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I. Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG)

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Das in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verbriefte Recht auf den gesetzlichen Richter soll die Bestimmtheit und die Vorhersehbarkeit des zuständigen Richters garantieren und „der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird“.[238] Dabei ist unerheblich, von welcher Seite die Manipulation ausgeht; die Vorschrift richtet sich sowohl an die Gesetzgebung und die Verwaltung als auch an die Rechtsprechung selbst.[239] Insgesamt will die Garantie des gesetzlichen Richters als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wahren und das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte sichern.[240] Insoweit steht Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG in enger Verbindung mit der richterlichen Unabhängigkeit nach Art. 97 GG, die für alle staatlichen Gerichte gilt und einen unverzichtbaren Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips bildet.[241] Außerdem folgt aus dem Recht auf den gesetzlichen Richter das Verbot von Ausnahmegerichten, also solcher Gerichte, die in Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeit besonders gebildet und zur Entscheidung individueller Fälle berufen sind (Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG).[242] Ferner ergibt sich aus der Norm das Erfordernis, Gerichte für besondere Sachgebiete gesetzlich zu errichten (Art. 101 Abs. 2 GG).

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Gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sind das Gericht als organisatorische Einheit oder das erkennende Gericht als Spruchkörper und die zu Entscheidung im Einzelfall berufenen Richter.[243] Die Bestimmung des Richters muss sich von vornherein möglichst eindeutig aus einem Parlamentsgesetz ergeben.[244] Hinzutreten müssen Geschäftsverteilungspläne der Gerichte, die im Vorhinein eine abstrakt-generelle Zuständigkeitsregelung im Rahmen des gesetzlich vorgesehenen Rahmens treffen und Spielräume möglichst vermeiden.[245] Besetzungsfehler stellen deshalb einen absoluten Revisionsgrund i.S.d. § 338 Nr. 1 StPO dar.

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Im Blick auf den grundrechtsähnlichen Charakter des Rechts auf den gesetzlichen Richter müssen die fundamentalen Zuständigkeitsregeln durch förmliches Gesetz erlassen werden.[246] Bei grundrechtsrelevanten Regelungen muss der Gesetzgeber nach der Wesentlichkeitstheorie die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und darf sie nicht anderen Gewalten, etwa den Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten, überlassen.[247] Daher begegnen die sog. beweglichen Gerichtsstände im Strafprozess (z.B. § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 74 Abs. 1 S. 2 GVG) – entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts[248] – verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eröffnen, unter mehreren zuständigen Gerichten zu wählen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Gesetz der Anklagebehörde ein echtes Wahlrecht (Ermessen) bei Vorliegen mehrerer zuständiger Gerichte einräumt, in denen die Gerichtsstände des Tatorts, des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes und des Ergreifungsortes gleichwertig nebeneinanderstehen und das Gesetz keine Kriterien für die Ermessensentscheidungen enthält.[249] Freilich begründet nicht schon jeder error in procedendo, sondern lediglich eine willkürlich unrichtige Anwendung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.[250]

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Auch Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen aus Gründen der Befangenheit zählen zu den Ausprägungen von Art. 97 und Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG;[251] sie sind einfachgesetzlich in §§ 22 ff. StPO niedergelegt. Sämtlichen Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Richter (Berufs- oder Laienrichter), gegen dessen Unvoreingenommenheit in einem bestimmten Verfahren Bedenken bestehen, im Interesse der Prozessbeteiligten wie auch zur Erhaltung des Vertrauens in die Unparteilichkeit der Rechtspflege in diesem Verfahren keine Entscheidungen treffen darf.[252]

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