

»Nicht für mich«, erwiderte Paul und rückte damit heraus, daß er sich gerade erst beim Rößlwirt am Hinteranger eingemietet hatte.

»Der nächste Weg zur Floßlände«, blieb Peter unwillig.

»Macht nichts, ich brauch’ ohnehin Veränderung.«

Ehe Peter herausfand, ob der Freund Arbeit oder Bleibe meinte, wurde die Tür zur Badstube aufgestoßen, und die Gauklertruppe drängte herein.

»Die Rothaarige hat hier noch Platz«, lockte der alte Leineweber und zeigte strahlend seine letzten Zahnstummel.

Utz unterbrach das Schröpfen eines geplagten Rückens, schob ein paar leere Kufen zusammen und wies die Mägde an, Wasser zu bringen, während die Spielleute ungeniert aus ihren Kleidern stiegen. Fridlieb füllte den Zuber schon alleine, nahm aber zur Enttäuschung des Webers noch seine Rothaarige zwischen die Beine, daß das Wasser überschwappte.

Hein Wackel hatte seine Flöte dabei und Balthasar den krummen Zink, und die Badsitzer forderten auch sogleich Spottverse und anzügliche Reime. Sie lachten und gickelten, planschten und schmatzten, und man konnte sich kaum vorstellen, daß es im Himmel lustiger zuginge.

Niklas grinste herausfordernd und starrte unentwegt auf das junge Spielweib, das sein schwüles Werben stolz überging. »Das wär’ eine …«, schwelgte er, ohne den Blick abzuwenden. »Die schwarzen Haar’, die Glut in den Augen … ich hab’ sie tanzen sehen, gestern auf dem Markt.« Er schnalzte mit der Zunge.

»Bist du verrückt? Vielleicht ist sie die Tochter von dem Bären da.« Seibold liebte das Abenteuer ohne Risiko.

»Ach was«, beschwichtigte Niklas, »sie ist eine von diesen wilden Sara... Sarezinnen oder was weiß ich. Jedenfalls sind alle Spielweiber Strohteufel und Dirnen.«

»Hier ist doch was geboten«, rechtfertigte Paul seine Wahl und verschränkte zufrieden die tropfenden Arme hinterm Kopf.

»Und näher bei den Hübscherinnen bist du auch«, argwöhnte Peter biestig.

»Pfui!« tat Paul schockiert. »Nur ein lüsterner Schelm kommt auf solche Gedanken! Sieh mal«, stieß er grinsend den sauertöpfischen Freund an, »du könntest ja bei Frau Hafnerin den Ton kneten.«

Eben lief Wiltrud geschäftig an den Bottichen vorbei, ohne von den Badenden Notiz zu nehmen. Sie suchte die Hilfe des Baders, da ihr Vater wieder wegen eines Gichtanfalls das Haus zusammenbrüllte.

»Er säuft zuviel vom schweren Wein und frißt ungezügelt«, bemerkte der Bader nüchtern, während er das Schermesser aus der Hand legte. »Aber wenn’s ihm einer sagt, will er die Menge nur verdoppeln. Versuch’s mit einer Mischung aus Petersilie und vier Teilen Raute. Brat sie mit Bockstalg gut durch und gib sie heiß auf die schmerzende Stelle.«

»Dann geht er die Wände hoch«, befürchtete Wiltrud.

»Hm, dann mag vielleicht der Chrysop-Stein oder der kühle Jaspis die Hitze vom gichtigen Glied abziehen.«

»Er läßt mich nicht an sich ran, und ich besitze keinen der Steine.«

»Tja, dann kannst du nur noch den Wein aufbereiten, wo er ohnehin säuft. Sammle Schlehendornen, verglühe sie zu Asche, gib Nelkenpulver und die doppelte Menge Zimt dazu und rühre alles mit etwas Honig in den Wein. Ich werde morgen nach der Messe vorbeikommen und nach ihm sehen.«

»Hab Dank, Bader. Was bin ich …«

»Schon gut, bezahl mich morgen.«

Siegfried hatte, als er die Hafnerin sah, sofort Text und Melodie geändert und trug jetzt ein Preislied auf die edlen Frauen vor. Aber Wiltrud schien ihn nicht zu bemerken. Plötzlich griff eine nasse Hand nach ihr und hielt sie fest.

»Meinen Gruß, Frau Nachbarin«, griente Niklas. »Willst du mir und meinen Freunden nicht wenigstens ein Lächeln schenken?«

»Wer lächelt schon dem Teufel zu?«

Die Burschen johlten und amüsierten sich. Und Niklas mußte mehr wagen, wollte er nicht vor ihnen das Gesicht verlieren. Er erhob sich im Wasser, wobei auch nicht die kleinste Badehr seine Scham bedeckte und zog sie grob zu sich heran: »Dann eben einen Kuß.«

»Laß mich!« zischte Wiltrud und stemmte sich wütend gegen ihn.

Die Badegäste genossen das würdelose Schauspiel – bis auf zwei.

»Die Dame schätzt Euch nicht.« Siegfried stieg aus dem Zuber, schlang sich sein Hemd um und baute sich vor dem Rüpel auf.

»Die Dame schätzt Euch nicht«, äffte Niklas in gespreiztem Ton nach, ohne Wiltruds Hand freizugeben. »Seit wann muß sich ein Bürger dieser Stadt von Hudelvolk und Störzern anblasen lassen? Pack dich fort, du grindiger Flohbeutel!«

»Mein Herr …«

Siegfried konnte die Trommel nicht so schnell schlagen, wie dieser »Herr« auf ihn einschlug, und an der Schläfe heftig getroffen, taumelte er rückwärts und stürzte in die Kufe, der Fridlieb soeben entstieg. Der ging wortlos auf Niklas zu, stieß ihn vor die Brust, packte den Rand des Zubers mit seinen Pranken und riß ihn nach vorne aus Reih und Glied heraus. Noch ehe der Raufbold sich wieder aufrichten konnte, wuchtete der starke Fridlieb mit einem wilden Schrei den Bottich hoch und kippte die Burschen mitsamt dem Wasser aus, das sich im Schwall in die Badstube ergoß.

Wildes Gekreische erhob sich, als Becher und Speisen durcheinanderrollten, aber keiner wagte eine Beschwerde, und jeglicher Mißmut wurde übertroffen von ehrfürchtigem Staunen über soviel Kraft.

Nur Niklas begann zu fluchen und zu schimpfen und wollte blind losstürmen, aber die anderen hielten ihn zurück, was angesichts des drohenden Hünen auch geraten schien. Sie rafften ihre Kleider zusammen und schlichen sich, von Häme begleitet, hinaus.

»Das wird euch Pack noch leid tun! Verdammt leid!« drohte Niklas und stürmte wutschnaubend davon.

Fridlieb entschuldigte sich, doch der Bader nahm’s gelassen. Die Ablaufrinne fing die Überschwemmung auf, und er machte sich schon daran, den Gästen neu aufzutragen. Fast schien es so, als empfinde er Genugtuung darüber, daß endlich jemand den Störenfrieden entgegentrat. Nur die Tatsache, daß Seibolds Vater, dem Gschlachtgewander Schafswol, das Badhaus gehörte, beunruhigte ihn ein wenig, denn der Wollweber war nicht nur für die Herstellung feinsten Tuches bekannt, sondern auch für seine Willkür und seinen Ehrgeiz.

»Ich kann gut auf mich selber aufpassen«, murrte inzwischen Wiltrud, »habt trotzdem Dank.«

Siegfried nahm den Schwamm von der schwellenden Schläfe und dem geröteten Auge und erklärte lachend: »So wurde mir wenigstens die unverdiente Ehre zuteil, Euer Stigma zu tragen. Dabei ist dies noch wie Fliegenschiß gegen die schwärende Wunde.« Er faßte sich an die Brust und krümmte sich.

»Wie? Ihr seid verletzt?«

Er winkte sie heran, als sei die Stelle unsäglichen Schmerzes nicht für jedermanns Ohren bestimmt, und sie ließ sich neben dem Zuber in die Hocke herab.

»Gott Amor verschießt grausame Pfeile. Sie dringen durchs Auge ins Herz, wo sie, mit Widerhaken versehen, brennen und einmal getroffen, besteht keine Rettung. Gewöhnlich bestreicht er die Pfeile wenigstens mit einer milden Salbe, die die Qualen erträglich macht. Doch will mir scheinen, daß er heute morgen den blanken Stahl auf mich gerichtet hat, ganz ohne Balsam. Wißt Ihr denn Linderung für mein brennend’ Herz?«

Wiltrud schwankte wieder zwischen Ärger und Lachen über den Galan und blies ihm schmunzelnd Kühlung ins Gesicht. »Ihr werdet’s überleben.«

»Es bedarf aber sorgfältigster Prüfung«, versicherte er mit todernster Miene. »Als weiland Tristan nach dem Drachenkampf im Bade saß und Isolde sich seiner Wunden annahm, da prüfte sie auch sein Schwert und …«

»Ooooh... Ihr!!!!« Wiltrud fuhr wie gestochen in die Höhe, drückte den leidenden Schwerenöter mit Schwung unters Wasser und rauschte davon.

»Urrgh... so... pfft...«, prustete Siegfried hinterher, »so wartet doch … Ihr mißversteht! Tzzz« – wandte er sich kopfkratzend an die Rothaarige –, »ich muß ihr die Geschichte erst noch erklären.«

Da fielen auch schon die eifernden Spielweiber mit dem Badewedel über ihn her, und Peter hatte nicht übel Lust, sich ihnen anzuschließen. Er war wütend, daß dieser aufgeblasene Verseschmied ihm zuvorgekommen war. Was hatte der sich einzumischen?

»Schau nicht so finster!« sagte Paul amüsiert. »Ist bloß ein Spielmann. Die kommen und gehen. Aber diese dreisten Burschen, die gefallen mir gar nicht.«

Das Labor des Alchemisten

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