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Schlaftrunken wankte ich in den Waschraum. Ich schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht, immer wieder. Auch das war also geblieben: Nicht aufwachen wollen. Ich nahm den Fahrstuhl in den ersten Stock. Im Speisesaal roch es nach Betriebskantine. Ich schmierte mir ein Butterbrot. Als ich dabei war, eine Scheibe Mortadella auf die Stulle zu legen, betrat Moses Grossman den Raum. Er zeigte auf Haferflocken, dünne Milch und geraspelte Äpfel. Von allem nahm er reichlich, rührte es in einer Suppenschüssel an und reichte sie mir.

Ohne Ausgewogenheit in der Kost hältst du den Weg nicht durch. Sagte es und verschwand.

Der Weg begann also damit, daß ich zum Frühstück Müsli mit Früchten aß.

Noch fehlte mir jegliche Neugier, ans Fenster zu treten, um zu sehen, was zu sehen war, wenn ich aus dem ersten Stock des Wohnheimes auf die Straße sah. Die Vorstellung, daß ich fünf Meter über der Asphaltstraße auf Plastiktüten und ihre Träger sehen würde, wenn ich aus dem Fenster sähe, reichte hin. Ich aß das Müsli in mich rein. Es schmeckte gar nicht so schlecht.

Zum Schluß, legte ich den Löffel genau in die Mitte des abgegessenen Tellers. Als ob es darauf ankäme mir ein Zeichen zu geben, es ginge auch nach allem Ende ordentlich weiter mit mir. Ich müsse nur verstehen, daß das eine in mir mit dem anderem nichts zu tun habe. Müsse achtgeben, daß ich an mir vorbeikäme. Also: Auf der Grenze zu mir leben und möglichst die Balance nicht verlieren. Dann ginge ich immerzu fort. Dann würde ich nicht zurückkommen müssen auf mich.

Ich nahm den leeren Teller und stellte ihn auf den Geschirrwagen. Plötzlich hatte ich es eilig. Ich nahm gleich mehrere Stufen auf einmal. Ich wollte zu meiner Schlafstelle, dem einzigen Ort hier, der mir als persönlicher zugewiesen worden war, nachdem ich die Hausregeln durch meine Unterschrift anerkannt hatte.

Ich war im Parterre angekommen, da hielt mich der Pförtner an.

Ein Gespräch für Sie. Ich habe Sie schon dreimal ausrufen lassen.

Auch das war also geblieben, die Weigerung, mich vor dem Frühstück ansprechen zu lassen.

Es war der Steinmetz.

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Ich legt den Hörer auf, da bog Moses Grossman um die Ecke des Flures. Er hatte seinen blauen Jogginganzug an. Schweißüberströmt und atemlos kam er einige Zentimeter zu dicht vor mir zum Stehen. Da entstand Nähe, auf die ich nicht vorbereitet war. Abgehackt, weil noch immer atemlos, sagte er leiser als sonst.

Du mußt fort von dir, damit du von anderswo wieder auf dich zugehen kannst.

Er trat einen Schritt zurück.

Deine Kisten können nicht im Abstellraum bleiben. Wir können sie in die Gepäckaufbewahrung bringen. Wenn du willst.

Er rannte nicht gleich wieder los. Er blieb stehen. Ich auch. Ich weiß nicht wie lange. Aber plötzlich spürte ich seine Hand in meinem Nacken. Vorsichtig strich sie über den Hals. Ich schmiegte mich an sie und war wie hypnotisiert. Ich spürte, wie ich mich gespürt hatte in einer Zeit, von der ich annahm, sie käme nicht mehr auf mich zurück.

Als Moses Grossman seine Hand zurückziehen wollte, hielt ich sie. Hielt sie sehr fest. Woher ich den Mut nahm, verstand ich nicht. Und ich war erleichtert, daß ich nicht verstand. Nicht loslassen war mein einziges Verlangen. Moses drückte meine Hand nun auch, sehr fest. Dann verschwand er.

Benommen stand ich auf dem Flur und sah auf den endlosen Gang. Wir werden zu keiner Zeit andere Zeit haben, als die, in der wir gerade standen. Und ich war fest entschlossen, diese Zeit nicht vergehen zu lassen, ohne daß sie stattfand. War bereit alles zu tun, um ihren Anfang aufs Neue immerzu anfangen zu lassen.

Langsam lief ich den Flur. In mir löste sich eine Beklemmung, die mir viel zu lange den Atmen genommen hatte. Eine Angst, die mich hatte vergessen lassen, daß auch dieser Anfang hier lange vor jedem Anfang angefangen hatte.

Die gefundene Frau

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