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IV. Nullum crimen, nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG)

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Der in Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege steht in engem Zusammenhang mit den Freiheitsrechten des Einzelnen gegenüber dem Staat[292] und enthält ein grundrechtsgleiches Recht mit vorwiegend abwehrrechtlichem Gehalt. Zudem ist Art. 103 Abs. 2 GG Ausdruck rechtsstaatlicher Grundsätze,[293] vor allem unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit.[294] Im Unterschied zu den übrigen Justizgrundrechten, bei denen die Eigenschaft als Prozessgrundrecht im Vordergrund steht, zielt Art. 103 Abs. 2 GG vornehmlich auf die materiell-rechtliche Bindung der Strafgewalt.[295] Diese Bindung konkretisiert sich durch drei verschiedene rechtsstaatliche Regeln, deren Gehalt auf die Formulierung von Feuerbach zurückgeht:[296] das Gesetzlichkeitsgebot (nulla poena sine lege scripta), das Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa) und das Rückwirkungsverbot (nulla poena sine lege praevia). Teilweise wird das Analogieverbot in malam partem, das einen Unterfall des Bestimmtheitsgebots darstellt, als eigenständige vierte Regel (nulla poena sine lege stricta) des Art. 103 Abs. 2 GG angesehen.[297]

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In seinem Gewährleistungsumfang umfasst Art. 103 Abs. 2 GG alle staatlichen Maßnahmen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient.[298] Erfasst werden also nicht nur Kriminalstrafen des Kern- und Nebenstrafrechts, sondern auch Sanktionen wegen Ordnungswidrigkeiten,[299] da für diese der Normzweck – Vorhersehbarkeit staatlicher Reaktion – in gleicher Weise zutrifft.[300] Aus entsprechenden Gründen unterfallen dem Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG prinzipiell sogar berufsgerichtliche Sanktionen und beamtenrechtliche Disziplinarstrafen.[301] Dagegen sind Beugemaßnahmen oder Ordnungsmittel nicht als „Bestrafung“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG zu qualifizieren.[302] Ebenfalls nicht erfasst sind Maßnahmen mit rein präventivem Charakter.[303]

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Art. 103 Abs. 2 GG gebietet die gesetzliche Bestimmtheit sowohl des Straftatbestandes (nullum crimen sine lege) als auch der Strafandrohung (nulla poena sine lege).[304] Zum Straftatbestand zählen alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit, einschließlich der Strafbarkeitsbedingungen, der Strafmilderungs- und Strafausschließungsgründe sowie des räumlichen Anwendungsbereichs des Strafrechts.[305] Auch die Strafandrohung unterfällt dem Strafbarkeitsbegriff;[306] zu dieser gehören alle dem Schuldausgleich dienenden strafrechtlichen Sanktionen, auch die Strafaussetzung zur Bewährung.[307] Demgegenüber fallen Strafverfolgungsvoraussetzungen, das Strafverfahrensrecht und Maßnahmen im Rahmen der Strafvollstreckung nicht unter Art. 103 Abs. 2 GG.[308] Art. 103 Abs. 2 GG etabliert Vorgaben für das materielle Strafrecht, äußert sich aber nicht zu der zeitlichen Dauer, während der eine in verfassungsgemäßer Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und vollstreckt werden darf.[309]

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