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Die Kisten müssen aus dem Abstellraum”, begrüßte mich der Pförtner, kaum, daß ich das Wohnheim betreten hatte. “Wir haben drei Neuzugänge, und es werden nicht die letzten sein in dieser Woche. Es ist erst Dienstag.”

Er fuchtelte mit einem Zettel so dicht vor meinen Augen, daß ich nichts sah. Es war die Adresse eines Lagerhauses zur Aufbewahrung von Hausrat und Möbeln. Der Pförtner versicherte mir, daß ich in dieser Stadt nichts Preisgünstigeres fände.

Ich steckte den Zettel ein und ging in den Abstellraum. Er war in den zwei Tagen, da meine Kisten dort standen, so vollgestellt worden, daß ich Mühe hatte, an sie heranzukommen. Auch wenn ich wenig Lust verspürte, an sie herankommen zu wollen, mußte etwas mit den Kisten geschehen. Denn auf keinen Fall wollte ich sie in meine neue Unterwohnung mitnehmen. Lieber wollte ich ein Entgelt bezahlen, um die Erinnerungen an einem Ort zu lagern, auf den ich nach eigenem Ermessen zugehen konnte. Einen Speicher zu finden, in dem ich das Vergangene kistenweise abstellen konnte, gefiel mir. Sie erst zu öffnen, wenn ich kräftig genug sein würde, mich meinen Erinnerungen auszusetzen. Das kam mir entgegen.

Ich fragte den Hausmeister nach einer Zange. Die Speditionsfirma hatte viel zu große Nägel für die Kisten genommen. Ich mußte die Kisten noch einmal öffnen. In all den Wirren der Zwangsräumung hatte ich es nicht geschafft, die Kisten auch noch zu numerieren und ihren Inhalt zu vermerken. Ich suchte nach den Kisten, in denen sich Wäsche und Kleidung befanden. Ich wollte in der letzten Nacht hier im Wohnheim im eigenen Nachthemd schlafen. Ich erinnerte zwar, ich hatte die Nachtwäsche ziemlich weit oben in eine Wäschekiste getan. Aber das half mir nicht, denn ich wußte nicht, welches die Wäschekisten waren. Fünfmal Bettwäsche durfte man bei einer Zwangsräumung behalten. Das hatte ich mir gemerkt, denn ich besaß nur drei Garnituren und konnte daher noch zwei Badelaken mehr als meinen persönlichen Hausrat einpacken.

Ich hatte gerade den ersten Nagel aus dem Holz der Kiste gezogen, da betrat Moses Grossman die Abstellkammer und fragte, ob er helfen könnte.

Ich gestand mir ein, daß ich auf ihn gewartet hatte und gab ihm die Zange. In der Kiste, die er öffnete, war kein Bettzeug, sondern Bücher und Kopien von Texten, die ich unbedingt behalten wollte. Es waren vornehmlich Kopien von Texten und Büchern, die mir über die Jahre geholfen hatten. Da ich die Bücher, in denen sie standen, nicht endlos mit mir herumschleppen wollte, hatte ich mir angewöhnt, die wenigen Sätze und Seiten, die mir wichtig wurden über die Jahre zu kopieren. Irgendwann hatte ich die vielen Einzelblätter zu einem Buchbinder gebracht, damit sie nicht verloren gingen. Jahrelang suchte ich Zuspruch und Rat in diesen Blättern. Fünf Bände waren da zusammengekommen. Bände mit den wichtigsten Textstellen aus Büchern, in denen ich nachlesen konnte, was ich selbst so präzise, wie es dort stand, nicht zu sagen vermochte. Textstellen, die mir versicherten, daß vieles von dem, was ich nicht verstand, doch zu verstehen war, wenn ich es nur wieder und wieder las und mir einprägte, was ohne Prägung nicht zu begreifen war. Da viele der Bücher, aus denen ich die Textstellen kopiert hatte, längst vergriffen waren, waren mir die Bände besonders wertvoll.

Nachdem Moses Grossman den ersten Band der Kopien aufgeschlagen hatte, begann er herzhaft zu lachen. Er meinte, die Idee, nicht mehr lesbare Texte zum Buchbinder zu tragen, um sie als Bücher zusammenstellen zu lassen, fände er großartig.

Ich nahm ihm den Band aus der Hand. Die Schrift war tatsächlich nicht mehr zu lesen. Nur kleinere braun gewordene Buchstabeninseln deuten darauf hin, daß hier zu einer anderen Zeit einmal ein Text gestanden haben könnte. Ich nahm die anderen Bände, blätterte sie durch. Auch in ihnen war der Text nur stellenweise noch zu entziffern. Ich hatte Thermofaxpapier zum Kopieren genutzt. Normalpapier war damals, als ich die Textstellen zusammenstellte, noch nicht bekannt. Und als sich später die Copyläden durchsetzten, hatte ich aus Gewohnheit auch weiterhin mit Thermofaxpapier gearbeitet. Ich fuhr mit den Fingern über die Hieroglyphen, zu denen der Text über die Jahre geworden war, als ob ich hoffte, Zeichen einer Blindenschrift zu erfühlen.

Ich weiß nicht, wie lange ich die vergilbten Seiten nach einem Code absuchte, der mir den verlorenen Text zurückbringen sollte. Irgendwann nahm mir Moses Grossman den Band aus der Hand. Er legte ihn auf die Holzkiste und sagte mit fester Stimme.

Das Original ist schon lange verloren gegangen. Den ursprünglichen Text gibt es nicht. Obwohl wir versuchen müssen, ihn zu rekonstruieren. Aus uns heraus müssen wir ihn entstehen lassen, wieder und wieder. Er sah mich fest an. Dann nahm er die Zange und öffnete die nächste Kiste.

Die gefundene Frau

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