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Der Schnee unter meinen Füßen knirschte. Wohin war ich entkommen mit mir?

Ich schlug mich durch zur Untergrundbahn. Auf der Rolltreppe blieb ich stehen. Ich lief nicht. Ich ließ mich rollen auf den Stufen, abwärts in den öffentlichen Schacht, der Tunnel geworden war. Das Licht war nicht schmutzig hier unten. Es war matt.

An einer Auffahrt zur Untergrundbahn wohnen, könnte mir gefallen: Zu jeder Zeit sehen, ob die ankommende Bahn ihren Weg nach oben oder nach unten nimmt. Bei Tag und bei Nacht wissen, ob der vorbeirollende Zug hinauf- oder hinunterfährt. Durch einen Blick aus dem Fenster im dritten oder vierten Stock des Hauses eine Gewißheit erlangen. Beide Richtungen im Blick haben können. Sich niederlassen an der Einfahrt zum Tunnel und damit an seiner Ausfahrt. An solch einem Schnittpunkt wohnen, ja das wäre gut. Ich wüßte Bescheid zu jeglicher Zeit: wenn es nicht aufwärts ginge, ginge es hinab. Das wäre eine Möglichkeit, jedenfalls für mich. In der Gewißheit leben, diesen einen Punkt zu kennen, an dem die Untergrundbahn zur Hochbahn und die Hochbahn zur Untergrundbahn werden kann. Aus dem Fenster im dritten oder im vierten Stock sehen können, wo lang es ginge. Ja, das wäre ein Ort für mich und darüber hinaus ein einzigartiges „Programm“. Ein Programm, das den herkömmlichen „Programmen“ schon von der Perspektive her überlegen wäre: Ich sähe hinaus und nicht hinein ins Fenster. Und wenn ich hinaus sähe aus dem Fenster, sähe ich ein Geschehen, das überprüfbar ist zu jeder Zeit. Sehe ich hingegen hinein ins Fenster, ist das Geschehen am Bildschirm schon lange nicht mehr zu überblicken, jedenfalls für mich, obwohl ich die Größe der Fenster mit Hilfe des Cursors selbst bestimmen kann.

Ich stolperte. Das Band war zu Ende. Die Rolltreppe verschwand im Boden. Ich heiße Agnes, versicherte ich mir und ging auf den Bahnsteig zu.

Eine U-Bahn verließ den Bahnhof. Eine andere fuhr nicht ein. Noch konnte ich die Richtung nicht wechseln. Ich hatte keine. Ich sah auf die Gleise. Ich nahm nicht die erste Bahn, auch nicht die zweite. Ich nahm die dritte Bahn.

Im Tunnel Notlichter, das sind Glühbirnen hinter Gittern. Die Mitte des Tunnels durch weit auseinander stehende Stahlträger nur markiert. Die eigentliche Grenze der entgegenkommende Zug.

Die Grenze daher fließend und nur von Zeit zu Zeit angezeigt. Ihre Beständigkeit abhängig von der Zugfolge, die im Berufsverkehr am höchstens ist. Ihre Dichte bestimmt durch die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Zuges. Verdoppelung der Fahrtgeschwindigkeit am Fenster das äußerste Maß, sowohl für die Mitte als auch für die Grenze. Aneinander Vorbeikommen ihr Bestand.

Aneinander Vorbeikommen! Wenn sich eine Richtung abzeichnen lassen wird für mich, wird sie in diesem Aneinander-Vorbei bestehen. Das eine im anderen also nicht berühren und dabei so tun, als ob es weiterginge. Dann geht es nämlich immer so fort. Wenn nicht hier, dann dort, wo es ein Zurück nicht gibt. Sich annehmen und in der Endlosigkeit selbst eine Chance, also einen Anfang sehen.

Die gefundene Frau

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