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Aller Anfang ist nicht schwer

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Unsere Zeit in Renan neigte sich schneller dem Ende zu, als wir erwartet hatten. Schon nach wenigen Wochen zeigten sich Risse in unserer Zweckgemeinschaft. Was äusserlich so gut zu passen schien, scheiterte an unterschiedlichen Wertvorstellungen, Missverständnissen, bröckelndem Vertrauen und dem Unvermögen, die Schwierigkeiten anzusprechen und zu überwinden. Es war das erste wirklich ernstliche Scheitern in meinem Leben. Nach einigem Hin und Her entschieden Claudia und ich, den Hof zu verlassen. Wir zogen mitsamt Hund Max in eine einstige Uhrenarbeiterwohnung in Renan. Die Wohnung war charmant und schön gelegen, aber leider so grässlich renoviert, dass wir sie «die Plastikwohnung» nannten. Der Riemenboden war mit Parkettimitat aus Kunststoff beklebt, und die Wände mussten abwaschbare Tapeten ertragen. Wir fanden bald Wege, uns in die Natur zu flüchten und der Landwirtschaft verbunden zu bleiben. Claudia arbeitete im Sommer 1997 auf einem Hof von Freundinnen und Freunden im Kanton Bern. Ich versuchte mich nochmals als Alphirt und zog mit Max für einen Sommer ins Älpital hoch über Thun. Den Winter 1997/98 verbrachte Claudia dann mit Hofarbeiten und ich mit Stellensuche – bis zu jenem glücklichen Zusammentreffen mit Margrit vom Hof Berg im Baselbieter Jura, das unserem Leben eine neue Richtung gab.

An Ostern 1998 war es so weit. Wir packten unsere damals noch sehr überschaubaren Habseligkeiten zusammen und verliessen «die Plastikwohnung» in Renan Richtung Hof Berg in Rünenberg. Unsere Freunde Christoph und Jörg unterstützten uns als Möbelpacker und Fahrer. Wir hatten uns vorgenommen, den Umzug mit einer einzigen Fahrt zu bewerkstelligen, denn die Wegzeit betrug über zwei Stunden. So setzte sich schliesslich unter einem bleigrauen Himmel unsere Karawane aus einem Landrover mit offenem Anhänger, einem angejahrten Citroën und zwei gemieteten Kleinbussen in Bewegung. Ohne Zwischenfälle erreichten wir unsere neue Heimat, entluden die Fahrzeuge und kochten die ersten Spaghetti in unserer neuen Küche. Selten habe ich so gut geschlafen wie in jener ersten Nacht auf dem Hof Berg. Am Ostersonntagmorgen begrüsste uns eine verschneite Landschaft. Der Nassschnee hatte eine Stromleitung heruntergerissen, sodass wir vorerst ohne Strom waren. Wir trugen es mit Fassung, zumal wir auf unserem Holzherd trotzdem einen Morgenkaffee kochen konnten. Es blieb uns auch später wichtig, unser Heiz- und Kochsystem immer so zu gestalten, dass wir im Notfall auch ohne Strom einigermassen heizen und kochen konnten.

Fortan lebten wir also unter einem Dach mit der damaligen Hofbesitzerin Margrit. Die alte Dame hatte ihre eigene kleine Wohnung im Erdgeschoss neben unserer Wohnküche. Wir bezogen den Rest des Hauses. Das Bauernhaus trug alle Jahrringe seiner über 150-jährigen Geschichte als «Kleinbauernheimet». Handbehauene Balken und schiefe Bruchsteinmauern, ein ausgedienter Holzkochherd, ein nicht mehr funktionsfähiger Kachelofen und ein niedriger Keller mit Lehmfussboden zeugten von vergangenen Jahrzehnten. Eine grosse Wohnraumerweiterung, ein komplett neues Dach und allerlei solide Erneuerungen rund um Haus und Stall hatten Margrit und ihr Mann bei ihrer Hofübernahme 1980 an die Hand genommen. Es gab also keinen unmittelbaren Renovationsbedarf, als wir einzogen. Aber viel Spielraum für Neues, denn manche Räume im alten Hausteil lagen in einem Dornröschenschlaf. Nicht renoviert und unbeheizt, teilweise nur als Lagerraum genutzt, harrten sie der Zukunft. Doch vorderhand interessierten uns Wiesen, Garten und Tierhaltung deutlich mehr als unsere Wohnungsgestaltung. Wir hatten uns also schnell eingerichtet. Dann begannen wir, uns an die natürlichen Gegebenheiten und die bisherige Bewirtschaftung des Hofs heranzutasten. Gewiss brauchte Margrit am Anfang Geduld und gute Nerven, um uns einfach machen zu lassen.

Ausser einigen Laufenten und einer Hühnerschar gab es keine Tiere mehr auf dem Betrieb. Es gackerten rund zwanzig Hennen und ein Hahn auf dem Hof Berg. Wenn sie wollten, legten sie Eier, die wir an einen treuen Kreis von Kundinnen und Kunden im Dorf und ums Dorf herum vermarkteten. Dieser Eierhandel hatte schon vor unserer Ankunft bestanden. So konnten wir uns also mit der ersten Eierschachtel in der Hand gleich als «die Neuen vom Hof Berg» im Dorf vorstellen. Wir fühlten uns von Beginn weg gut und freundlich aufgenommen. Nicht nur von unserer Eierkundschaft, sondern auch von den Menschen auf den Höfen in der Nachbarschaft. Rünenberg war damals ein 600-Seelen-Dorf und ist auch heute mit gegen 900 Menschen noch überschaubar. Es ist das, was man gerne als «Bauerndorf» bezeichnet, obwohl es hier wie überall fast keine Bauern mehr gibt.

Stolze Kühe, krumme Rüebli

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