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I. Recht auf ein faires Verfahren

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Über die Anforderungen hinaus, die sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergeben, hat das Bundesverfassungsgericht – anknüpfend an den Sprachgebrauch von Art. 6 Abs. 1 EMRK – aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG, dem Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) einen Anspruch des Angeklagten auf ein faires rechtsstaatliches und justizförmiges Strafverfahren abgeleitet.[512] Es hat daran solche Beschränkungen gemessen, die von den speziellen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht erfasst werden.[513] Insbesondere die Menschenwürde erfordere es, dem Angeklagten einen Mindeststandard an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen zu garantieren, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen könne.[514] Das Recht auf ein faires Verfahren erschöpft sich also nicht in der Selbstbeschränkung staatlicher Mittel, sondern gewährleistet dem Betroffenen, prozessuale Rechte mit der erforderlichen Sachkunde wahrzunehmen und Übergriffe der rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können.[515] Insgesamt wohnt dem Recht auf ein faires Verfahren also die Idee der Verfahrensbalance inne.[516] In diesem Sinne enthält der Grundsatz des fairen Verfahrens nicht zu übersehende Gemeinsamkeiten mit der Grundrechtsrelevanz von Verfahren.

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Neben dieser Funktion als Prozessgrundrecht versteht das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein faires Verfahren als Leitlinie für den Gesetzgeber und als Auslegungsmaxime für Strafverfolgungsbehörden und Gerichte.[517] Die besonderen rechtsstaatlichen Garantien des Strafverfahrens seien daraufhin zu prüfen, ob sie den Anspruch auf ein faires Verfahren sicherten.[518] Als konkrete Ausprägungen des Rechts auf ein faires Verfahren werden vor allem die Vorschriften der StPO über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers angesehen.[519] Von Verfassungs wegen erforderlich ist, dass dem Angeklagten jedenfalls in „schwerwiegenden Fällen“ ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden muss;[520] dies gilt im Falle notwendiger Verteidigung (§ 140 StPO) auch dann, wenn der Beschuldigte selbst Rechtsanwalt ist.[521] Behörden und Gerichte müssen zudem darauf achten, dass die Pflichtverteidigung wirksam ist.[522] Auch die Hinzuziehung eines Dolmetschers für einen der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beteiligten beurteilt das Bundesverfassungsgericht nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Gebot des fairen Verfahrens.[523] Das Recht auf Beiordnung eines kostenlosen Dolmetschers im Strafprozess folgt zudem unmittelbar aus der menschenrechtlichen Parallelnorm des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK.[524]

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Absprachen und Vereinbarungen im Strafprozess[525] sieht das Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Schuldprinzip dann vereinbar an, wenn ein rechtlicher Mindeststandard eingehalten wird. Dazu zählt, dass der Beschuldigte vorher über die begrenzte Bindungswirkung und die Rechtsfolgen von Absprachen belehrt worden ist.[526] Die Grundsätze des fairen Verfahrens schließen aber aus, die Erfüllung der richterlichen Aufklärungspflicht, die Gesetzesauslegung und Strafbemessung ins Belieben und zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Einem „Handel mit der Gerechtigkeit“ steht die Verfassung entgegen.[527]

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