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2. Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege certa)

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Als spezielle Ausgestaltung des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet Art. 103 Abs. 2 GG die gesetzliche Bestimmtheit der Strafbarkeit und stellt insoweit höhere Anforderungen.[338] Wegen seiner freiheitsgewährleistenden Funktion verpflichtet das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen.[339] Jedermann soll voraussehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist, damit er sein Tun oder Unterlassen auf die Strafrechtslage eigenverantwortlich einrichten kann und willkürliche staatliche Reaktionen nicht befürchten muss.[340]

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Das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes darf allerdings nicht übersteigert werden. Insbesondere im Blick auf das Nebenstrafrecht legt das Bundesverfassungsgericht einen vergleichsweise großzügigen Maßstab an die Bestimmtheit an.[341] Aber auch darüber hinaus schließt Art. 103 Abs. 2 GG nicht aus, dass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt.[342] Ein gewisses Maß an Abstraktion lässt sich bei Rechtsnormen, die notwendigerweise typisieren, nicht vermeiden. Ansonsten würden Gesetze zu starr und kasuistisch und der Vielgestaltigkeit des Lebens und dem Wandel der Verhältnisse nicht gerecht.[343] Selbst gesetzliche „Randunschärfen“ gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als unvermeidbar.[344] Nur in Ausnahmefällen hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass eine Vorschrift so exakt formuliert sein muss, dass dem Einzelnen „die Grenze des straffreien Raums klar vor Augen steht“.[345]

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Auch Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Norm mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet oder wenn sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und daraus eine hinreichende Bestimmtheit entwickelt.[346] Zum Beispiel werden die Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts gemäß § 13 StGB und die von der Rechtsprechung hierzu vorgenommene Umschreibung möglicher Garantenstellungen als verfassungskonform erachtet.[347] Hinsichtlich der Auslegungsmethoden kommt allerdings im Strafrecht der grammatischen Auslegung eine herausgehobene Bedeutung zu. Der mögliche Wortsinn einer Vorschrift zieht der Auslegung eine Grenze, die unübersteigbar ist.[348] Für den Normadressaten muss wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sein.[349] Dabei ist in erster Linie der verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, also die Sicht des Bürgers maßgebend.[350] Insgesamt muss die Strafnorm umso präziser sein, je schwerer die angedrohte Strafe ist.[351] Nach bundesverfassungsgerichtlicher Judikatur sind daher an strafbarkeitsbegründende Merkmale höhere Bestimmtheitsanforderungen zu stellen als an „tatbestandsregulierende Korrektive“, die sich zugunsten des Täters auswirken.[352] Die Berücksichtigung ungeschriebener Tatbestandsmerkmale, wie etwa die „Vermögensverschiebung“ beim Betrug nach § 263 StGB, ohne die der objektive Tatbestand wesentlich extensiver wäre, ist deshalb kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG.[353]

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Das sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebende Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt nicht nur für den Straftatbestand, sondern auch für Art und Maß der Strafandrohung. Diese muss in einem vom Schuldprinzip geprägten Strafsystem sachangemessen auf den Straftatbestand und das in ihm als strafwürdig bewertete typisierte Unrecht abgestimmt sein.[354] Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist aber, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Strafrechtsfolgen auf ein abstraktes Höchstmaß an Präzision verzichtet, wie es mit absoluten Strafen theoretisch zu erreichen wäre, und stattdessen dem Richter die Festlegung einzelner Rechtsfolgen innerhalb gesetzlich festgelegter Strafrahmen überlässt. Im Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls kann nämlich erst der Richter die Angemessenheit der konkret bemessenen Strafe beurteilen.[355] Als Mindestanforderungen verlangt das Bundesverfassungsgericht allerdings, dass das Gesetz die Art der für den jeweiligen Tatbestand in Betracht kommenden Sanktion nennt und die Straftatbestände des Besonderen Teils einen Strafrahmen mit Mindestmaß und Höchstmaß der Strafe aufweisen.[356] In dieses Gebot einbezogen sind alle strafrechtlichen Sanktionen, auch Nebenstrafen und Nebenfolgen, Einziehung und Verfall.[357] Dasselbe gilt für Strafzumessungsregeln, die einen erhöhten Strafrahmen z.B. an das Vorliegen eines „besonders schweren Falls“ knüpfen. Zur Bestimmtheit des materialen Merkmals der „besonderen Schwere“ tragen jedoch nicht nur die vom Gesetzgeber normierten Regelbeispiele, sondern auch die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien bei.[358] Um Rechtsfolgenbestimmtheit und Schuldprinzip in praktische Konkordanz zu bringen, darf der Strafrahmen nicht zu eng gesteckt sein. Die absolute Strafandrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei § 211 StGB kann daher im Blick auf das Schuldprinzip in Einzelfällen bedenklich sein.[359]

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Auch wenn die Fassung eines Gesetzes dem Bestimmtheitsgebot entspricht, kann doch seine Anwendung dagegen verstoßen. Daher richtet sich der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG auch an die rechtsprechende Gewalt.[360] Ihr ist es untersagt, Straftatbestände oder Strafen durch Gewohnheitsrecht oder im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung, insbesondere durch Analogie, zu begründen oder zu verschärfen,[361] nicht aber zu mildern.[362] Der aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmende mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert aus Gründen der Rechtssicherheit und des Demokratieprinzips die äußerste Grenze für die richterliche Auslegung einer Strafbestimmung. Ausgeschlossen ist deshalb jede Rechtsanwendung, die über den durch den möglichen Wortlaut geprägten Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht oder den Gedanken des Gesetzes zur Lückenschließung fortentwickelt.[363] Nicht verwehrt ist den Strafgerichten hingegen eine teleologisch begründete (erweiternde oder reduzierende) Auslegung der Strafbestimmung, soweit die Interpretation noch wortlautkonform erfolgt.[364] Die Grenzen zwischen der erlaubten Interpretation, der verbotenen entgrenzenden Auslegung und der verbotenen Analogie sind freilich fließend.[365] Während eine teleologische Interpretation den Gedanken des Gesetzes klarstellt, wird bei einer entgrenzenden Auslegung der Wortlaut gedehnt, überstrapaziert oder in sein Gegenteil verkehrt.[366] Desgleichen wird bei der verbotenen Analogie der Gedanke des Gesetzes über eine (tatsächliche oder vermeintliche) Lückenschließung weiterentwickelt, also die Identität der Gesetzesnorm zum Nachteil des Täters verlassen.[367] Es ist gerade der Sinn des Analogieverbots, einer teleologischen Argumentation zur Füllung empfundener Strafbarkeitslücken, die auch durch einen Bedeutungswandel des Wortlautes entstehen können, entgegenzuwirken.[368] Bei etwaigen Gesetzeslücken ist es alleinige Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er die Strafbarkeitslücke bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will.[369]

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