Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Robert Esser, Manuel Ladiges - Страница 66

1. Gesetzlichkeitsgebot (nulla poena sine lege scripta)

Оглавление

51

Obgleich der Gesetzesvorbehalt in Art. 103 Abs. 2 GG bloß in dem Wort „gesetzlich“ zum Ausdruck kommt, verschärft das Bundesverfassungsgericht die demokratische und rechtsstaatliche Gesetzesbindung zu einem strengen Parlamentsvorbehalt.[310] Die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe müssen in formellen Gesetzen enthalten sein.[311] Auch das Strafvollstreckungsrecht bedarf einer förmlichen gesetzlichen Grundlage.[312] Der Parlamentsvorbehalt soll zum einen den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten bezwecken; insofern hat Art. 103 Abs. 2 GG freiheitsgewährleistende Funktion.[313] Zum anderen sorgt Art. 103 Abs. 2 GG dafür, dass im Bereich des Strafrechts allein der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet.[314] Der Gesetzgeber übernimmt mit der Entscheidung über strafwürdiges Verhalten die Verantwortung für eine Form hoheitlichen Handelns, die zu den intensivsten Eingriffen in die individuelle Freiheit zählt. Es ist eine grundlegende Entscheidung, in welchem Umfang und welchen Bereichen ein politisches Gemeinwesen gerade das Mittel des Strafrechts als Instrument sozialer Kontrolle einsetzt.[315] Der Gesetzgeber darf diese Entscheidung nicht der Strafjustiz überlassen;[316] auch nicht etwaigen Ermessensentscheidungen der Exekutive.[317]

52

Gleichwohl fordert das Gesetzlichkeitsprinzip nicht, dass eine einzige gesetzliche Strafnorm Tatbestand und Rechtsfolge vollständig selbst regeln müsste. Zur Konkretisierung darf auf andere Rechtsakte verwiesen werden (sog. Blankettstrafgesetze).[318] Wird der Straftatbestand durch ein anderes förmliches Gesetz ergänzt, ist den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügt, wenn unmissverständlich klar ist, auf welche ausfüllende Norm verwiesen wird und die Voraussetzungen der Strafbarkeit hinreichend deutlich umschrieben sind.[319] Ergänzende Regelungen dürfen sogar durch administrative Rechtsetzungsakte getroffen werden.[320] So können Rechtsverordnungen, die sich im Rahmen von gültigen Ermächtigungen nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG halten, die Strafbarkeit begründen oder verschärfen.[321] Allerdings muss dann die Ermächtigung zur Strafandrohung durch Verordnung so genau umschrieben sein, dass die Voraussetzung der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe für den Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung entnommen werden können.[322] Dem Verordnungsgeber dürfen nur gewisse Spezifizierungen des Straftatbestandes überlassen werden, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso präziser bestimmen muss, je schwerer die angedrohte Strafe ist.[323]

53

Ausnahmsweise können Blanketttatbestände sogar mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar sein, wenn sie erst durch Verwaltungsvorschriften ausgefüllt werden.[324] Auch hier gilt aber, dass sich die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Sanktion bereits aus dem Blankettgesetz mit hinreichender Deutlichkeit ablesen lassen müssen;[325] außerdem muss das Gesetz bezüglich der Ausfüllung auf die sog. „normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift“ exakt verweisen.[326] Da das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten vorhersehbar sein muss, kommen für die Ausfüllung zudem nur solche Verwaltungsvorschriften in Betracht, die förmlich publiziert und leicht zugänglich sind.[327] In ähnlicher Weise kann ein Strafgesetz ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG darauf angelegt sein, durch Verwaltungsakte ausgefüllt zu werden.[328] In einem solchen Fall hat das Gesetz Typus und Regelungsumfang des Verwaltungsaktes jedoch so weit festzulegen, wie der Verstoß gegen die entsprechende Verhaltenspflicht strafbewehrt sein soll. Darüber hinaus muss der die gesetzliche Regelung ausfüllende Verwaltungsakt in seinem konkreten Regelungsgehalt hinreichend bestimmt, also ohne Entscheidungsermessen der Erlassbehörde, sowie bestandskräftig sein.[329]

54

Da Art. 103 Abs. 2 GG den Grundsatz der Gesetzesgebundenheit im Strafrecht etabliert, ist die gewohnheitsrechtliche Strafbegründung oder Strafverschärfung verboten.[330] Das Prinzip der Gesetzesgebundenheit bezieht sich jedoch nur auf das materielle Strafrecht i.S. der Strafandrohung,[331] bedeutet aber kein allgemeines Verbot des Gewohnheitsrechts.[332] Denkbar ist daher etwa, dass ein Strafgesetz durch stete Nichtanwendung, die sich auf eine neu gebildete Rechtsüberzeugung stützt, ungültig wird (sog. desuetudo); dann ist der Schutzbereich von Art. 103 Abs. 2 GG von vornherein nicht berührt.[333] Soweit sich Normen des Allgemeinen Teils des StGB gewohnheitsrechtlich, etwa im Wege einer Wandlung der Strafrechtsdogmatik, modifizieren, ist dies dann mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar, wenn diese Veränderung nicht zu einer Vermehrung des denkbaren strafrechtswidrigen Verhaltens führt.[334] Auch gesetzliche Verweisungen auf gewohnheitsrechtlich anerkanntes Völkerstrafrecht können unter eng gefassten Umständen mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar sein.[335]

55

Blankettstrafgesetze dürfen schließlich auf unmittelbar geltendes Unionssekundärrecht verweisen. Dies ist jedenfalls dann unproblematisch, wenn etwa eine EU-Verordnung nur Verhaltenspflichten festlegt, deren strafrechtliche Sanktionierung erst durch ein deutsches Blankettgesetz erfolgt.[336] In entsprechender Weise ist es zulässig, dass der Gesetzgeber zur Ausfüllung von Blanketttatbeständen auf internationale Akte verweist, denen er gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG den Rechtsanwendungsbefehl erteilt hat. Hierfür gelten die gleichen Maßstäbe wie bei innerstaatlichen Verweisungen; die Konkretisierungen auf internationaler Ebene sind im Regelfall nicht weniger bestimmt als im innerstaatlichen Bereich.[337]

Handbuch des Strafrechts

Подняться наверх