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Aus den Gesprächen zwischen Rossi und Hill

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Los Osos, Kalifornien, 1. Juni 2016, 14 Uhr

RHVielleicht ist dies die Gelegenheit, was meinst du? Unter all meinen Fragen war eine, dass ich von dir wissen wollte, wie der Mirroring-Hands-Ansatz entstanden ist.

ELROh … was die Essenz ist, die tiefste Essenz …

RHGenau!

ELRIch erinnere mich, dass ich einmal mit den Worten vorgestellt wurde: »Und jetzt wird Ernie Rossi seinen Ansatz mit den Händen vorstellen.« (Wir lachen) Ist das nicht dämlich?

RHUnd das war … alles?

ELRIch habe gedacht: »Er versteht es nicht.« Was hatte er nicht verstanden? Wir haben zwei Seiten … Du weißt schon, die Sache mit der linken und rechten Hemisphäre. Es geht aber auch um die Perspektive der Quantenfeldtheorie und der Kognition, der Empathie, der Persönlichkeit, der Gehirnplastizität, der Moleküle und der Genexpression, bis hin zur Ebene der Quanten. Es ist hier (deutet auf seinen Kopf) eingebaut.

RHJa, ich bin mit vielem davon vertraut …

ELR(hält einen Augenblick inne und denkt darüber nach, wo er anfangen soll) Ich war oft dabei, wenn David Cheek bei Milton Erickson war; es gab also ein Gespräch zwischen uns dreien … genauso war es oft, wenn Ravitz da war … und ich lernte während dieser informellen Fachsimpeleien vieles, wofür die öffentliche Wahrnehmung der therapeutischen Hypnose kein Verständnis zu haben schien …

Man kann Milton Erickson mit Recht als einen der wichtigsten Vertreter der modernen Psychotherapie und der therapeutischen Hypnose bezeichnen. Er wurde in den 1920er-Jahren zum Psychiater ausgebildet und führte umfangreiche Untersuchungen auf dem Gebiet der therapeutischen Hypnose durch. Die Milton H. Erickson Foundation, die Jeffrey Zeig leitet, pflegt das Erbe Ericksons durch die Organisation von Ausbildungsaktivitäten, mithilfe eines riesigen Archivs und durch eine jährliche Konferenz, die Ericksons Arbeit würdigt und die Weiterentwicklung der Psychotherapie fördert.8 Ericksons Schriften sind am besten zusammengefasst in den 16 Bänden der Collected Works of Milton H. Erickson, M. D. (2008–2015), herausgegeben von Ernest Rossi, Kathryn Rossi und Roxanna Erickson-Klein (Erickson 2008–2015). Erickson war ein meisterhafter Lehrer. Diejenigen, die Zeit mit ihm verbrachten, von ihm lernten und in Zusammenarbeit mit ihm ihre eigenen Ansätze entwickelten, bilden ein »Who is who« der modernen Psychotherapie.

Ernest Rossi besuchte Erickson regelmäßig, oft jeden Monat gewöhnlich für etwa eine Woche. Diese Besuche begannen im Jahre 1972 und wurden bis zu Ericksons Tod im Jahr 1980 fortgesetzt. Da viele bedeutende Persönlichkeiten Erickson besuchten, war sein Haus ein fruchtbares Ambiente für jeden Studenten, Forscher und Autor. Leonard Ravitz, ein Psychiater von der Yale University, war um das Jahr 1945 Student Ericksons. Er war an der Entwicklung von Verfahren zur Messung elektrodynamischer Felder beim Menschen und der Unterschiede zwischen linker und rechter Körperseite beteiligt. In den 1950er-Jahren wendete er diese Technik in Zusammenarbeit mit Erickson auf Probanden an, die sich in hypnotischen Zuständen befanden. An dieser Stelle soll es genügen zu erwähnen, dass das Messgerät, das dazu benutzt wurde, anderen elektrodynamischen Messgeräten ähnelte, etwa dem Gerät, das die Gehirnaktivität misst und ein Elektroenzephalogramm (EEG) erstellt, oder dem Gerät, das die elektrische Aktivität des Herzens misst und ein Elektrokardiogramm (EKG) erstellt. Ravitz und Erickson instruierten Rossi im Gebrauch des Messgeräts und führten Mitte der 1970er-Jahre Experimente an sich selbst, an Familienmitgliedern und an Patienten durch, die Ravitz großenteils in seinem Buch Electrodynamic Man (Ravitz 2002) dokumentiert hat. Auch während meines Besuchs bei Rossi führten wir solche Experimente durch, unter anderem an zwei Menschen in Trance, wozu wir eine moderne Version des ursprünglichen Geräts benutzten. Bei diesem Experiment wurden Rossi und ich zur »linken« und »rechten« Seite einer Dyade, die durch Kontakt über die Hände zu einem Schaltkreis verbunden waren. Die Einzelheiten unserer Soloexperimente und anderer früher durchgeführter Experimente werden in Kapitel 14 erläutert (siehe auch: Rossi a. Rossi 2016a, S. 14–25; Rossi a. Rossi 2016b, S. 47–68). Wichtig ist, dass bei diesen Versuchen die Messelektroden an den Handinnenflächen befestigt wurden. Die Spannung wurde als Linie auf einem Papierstreifen aufgezeichnet, der Veränderungen während des Experiments dokumentierte. Weil die Werte für die rechte und die linke Körperseite in unterschiedlichen Linien aufgezeichnet wurden, konnten wir Veränderungen auf den beiden Seiten und Unterschiede hinsichtlich der Aktivität der beiden Körperseiten separat verfolgen.

Dr. David Cheek war für Rossi ein weiterer wichtiger Mentor, der seine medizinische Laufbahn als Arzt für Gynäkologie und Geburtshilfe begann. Er entwickelte starkes Interesse an Hypnose und erfand den Prozess des »ideomotorischen Signalisierens« (Cheek 1994). Dies hatte er durch seine Teilnahme an Hypnoseseminaren gelernt, die Erickson in den 1950er-Jahren veranstaltet hatte. Die positive oder »Ja«-Reaktion und die negative oder »Nein«-Reaktion werden dabei jeweils einem anderen Finger zugewiesen, und der Versuchsperson wird beigebracht, mit dem Erheben des einen oder des anderen Fingers zu reagieren. In Trance erhebt und bewegt sich der eine oder der andere Finger ohne Beteiligung des Bewusstseins – »fast wie von selbst« –, was eine Verbindung zu impliziten, unbewussten Regionen im Gehirn der Versuchsperson nahelegt. Die Bewegungen können mit dem bewussten Dialog im Einklang stehen oder nicht und in letzterem Fall auf einen Konflikt oder eine Inkongruenz zwischen Bewusstsein und Unbewusstem des Probanden hindeuten. Die nicht bewusste, nicht selbst gesteuerte Aktivität ähnelt der Handlevitation, ebenfalls eine ideomotorische Reaktion, die »von selbst« auftritt und ein Verhalten während der Hypnose ist, das einen Trancezustand anzeigen kann. Entscheidend und in diesem Zusammenhang zu beachten ist, dass unterschiedliche Reaktionen der Finger entgegengesetzte Aspekte der untersuchten Situation spiegeln können.


ELRIch lese also die Fachliteratur und sitze mit diesen Leuten zusammen, und dann wird mir klar, dass es in der Literatur den Begriff »ideomotorisch« gibt, der bei mir etwas auslöst, eine Aktivität … damit bin ich verbunden. Ich bin meinem Wesen nach ein Top-down-Mensch. Die Idee ruft etwas hervor (deutet mit seinen Händen eine Bewegung vom Kopf am Körper entlang abwärts an).

Dies war eine Sache, die ich an Cheek als brillant empfand und die der Rest der Hypnosewelt nicht verstand. Es gab da nämlich ein paar »Wissenschaftler«, die auf ihre »Wissenschaftlichkeit«, ihre »Experimente« und ihre »Forschung« im Bereich der Hypnose stolz waren und die Cheeks Ansehen zunichtemachen wollten.

Sie stellten fest, dass die Fingerbewegungen nicht zuverlässig waren. Cheek sagte: »Das ist Ihr ›Ja‹-Finger, das ist Ihr ›Nein‹-Finger, und das ist Ihr ›Ich weiß nicht‹-Finger.« Diese »Wissenschaftler« führten dann ein paar Experimente durch, stellten fest, dass die Probanden unzuverlässig reagierten, und erklärten daraufhin: »Cheek ist unwissenschaftlich!« (unterstreicht dies durch eine Pantomime). Sie brachten die ganze Welt der Hypnose und der Psychotherapie gegen die Idee der »Ideodynamik« auf.

Was für ein einfältiger Mechanismus wäre es denn, wenn jedes Mal, wenn ich »Ja« sage, sich Ihr »Ja«-Finger erhebt, und jedes Mal, wenn ich »Nein« sage, sich Ihr »Nein«-Finger erhebt? Es geht hier um menschliche Komplexität, nicht um menschliche Unzuverlässigkeit!

Die »Wissenschaftler« waren auf der Jagd nach wissenschaftlicher Objektivität, genau wie in den 1890er-Jahren, als in Würzburg in Deutschland die experimentelle Psychologie entstand. Sie sagten: »Psychologie ist eine Wissenschaft, eine experimentelle Wissenschaft«, und seither arbeitet sich diese Wissenschaft an der Subjektivität der Menschen ab … Im Grunde sprachen diese sogenannten Wissenschaftler über ihr Erleben der Welt nur aus der Perspektive ihrer linken Hemisphäre – der verbal und mathematisch orientierten Hirnhälfte –, statt die rechte Hemisphäre – die episodisch und erlebensorientierte Hemisphäre – einzubeziehen. Es war also nicht so leicht, die Wahrheit zu erkennen. Ich sah die Wahrheit in Erickson, und ich sah die Wahrheit in Cheek. Aber ich sah auch, dass die Fingersignale unzuverlässig sein konnten, und das machte mir Sorgen.

Daraufhin arbeitete ich mit Cheek zusammen an einem Buch (Rossi a. Cheek 1988), und ich entwickelte all diese Paradigmen, all diese Techniken, all diese Kästen, die sich in dem Buch befinden und die tatsächlich immer noch gut sind. Ich habe sie zwar nicht so oft benutzt, weil andere Dinge meine Aufmerksamkeit fesselten. Ich war auf der Suche nach etwas anderem, weil mir etwas Sorgen machte, nämlich die Fingersignale: Bei einigen Menschen tauchten sie einfach nicht auf.

In seiner Umgebung war Cheeks Autorität so stark, dass sich die Finger der Probanden wie von selbst erhoben. Doch die »Wissenschaftler« sagten, die Finger reagierten nicht von selbst, sondern Cheek würde sie »programmieren«. Deshalb war ich auf der Suche nach etwas weniger leicht »Programmierbarem«.

Im Grunde zielt deine Frage darauf, welche Entwicklungsschritte mich zur Erfindung der Mirroring-Hands-Technik brachten … Das war die Idee der Ideodynamik – die Essenz der sogenannten Trance. Die Ideodynamik war auch der Punkt, an dem sich meine Sicht und die Sicht Cheeks unterschieden. Er sprach von »ideomotorisch«; aber wenn von »ideomotorisch« die Rede ist, muss es auch »ideosensorisch« geben, und nach meiner Meinung umfasste das Wort »ideodynamisch« beides. Als ich mit Cheek zusammen an unserem Buch arbeitete, benutzte ich darin das Wort »ideodynamisch«. Aber er fand das nie wirklich gut.

RHWie bist du dazu gekommen, die Hände zu benutzen?

ELRIch glaube, es ergab sich aus der Körpersprache (demonstriert den Gebrauch einer Hand und dann der anderen während unserer Diskussion).

Ich dachte: »Warum soll ich nicht die ganze Hand benutzen?« Nun, das ist die Verbindung zu Erickson, der die Nutzung der Handlevitation in der therapeutischen Hypnose erfunden hat. Ich weiß nicht mehr genau, wann es passiert ist, aber ich glaube, ich habe die Ideen von Erickson und Cheek zusammengefügt, um den Geist-Hand-Spiegelungs-Ansatz der therapeutischen Hypnose zu erfinden. Erickson hat dies getan (erhebt seinen Arm vom Stuhl wie bei einer Handlevitation), und das war für viele Klienten schwierig, aber vielleicht …

(Seine Augen funkeln, als würden sie einen numinosen Aha-Moment der Entdeckung erleben.) Ah, jetzt erinnere ich mich an die Verbindung.

Dies war eine der frühesten Ideen vom Wesen von Hypnose – dass es sich dabei um eine Manifestation von Elektromagnetismus handelt. Ich glaube … Ich weiß nicht, ob ich selbst oder jemand anders es entdeckt hat … Manchmal denke ich: »War das wirklich ich, oder habe ich es irgendwo gelesen?« Jedenfalls sind in historischen Büchern über Hypnose Bilder von alten Männern mit großen Augen zu sehen … und sogenannte magische Gesten … Ich weiß, dass ich in diesen historischen Dokumenten mit der Idee magnetischer Bewegungen konfrontiert worden bin, aber ich habe irgendeine Verbindung zwischen Magnetismus und Händen und der Faszination bezüglich des von mir so genannten »Neuheits-Numinosum-Neurogenesis-Effekt« [NNNE] entdeckt, der die wissenschaftliche Grundlage der therapeutischen Hypnose ist (Rossi 2004b, S. 215–227).

Wenn du also deine Hände so positionierst (legt seine Hände getrennt vor sich), kannst du – ideosensorisch – spüren … Du kannst … es … tatsächlich subjektiv spüren … Nun, während ich meine Augen schloss, als ich demonstrierte, dass ich es wirklich spürte (agiert seine Denkprozesse aus) … Habe ich das Zusammenziehen der Hände wirklich gespürt? Ja! Aber konnte ich auch eine »Nein«-Reaktion spüren, bei der sich die Hände trennen? Im Moment, Richard, spüre ich in deiner Gegenwart das Auseinanderstreben der Hände …

Als ich das tat, verband ich das Ideomotorische mit dem Ideosensorischen … Ich spekuliere nun, dass dieses sehr fragile subjektive Erlebnis ein Quantenquale innerer Empfindung und Wahrnehmung ist, das nur ich fühlen und realisieren kann. Dies ist die Essenz des Selbst, ein geheimes inneres Empfinden meiner Lebendigkeit, das niemand außer mir erleben kann! Sollten wir dies »Quanten-Seinsgefühl« oder die »Ungewissheit des Selbst« nennen? Ich frage mich … ist dies die Essenz des sehr fragilen und numinosen Erlebens von Empathie, Mitgefühl, Beziehung und Heilung während des Mind-Mirroring zwischen Menschen, die einander im realen Leben lieben und in der psychotherapeutischen Beziehung? Darüber habe ich noch nie etwas geschrieben, oder?

RHIch glaube nicht … nein.

ELRHier versuchte Rossi also sozusagen zu »verdoppeln«. Ich versuche, die Hypnotisierbarkeit – das Wort gefällt mir überhaupt nicht – der Person zu steigern. Statt von Hypnotisierbarkeit zu sprechen, würde ich lieber von einer Quanten-Hypersensibilität gegenüber der eigenen inneren Ideodynamik sprechen … einem Quantenquale innerer Empfindung und Wahrnehmung. Übrigens basiert mein Wechsel zur Quantenfeldtheorie teilweise darauf, dass es endlich jemand kapiert hat. In der Fachzeitschrift American Journal of Clinical Hypnosis wurde ein Artikel veröffentlicht, in dem es heißt: »Ernie Rossi hat gesagt, es gehe weniger um Suggestion […]«, und dann heißt es völlig korrekt: »Erickson war kein Genie der Manipulation […]. Rossi sagt, es sei zutreffender, Erickson als genialen Beobachter zu bezeichnen.« (Hope a. Sugarman 2015, S. 212–229)

RHDu schreibst das in Band 6 der Collected Works … (Erickson 2010).

ELRDas hat mir Mut gemacht. Jemand hatte es kapiert! Ja, das genau denke ich auch. Das ist die neue Verbindung zur Quantenebene menschlichen Erlebens …

RH… die Beobachtung …

ELR… und die tiefere Quantenebene der Sensibilität. Quantum und Hypnose sind weder merkwürdig noch sonderbar. Sie sind eine weitere Dimension von Hypersensibilität gegenüber der eigenen inneren Welt.

Das Problem der Psychotherapie ist, dass Menschen Probleme haben. Warum? Weil sie nicht wissen, wie sie sich selbst und ihren eigenen Impulsen zuhören können, ihrer eigenen Wahrheit, ihrem eigenen Mythos. Warum folgen nicht alle Menschen ihrer inneren Leidenschaft? Weil die äußere Welt sie in ihrem Bann hält.

RHDer eigenen Glückseligkeit zu folgen ist auch das, was Joseph Campbell empfiehlt … (Campbell a. Moyers 1991)

ELRGenau. Ein typischer Lehrer sagt: »Nun zeichnest du ein ›a‹, und zwar so, nicht so …«, und dann muss das Kind üben, ein »a« zu zeichnen – zuerst ein kleines »a« und dann ein großes »A«. Der größte Teil dessen, was Kinder lernen, besteht darin zu lernen, wie man Dinge nicht macht. Es gibt Millionen von Arten, unendlich viele Arten, etwas nicht zu tun, aber offenbar nur eine Art, etwas »korrekt« zu tun.

RHDas ist meine Gewinner-Verlierer-Idee, die darauf basiert, dass es eine Art zu gewinnen gibt und dass alles andere verliert … (Hill 2006; Berne 1996)

ELRGenau …

RH… und zu verlieren ist schlecht.

ELR… und damit sehen wir den »Macht«-Instinkt in Aktion.

RHRichtig …

ELR… Aggression statt Sensibilität und positiver Empathie. Mit diesem Thema befasse ich mich – können Menschen sich dazu erziehen, die Werte »Sensibilität« und »Wohlbefinden« auf Quantenebene zu beherzigen, statt sich von Stress, Angst, Süchten und Depression überwältigen zu lassen?

RHGenau.

ELRIch hätte fast »subjektives Gewahrsein« gesagt, aber das subjektive Gewahrsein kann die subtilste Quantenquale-Ebene von Sensibilität sein. Sie ist so subtil, dass viele Menschen sie gar nicht bemerken, weil sie unmittelbar von der individuellen Beschaffenheit ihrer Gehirnstrukturen und von der klassischen Umgebung sowie von der Quanten-Kontingenzen-Umgebung abhängig ist. Wir alle haben im Leben unendlich viele verschiedene Möglichkeiten …

Grundsätzlich haben Menschen Probleme, weil die äußere Welt sie vor die Scheinalternative »It’s my way or the highway« stellt. Wenn wir jemandem erklären, er könne etwas nur auf eine ganz bestimmte Weise tun, vertiefen wir dadurch nur die Pathologie des Betreffenden. Deshalb ist ein Politiker wahrhaft groß, wenn es sich um jemanden wie beispielsweise Lincoln handelt, der etwas zum Ausdruck bringt, das in den flüchtigen Schatten des menschlichen Bewusstseins und der menschlichen Kognition auftaucht …

RHDer Zeitgeist?9

ELRJa, wir sollten einander nicht zu Sklaven machen usw. Ich glaube nicht, dass ich das jemals irgendwo geschrieben habe, aber das grundlegende menschliche Problem ist, dass Menschen ihre Stimme verloren haben … Der Grund ist das Schulsystem … die zentrale Bedeutung von Prüfungen und Konkurrenz … der Wettbewerb darum, wessen Stimme dominieren wird, statt dass man nach demjenigen mit dem sensibelsten Verständnis sucht … Wer wird die Welt einmal in einem neuen Licht sehen, so wie Einstein?

Weißt du eigentlich, dass Einstein nicht gut in Mathematik war und im Patentbüro nur ein Inspektor dritter Klasse?

Menschen haben also nicht deshalb Probleme, weil sie Probleme haben, sondern weil niemand ihnen beigebracht hat, ihr eigenes Genie zu respektieren. Jeder Mensch ist ein Genie, wenn er lernt, sein Bestes zutage zu fördern und optimal zu nutzen! Wie können wir einander helfen, unsere Chancen zur Selbstentwicklung zu erkennen? Das ist das wahre Problem bei den Bemühungen von Politikern um »Nation Building« – nicht ständige Selbsterhöhung, die ein Verbrechen ist …

Nun sind also Quanten-Sensibilität, Beobachtung, Empathie und Mitgefühl sich selbst und anderen gegenüber wichtig, nicht Suggestion …

RH… und ganz sicher nicht Anleitung …

ELRDa kannst du sicher sein. … Als ich im Jahr 1996 an meinem Buch A Symptom Path to Enlightenment arbeitete, kam mir plötzlich eine wichtige Erkenntnis: Symptome sind in Wahrheit unsere Orientierung (Rossi 1996) Symptome zeigen uns, wo wir mit der Konsensus-Realität kollidieren, und somit müssen wir lernen, daran zu arbeiten … Aber die äußere Welt ist natürlich nicht fair. Sie sagt nicht: »Oh ja, genau so ist es. Letztlich haben Sie wirklich recht, Richard …« Ich kenne einen Politiker, der zurzseit für seine dominierende Position kämpft; der würde so etwas nie zu dir sagen.

Auf diese Weise stellte ich die Verbindung zwischen Hypnose, Quantum-Selbstsensibilität und dem NNNE her. Die dominierende äußere Welt sagte: »Nicht deine Selbstsensibilität und Selbstschöpfung ist wichtig, sondern meine Anleitung sorgt dafür, dass sich für dich alles gut entwickelt.«

Mein Kampf konzentrierte sich immer darauf, wie ich jemanden dazu bringen könnte, sich selbst gegenüber sensibler zu sein, sein eigenes positives Erleben zu erforschen, seine eigene einzigartige Wahrheit zu finden und, nachdem der Betreffende seine Wahrheit gefunden hatte, seine Leidenschaft, sozusagen, wie er mehr Fertigkeiten entwickeln könnte, um seine Wahrheit seiner Umgebung mitzuteilen. Das ist Phase 4 des kreativen Zyklus10 – man tut seine innere Arbeit, benutzt den NNNE, um das Bestmögliche aus sich zu machen, und gibt dann etwas von Wert zurück.

Dies wurde für mich zu einer sehr wichtigen Weiterentwicklung gegenüber der Position Cheeks, der selbst festlegte, welcher Finger »Ja« und welcher »Nein« bedeutete. Mein erster Schritt auf dem Weg, der mich von diesem Ansatz zu einem neuen führte, bestand darin, den Fokus auf »Schauen wir doch mal, welcher Ihrer Finger Ihr ›Ja‹-Finger und welcher Ihr ›Nein‹-Finger sein wird« zu richten. Wir brachten den Klienten dazu, »Ja, ja, ja, ja …« zu sagen, und stellten dann fest, welcher seiner Finger sich bewegte. Das ist ein heikler Prozess. Aber als Cheek mit mir arbeitete, bewegte sich mein (von ihm zuvor festgelegter Ja-) Finger wirklich … Allerdings galt das nicht für jeden seiner Probanden. Hast du Dr. Cheek einmal kennengelernt?

RHNein.

ELREr war eine ziemlich eindrucksvolle Persönlichkeit – ein wunderbar liebevoller Hausarzt. Es war schon angenehm, ihn nur anzuschauen. Wenn er lächelte, fühlte man sich gut bei ihm aufgehoben – eingehüllt in die Flügel seines Wohlseins …

Dann habe ich eine Phase erlebt, in der die Finger wie Magneten sein konnten. Ich habe alle möglichen Übergangsphänomene durchlebt, und schließlich wurde mir die Bedeutung inneren Gewahrseins und der Selbstfürsorge im Alltagsleben klar (beschreibt mit beiden Armen einen großen, weit ausladenden Kreis, wobei sich seine Hände sehr langsam im Raum bewegen) … Ich stellte in meinem persönlichen Erleben fest, dass sogar ich etwas spüren kann, obwohl ich nicht besonders »suggestibel« bin. Wenn ich mit jemandem therapeutisch arbeite, befinde ich mich in der Regel in einem Zustand tiefer Empathie und tiefen Rapports. Ich versuche, mein Gefühl der Verbundenheit mit der anderen Person zu stärken, indem ich sie frage: »Spüren Sie, dass ein Teil von Ihnen von sich zu stoßen versucht, was Sie nicht mehr brauchen, und dass ein anderer Teil von Ihnen versucht zusammenzuziehen, was Sie annehmen müssen?« Sah die andere Person dann ihre eigenen Hände langsam zueinander hinstreben, fragte ich: »Bewegen sich die Hände wirklich aufeinander zu? Oder greifen Sie bewusst ein, damit das passiert?« Der Proband antwortet dann: »Nein, ich tue das nicht!«

Als eines Tages die Finger eines Klienten einander berührt hatten, wagte ich zu fragen: »Was würde wohl geschehen, wenn die Magneten, die inneren Kräfte, umgekehrt würden? Könnten Sie dann fühlen oder spüren, wie Ihre Hände auseinanderstreben?« Natürlich entfernten sich die Hände daraufhin voneinander. Dann sagte ich: »Bemühen Sie sich gerade, Ihre Rolle möglichst gut zu spielen, oder geschieht das alles wirklich wie von selbst?« Das Wie-von-selbst-Geschehen – das, was Hypnotherapeuten als »leichte Dissoziation« bezeichnen würden – wurde für mich sehr wichtig beim Entwickeln einer Vorstellung von sich verändernden neuartigen Zuständen des Bewusstseins und der Kognition. Ich vermute mittlerweile, dass solche Zustände verstärkter ideosensorischer Dynamiken eine Dimension des Bewusstseins auf der Quantenebene des NNNE sind, die sich zurzeit entwickelt.

Wenn also der NNNE selbstständig vonstattengeht, ist natürlich alles in der Natur auf der Quantenebene der Ungewissheit, der Wahrscheinlichkeit und des Potenzials für kreative Veränderung unbewusst. Auf diese Weise stellen wir Kontakt her – eine Verbindung zwischen neu entstehendem Bewusstsein, der Kognition, den Träumen und der probabilistischen Natur des Quanten-Unbewussten. Viele Jahre lang blieb ich dabei, essenzielle »Ja«- oder »Nein«-Zustände emotionalen Übergangs durch meine Mirroring-Hands-Technik zu fördern, Gehirn-Geist-Zustände mittels NNNE zusammenzuziehen oder auseinanderzutreiben. Dann kam es zu einer letzten wichtigen Veränderung: Ich entdeckte, wie ich das Gleiche ohne Nutzung einer hypnotischen Metapher erreichen konnte. Es reichte, einfach zu sagen: »Legen Sie Ihre Hände ungefähr auf Brusthöhe und mit einander zugewandten Handflächen zusammen – als würden sie einander spiegeln –, und wir schauen dann, was ganz von selbst geschieht.«

Als ich dies zum ersten Mal sagte, war es vermutlich ein Fehler. Ich vergaß, den Begriff »magnetisch« zu erwähnen. Ich hatte es einfach vergessen. Vielleicht war ich an jenem Tag müde. Jedenfalls sagte ich: »Schauen wir doch einmal, ob die Hände zusammenkommen oder sich voneinander entfernen.« Natürlich meinte ich, dass dies wie Magnete funktionieren würde, aber ich vergaß, das Wort »Magnete« zu erwähnen, und stellte fest, dass der Prozess wirklich wie von selbst vonstattenging, ohne die Magnet-Metapher, die der klassischen historischen Hypnose entstammt.

RHEs gab also keine Suggestion?

ELRGenau. Dann folgte der nächste Schritt, und das war … Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie der Sprung zustande kam … »Spüren Sie, welche Hand sich so anfühlt, als würde sie Ihr Problem zum Ausdruck bringen?« Und das war für die Klienten sehr leicht, ganz unabhängig davon, ob sie glaubten, eine Hypnose zu erleben oder nicht! Bei der Handlevitation hatte es immer Probleme gegeben – nicht jeder ist dazu in der Lage. Und die Finger waren unzuverlässig. Aber jeder konnte plötzlich spüren: »Oh, tatsächlich, diese Hand fühlt sich wie das Problem an …«

Später verallgemeinerte ich es: »Wenn Sie in der einen Hand Ihr Problem haben, was haben Sie dann in der anderen Hand?« Was ist das Gegenteil von einem Problem? Nun, wohl eine Lösung! Wenn also hier das Problem ist, dann ist das, was in der anderen Hand geschieht, das Gegenteil – eine Heilung oder ein Aha-Erlebnis, also eine psychologische Einsicht oder Phase 3 des kreativen Zyklus. Daraufhin wurde das Konzept »Gegenteil« in meinem Geist sehr wichtig, so wie es dies auch für C. G. Jung war.

Ich hatte also einen Pfad gefunden – einen idiosynkratischen Pfad zwischen dem Problem und seiner Lösung, einen »Symptompfad zur Erleuchtung« –, und auf diese Weise ist das Buch gleichen Namens entstanden.

RHOh, dann passt alles zusammen.

ELRJa, das ist meine tägliche und stündliche Arbeit! Ich habe eine Möglichkeit entdeckt, das, was andere mit Hypnose getan haben, zu tun, ohne dass ich das, was ich tue, Hypnose oder Magnetismus oder auch nur Suggestion nenne. Was war das, was ich tat? Ich förderte das ideodynamische Bewusstsein und die entsprechende Kognition. Rein ideodynamisch – ideosensorisch und ideomotorisch. Hey, lasst uns mal so richtig auf den Putz hauen … Wir könnten es Ideo-Spaß nennen und ein Buch über achtsame positive Psychologie schreiben! Oder Ideo-Schmerz? Beispielsweise könnten wir bei Schmerzpatienten und vielleicht auch Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sagen: »Schauen wir einmal, welche Hand den Schmerz ausdrückt und was das Gegenteil davon beinhaltet. Halten Sie den Schmerz einen Augenblick lang in dieser Hand, und lassen Sie dann zu, dass Sie das Gegenteil empfinden.« Hier verstärke ich das Ideosensorische: »Und dann schauen wir einmal, was das Gegenteil von Schmerz sein könnte …«

Im Gegensatz zu Schmerz muss es eine angenehmes Gefühl sein. Ich verlagere also den Fokus des sensorischen/perzeptiven Bewusstseins und der entsprechenden Kognition im Gehirn vom Schmerzzentrum zum Genusszentrum. Dies können wir nun die quantenexperientelle Essenz der Neurowissenschaft und Neuropsychotherapie nennen.

Danach sprachen wir eine Weile über einen kürzlich in der Zeitschrift Nature erschienenen Aufsatz, in dem die Position der Wörter und ihre Verteilung über verschiedene Gehirnbereiche beschrieben wird, was darauf hinweist, dass Kommunikation ein Zusammenwirken aller Gehirnaggregate – also globale Interaktivität – erfordert (Huth et al. 2016, S. 453–458).

ELRDies könnte der Ursprung des Ideosensorischen sein. Ich muss mir den Aufsatz in Nature noch einmal genauer anschauen und prüfen, ob darin der Begriff »ideosensorisch« benutzt wird. Dies verhilft mir zu einer neuen Einsicht in die neurowissenschaftliche Grundlage der therapeutischen Hypnose. Wenn ich ein Wort sage – nehmen wir einmal an: »Welpe« –, tauchen beim Hörer ein Bild und ein Gefühl auf, die beide mit »Welpe« assoziiert werden: das Bild – verbal, das Gefühl – sensorisch; Assoziationen zu Sanftheit, Anmut und dem Welpenanteil Ihrer Persönlichkeit … und man fängt an, der Welpe in seinem Inneren zu sein. Im Gehirn manifestiert sich eine ideosensorische Dynamik. Tatsächlich geht diese Thematik alle Schulen psychotherapeutischer Arbeit etwas an. Wir verfügen heute über all diese unvorstellbar teuren Maschinen, die Wissenschaftlern ermöglichen zu erklären, was im Gehirn eines Menschen vor sich geht. Ist das die neue Neuropsychotherapie? Man könnte ein Buch darüber schreiben!

RHIch habe gerade aufgeschrieben, was du vorgeschlagen hast – »ein neuer psychotherapeutischer Ansatz …«. Ich kann mir vorstellen, dass du mit Erickson Situationen erlebt hast, in denen du dachtest: »Meine Güte, bin ich in diesem Raum?« Denn wenn ich so etwas auf ein Blatt Papier schreibe, »Na klar, Richard macht das schon …«, das ist außergewöhnlich! Ich werde diese Einschränkung überwinden; aber vor zwölf Jahren war ich in der Welt der Psychotherapie gar nichts …

ELRSuchst du immer noch nach einer Art Fundament?

RHDas hier ist der Anfang einer erstaunlichen Veränderung dessen, was mit mir geschieht …

Wenn Sie weiterlesen, werden Sie sehen, dass Rossi der Meinung war, ich hätte etwas verstanden und eine Blockade aufgelöst und das sei wichtig für mich. Plötzlich geht es in unserem Gespräch nicht mehr um Rossis Erinnerungen, sondern um etwas sehr Reales und in meiner inneren Welt Präsentes. Diese Veränderung wirkt mühelos, aber vielleicht wäre es besser, das Geschehen als mühelose Mühe zu bezeichnen. Es spiegelt aber auch Rossis natürliche Begabung als Förderer anderer – im konkreten Fall als mein Förderer.

RHNun, ich befinde mich in einem Raum mit Ernie Rossi, der sagt: »Du kannst dieses Buch schreiben.« Das ist ziemlich gut. Es stärkt mein Selbstvertrauen …

ELRSelbstvertrauen. Du empfindest jetzt Selbstvertrauen?

RHNun, du hast verursacht, dass ich jetzt Selbstvertrauen empfinde.

ELRWir sollten ein wenig innehalten und dein Selbstvertrauen spüren …

Wir sitzen einige Minuten still da.

ELRSiehst du, wie sensibel ich war und wie selbstsensibel [self-sensitive] du jetzt bist? Du hast endlich das Wort »Selbstvertrauen« über die Lippen gebracht, und du lächelst und wirkst angeregt; deshalb schalte ich meine eigenen Gedanken jetzt ab und sage mir: »Sei still, du verdammter Narr … hör einfach zu!« Und dann sage ich zu dir: »Okay, lass uns gemeinsam ein paar Minuten lang still sein und dein Selbstvertrauen genießen.« Du hast die Augen geschlossen und sofort »Ja, ja!« gesagt. Das war meine Sensibilität – die Quantenebene unseres Rapports. Unser Mind-Mirroring. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem Richard nach etwas in seinem Randbereich der Entwicklung gegriffen hat, seinem eigenen NNNE, ohne dass ich fragen musste: »Was ist dein growing edge, Richard? Was ist deine Leidenschaft?« Deine Leidenschaft hat sich manifestiert, und ich habe diese winzige Manifestation gesehen, und das ist meiner therapeutischen Sensibilität als »Quantenfeldtheorie-Psychotherapeut« zuzuschreiben (vorsichtiges Lachen, weil wir beide noch nicht so recht wissen, was das bedeuten könnte). Wenn es um solche Randbereiche des Wachsens geht, um deine Leidenschaften – darum, wohin du gehen musst, bin ich sehr sensibel. Ich reagiere sehr sensibel, wenn es um Phase 2 des kreativen Prozesses geht – um deine Schwierigkeiten, die Punkte, an denen du nicht weiterkommst, wo du dein Selbstvertrauen nicht erleben kannst.

Und in diesem wichtigen Augenblick habe ich die Geistesgegenwart zu sagen: »Lass uns in Anbetracht dessen eine Weile schweigen«, und dann lasse ich dich zu einer natürlichen inneren Suche, einer Exploration über diese Thematik aufbrechen. Das saß! Du sagtest: »Ja, ja.« Du verspürtest innerlich sofort ein gutes Gefühl – warmherzig und selbstbewusst wie deine von dir selbst erzeugte Motivation für die Arbeit an einem Buch. Das ist ein ideales Beispiel für meine Arbeitsweise. Wenn du eine Metapher aus dem Bereich der Hypnose benutzen willst, kannst du es eine hypnotische Induktion nennen; du bist aber in deinen Randbereich des Wachsens und der Entwicklung, in dein Inneres eingetaucht. Jetzt ruiniere ich das Ganze natürlich, indem ich es analysiere und darüber rede, aber ich wollte dir ein Beispiel vorführen. Ist dir klar, wie simpel das war? Das war ericksonsche Sensibilität, keine manipulative Genialität. Du fühltest dich sehr gut, als ich dir deinen Hunger nach Selbstvertrauen spiegelte, und das war genau das, was du brauchtest, um deinem eigenen Besten zum Ausdruck zu verhelfen. Du hast aber noch eine andere Veränderung vollzogen. Selbstvertrauen ist nicht so wie dieser Politiker (lacht). Du bist zuversichtlich, weil sich das gut anfühlt. Es fühlt sich innerlich gut an, und du befindest dich auf dem richtigen Pfad – vom Symptom zur Sicherheit auf deinem momentanen Pfad zur Erleuchtung … und es geschieht in dir, jetzt!

Das ist das Geheimnis, das sich hinter Ericksons Maxime verbirgt, die Aufgabe von Therapeuten bestehe darin, die Last der Verantwortung für die Effektivität der Psychotherapie wieder dem Klienten aufzubürden (Erickson 1964, S. 269–271). Es ist ein wenig altmodisch ausgedrückt, und es klingt simpel, aber dies war ein Beispiel dafür, wie Erickson die Last dem Klienten wieder selbst auferlegte und wie diese innere Aufgabe natürlicherweise den vierphasigen kreativen Zyklus und den NNNE evozierte, wodurch man automatisch in eine »private therapeutische Trance« verfällt. Man muss in Trance verfallen, um den manchmal schwierigen Übergang von Phase 2 zu Phase 3 des kreativen Zyklus bewältigen zu können; anschließend kann man sich Zeit für eine Pause nehmen und das Resultat genießen. Weil du motiviert bist, dieses Interview zu einem Bestandteil deiner persönlichen Entwicklung zu machen …

Wir pausieren eine halbe Minute in einem erneut spontan entstandenen Zustand der Innenfokussierung und des Rapports – einem Gefühl des Erfolgs beim Wechsel in Phase 4 des kreativen Zyklus.

RHIn meinen Lehrveranstaltungen benutze ich einen Film, den ich auf YouTube gefunden habe. Darin forderst du einen Therapeuten auf: »Gehen Sie aus dem Weg!«

ELRJa! Genau da fängt die Therapie an.

RH… und wenn ich diesen Film vorführe, in dem du das sagst, bevor ich selbst mich dazu äußere, dann hilft das. Vielleicht ist es ein wenig altmodisch ausgedrückt, aber es gefällt mir. Ich finde, es ist gut ausgedrückt, auch wenn einige meiner Zuhörer der Meinung sind, dass ich etwas altmodisch rede … Ich weiß nicht …

ELRDie Aufmerksamkeit des Therapeuten ist darauf gerichtet, sich sehr stark für das Erleben [des Klienten] zu interessieren; er fokussiert also nicht auf die Therapie. Die beste Antwort, die vom Therapeuten kommen kann, lautet, dass er daran arbeitet herauszufinden, wie er sensibler wahrnehmen kann, was in ideodynamischer Hinsicht im Klienten wirklich vor sich geht – was sein Herz und seine Seele wärmt.

RHAlso operiert jeder mit dieser Dynamik, und dies ist ein motorischer und sensorischer Vorgang und kann auch ein Bottom-up-Vorgang sein. Wir müssen triggern … In dieser Hinsicht vertrete ich die Auffassung, dass Neugier die Bewegung auf eine ganz bestimmte und sehr nützliche Weise mit Energie versorgt. Dann taucht eine Idee auf oder vielleicht auch eine motorische Handlung …

ELR… es könnte auch eine Art Behagen sein …

RH… eine Empfindung …

ELRJa, du hast eine Verbindung zwischen Neugier und der Essenz von Therapie hergestellt. Darüber solltest du jetzt etwas schreiben …

Ich schreibe auf meinen Notizblock: »Neuartigkeit (Novelty) – etwas, das unsere ›Beachtung‹ weckt: Neugier auf Information; Numinosum – Verwunderung und Staunen angesichts dieses neuartigen Reizes – Neugier auf Spiel; und Neurogenesis – die Förderung von Genaktivität, Proteinsynthese und Gehirnplastizität – Neugier, die auf Möglichkeiten gerichtet ist.«

Das Wort »Numinosum« spielt für Rossis Lehrtätigkeit und in seiner praktischen Arbeit eine zentrale Rolle. Der Begriff wurde von einem deutschen Theologen, Rudolph Otto, in seinem berühmten Buch Das Heilige aus dem Jahr 1917, das immer noch erhältlich ist, erstmals benutzt (Otto 1917). Auch Carl Gustav Jung hat den Begriff »Numinosum« oft erwähnt. Er spricht von einen »unbeschreibbaren« Gefühl, das fast unabhängig vom Willen auftritt, einem Gefühl, das mehr ist als man selbst – faszinierend, geheimnisvoll, wundersam, verblüffend, ungeheuerlich.

ELRJa. Ich nenne das jetzt den Neuheits-Numinosum-Neurogenesis-Effekt [NNNE]. Etwas ist dir neu – das ist jetzt fundamentale Neurowissenschaft –, etwas in der Umgebung hat dein Interesse geweckt. Das Numinosum ist deine Faszination und Verwunderung in Anbetracht von etwas, das dir sehr wichtig ist. Dieser neuartige Reiz verzaubert dich, und dadurch wird das spirituelle Empfinden geweckt, das Rudolf Otto »Numinosum« genannt hat. Dies ist nach meiner Auffassung die essenzielle neurowissenschaftliche Dynamik der Genexpression, der Proteinbildung und der Gehirnplastizität, die circa zwölfmal täglich – alle 90 bis 120 Minuten (was dem grundlegenden Ruhe-Aktivitäts-Zyklus entspricht) – die Generierung neuen Bewusstseins, neuer Erkenntnis und der Geist-Körper-Heilung unterstützt (Kleitman 1982, S. 311–317).

RHDen dynamischen Fluss der Aktivität, der sich auf vielen Ebenen bewegt, in einer komplexen Reaktion auf das, was bei oberflächlicher Betrachtung wie ein simples Verhalten oder eine Emotion erscheint …

ELRNun sind wir vom Sensorisch-Perzeptiven – Ideodynamischen – zu den Emotionen gewechselt – und von dort zur Aktivierung von Genen, die real neue Proteine und neue Zellen produzieren, wodurch die adäquaten neuronalen Systeme, Immunsysteme und heilenden Faktoren verstärkt werden. Du fängst an, dich stärker für das »Gegenteil von Schmerz« zu engagieren, also für Behagen – und für das Gegenteil des Problems, was ein therapeutisches Bewusstsein ist. Ich benutzte den Ausdruck »Fördern des therapeutischen Bewusstseins und des Erkennens [Cognition]«. Das ist meine Bezeichnung für die Arbeit, die ich jeden Tag tue. Ich bin ein Förderer der Optimierung des Bewusstseins und des Erkennens …

RH… mittels Sensibilität …

ELRJa, mithilfe von Sensibilität und deiner Neugier. Letztere führt zum Numinosum, wenn man sensibel genug ist, aber nicht, wenn man sich so verhält, wie Menschen es normalerweise tun. Wenn das Neuartige dich verzaubert, kannst du in einen neuen Raum in deinem Geist-Gen-Gehirn eintreten, und du erschaffst dich dadurch praktisch neu. Das ist eine simple neurowissenschaftliche Beschreibung von alldem.

RHNeugier gegenüber Möglichkeiten!

ELRGenau! – Möglichkeitsdenken …

RH… und ich sehe darin einen Unterschied zum herkömmlichen Verständnis von Neugier. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass es einerseits eine generelle Neugier auf Informationen gibt und andererseits eine Neugier auf unerwartete Informationen – Neugier auf Spiel –, die zu Ausgangspunkten für neue Möglichkeiten werden, weil Neugier auf Informationen und Spiel nur so lange ihre Funktion erfüllt, bis die Informationen gefunden sind. Neugier auf Möglichkeiten hingegen ist ergebnisoffen – so wie das Numinosum –, weil sie sich im Randbereich des Wachsens und der Weiterentwicklung bewegt, in dem es keine Einschränkungen gibt.

ELRGenau! Hast du das aufgeschrieben?

RHIch habe es aufgenommen …

ELRGut.

RHUm es vereinfacht auszudrücken: Neugier schaltet das »gute Zeug« ein, indem sie dich zunächst in den bestmöglichen Anfangszustand versetzt. Meiner Meinung nach gibt es im Gehirn ein »Neugier-System«, und zwar im Bereich der Nuklei oder Kerne, die sich wie eine kleine Versammlung oben auf dem Hirnstamm und an der Basis des Mittelhirns befinden [siehe hierzu Kapitel 9] und die ich »Nuntius-Kerne« nenne. Mir scheint, dass dies im Grunde nur eine nette kleine Möglichkeit ist, physisch und neurobiologisch zu beschreiben, worüber wir gerade gesprochen haben. Wir mögen, was die Neugier bewirkt! – Sie schaltet »gutes Zeug« ein.

ELRGenauso ist es.

RHUnd wir können alle zuversichtlich sein. Damit meine ich nicht nur emotionale Zuversicht, sondern auch körperliche Zuversicht …

ELRJa … und Behagen – das ist ein großes Wort!

RH… und das ermöglicht dir, das Numinosum und die Neugier zu fühlen …

ELRVerwunderung, Faszination und Staunen angesichts des Ungeheuerlichen.

RHNeuheit ist ein Trigger – Neuheit/Überraschung/Interesse –, der die äußere Welt, die Gewinner-Verlierer-Welt, wie ich sie nenne, diese dominierende äußere Welt, unterdrückt. Wenn du dem Neuen gegenüber nicht sensibel genug bist, beginnt das System möglicherweise nicht damit …

ELRRichtig …

RH»Sensibel« ist aus meiner Sicht heute das große Wort. Ein sehr wichtiges Wort … (Wir halten einen Augenblick inne und genießen diese Offenbarungen)

RHIch sitze hier nun schon eine ganze Weile und schaue mir ein Bücherregal auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes an, wo ich ein Buch entdeckt habe, das ein Freund von mir herausgegeben hat. Es handelt sich um Creating the Moment von Michael Hoyt.

Tatsächlich wurde dieses Buch von Michael Hoyt und Moshe Talmon herausgegeben, allerdings hat es den Titel Capturing the Moment (Hoyt a. Talmon 2014). Ich habe mit Michael darüber gesprochen, dass ich den Titel des Buches falsch benannt hätte. Er antwortete, ich sollte den korrekten Titel erwähnen, den »Irrtum« aber trotzdem im Text lassen, weil er für den betreffenden Augenblick relevant gewesen sei. Er hatte das Gefühl, dass wir einen Augenblick erschaffen hätten und dass wir die zufällige Falschbezeichnung für sich selbst sprechen lassen sollten.

ELRGenau, das ist das Wichtigste. Der »kreative Augenblick« ist Phase 3 – das Aha, das Positive – und viele Therapeuten sind nicht in der Lage, den Augenblick zu ergreifen …

(Wir genießen beide eine kontemplative Pause)

RHEs gibt jetzt so vieles, worüber ich nachdenken muss … da frage ich mich, ob wir heute noch mehr tun können.

ELRDu könntest einiges davon mitnehmen und vielleicht heute Nachmittag etwas darüber schreiben.

RHDas werde ich tun. Wir haben über so viele wunderbare Ideen gesprochen … so viele interessante Begriffe, Konzepte und Prinzipien, die ausführlicher erklärt werden sollten. Wir werden diese Dinge im ganzen Buch benutzen; deshalb sollten wir wirklich die Grundlagen klären. Ich finde, wir sollten einen Abschnitt ausschließlich für diese Grundlagen reservieren. … Das sind keine Dinge, die wir »tun«, sondern Dinge, die unterhalb dessen, was wir tun, liegen, und auch innerhalb dessen. Was wir tun, ergibt sich aus diesen Grundprinzipien. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dort beginnen und diese Dinge klären sollten, damit jeder sie versteht … das ist ein guter Plan. Ich werde jetzt gehen und daran arbeiten!

8Siehe: http://www.erickson-foundation.org/ [22.12.2020].

9Im Original deutsch, Anm. d. Übers.

10Mehr zu den vier Phasen des kreativen Zyklus in Kapitel 5.

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