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VI. Materielle Grundrechte

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Art. 1 Abs. 3 GG, der die staatlichen Gewalten an den grundgesetzlichen Grundrechtsstandard bindet, gilt ohne jede Einschränkung auch für den Bereich des Strafrechts.[184] Daraus folgt zum einen, dass die staatliche Strafgewalt dem Schutz der Rechte des Individuums oder der Allgemeinheit zu dienen und so eine sich aus den Grundrechten des Staates ergebende Schutzpflicht des Staates zu verwirklichen hat.[185] Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, Grundrechte Dritter oder der Gemeinschaft stets strafrechtlich zu sichern. Ganz im Gegenteil fordert einzig das absolute Pönalisierungsgebot des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG ein striktes Ergebnis ein; nur diese Norm etabliert einen unmittelbaren Verfassungsauftrag an den Strafgesetzgeber, die in der Vorschrift erfassten Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen.[186] Im Übrigen erfasst die Schutzpflichtendogmatik lediglich relative Pönalisierungsgebote. Die Strafbewehrung obliegt der Einschätzungsprärogative und dem Ermessen des Gesetzgebers, der dabei allerdings an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden ist.[187] Auch das Bundesverfassungsgericht ist im Rahmen der Schutzpflichtendogmatik zurückhaltend und geht zu Recht nicht davon aus, dass aus einzelnen Grundrechten konkrete Regelungsaufträge oder gar Strafgebote hergeleitet werden können.[188] Jede andere Auffassung würde die Grundrechtsbindung des Staates und die freiheitssichernde, abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte in ihr Gegenteil verkehren.[189] Aus diesem Grund wird eine immanente Schutzbereichsbegrenzung von Grundrechten durch strafbewehrte Verbotsnormen, wie dies vor allem in der älteren Literatur vertreten wurde,[190] heute nicht mehr verfochten.[191]

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Zum anderen greift die staatliche Strafgewalt in vielfältiger Weise nicht nur durch den Erlass von Strafnormen und die Verhängung und Vollstreckung einer Strafe, sondern auch schon bei Ermittlung und Strafverfolgung in Grundrechte des Betroffenen ein.[192] Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen sind durchweg mit einem – meist schwerwiegenden – Eingriff in Grundrechte verbunden.[193] Insofern dienen sowohl das materielle Strafrecht als auch das Strafverfahrensrecht als gesetzliche Ermächtigungen zum Eingriff in Grundrechte.[194] Allerdings unterliegt jeder gesetzliche Eingriff in Freiheitsrechte dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, ist also von rechtsstaatlichen Sicherungen nicht ausgenommen.[195] Außerdem folgt aus der Abwehrfunktion der Grundrechte, dass diese ihrerseits begrenzend auf die gesetzliche Eingriffsermächtigung wirken.[196] Lediglich unter bestimmten Voraussetzungen, zu denen vor allem die Disponibilität des Rechtsguts gehört, kann eine Beeinträchtigung von Grundrechten mit Einverständnis des Betroffenen schon auf der Schutzbereichsebene ausscheiden oder aber infolge einer Einwilligung des Rechtsgutsinhabers auf der Schrankenebene gerechtfertigt sein.[197] Ferner gelten Grundrechte, da ein besonderes Gewaltverhältnis mit gutem Recht nicht mehr angenommen wird,[198] auch im Strafvollzug.[199] Deshalb können etwa Zwangsdurchsuchungen von Gefangenen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, als Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur gerechtfertigt sein, wenn sie der Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt dienen und ausschließlich in Einzelfällen und in schonender Weise durchgeführt werden.[200]

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Schließlich ist Grundrechtsschutz durch und im Strafverfahren zu verwirklichen.[201] Soweit sie nicht schon in der Strafprozessordnung ausdrücklich geregelt sind (etwa in § 136a Abs. 3 StPO), werden die sog. Beweisverwertungsverbote unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitet.[202] Hier tritt der grundrechtliche Verfahrensbezug neben den objektivrechtlichen Aspekt des Rechtsstaates. Beide Komponenten führen zu einem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren.[203] Auch die Fürsorgepflicht des Gerichtes lässt sich nicht nur als eine Emanation des Sozialstaatsprinzips, sondern auch als eine grundrechtlich fundierte verfahrensrechtliche Schutzpflicht verstehen.[204]

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